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BB 2020, I
Thüsing 

Datenschutz und Auskunftei: Ehrlichkeit im Argument tut not

Abbildung 1

Der datenschutzrechtlich Geschulte reibt sich verwundert die Augen. Es liegt nun ein Referentenentwurf eines Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens vor. Hierin ist vorgesehen, dass von Auskunfteien zum Zweck der geschäftsmäßigen Auskunftserteilung gespeicherte Informationen über Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiungsverfahren binnen eines Jahres nach Ende des Verfahrens zu löschen sind.

Geht das? Die Begründung geht von hinten durch die Brust ins Auge. Es heißt dort – man muss es wörtlich zitieren: “Die Regelung ist mit dem europäischen Datenschutzrecht vereinbar. Im Zusammenspiel mit den Bestimmungen der Richtlinie zur Entschuldung folgt aus Artikel 17 Absatz 1 Buchstabe a der Verordnung (EU) 2016/679 . . . sogar, dass der Schuldnerin oder dem Schuldner mit Erteilung der Restschuldbefreiung ein Anspruch auf sofortige Löschung der Informationen über Insolvenzverfahren und Restschuldbefreiungsverfahren durch Auskunfteien zusteht. Artikel 23 Absatz 1 Buchstabe i und j der Datenschutz-Grundverordnung gestattet dem nationalen Gesetzgeber diesen Anspruch zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer Personen sowie zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche zu beschränken und mithin eine längere Speicherung vorzusehen. Von dieser Möglichkeit soll durch Festlegung einer einjährigen Speicherfrist Gebrauch gemacht werden.”

Die Anordnung zur Löschung nach einem Jahr soll also als europarechtlich zulässige Beschränkung des Rechts auf sofortige Löschung verstanden werden. Das kann nur richtig sein, wenn alle Auskunfteien bisher rechtswidrig handeln, was alle Aufsichtsbehörden und auch der Code of Conduct der Auskunfteien anders sehen.

Alles datenschutzrechtliche Geisterfahrer also, nur nicht das Ministerium? Aber nein, das ist nicht richtig – und zwar offensichtlich! Das postulierte Recht auf sofortige Löschung gibt es nicht und wurde bislang auch von niemandem ernstlich behauptet. Es gibt ein berechtigtes Interesse an der Speicherung und Verarbeitung. In der Rechtsprechung ist ein öffentliches Interesse am Auskunfteiverfahren seit Langem anerkannt (so bereits BGH, 7.7.1983 – III ZR 159/82, BB 1983, 2016; LG Wiesbaden, 14.9.2016 – 8 S 29/15; LG Würzburg, 21.3.2016 – 71 O 1216/15). Das wissen auch die unteren Instanzen, jüngst noch einmal bestätigt: “Die Verarbeitung des Eintrags durch die Beklagte ist außerdem aufgrund der Interessenabwägungsklausel nach Artikel 6 Abs. 1 lit. f DS-GVO zulässig, weil ein überwiegendes berechtigtes Interesse der Beklagten und ihrer Vertragspartner besteht. Denn die Beklagte erteilt ihren Vertragspartnern Auskunft, wenn diese kreditrelevanten Geschäfte mit einer Person abschließen wollen. Diese Auskünfte sind erforderlich, um die Informationsdisparität zwischen Kreditgebern und Kreditnehmern auszugleichen . . .. Der Kläger wird durch die streitgegenständliche Information über seine Restschuldbefreiung auch nicht stigmatisiert. Vielmehr ist es das Recht und die Pflicht potenzieller Kreditgeber, das Auswahlrisiko des Klägers objektiv zu beurteilen. Die Vermögenslosigkeit begründet ein erhebliches Risiko, wieder in die Schuldenfalle zu geraten . . . Ein Anspruch auf Löschung nach Artikel 17 Abs. 1 lit. a DS-GVO kommt nicht in Betracht. Denn nach dieser Vorschrift besteht ein Löschungsanspruch nur dann, wenn personenbezogene Daten für die Zwecke, für die sie erhoben worden sind, nicht mehr notwendig sind. Dies ist jedoch nicht der Fall.” (LG Heilbronn, 11.4.2019 – 13 O 140/18)

Rechtspolitisch kann man über vieles diskutieren. Diskussion aber erfordert Ehrlichkeit im Argument. Europarecht ist ernst zu nehmen und allzu trickreiches Agieren schadet der Sache. Es gilt nun mal der Ansatz der Harmonisierung, wie der EuGH schon vor Erlass der DS-GVO betont hat (EuGH, 24.11.2011 – verb. Rs. C-468/10 und C-469/10, K&R 2012, 40 m. BB-Komm. Lang). Wo eine Öffnung europarechtlich nicht zugelassen ist, da ist ein Abweichen – und mag es auch noch so ehrenvollen Gründen sein – nicht möglich. Wer Änderungen will, der kennt den Weg: Zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe sieht Art. 40 DS-GVO die Schaffung sogenannter verbindlicher Verhaltensregeln vor. Solche Verhaltensregeln wurden für den Bereich der Wirtschaftsauskünfte geschaffen und genehmigt. Hier wurde festgelegt: “Informationen über (Verbraucher- bzw. Regel-Insolvenzverfahren oder Restschuldbefreiungsverfahren) werden taggenau drei Jahre nach Beendigung des Insolvenzverfahrens oder Erteilung der Restschuldbefreiung gelöscht.” Wer das ändern will, der muss die Beteiligten überzeugen, diese Regeln zu ändern. Aber diese Mühe muss man sich schon machen. Der Referentenentwurf darf kein Kabinettsentwurf werden.

Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard), ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn.

 
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