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BB 2020, I
Klumpp 

100 Jahre Betriebsrätegesetz

Abbildung 1

Am 4.2.1920 wurde das Betriebsrätegesetz (BRG) verabschiedet. Es galt nur kurz, aber fast während der gesamten Zeit der Weimarer Republik, und wurde bereits 1934 wieder außer Kraft gesetzt – im nationalsozialistischen Denken war kein Platz mehr für eine eigenständige betriebliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer. Ein Gesetz also, das vor hundert Jahren für gerade einmal 14 Jahre galt. Und doch keine Marginalie: Zwar kann das BRG mit dem heutigen Arbeitsrecht in Reichweite und Intensität der grundgelegten Arbeitnehmerschutzrechte und der Beteiligungsrechte des Betriebsrates weder in individualrechtlicher noch in kollektivrechtlicher Hinsicht konkurrieren, aber es stellte Weichen und legte Grundstrukturen, die noch heute bestehen. An sie konnte nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges angeknüpft werden. Das BRG war wirkmächtig.

Das gilt zum einen für die Betriebsverfassung selbst. Der heutige Leser des BRG wird in den 106 Vorschriften Bekanntes wiederfinden, etwa in der (groben) Organisationsstruktur, dem Ehrenamtsprinzip, Gleichheitsgrundsatz oder der Schlichtung als Konfliktlösungsinstrument; aber auch Überwundenes, wie die grundsätzliche organisatorische Trennung von Arbeitern und Angestellten. Aus moderner Sicht mögen die Beteiligungsrechte des Betriebsrates nach dem BRG in der Summe bescheiden wirken, maßgeblich war aber die Grundüberlegung, an die die bundesrepublikanische Betriebsverfassung als dem zentralen Aspekt des Betriebsrätegesetzes aufbauen konnte: Dass der Betriebsrat an Entscheidungen des Arbeitgebers zu beteiligen ist und dass diese Beteiligung bis hin zu dem reichen kann, was man heute erzwingbare oder notwendige Mitbestimmung nennt. Zwar gab es auch zuvor bereits vereinzelt die Beteiligung von betrieblichen Arbeiterausschüssen an Entscheidungen des Arbeitgebers, etwa bei der Aufstellung von “Fabrik- oder Arbeitsordnungen”. Maßgeblich war aber die “Herr-im-Haus”-Doktrin, der Fabrikherr hatte das letzte Wort. Die Berücksichtigung der Interessen der Arbeiter und Angestellten, die man damals säuberlich trennte, war letztlich von seinem Gusto abhängig. Das galt bis zum BRG, auch wenn während und kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges gleichsam “Vorläufer” zu finden sind, an die das BRG anknüpfen konnte. Das Gesetz über den Vaterländischen Hilfsdienst vom 5.12.1916 sah eine intensivere Beteiligung der Arbeiterausschüsse vor, dies aber nur bezogen auf “kriegswichtige” Betriebe. Die TVVO vom Dezember 1918 begründete ebenfalls eine Beteiligung der Arbeiter- und Angestelltenausschüsse, aber maßgeblich auf die Durchführung der Tarifverträge bezogen.

Trotz dieser Vorläufer war das BRG aber politisch keineswegs zwangsläufig, viele hatten etwas auszusetzen: Die Arbeitgeber sowieso, weil die “Herr-im-Haus-Doktrin” aufgeweicht wurde. Aber auch Teile der (politisch organisierten) Arbeiterschaft sah im BRG eine Mogelpackung, ihnen ging die Mitbestimmung nicht weit genug. Mit der zunächst von der äußersten Linken erstrebten Räterepublik hatte es auch in der Tat nichts gemein. Schon durch Art. 165 der Weimarer Reichsverfassung war der Rätegedanke, der doch aus der Sicht der Revolutionäre des November 1918 staats- und gesellschaftsprägend sein sollte, auf den Bereich des Wirtschaftslebens begrenzt worden. Und selbst hier war man nicht sehr konsequent in der Umsetzung: Vom in der WRV vorgesehenen dreistufigen Rätesystem wurde effektiv jedenfalls nur die untere Stufe wirkmächtig ausgestaltet – die betriebliche mit dem Betriebsrat als Organ zur Vertretung der Arbeitnehmerinteressen. Auch inhaltlich gab sich das BRG wenig revolutionär, bereits dessen § 1 mahnte eher zur Kooperation denn zur Konfrontation. Auch hier ist das Gesetz also Vorreiter der weiteren betriebsverfassungsrechtlichen Entwicklung.

Im BRG wurde in ersten Ansätzen auch jenseits dessen, was man heute dem Betriebsverfassungsrecht zuordnet, bereits vieles geregelt, was sich bis heute etabliert, erheblich vertieft und gesetzlich ausdifferenziert hat. Das gilt etwa für die Unternehmensmitbestimmung (siehe § 70 BRG), aber auch und erstmals für den materialen gesetzlichen Kündigungsschutz: Eine Kündigung war (verkürzt dargestellt) nur zulässig, wenn sie begründet und nicht unbillig hart war. Das war (auch im Verein mit der Demobilmachungsverordnung) eine Einschränkung der bis dahin nur unwesentlich reglementierten Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers. Auch hier also eine Weichenstellung, wenngleich es bis zum modernen Kündigungsschutz noch ein sehr weiter Weg war: So war Folge einer unzulässigen Kündigung nicht zwangsläufig der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, der Arbeitgeber konnte auch zum Mittel der Entschädigung greifen. Und: Das BRG verschränkte die individualrechtliche und die kollektivrechtliche Komponente des Kündigungsschutzes stark. Der Arbeitnehmer musste zunächst gegen die Kündigung Einspruch beim Betriebsrat einlegen, bevor (und nur mit dem Betriebsrat zusammen) eine Entscheidung durch das Arbeitsgericht (oder zunächst: des Schlichtungsausschusses) ergehen konnte. Eine solche Verschränkung findet sich heute nur noch punktuell, wie etwa § 102 BetrVG zeigt. Aber auch hier waren die Grundlagen gelegt.

Das alles zeigt: Das BRG galt nur knapp 14 Jahre, aber es war ein auch heute zu beachtender wichtiger Schritt der arbeitsrechtlichen Entwicklung.

Prof. Dr. Steffen Klumpp ist seit November 2009 Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches, Arbeits- und Sozialrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

 
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