R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Arbeitsrecht
11.02.2021
Arbeitsrecht
LAG Köln: Mitbestimmung des BR eines Krankenhauses bei Ausgestaltung des Besuchskonzepts in der Corona-Pandemie

LAG Köln, Beschluss vom 22.1.2021 – 9 TaBV 58/20

ECLI:DE:LAGK:2021:0122.9TABV58.20.00

Volltext: BB-Online BBL2021-435-5

Leitsätze:

1. Enthält der arbeitsgerichtliche Beschluss über die Einsetzung einer Einigungsstelle eine fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung, ist die Beschwerdebegründungsfrist so lange als gehemmt anzusehen, wie die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels nicht abgelaufen ist.

2. Der Betriebsrat eines Krankenhauses hat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bei der Ausgestaltung eines Besuchskonzepts iSd. § 5 Abs. 1 Satz 3 CoronaSchVO NRW  mitzubestimmen.

Sachverhalt

I.

Die Arbeitgeberin betreibt ein Krankenhaus mit ca. 850 Arbeitnehmern. Im Zuge der Corona-Pandemie hatte sie ohne Beteiligung des bei ihr gebildeten Betriebsrats  ein System zur Dokumentation des Zutritts und Aufenthalts betriebsfremder Personen auf dem Klinikgelände eingeführt.

Mit einem am 06.11.2020 verkündeten Beschluss hat das Arbeitsgericht Siegburg in dem von dem Betriebsrat eingeleiteten Beschlussverfahren den Direktor des Arbeitsgerichts K a. D. zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „durch die Corona-Pandemie bedingte Kontrolle und Dokumentation des Zutritts und Aufenthalts betriebsfremder Personen im H Klinikum S“ bestellt und unter teilweiser Zurückweisung des Antrags im Übrigen die Zahl der Beisitzer für jede Seite auf zwei festgesetzt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Einigungsstelle zur Regelung der Angelegenheit nicht offensichtlich unzuständig sei. Die Arbeitgeberin sei gesetzlich verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes unter Berücksichtigung der Umstände zu treffen, die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten bei der Arbeit beeinflussen würden. Nach der Coronaschutzverordnung für das Land Nordrhein-Westfalen seien Besuche in den in Krankenhäusern nur auf der Basis eines einrichtungsbezogenen Besuchskonzepts zulässig. Da gesetzliche Vorgaben, ob und wie die Zugangskontrolle und -dokumentation umzusetzen sei, nicht existieren würden, bestehe Raum für eine entsprechende betriebliche Regelung, bei der der Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1Nr. 7 BetrVG mitbestimmen könne.

Der Beschluss, gegen den ausweislich seiner Rechtsmittelbelehrung innerhalb einer Notfrist von einem Monat Beschwerde eingelegt werden konnte, ist der Arbeitgeberin am 27.11.2020 zugestellt worden. Ihre dagegen gerichtete Beschwerde ist am 23.12.2020 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangen und zugleich begründet worden.

Die Arbeitgeberin ist der Auffassung, dass die Einigungsstelle entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts zur Regelung der Angelegenheit offensichtlich unzuständig sei. Die Zugangskontrollen würden in erster Linie dem Schutz der bei ihr behandelten Patienten und nicht der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer dienen. Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG knüpfe an einer für sie verbindliche Rechtsnorm an. Eine solche existiere jedoch nicht. Bei den Arbeitsschutzstandards des Bundesarbeitsministeriums handele es sich allenfalls um unverbindliche Empfehlungen.

Die Arbeitgeberin beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Siegburg vom 06.11.2020- 3 BV 31/20 - aufzuheben und den Antrag des Betriebsrats zurückzuweisen.

Der Betriebsrat beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung unter Vertiefung seines Vortrags. Er ist der Auffassung, dass die Coronaschutzverordnung eine Handlungspflicht der Arbeitgeberin vorgebe. Gemäß § 5 Abs. 1 CoronaSchVO seien Besuche auf der Basis eines einrichtungsbezogenen Besuchskonzepts grundsätzlich zulässig. Dieses Konzept diene auch dem Schutz des Personals. Auf die Verbindlichkeit der Arbeitsschutzstandards des Bundesarbeitsministeriums komme es gar nicht an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Aus den Gründen

II.

Die Beschwerde der Arbeitgeberin ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1.)              Die Beschwerde ist zulässig, auch wenn sie nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 100 Abs. 2 Satz 2 ArbGG eingelegt und begründet worden ist.

a)              Die Nichteinhaltung der Beschwerdefrist ist im vorliegenden Fall unschädlich, weil die Frist für die Einlegung eines Rechtsmittels gemäß § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG nur beginnt, wenn die Partei oder der Beteiligte über das Rechtsmittel und das Gericht, bei dem das Rechtsmittel einzulegen ist, die Anschrift des Gerichts und die einzuhaltende Frist und Form schriftlich belehrt wurde. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, muss das Rechtsmittel nach § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG binnen Jahresfrist eingelegt werden. Die Rechtsmittelbelehrung des Arbeitsgerichts, wonach die Beschwerde innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Beschlusses, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung, schriftlich oder in elektronischer Form beim Landesarbeitsgericht Köln eingegangen sein muss, war in diesem Sinne unrichtig. Die am 23.12.2020 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangene Beschwerde hat die Jahresfrist gewahrt und war somit nicht verspätet.

b)              Allerdings bezog sich die Rechtsmittelbelehrung gemäß § 9 Abs. 5Satz 1 ArbGG nur auf die Einlegung, nicht aber auf die Begründung des Rechtsmittels.

aa)              Die Verpflichtung der Gerichte für Arbeitssachen, alle mit einem befristeten Rechtsmittel anfechtbaren Entscheidungen mit einer Belehrung über das Rechtsmittel zu versehen, verfolgt nämlich nur den Zweck, die rechtsunkundige Partei über das für sie gegebene Rechtsmittel zu informieren (BAG, Beschluss vom 13. April 2005– 5 AZB 76/04 –, Rn. 13, juris); sie soll die Partei in die Lage versetzen, die gebotenen Schritte zu ergreifen und einen Prozessbevollmächtigten nach § 11 Abs. 2 ArbGG hinzuzuziehen (BAG, Urteil vom 05. Februar 2004 – 8 AZR 112/03 –, BAGE 109, 265-278, Rn. 44; BVerwG, Beschluss vom 17. April 2013 – 6 P 9/12 –, Rn. 8, juris). Frist und Form der Begründung müssen dann von dem hinzugezogenen Prozessbevollmächtigten beachtet werden (BAG, Urteil vom 05. Februar 2004– 8 AZR 112/03 –, BAGE 109, 265-278, Rn. 44; BVerwG, Beschluss vom 17. April 2013 – 6 P 9/12 –, Rn. 8, juris).

bb)              Beschwerdefrist und Beschwerdebegründungsfrist sind bei § 100 Abs. 2 Satz 2 ArbGG auch nicht dergestalt rechtlich verbunden, dass die Jahresfrist des  § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG automatisch für die Beschwerdebegründungsfrist gelten würde. Beide Fristen beginnen und enden zwar zum selben Zeitpunkt. Die Einlegung der Beschwerde und ihre Begründung können aber in verschiedenen Schriftsätzen erfolgen (Schwab/Weth/Walker, 5. Aufl. 2018, § 100 ArbGG, Rn. 65). Aus diesem Grunde kommt die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG im besonderen Beschlussverfahren nach § 100 ArbGG bei der Frist zur Begründung der Beschwerde nicht unmittelbar zur Geltung. Dies wäre auch deshalb nicht im Sinne des Gesetzes, weil der Beteiligte, der am Tag des Ablaufs der Jahresfrist die Beschwerde erheben will, ggf. feststellen müsste, dass für die Begründung seines Rechtmittels keine Zeit mehr bleibt. Er wäre dann wegen der versäumten Beschwerdebegründungsfrist auf eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand angewiesen. Denn auch wenn die Beschwerdebegründungsfrist des § 100 Abs. 2 Satz 2 ArbGG keine Notfrist ist, kommt gegen ihre Versäumung eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in Betracht (GMP/Schlewing, 9. Aufl. 2017, § 100 ArbGG, Rn. 39; Schwab/Weth/Walker, 5. Aufl. 2018, § 100 ArbGG, Rn. 65).

cc)              Überzeugender lässt sich die Problematik jedoch anders auflösen: Damit einem unrichtig belehrten Beteiligten im Hinblick auf seine Rechtsmittelmöglichkeiten durch die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung kein Nachteil erwächst, ist die Rechtsmittelbegründungsfrist so lange als gehemmt anzusehen, wie die Frist für die Einlegung des Rechtsmittels nicht abgelaufen ist. Dies wird Sinn und Zweck der Regelung des § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG am ehesten gerecht (vgl. BAG, Beschluss vom 13. April 2005 – 5 AZB 76/04 –, Rn. 20, juris zur Berufungsbegründungsfrist; HWK/Kalb, 9. Aufl. 2020, § 66 ArbGG, Rn. 11). Da die Arbeitgeberin ihre Beschwerde zugleich mit ihrer Einlegung begründet hat, ist damit die Rechtsmittelbegründungsfrist des § 100 Abs. 2 Satz 2 ArbGG im vorliegenden Fall gewahrt, ohne dass es insoweit noch auf eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ankäme.

2.)              In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht die vom Betriebsrat angerufene Einigungsstelle eingesetzt, den unparteiischen Vorsitzenden bestellt und die Zahl der Besitzer für jede Seite auf zwei festgesetzt.

a)              Die Einigungsstelle ist zur Regelung des Besuchskonzepts nicht offensichtlich unzuständig iSd. § 100 Abs. 1 Satz 2 ArbGG.

aa)              Nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG hat der Betriebsrat bei betrieblichen Regelungen über den Gesundheitsschutz mitzubestimmen. Das Mitbestimmungsrecht bezieht sich auf Maßnahmen des Arbeitgebers zur Verhütung von Gesundheitsschäden, die Rahmenvorschriften konkretisieren. Es setzt ein, wenn eine gesetzliche Handlungspflicht objektiv besteht und mangels einer zwingenden gesetzlichen Vorgabe betriebliche Regelungen verlangt, um das vorgegebene Ziel des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu erreichen. Unerheblich ist, ob die Rahmenvorschriften dem Gesundheitsschutz mittelbar oder unmittelbar dienen (BAG, Beschluss vom28. März 2017 – 1 ABR 25/15 –, BAGE 159, 12-24, Rn. 18; BAG, Beschluss vom11. Februar 2014 – 1 ABR 72/12 –, Rn. 14, juris).

bb)              Eine solche Handlungspflicht, die auch den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bezweckt, besteht im vorliegenden Fall. Denn Krankenhäuser haben in Nordrhein-Westfalen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 CoronaSchVO die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um den Eintrag von Coronaviren zu erschweren und Patienten, Bewohner sowie - ausdrücklich – auch das Personal zu schützen. Besuche sind gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 CoronaSchVO (nur) auf der Basis eines einrichtungsbezogenen Besuchskonzepts zulässig, das die Empfehlungen und Richtlinien des Robert-Koch-Instituts zum Hygiene- und Infektionsschutz umsetzt. Entscheidet sich der Krankenhausträger für die Zulassung von Besuchen, trifft ihn die entsprechende Verpflichtung zur Erstellung eines Besuchskonzepts.

cc)              § 5 Abs. 1 Satz 3 CoronaSchVO regelt die von der Arbeitgeberin im Besuchskonzept zu treffenden Maßnahmen mit dem Verweis auf die Empfehlungen und Richtlinien des Robert-Koch-Instituts nicht abschließend; vielmehr bedarf das zu erstellende Besuchskonzept der betrieblichen Ausgestaltung.

 (1)               Das Robert-Koch-Institut empfiehlt (Stand 8.12.2020) für den klinischen Bereich folgende Besucherregelungen:

       Soziale Kontakte sollten möglichst über Telekommunikation anstatt über persönliche Besuche erfolgen.

       Besuche sind auf ein Minimum zu beschränken und zeitlich zu begrenzen.

       Besucher sind zu den erforderlichen Schutzmaßnahmen (Abstand von mindestens 1,5 m zum Patienten, Tragen eines Schutzkittels und eines dicht anliegenden, mehrlagigen Mund-Nasen-Schutz, Händedesinfektion beim Verlassen des Patientenzimmers) zu unterweisen.

(2)              Auch wenn die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts nicht nur eine Richtschnur, sondern auf Grund der Verweisung in der Coronaschutzverordnung unmittelbar verpflichtend sind, besteht für ihre Umsetzung im Betrieb der Arbeitgeberin – anders etwa als bei einer auf das Krankenhaus der Arbeitgeberin bezogen konkreten ordnungsbehördlichen Regelung (dazu Müller-Bonanni/Bertke, NJW 2020, 1617,1619 f.) – ein Gestaltungsspielraum, etwa hinsichtlich der Besuchszeiten und der Abstandsregelungen. Zudem handelt es sich bei den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts nicht um eine abschließende Aufzählung, sondern um die Benennung von Mindeststandards, die Arbeitgeberin und Betriebsrat im Interesse eines stärkeren Gesundheitsschutzes übertreffen dürfen. Dementsprechend enthalten die Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts die ausdrückliche Vorgabe, dass die konkrete Umsetzung unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten erfolgen soll.

b)              Gegen den vom Arbeitsgericht eingesetzten Vorsitzenden hat die Arbeitgeberin weder Einwendungen erhoben, noch sind sie sonstwie ersichtlich. Auch die vom Arbeitsgericht festgesetzte Zahl der Beisitzer begegnet keinen Bedenken.

III.

Gegen diesen Beschlus ist gemäß § 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG ein Rechtsmittel nicht gegeben.

stats