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BB 2022, I
Schmittmann 

Wie viel Insolvenzrecht braucht die Energiesicherung?

Abbildung 1

Das neue Energierecht führt zu unsystematischen Eingriffen in das Insolvenz- und Gesellschaftsrecht.

Derzeit vergeht kaum ein Tag, an dem nicht neue Maßnahmen zur Stabilisierung der Energiewirtschaft und zur Verbesserung der Energiesicherheit verkündet werden. Ein Teil dieser Maßnahmen hat auch erhebliche insolvenzrechtliche Konsequenzen.

Bereits mit dem Gesetz zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes 1975 und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften vom 20. Mai 2022 (BGBl. I 2022, 730 ff.) wurde nicht nur ein Bündel von Maßnahmen zur Treuhandverwaltung und Enteignung geschaffen (§§ 17 ff. EnSiG), sondern auch ein Preisanpassungsrecht bei verminderten Gasimporten eingeführt (§ 24 EnSiG). Alle Energieversorgungsunternehmen haben danach das Recht, ihre Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein angemessenes Niveau anzupassen, sofern die Bundesnetzagentur die Alarmstufe oder Notfallstufe des Notfallplans Gas ausgerufen hat. Der ohnehin schon umstrittene § 104 InsO bleibt gemäß § 24 Abs. 5 EnSiG unberührt. Die Bestimmung des § 104 InsO betrifft Finanzgeschäfte, Finanzleistungen und vertragliches Liquidationsnetting. Durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und zur Änderung des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I 2016, 3147 ff.) wurde die Vorschrift neu gefasst, um das vertragliche Liquidationsnetting insolvenzfest zu machen, nachdem der BGH (Urteil vom 9.6.2016 – IX ZR 314/14, BB 2016, 1551 ff. = RIW 2017, 143 ff.) entschieden hat, dass § 104 InsO a. F. unmittelbar anwendbar ist, auch wenn Parteien von Aktienoptionsgeschäften für den Fall der Insolvenz einer Partei eine Abrechnungsvereinbarung treffen, die § 104 InsO widerspricht. Mit der Regelung in § 24 Abs. 5 EnSiG wird sichergestellt, dass Fixgeschäfte, Finanzleistungen und vertragliches Liquidationsnetting, die von Energieunternehmen geschlossen werden, insolvenzfest sind. Die Regelung des § 104 InsO zu Fixgeschäften, Finanzleistungen und vertraglichem Liquidationsnetting wird nun erneut geändert. Gemäß § 24 Abs. 7 EnSiG n. F. wird der Anwendungsbereich von § 24 EnSiG auf die Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch auf Verträge erstreckt, die § 104 InsO unterliegen. Damit wird sichergestellt, dass die Preisanpassungsregelungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens unabhängig von den vertraglichen Regelungen greifen, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens allerdings die vertraglichen Nettingregelungen insolvenzfest sind.

Im Fall der Treuhandverwaltung gemäß § 17 EnSiG können nach dem nun eingeführten § 17a EnSiG Kapitalmaßnahmen angeordnet werden, wenn die konkrete Gefahr besteht, dass ohne eine Kapitalmaßnahme der Betrieb des Unternehmens gemäß seiner Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens im Sektor Energie nicht fortgeführt werden kann. Die Bundesregierung kann damit sowohl Kapitalerhöhungen als auch Kapitalherabsetzungen verfügen. Soweit eine Entschädigung zu gewähren ist, entscheidet darüber gem. § 17a Abs. 9 EnSiG der BGH in erster und letzter Instanz. Ein Rechtsweg ist damit ausgeschlossen.

Das Gesetz zur Bereithaltung von Ersatzkraftwerken zur Reduzierung des Gasverbrauchs im Stromsektor im Fall einer drohenden Gasmangellage vom 8. Juli 2022 (BGBl. I 2022, 1054 ff.) beeinflusst ebenfalls das Insolvenzrecht. Auch an die Insolvenzantragspflicht von Energieunternehmen, die zur kritischen Infrastruktur gehören, hat der Gesetzgeber gedacht. Gemäß § 29 Abs. 1 S. 2 EnSiG sind Stabilisierungsmaßnahmen i. S. d. EnSiG alle Maßnahmen, die der Sicherung oder Wiederherstellung einer positiven Fortbestehensprognose nach § 19 Abs. 2 InsO oder der Durchfinanzierung der Abwicklung des Unternehmens dienen. Rechtshandlungen, die im Zusammenhang mit Stabilisierungsmaßnahmen stehen, können gem. § 17 Wirtschaftsstabilisierungsbeschleunigungsgesetz (WStBG) nicht zu Lasten des Fonds, des Bundes oder der von ihnen errichteten Körperschaften, Anstalten und Sondervermögen sowie der ihnen nahestehenden Personen oder sonstigen von ihnen mittelbar oder unmittelbar abhängigen Unternehmen nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung und des Anfechtungsgesetzes angefochten werden. Die Vorschriften über Gesellschafterdarlehen oder wirtschaftlich vergleichbare Forderungen gelten gemäß § 17 Abs. 2 WStBG nicht zu Lasten des Bundes. Dies gilt gem. § 17 Abs. 3 WStBG auch zu Gunsten von Rechtsnachfolgern, die in die Rechte und Pflichten in Bezug auf die privilegierte Forderung oder Sicherheit eintreten. Damit wird sichergestellt, dass der Bund seine Forderungen risikolos verkaufen kann. Gemäß § 17 Abs. 4 WStBG finden die Grundsätze der verdeckten Sacheinlage auf Rechtsgeschäfte zwischen dem Finanzmarktstabilisierungsfonds und Unternehmen des Finanzsektors sowie zwischen dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds und Unternehmen der Realwirtschaft keine Anwendung. Dies wird nunmehr durch das Gesetz vom 8. Juli 2022 auch auf Rechtsgeschäfte zwischen dem Bund und einem Unternehmen i. S. d. § 29 Abs. 1 EnSiG erstreckt. Weiterhin sind von der Anfechtung gem. § 20 Abs. 1 WStBG Übertragungen von Risikopositionen und Sicherheiten auf den Fonds ausgeschlossen.

Durch das Gesetz zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts im Zusammenhang mit dem Klimaschutz-Sofortprogramm und zu Anpassungen im Recht der Endkundenbelieferung vom 19. Juli 2022 (BGBl. I 2022, 1214 ff.) wurde das EnWG neuerlich geändert. Gemäß § 5 Abs. 2 EnWG darf ein Energielieferant seine Tätigkeit im Rahmen der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Haushaltskunden nicht beenden, es sei denn, er hat einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt. In diesen Fällen greift dann das Erfüllungswahlrecht des Insolvenzverwalters gem. § 103 InsO. Letzter Ausweg ist nun die Insolvenz!

Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, RA/FAHaGesR/FAInsR/FAStR/StB, lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht und ist Chefredakteur der Zeitschriften Betriebs-Berater und Der SteuerBerater.

 
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