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BB 2017, I
Barckow 

Unternehmensberichterstattung am Scheideweg – mehrwertige Informationsvermittlung oder bloße Compliance-Übung?

Abbildung 1

Die Berichterstattung der Unternehmen unterliegt einem dramatischen Wandel. Vor 20 Jahren wurde der Geschäftsbericht noch stolz als “Visitenkarte des Unternehmens” bezeichnet. Ansprechend und informativ sollte er sein. Und heute? Viele Geschäftsberichte scheinen weniger eine “Visitenkarte” als “reif für die Visite” zu sein: Floskel und Gemeinplatz schmiegen sich liebkosend aneinander; Inhalte werden automechanisch aus dem Vorjahr kopiert und allenfalls dort geändert, wo es sich partout nicht mehr vermeiden lässt. Und über viele Unternehmen erfährt man Jahr für Jahr weniger, obwohl diese auf immer mehr Seiten berichten.

Die Güte der Berichterstattung ist ein eindrucksvolles Spiegelbild des Stellenwerts, den das Rechnungswesen heute offenbar in Unternehmen genießt. Sofern die damit verbundenen Tätigkeiten nicht bereits weitgehend in sog. Shared Service Center entsorgt wurden – darunter fassen Betriebswirte die Wirkungsstätte geschäftiger, nicht zwingend nach deutschem Tarifrecht entgoltener Mitarbeiter an zumeist wärmeren Orten außerhalb der Bundesrepublik zusammen –, findet man hier noch Verbliebene eher in den kunstlichtdurchfluteten Etagen, vulgo: im Maschinenraum. Vom Hochglanzprospektverantwortlichen zum Heizer – o tempora, o mores!

Einverstanden, vor 20 Jahren war die Welt eine andere: Das Problem überbordender Umfänge von Anhängen war weitgehend unbekannt, diese litten eher an Intransparenz und Schwindsucht; CSR stand noch für eine Autotuning-Firma und nicht für soziale Verantwortung von Unternehmen; und internationale Rechnungslegung war nicht selten das Hobby Horse eines Finanzvorstands, der damit sein polyglottes Wesen unter Beweis zu stellen suchte.

Vieles hat sich seitdem verändert. Seit 2005 müssen kapitalmarktorientierte Konzerne in der EU nach IFRS bilanzieren, die seitdem so manche Volte genommen haben. Die externe Berichterstattung wird nunmehr auch von Enforcementeinrichtungen wie der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung unter die Lupe genommen und in gut jedem sechsten Fall geahndet. Ach ja, und dann war da ja auch noch eine Finanzmarktkrise. Diese und weitere Ereignisse haben Geschäftsberichte in einem Ausmaß anschwellen lassen, bei dem Menschen längst beim Ernährungsberater hätten vorsprechen müssen.

Und wie immer will es keiner gewesen sein. Alle am Prozess Beteiligten beklagen die Informationsfülle, die nicht mehr zu verarbeiten sei. Und legen beständig Scheite mit weiteren Berichtspflichten nach. Verstärkt ins Visier der Akteure gerät dabei die nichtfinanzielle Berichterstattung, und zwar als Teil des traditionellen Finanzberichts. Nun ist die Trennung in finanzielle und nichtfinanzielle Informationen vor allem eines – artifiziell: Viele nichtfinanzielle Faktoren haben nämlich zweifellos einen Einfluss auf die Finanzsphäre des Unternehmens. Man könnte sagen, dass nichtfinanzielle Themen von heute die finanziellen von morgen sind. Warum dann mit der Information bis morgen warten?

Das DRSC hat diesen Punkt in seinem Standard zur Lageberichterstattung adressiert. Im Chancen- und Risikobericht sind Unternehmen gehalten, über nichtfinanzielle Einflussfaktoren zu berichten, sofern diese für das Unternehmen steuerungsrelevant sind – allerdings auch nur dann. Der europäische Gesetzgeber rückt in seiner Corporate-Social-Responsibility-(CSR-)Richtlinie davon ab und erlegt Unternehmen apodiktisch eine Berichtspflicht auf, Relevanz hin oder her. Rechenschaftslegung wird hier ins Gegenteil verkehrt, indem nicht nur darüber zu berichten ist, was getan, sondern auch darüber, was unterlassen wurde (aber nach Meinung eines moralischen Imperativs hätte getan werden sollen). Hier scheinen Zweifel angebracht, ob sich der Finanzbericht eines Unternehmens wirklich als Ort für die Darlegung sozialverantwortlichen Handelns oder Nichthandelns eignet.

Die Fülle an zu berichtenden Informationen bringt noch ein weiteres Problem mit sich: die Aufbereitung und Verarbeitung derselben. Die Sicherstellung einer sachgerechten Abbildung aller berichtspflichtigen Vorgänge im Unternehmen ist ohne intelligente Systeme nicht mehr zu bewerkstelligen. Prozessen und Kontrollen kommt damit eine weitaus größere Bedeutung zu, als das in früheren Zeiten der Fall gewesen ist – es lebe die Compliance! Allerdings: Wenn sich die letztverantwortliche Ebene im Unternehmen immer weniger um den Inhalt der Rechnungslegung und stattdessen um ihre Überwachung kümmert, wenn substanzielle Rechnungswesenprozesse vom Entscheidungsträger entkoppelt und ins Ausland verlagert werden, dann brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn wir in wenigen Jahren einen neuen kapitalen Finanzberichtsskandal sehen werden, bei dem sich alle Beteiligten verwundert den Kopf kratzen, weil alle Prozess- und Kontrollanforderungen als erfüllt bestätigt werden können und es dennoch zu einem unerklärlichen “Betriebsunfall” kam. Die Berichterstattung steht am Scheideweg, noch wäre Zeit zum Gegensteuern.

Prof. Dr. Andreas Barckow ist Präsident des Deutschen Rechnungslegungs Standards Committee e. V. (DRSC) und Vizepräsident des Boards der European Financial Reporting Advisory Group (EFRAG). Der Beitrag stellt seine persönliche Meinung dar.

 
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