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RdF-News
16.09.2024
RdF-News
öVwGH: Begriff der „festgelegten Anlagestrategie“ als Voraussetzung für das Vorliegen eines AIF

öVwGH, Erkenntnis vom 15.2.2024 – Ra 2023/02/0178 -12

ECLI:AT:VWGH:2024:RA2023020178.L00

Volltext des Urteils: RdFL2024-230-1

 

1 Die mitbeteiligte Partei ist eine im Bereich Prozessfinanzierung tätige Gesellschaft.

2 Mit Verfahrensanordnung vom 22. Oktober 2020 teilte die Finanzmarktaufsichtsbehörde der mitbeteiligten Partei mit, dass der Verdacht der unerlaubten Verwaltung eines Alternativen Investmentfonds (AIF) im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 1 Alternative Investmentfonds Manager Gesetz (AIFMG) durch die mitbeteiligte Partei bestehe und forderte die mitbeteiligte Partei zur Herstellung des rechtskonformen Zustands durch Unterlassung der Verwaltung eines AIF auf.

3 Mit Schreiben vom 25. November 2020 beantragte die mitbeteiligte Partei Akteneinsicht in einen „vollständigen“ näher bezeichneten Akt der Finanzmarktaufsichtsbehörde.

4 Mit Bescheid der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom 19. Jänner 2021 wurde der mitbeteiligten Partei aufgetragen, die unerlaubte Verwaltung eines AIF gemäß § 2 Abs. 1 Z 2 AIFMG zu unterlassen. Dies durch Unterlassung der Verwaltung des Genussrechtskapitals, das durch die Emission von unverbrieften und nachrangigen Genussrechten mit einer Laufzeit bis zum 31. Dezember 2023 laut Kapitalmarktprospekt vom 5. Juli 2017 über das öffentliche Angebot von Genussrechten eingesammelt wurde (Spruchpunkt 1.). Dies sei der Finanzmarktaufsichtsbehörde binnen sechs Wochen ab Zustellung dieses Bescheides durch Vorlage geeigneter Unterlagen nachzuweisen (Spruchpunkt 2.). Bei Nichtbefolgung der Spruchpunkte 1. und 2. werde über die mitbeteiligte Partei eine Zwangsstrafe in Höhe von jeweils € 10.000, verhängt werden (Spruchpunkt 3.). Der Antrag der mitbeteiligten Partei auf Akteneinsicht in den gesamten Akt eines Verfahrens der Finanzmarktaufsichtsbehörde wurde abgewiesen (Spruchpunkt 4.). Die aufschiebende Wirkung einer allfälligen Beschwerde wurde gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG ausgeschlossen (Spruchpunkt 5.).

5 Mit der angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen die Spruchpunkte 1. bis 3. statt und behob diese Spruchpunkte ersatzlos (Spruchpunkt I.). Der Beschwerde gegen Spruchpunkt 4. wurde teilweise stattgegeben und festgestellt, dass die Finanzmarktaufsichtsbehörde die Akteneinsicht in näher genannte Aktenteile zu Unrecht verweigert habe (Spruchpunkt II.). Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.

6 Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht fest, die mitbeteiligte Partei verfüge über keine Konzession der Finanzmarktaufsichtsbehörde. Im Kapitalmarktprospekt vom 5. Juli 2017 über das öffentliche Angebot von Genussrechten führe die mitbeteiligte Partei aus, dass sie insbesondere in folgenden Bereichen tätig sei:

„- Prozesskostenfinanzierung (aktuell wurden/werden z. B. über 4.000 Anfragen im Bereich Rückabwicklung von Lebensversicherungen bearbeitet und an kooperierende Rechtsanwälte weitergeleitet)

- (eingeschränkte) Vorabprüfung relevanter Unterlagen und Sammlung/Aufbereitung für die jeweiligen kooperierenden Rechtsanwälte

 Zurverfügungstellung von Kontakten zu Rechtsanwälten / Weiterleitung der Aufträge an die jeweiligen kooperierenden Rechtsanwälte

 Marketingaktivitäten für die Bewerbung des Unternehmens (wie zB Onlinemarketing auf sozialen Medien und Suchmaschinen, Roadshows, klassische Werbekampagnen)

- Aufbau und Ausbildung der selbständigen Vertriebspartner (derzeit über 280 österreichweit)“

Aus den in der angefochtenen Erkenntnis auszugsweise und wörtlich wiedergegebenen Genussrechtsbedingungen laut Kapitalmarktprospekt ergibt sich u.a., dass die Genussrechte eine schuldrechtliche Vermögensbeteiligung der Genussrechtsberechtigten an der Emittentin darstellen. Sie werden nicht verbrieft, sind unbesichert sowie nachrangig und gewähren keinen Anteil am Kapital der Emittentin sowie keinerlei Verwaltungsrechte. Der Anspruch der Genussrechtsberechtigten auf Rückzahlung des Genussrechtskapitals umfasst deren Buchwert zuzüglich der bis dahin aufgelaufenen Zinsen, einer Gewinnbeteiligung sowie einer Unternehmenswertbeteiligung und geht den allgemeinen Gläubigern im Rang nach sowie den Gesellschaftern und Eigenkapitalgebern im Rang vor.

Laut Kapitalmarktprospekt so das Bundesverwaltungsgericht in seiner weiteren Begründung diene das Genussrechtskapital der direkten operativen Unternehmensfinanzierung. Als Anlageziel werde „allgemeine Unternehmensfinanzierung“ definiert. Ausdrücklich werde festgehalten, dass eine ordentliche Kündigung des Genussrechtsvertrages vor Ende der Laufzeit nicht möglich sei. Die mitbeteiligte Partei als Prozesskostenfinanzierer übernehme die notwendigen Kosten einer (außer)gerichtlichen Verfolgung privater oder gewerblicher Ansprüche und trage das volle Prozesskostenrisiko der geführten Verfahren. Im Erfolgsfall erhalte die mitbeteiligte Partei einen Teil des erzielten Erlöses in Form einer Beteiligungsquote. Zum Entscheidungszeitpunkt der Finanzmarktaufsichtsbehörde unterstütze die mitbeteiligte Partei Konsumenten bei der Durchsetzung ihrer Rechte, insbesondere gegen Versicherungsunternehmen. Die mitbeteiligte Partei prüfe die eingereichten Fälle eingeschränkt vorab, stelle die relevanten Unterlagen zusammen, bereite diese auf und instruiere die beauftragten Rechtsanwälte. Außerdem bewerbe sie das Unternehmen, bilde ihre Mitarbeiter aus und schaffe Arbeitsmittel an.

In seiner rechtlichen Beurteilung erwog das Bundesverwaltungsgericht, die mitbeteiligte Partei führe zwar aus, keine festgelegte Anlagestrategie zu verfolgen. Betrachte man aber das Kapitalmarktprospekt der mitbeteiligten Partei, werde klargestellt, dass das Kapital den dort genannten Zwecken (Prozesskostenfinanzierung, Investitionen im Bereich Datenverarbeitung, Verwaltung und Administration, Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb, Marketingaktivitäten, Expansion und sonstige Ausgaben) zugeführt werde. Die Gesellschaft sei also keineswegs frei in der Verwendung des Genussrechtskapitals. Den Anlegern werde vielmehr verbindlich und klar offengelegt, zu welchen Zwecken das eingesammelte Kapital verwendet werde und welche Zwecke damit verfolgt werden sollten. Das Kapital sei eindeutig zum Zweck klar definierter Ziele eingesammelt worden. Der zuständige Senat erkenne jedoch auch, dass das eingesammelte Kapital entsprechend dem Kapitalmarktprospekt zur direkten operativen Unternehmensfinanzierung verwendet worden sei, weswegen gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a AIFMG letztlich kein AIF vorliege. Dass das eingesammelte Kapital von der Gesellschaft nicht (ausschließlich) zu kommerziellen oder industriellen Zwecken eingesammelt worden sei, sei ebenso irrelevant wie die rechtliche Beurteilung der belangten Behörde, dass die zum Zeitpunkt der Emission geplanten Dienstleistungen, in welche das Genussrechtskapital investiert werden solle, eindeutig „finanzielle Dienstleistungen“ darstellen würden.

7 Dagegen richtet sich die außerordentliche Amtsrevision der Finanzmarktaufsichtsbehörde mit dem Antrag, die Revision für zulässig zu erklären und die angefochtene Erkenntnis dahingehend abzuändern, dass die Beschwerde der mitbeteiligten Partei zur Gänze als unbegründet abgewiesen werde in eventu das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

8 Nach Einleitung des Vorverfahrens erstatte die mitbeteiligte Partei eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichthof hat erwogen:

9 Die Finanzmarktaufsichtsbehörde erachtet ihre Revision gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Erkenntnisses im Wesentlichen für zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, wie der in § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a AIFMG verwendete Ausdruck „ohne dass das eingesammelte Kapital unmittelbar der operativen Tätigkeit dient“, auszulegen sei und das Bundesverwaltungsgericht den Ausdruck entgegen der Judikatur des Verwaltungsgerichthofes nicht unionsrechtskonform ausgelegt bzw. seine Auslegung mangelhaft begründet habe.

10 Die Revision erweist sich zur Klarstellung der Rechtslage als zulässig und berechtigt.

11 Gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 AIFMG ist ein AIF im Sinne dieses Bundesgesetzes jeder Organismus für gemeinsame Anlagen einschließlich seiner Teilfonds, der (a) von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren, ohne dass das eingesammelte Kapital unmittelbar der operativen Tätigkeit dient, und (b) keine Genehmigung gemäß Art. 5 der Richtlinie 2009/65/EG benötigt.

12 Voraussetzung für das Vorliegen eines AIF ist demnach zunächst, dass ein Organismus für gemeinsame Anlagen von einer Anzahl von Anlegern Kapital einsammelt, um es gemäß einer festgelegten Anlagestrategie zum Nutzen dieser Anleger zu investieren. Erst wenn überhaupt eine Anlagestrategie festgelegt wurde, um das eingesammelte Kapital zum Nutzen der Anleger zu investieren, stellt sich die Frage, ob das eingesammelte Kapital unmittelbar der operativen Tätigkeit dient, weil ansonsten bereits aus dem erstgenannten Grund kein AIF vorliegt.

13 Durch § 2 Abs. 1 AIFMG werden die Definitionen gemäß Art. 4 der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010 (AIFMD) umgesetzt (vgl. RV 2401 BlgNR 24. GP 12).

14 Den dazu von der Europäischen Wertpapier- und Aufsichtsbehörde (ESMA) herausgegebenen Leitlinien zu Schlüsselbegriffen der Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFMD) vom 13. August 2013, ESMA/2013/611, hinsichtlich derer die Finanzmarktaufsichtsbehörde gemäß Art. 16 Abs. 3 der Verordnung (EU) Nr. 1095/2010 (ESMA Verordnung) ihre Compliance bestätigt hat, lässt sich zum Begriff der „festgelegten Anlagestrategie“ entnehmen, dass ein Organismus als ein Organismus mit einer festgelegten Anlagestrategie im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. a und i der AIFMD angesehen werden sollte, der eine Strategie in Bezug darauf verfolgt, wie das im Organismus gebündelte Kapital im Hinblick auf die Erzielung einer Gemeinschaftsrendite für die Anleger, bei denen das Kapital beschafft wurde, verwaltet werden soll. Zudem definiert die ESMA in den Leitlinien, Rz. 20, einige Faktoren, die einzeln oder kumulativ auf das Vorhandensein einer solchen Strategie hinweisen könnten: Die Anlagestrategie ist bestimmt und festgelegt, spätestens zu dem Zeitpunkt, wenn die Verpflichtungen der Anleger gegenüber dem Organismus für sie verbindlich werden; die Anlagestrategie wird in einem Dokument dargelegt, das Bestandteil der Vertragsbedingungen bzw. der Satzung des Organismus ist bzw. auf das darin Bezug genommen wird; der Organismus bzw. die juristische Person, die den Organismus verwaltet, unterliegt gegenüber den Anlegern einer (wie auch immer entstandenen) von ihnen rechtlich durchsetzbaren Verpflichtung, sich nach der Anlagestrategie zu richten, einschließlich aller daran vorgenommenen Änderungen; die Anlagestrategie umfasst auch Anlagerichtlinien mit Verweis auf alle oder einzelne der nachstehend genannten Kriterien: Anlage in bestimmte Kategorien von Vermögenswerten bzw. gemäß Einschränkungen bezüglich der Anlageaufteilung; Verfolgung bestimmter Strategien; Anlage in bestimmten geografischen Gebieten; Einhaltung von Einschränkungen bezüglich von Hebelfinanzierungen; Einhaltung von Mindesthaltezeiten oder Einhaltung von anderen Einschränkungen zur Risikosteuerung.

15 Für das Vorliegen einer Anlagestrategie spricht demnach, wenn die Anlagestrategie in einem Dokument festgelegt wurde und/oder von den Anlegern gegenüber dem Organismus bzw. der juristischen Person rechtlich durchsetzbar ist. Zudem soll eine Anlagestrategie auch Anlagerichtlinien enthalten, die alle oder zumindest einzelne der in den Leitlinien genannten Vorgaben aufweisen.

16 Unter einer festgelegten Anlagestrategie ist demnach die fixe Vorgabe eines Handlungsspielraumes zu verstehen, nach dem sich der Alternative Investmentfonds Manager (AIFM) bei der Vermögensverwaltung zu orientieren hat. Die Anlagestrategie kann sowohl in einer Gesellschaftssatzung, Vertragsunterlagen, aber auch in Werbeprospekten oder auf einer Website vorgegeben werden. Sie muss aber derart definiert sein, dass sich ein Anleger gegenüber dem AIFM verbindlich darauf stützen und die Einhaltung dieser Anlagestrategie fordern und durchsetzen kann (vgl. Tomanek/Wintersberger, Geschäftsmodelle im Anwendungsbereich des AIFMG, in Kirchmayr Schliesselberger/Klas/Miernicki/Rinderle Ma/Weilinger [Hrsg.], Kryptowährungen [2019]).

7 Durch ihre Anlagestrategie unterscheiden sich AIF von gewöhnlichen Unternehmen. Selbst eine relativ allgemein gehaltene Anlagestrategie eines AIF enthält gewöhnlich klarere Vorgaben als der Gesellschaftsvertrag von Unternehmen, bei denen der Gesellschaftszweck bzw. die Geschäftsaktivität meist vergleichsweise abstrakt gefasst ist (vgl. Tollmann in Dornseifer/Jesch/Klebeck/Tollmann , AIFM RL, Art. 4 Rz 29).

18 Die Anlagestrategie geht damit weit über die allgemeine Unternehmensstrategie und den abstrakten Unternehmensgegenstand hinaus. Sie beschränkt den Handlungsspielraum des Managements bei Veranlagungsentscheidungen, welcher diesem durch die Satzung und den Unternehmensgegenstand eingeräumt wird (vgl. Kalss/Oppitz/Zollner, Kapitalmarktrecht², § 30 Rz 33).

19 Das Bundesverwaltungsgericht erachtet eine Anlagestrategie fallbezogen als gegeben, weil in dem von der mitbeteiligten Partei veröffentlichten Kapitalmarktprospekt klargestellt werde, dass das Kapital den dort genannten Zwecken (Prozesskostenfinanzierung, Investitionen im Bereich Datenverarbeitung, Verwaltung und Administration, Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Geschäftsbetrieb, Marketingaktivitäten, Expansion und sonstige Ausgaben) zugeführt werde.

20 Dass das angesammelte Kapital irgendeinem näher definierten Zweck zugeführt werden soll, reicht nach dem Gesagten jedoch nicht aus, um bereits von einer Anlagestrategie im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 1 AIFMG auszugehen. Insbesondere dann nicht, wenn es sich dabei wie vom Bundesverwaltungsgericht festgestellt lediglich um den Zweck der „allgemeinen Unternehmensfinanzierung“ handelt (vgl. zur Unterscheidung zwischen Unternehmensstrategie und Anlagestrategie auch ESMA, Discussion paper, Key concepts of the Alternative Investment Fund Managers Directive an types of AIFM, ESMA/2012/117, Rz. 31).

21 Hinzu kommt, dass es nach den Feststellungen auch nicht das primäre Ziel der Anlage ist, durch das gesammelte Kapital einen Nutzen für die Gesamtheit der Anleger zu generieren, sondern wurde als Anlageziel die „allgemeine Unternehmensfinanzierung“ festgestellt.

22 Das Bundesverwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall verkannt, dass eine für das Vorliegen eines AIF erforderliche Anlagestrategie nicht mit der allgemeinen Unternehmensstrategie gleichzusetzen ist, und sich infolgedessen nicht mit den oben dargestellten Kriterien für eine Anlagestrategie auseinandergesetzt. Die angefochtene Erkenntnis erweist sich daher bereits aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig.

23 Im fortgesetzten Verfahren wird sich das Bundesverwaltungsgericht daher unter Berücksichtigung der dargestellten Leitlinien mit dem Vorliegen einer Anlagestrategie gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a AIFMG auseinanderzusetzen haben und anhand der Kriterien, die von der ESMA für das Vorliegen einer Anlagestrategie aufgestellt wurden, unter Wahrung von Parteiengehör entsprechende Feststellungen zu treffen haben, ob fallbezogen diese Voraussetzungen erfüllt sind.

24 Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen eine weitere Voraussetzung für die Qualifikation als AlF verneint hat, indem es angenommen hat, der Ausnahmetatbestand der Verwendung des eingesammelten Kapitals zur direkten operativen Unternehmensfinanzierung gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 lit. a AIFMG sei erfüllt.

25 Auch bei dieser Beurteilung ist das Bundesverwaltungsgericht nämlich einem Rechtsirrtum unterlegen, indem es argumentierte, bei der Interpretation des in § 2 Abs. 1 lit. a AIFMG genannten Ausschlusskriteriums der „operativen Tätigkeit“ seien die Leitlinien der ESMA (ESMA/2013/611) nicht heranzuziehen, weil in Art. 4 Abs. 1 lit. a der AIFMD dieses nicht vorkomme und dazu auch in den Leitlinien der ESMA nichts ausgeführt werde. Somit sei mangels weiterer Regelung im AIFMG, was operative Tätigkeiten seien, nach den allgemeinen Interpretationsregeln der § 6 f ABGB der allgemeine Wortsinn (laut Duden „konkrete Maßnahmen zu treffen, sie unmittelbar wirksam werden lassend“) heranzuziehen, weshalb es unerheblich sei, ob es sich dabei um finanzielle oder nicht finanzielle Dienstleistungen handle.

26 Dieser Rechtsansicht kann nicht gefolgt werden. Da durch die Definition des § 2 Abs. 1 AIFMG lediglich die AIFMD umgesetzt wird (siehe oben Rz 13), ist mit Blick auf eine unionsrechtskonforme Interpretation dieser Bestimmung nicht nur die Richtlinie, sondern sind auch die Leitlinien der ESMA zu beachten, wollte man dem nationalen Gesetzgeber nicht unterstellen, er hätte den von der Richtlinie definierten Anwendungsbereich eingeschränkt, indem er sämtliche operative Tätigkeiten einschließlich finanzieller Dienstleistungen davon ausgenommen hätte.

27 Ausgehend von den Leitlinien der ESMA ist ein Organismus dann kein AlF, wenn er einen allgemein kommerziellen oder industriellen Zweck verfolgt (vgl. ESMA/2013/611, Vl. 12). Unter allgemein kommerziellem oder industriellem Zweck verstehen die Leitlinien „den Zweck der Verfolgung einer Geschäftsstrategie, die sich u.a. durch Merkmale auszeichnet wie die überwiegende Ausübung (i) einer kommerziellen Tätigkeit einschließlich Kauf, Verkauf und/oder Austausch von Waren oder Gütern und/oder Verkehr mit (Erbringung von) nicht finanziellen Dienstleistungen oder (ii) einer industriellen Tätigkeit einschließlich der Produktion von Waren oder der Errichtung von Immobilien oder (iii) einer Kombination daraus (siehe ESMA/2013/611, II.). Die Frage, ob eine operative Tätigkeit iSd § 2 Abs. 1 lit. a AIFMG gegeben ist, ist in diesem Lichte zu interpretieren und fallbezogen zu prüfen.

28 Soweit sich die Revision zudem gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Erkenntnisses wendet und rügt, das Bundesverwaltungsgericht hätte selbst Akteneinsicht gewähren und den aus seiner Sicht vorliegenden Mangel damit sanieren müssen, kommt ihr ebenfalls Berechtigung zu.

29 Mit Spruchpunkt 4. des Bescheids der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom 19. Jänner 2021 wurde der Antrag der mitbeteiligten Partei vom 25. November 2020 auf Akteneinsicht in den gesamten Akt eines näher bezeichneten Verfahrens abgewiesen.

30 Dieser Antrag auf Akteneinsicht erfolgte im Zuge des durch Verfahrensanordnung der Finanzmarktaufsichtsbehörde vom 22. Oktober 2020 eingeleiteten Verfahrens gemäß § 22d FMABG, betreffend die Untersagung der Verwaltung eines AIF.

31 Die Verweigerung der Akteneinsicht im Zuge eines anhängigen Verfahrens stellt gleichgültig, ob die Einsicht in die Akten des anhängigen oder eines anderen Verfahrens begehrt wird, im Hinblick auf § 17 Abs. 4 AVG immer eine Verfahrensanordnung dar, die der Partei des anhängigen Verfahrens Anlass geben kann, dieses als mangelhaft zu bekämpfen, die aber nicht gesondert angefochten werden kann. Die Verweigerung der Akteneinsicht im Zuge eines anhängigen Verfahrens stellt auch dann eine bloße Verfahrensanordnung dar, wenn sie in die äußere Form eines Bescheides gekleidet ist (vgl. zum Ganzen VwGH 9.9.2008, 2007/06/0056, mwN).

32 Da die Verweigerung der Akteneinsicht als Verfahrensanordnung nicht gesondert anfechtbar war, erweist sich die teilweise Stattgabe der Beschwerde gegen Spruchpunkt 4. des Bescheides der Finanzmarktaufsichtsbehörde vor diesem Hintergrund als rechtswidrig.

33 Die angefochtene Erkenntnis war daher in vollem Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

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