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BBM 2021, 4
Wiesenecker 

Betriebsverfassung 2021: Mehr Betriebsräte, mehr mobile Arbeit, mehr künstliche Intelligenz?

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz verfolgt das Ziel, Betriebsratsgründungen zu erleichtern, um zu erreichen, dass mehr als nur rund 10 Prozent der betriebsratsfähigen Betriebe oder 40 Prozent der Arbeitnehmer von Betriebsräten vertreten werden. Ein Überblick über die wesentlichen Maßnahmen:

Abbildung 2

Am 18.6.2021 ist das sogenannte „Betriebsrätemodernisierungsgesetz“ in Kraft getreten. Neben Erleichterungen bei Betriebsratswahlen sowie einer Ausweitung des Sonderkündigungsschutzes auf Initiatoren einer Betriebsratswahl (dazu unten 1) enthält es ein neuartiges Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei mobiler Arbeit (dazu unten 2). Beim Einsatz künstlicher Intelligenz soll künftig in jedem Falle ein externer Berater vom Betriebsrat hinzugezogen werden (dazu unten 3).

IM EINZELNEN:

1. Vereinfachung der Betriebsratswahl und Ausweitung des Kündigungsschutzes

Künftig gilt ein Betrieb mit fünf bis zu 100 (früher: 50) wahlberechtigten Arbeitnehmern als „Kleinbetrieb“ im Sinne des Betriebsverfassungsrechts. Folge ist gemäß dem neuen § 14a Abs. 1 S. 1 BetrVG die Anwendung des vereinfachten Wahlverfahrens.

Die Vorschrift ist im Kleinbetrieb zwingend, ihre Nichtbeachtung führt zur Anfechtbarkeit der Betriebsratswahl. Allerdings führt das vereinfachte Wahlverfahren an vielen Stellen eher zur Abkürzung von Fristen als zur echten Vereinfachung.

Anders § 14 Abs. 4 BetrVG: Danach sind in Betrieben mit bis zu 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern keine Stützunterschriften mehr erforderlich (bisher: zwei). Es kann sich also jeder aus eigener Initiative bewerben. Das könnte die formale Hürde senken, dass sich Kandidaten zur Wahl melden. Die Absenkung von drei auf zwei Stützunterschriften in Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern dürfte hingegen kaum einen Unterschied machen.

Auch, ob die Ausweitung des Kündigungsschutzes in § 15 Abs. 3a KSchG auf die ersten sechs (vorher drei) einladenden Arbeitnehmer Wirkung zeigt, scheint fragwürdig. Drei Einladende sind erforderlich, nun können sich drei weitere Arbeitnehmer durch ihre Unterschriften einen zeitlich begrenzten Kündigungsschutz bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses verdienen: Ein offenbar am Reißbrett entstandener „Betriebsräte-Stärkungsversuch“.

Dagegen könnte die „Straflosigkeit“ einer Vorbereitungshandlung zur Errichtung eines Betriebsrats gemäß § 15 Abs. 3b KSchG durchaus Anwendungsfelder finden – ein Arbeitnehmer, der die öffentlich BBM 2021 S. 4 (5)beglaubigte Erklärung des Inhalts abgibt, er habe die Absicht, einen Betriebsrat zu gründen, kann bis zur Einladung zu einer Betriebsversammlung, längstens aber drei Monate, nicht verhaltens- oder personenbedingt gekündigt werden. Es liegt nahe, dass diese Norm eher im Individualrechtsstreit bemüht wird als eine echte Ausweitung der Betriebsräte in Unternehmen zu bewirken. Wer Repressalien fürchtet, ist von § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG heute schon besser geschützt, als er es durch ein dreimonatiges (!) Kündigungsverbot sein kann.

Ob diese kaum konsistenten Ausnahmeregelungen dazu führen, dass sich die Anzahl der Betriebsräte in den Unternehmen erhöht, ist zweifelhaft.

2. Mitbestimmungsrecht bei mobiler Arbeit

Der Mitbestimmungskatalog in sozialen Angelegenheiten (§ 87 Abs. 1 BetrVG) wird um eine Nr. 14 ergänzt. Er erstreckt sich auf die „Ausgestaltung von mobiler Arbeit, die mittels Informations- und Kommunikationstechnik erbracht wird“.

Ganz zentral ist ein Blick in die Gesetzesbegründung aus drei Aspekten:

  • Der Gesetzgeber stellt in der Begründung klar, dass sich das Mitbestimmungsrecht nicht auf die Einführung („ob“) mobiler Arbeit erstreckt, sondern nur auf seine Ausgestaltung („wie“) bezieht. Das muss logisch zwingend auch umgekehrt für die Abkehr von mobiler Arbeit gelten.

  • Mobile Arbeit liegt nur dann vor, wenn die Arbeit „unter Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnik“ (IKT) außerhalb der Betriebsstätte erbracht wird. Wird sie zwar auswärts erbracht, aber erst im Anschluss eingespeist, dürfte es sich nicht um Arbeit „unter Verwendung“ von IKT handeln. Sollten also Mitbestimmungsrechte überstrapaziert werden, bliebe dem Arbeitgeber ein „zurück zur Diskette“. Praktisch wird kaum ein Betriebsrat den Arbeitgeber in die Einigungsstelle zwingen, wenn es um die Einführung mobiler Arbeit geht: Der Arbeitgeber hat die Grundentscheidung, ob er mobile Arbeit anbietet, nach wie vor in eigener Verantwortung zu treffen.

  • Vor allem aber: Arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeiten, die nicht mittels IKT erbracht werden (zum Beispiel Fahrer) oder bei denen sich die Mobilität bereits zwingend aus der Eigenart der zu erbringenden Arbeitsleistung ergibt (zum Beispiel Handelsvertreter), sind nicht von Nr. 14 erfasst. Der Betriebsrat hat also nur dann mitzubestimmen, wenn Arbeitnehmern mobile Arbeit ermöglicht wird, bei denen bisher die Präsenz vor Ort prägend war. Ist die Eigenart der Tätigkeit mit Mobilität verknüpft, und das betrifft neben den Handelsvertretern wohl sämtliche vom sozialen Austausch geprägten Berufsgruppen, hat der Betriebsrat also aus Nr. 14 kein gesondertes Mitbestimmungsrecht.

3. Externer Sachverstand bei künstlicher Intelligenz

Die zentrale Norm für den Einsatz von Sachverständigen seitens des Betriebsrats ist § 80 Abs. 3 BetrVG. Danach kann der Betriebsrat immer dann Sachverständige hinzuziehen, soweit dies zur Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist.

Das Betriebsrätemodernisierungsgesetz ordnet an, dass bei der „Einführung oder Anwendung“ von künstlicher Intelligenz (KI) die Hinzuziehung eines Sachverständigen stets als „erforderlich“ gilt. Offen lässt das Gesetz, ob die Hinzuziehung dann als unbegrenzt erforderlich gilt oder weiterhin eine Prüfung vorhandener Kompetenz und beabsichtigten Einsatzes vorzunehmen ist („soweit“). Bei vernünftiger Auslegung des Gesetzes wird jedenfalls die zeitliche Begrenzung des § 80 Abs. 3 S. 1 BetrVG fortbestehen und lediglich die fachliche Darlegung entbehrlich sein, der Betriebsrat verfüge insoweit über keine Kenntnisse.

Ob die Besonderheit der KI es rechtfertigt, als einziger Anwendungsfall in § 80 BetrVG genannt zu werden, ist eher eine dogmatische Frage. Auch insoweit bleibt es aber bei der Entscheidungshoheit des Arbeitgebers, künstliche Intelligenz einzusetzen oder nicht. Das erfordert zunächst ein genaues Hinsehen, ob es sich um künstliche Intelligenz handelt, also das Hinzulernen von IT-Anwendungen auf Grundlage von Anfragen (wie bei Google) oder im Zuge der Anpassung an Benutzerprofile. Vorgegebene Antworten durch sogenannte „Chatbots“ sind damit schon begrifflich ausgeschlossen. Praktisch wird die Norm eher zu erhöhtem Diskussionsbedarf zwischen den Betriebspartnern führen als zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten. Soweit nämlich digitales Kommunikationsverhalten von Arbeitnehmern ausgewertet wird und hierbei Algorithmen zum Einsatz kommen, wäre das mit Sicherheit auch vor Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG mitbestimmt.

FAZIT

Eine Modernisierung der Betriebsverfassung wäre es gewesen, hätte das Gesetz die Mitbestimmung unter Geltung der zunehmenden Digitalisierung neu durchdekliniert und Wahlen attraktiver gemacht. Transparenz, Verständlichkeit und Übersicht hätten hier sicher geholfen.

Davon ist insgesamt wenig zu spüren. Das Gesetz schürt Befürchtungen, indem es den Betriebsrat im Bereich KI als insgesamt zu wenig fachkundig stigmatisiert. Es verkürzt Fristen im Wahlverfahren, führt aber kaum Vereinfachungen ein. Die Ausweitung des Kündigungsschutzes dürfte praktisch nicht dazu führen, in betriebsratslosen Betrieben Betriebsräte zu installieren. Es handelt sich also eher um politischen Aktionismus als um eine echte Stärkung – oder gar Digitalisierung – der Betriebsverfassung.

Abbildung 3

Autor

Dr. Philipp Wiesenecker

Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner GvW Graf von Westphalen Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB, Frankfurt

 
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