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BB 2018, I
Hugger/Pasewaldt 

Koalitionsvertrag: schärfere Sanktionen und Compliance-Anreize für Unternehmen

Abbildung 1

Abbildung 2

Union und SPD wollen laut ihrem am 7.2.2018 vorgelegten Koalitionsvertrag Unternehmen stärker sanktionieren. Einen entsprechenden Gesetzentwurf soll das Bundesjustizministerium bereits seit der vergangenen Legislaturperiode vorbereiten.

Höhere Geldsanktionen, Verfolgungszwang und neue Sanktionsinstrumente – die Koalition will die bisher bestehenden Regeln zu Unternehmenssanktionen umfassend neu regeln. Bislang ist im Ordnungswidrigkeitenrecht für Unternehmensgeldbußen allgemein ein Höchstmaß von EUR 10 Mio. vorgesehen. Künftig sollen gegen Unternehmen bei Fehlverhalten von Mitarbeitern allgemein Geldsanktionen von bis zu 10 Prozent des Jahresumsatzes verhängt werden können. Behörden sollen dabei zur Verfolgung und Sanktionierung von Unternehmen verpflichtet sein und insoweit nicht mehr, wie bisher, nur eine Ermessensentscheidung ausüben. Ferner sollen neue Sanktionsinstrumente geschaffen werden und gegen Unternehmen verhängte Sanktionen öffentlich bekannt gemacht werden. Schließlich sind “konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmenssanktionen”, Anreize zur Kooperation mit Ermittlungsbehörden und Regelungen zu internen Untersuchungen geplant.

Die Forderung nach einer Reform und insbesondere einer Verschärfung des Sanktionsrechts für Unternehmen ist nicht neu. Die Große Koalition selbst hatte bereits in ihrem Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2013 für die vergangene 18. Legislaturperiode einen “Ausbau” der bestehenden Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechts “mit Blick auf strafbares Verhalten im Unternehmensbereich” und die “Prüfung eines Unternehmensstrafrechts für multinationale Konzerne” in Aussicht gestellt. Die nun angekündigten Änderungen ähneln den Regelungen verschiedener Initiativen aus der jüngeren Vergangenheit, wie etwa dem Entwurf eines Gesetzes zur Einführung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Unternehmen und sonstigen Verbänden (Verbandsstrafgesetzbuch) des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2013, der es allerdings noch nicht einmal in das Gesetzgebungsverfahren schaffte. Im Dezember 2017 hat die Forschungsgruppe für Verbandsstrafrecht an der Universität zu Köln einen “Kölner Entwurf eines Verbandssanktionengesetzes” vorgestellt.

Mit ihrem neuerlichen Vorstoß treffen Union und SPD den Nerv der Zeit. Vor dem Hintergrund des Mediengetöses zu “Dieselgate”, “Cum-Ex-Steuerraub” und “Panama Papers” ertönt der Ruf nach höheren Sanktionen für kriminelle Unternehmen lauter denn je. Ob eine Verschärfung der bestehenden Sanktionsvorschriften für Unternehmen erforderlich ist, kann jedoch ebenso bezweifelt werden wie ihre Eignung zur Eindämmung von Fehlverhalten in Unternehmen. Schon jetzt bieten das deutsche Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht ausreichende Sanktionsmöglichkeiten für Unternehmen. Insbesondere stellt die im Koalitionsvertrag als “für große Konzerne zu niedrig” bezeichnete allgemeine Höchstgrenze für Unternehmensgeldbußen keine absolute Begrenzung dar. Vielmehr kann eine Unternehmensgeldbuße insbesondere schon jetzt um ein Vielfaches über EUR 10 Mio. hinausgehen, wenn es zur Abschöpfung wirtschaftlicher Vorteile erforderlich ist, die das Unternehmen durch die vorgeworfenen Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten erlangt hat. Davon machen Behörden und Gerichte in der Praxis auch durchaus Gebrauch. Das zeigen etwa die gegen verschiedene deutsche Industrieunternehmen in Korruptionsverfahren festgesetzten Geldbußen in zwei- bis dreistelliger Millionenhöhe oder die Unternehmensgeldbußen gegen Banken wegen Vorwürfen der Beihilfe zur Steuerhinterziehung von Kunden in vergleichbarer Größenordnung.

Was in Deutschland bisher allerdings fehlt, sind gesetzliche Regeln für die Zumessung von Unternehmenssanktionen und Anreize für Unternehmen, durch interne Untersuchungen (Internal Investigations) und eine anschließende Offenlegung daraus gewonnener Erkenntnisse gegenüber Verfolgungsbehörden zur Aufklärung von Gesetzesverstößen beizutragen. Zwar berücksichtigen in der Praxis schon jetzt Behörden und Gerichte Selbstanzeigen und eine Kooperation von Unternehmen im Rahmen ihres Ermessens über Unternehmenssanktionen und deren Höhe. Auch werden interne Untersuchungen von der Justiz zunehmend erwartet oder Unternehmen und ihren Beratern sogar nahe gelegt. Zudem hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Urteil vom 9.5.2017 klargestellt, dass bei der Zumessung von Unternehmensgeldbußen mildernd zu berücksichtigen ist, inwieweit das Unternehmen ein effizientes Compliance-Management-System eingerichtet hat, um Rechtsverstöße aus seiner Sphäre zu vermeiden (s. hierzu auch Bürkle, BB 2018, 525 [in diesem Heft]). Gesetzliche Vorgaben dazu fehlen in Deutschland bisher jedoch, anders als beispielsweise in Großbritannien oder den USA, wo Unternehmen bei einer freiwilligen Offenbarung etwa von Korruptionsverstößen und einer vollständigen Kooperation mit den Ermittlungsbehörden unter bestimmten Voraussetzungen mit einem Verzicht auf Strafverfolgung oder einem Strafnachlass von bis zu 50 Prozent rechnen können. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Koalition nun tatsächlich solche gesetzlichen Vorgaben schaffen wird. Zunächst ist es noch an den etwa 460 000 berechtigten SPD-Mitgliedern, über den Koalitionsvertrag und das Zustandekommen der Großen Koalition abzustimmen. Das Ergebnis dieser Abstimmung ist für den 4.3.2018 – und damit für nach der Drucklegung dieser Ausgabe – angekündigt. Mit Spannung erwartet werden jedenfalls insbesondere die angekündigten Regelungen zur Beschlagnahme von Unterlagen zu internen Untersuchungen und Durchsuchungen. Die insoweit bestehende Unsicherheit zeigen die Verfahren zur Zulässigkeit einer Durchsuchung und Beschlagnahme solcher Unterlagen in einem deutschen Büro einer US-Kanzlei im März 2017, über die demnächst das Bundesverfassungsgericht entscheiden soll.

Dr. Heiner Hugger, LL.M. (li), RA/FAStrafR, ist Partner im Frankfurter Büro von Clifford Chance. Er berät und vertritt seine Mandanten bei Ermittlungen, behördlichen oder gerichtlichen Verfahren, Compliance- und Betrugsbekämpfungsmaßnahmen und allen sonstigen Fragen im Zusammenhang mit strafrechtlichen oder anderen Sanktionen.

Dr. David Pasewaldt, LL.M. (re), RA, ist Counsel der Kanzlei Clifford Chance in Frankfurt a. M. Er berät zu allen Fragen des Wirtschaftsstrafrechts und ist Dozent an der Frankfurt School of Finance & Management.

 
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