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BBM 2021, 4
Leis/Mengen 

Net Debt und Working Capital im Kaufpreismechanismus

Die Definition von Net Debt, Working Capital sowie die Festlegung der Regeln zur Aufstellung und Prüfung der Closing-Finanzzahlen birgt Konfliktpotenzial. Außerdem bieten sich bei der Definition dieser kaufpreisrelevanten Größen Gestaltungsspielräume, die die Parteien zur Verbesserung ihrer Position nutzen können.

1. NET DEBT UND WORKING CAPITAL IM KAUFPREISMECHANISMUS

In Abgrenzung zum Locked-Box-Verfahren, bei dem der Kaufpreis auf Basis von Finanzzahlen der Vergangenheit zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Anteilskaufvertrages bereits fest fixiert werden kann, ist der Kaufpreis bei Vereinbarung eines Kaufpreismechanismus bei Unterzeichnung noch variabel. Der „cash-and-debtfree“ Kaufpreis (Unternehmenswert) steht dann bereits fest, aber die Größen Nettofinanzverbindlichkeiten („Net Debt“) und das Nettoumlaufvermögen („Working Capital“) müssen erst noch durch die Closing-Finanzzahlen festgestellt werden.

2. MASSGEBLICHER STICHTAGSABSCHLUSS

2.1 Relevanz der Transaktionsstruktur

In vielen Fällen „entsteht“ die zu erwerbende Einheit, das Transaktionsobjekt, erst unmittelbar vor Vollzug der Transaktion. Beispiele hierfür sind Carve-Outs oder Pre-Deal-Strukturierungen. Bei einem Carve-Out wird das Transaktionsobjekt durch Herauslösung aus einer größeren Unternehmenseinheit und Überführung in eine oder mehrere Gesellschaften (die Zielgesellschaft(en)) zusammengefasst. Gegenstand der Due Diligence sind pro forma erstellte Finanzzahlen, die aus dem Rechnungswesen abgeleitet werden. Diese Finanzzahlen haben oft eine abweichende Struktur von den Closing-Finanzzahlen in Bezug auf beispielsweise Rechnungslegungsgrundsätze, Konsolidierung, rechtsformspezifische Besonderheiten bei der Bilanzierung oder Bewertungsmethoden. Im Kaufvertrag ist dies bei den Regelungen zu den Closing-Finanzzahlen zu berücksichtigen. Um Interpretationsspielraum zu vermeiden, können folgende Maßnahmen ergriffen werden:

  • Referenz auf den zutreffenden Abschluss

  • Regeln zur Aufstellung der Closing-Finanzzahlen in Bezug auf Konsolidierung, Ansatz-, Ausweis- und Bewertungsmaßstäbe, Rechnungslegungsnormen und Stetigkeit

  • Antizipation von Pre-Deal-Strukturierungen bei der Definition von Net Debt und Working Capital durch Posten, die erstmals in den Closing-Finanzzahlen erwartet werden, und „Auffangposten“

2.2 Regeln für die Aufstellung und Prüfung von Closing-Finanzzahlen

Bei der Aufstellung von Closing-Finanzzahlen ist zu beachten, dass die Grundsätze der Vollständigkeit, Stetigkeit (in Bezug auf die bisherigen Abschlüsse) und des Stichtagsprinzips anzuwenden sind. Ferner sind die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchhaltung sowie die jeweiligen relevanten Bilanzierungsregeln nach HGB, IFRS oder anderer Rechnungslegungsnormen anzuwenden.

Der Umfang der Prüfung der Closing-Finanzzahlen ist im Kaufvertrag festzulegen. Die Prüfung kann im Umfang einer Jahresabschlussprüfung vereinbart werden. Alternativ kann die Prüfung der Closing-Finanzzahlen auch nach IDW PS 480 erfolgen, sofern die Closing-Finanzzahlen einen Abschluss darstellen, der für spezielle Zwecke erstellt worden ist. Handelt es sich nicht um einen Abschluss im engeren Sinne, sondern liegt nur eine Finanzaufstellung vor, so besteht die Möglichkeit einer Prüfung nach IDW PS 490. Ferner besteht die Möglichkeit einer Prüfung nach Agreed-upon Procedures nach ISRS 4400. Hierbei berichtet der Wirtschaftsprüfer nur über festgestellte Tatsachen, ohne eigene Beurteilung.

3. KAUFPREISRELEVANTE NETTOFINANZPOSITIONEN

Die Nettofinanzpositionen sind elementarer Bestandteil des Kaufpreismechanismus und haben großen Einfluss auf den Kaufpreis. Daher ist es bedeutsam, alle Bestandteile der Nettofinanzpositionen spezifisch und vollständig zu definieren. Einige Bestandteile lassen sich einfach ableiten und sind selten streitanfällig. Dazu zählen zinstragende Verbindlichkeiten wie Bankdarlehen, Anleiheforderungen und -verbindlichkeiten, Gesellschafterdarlehen, Bankguthaben oder Wertpapiere des Umlaufvermögens und Pensionsrückstellungen.

Es gibt jedoch auch eine Reihe von Posten, die gegebenenfalls streitbehaftet sein können. Auch nicht bilanzierte Sachverhalte können als Net Debt klassifiziert werden. Im Folgenden werden ausgewählte Sachverhalte dargestellt.

3.1. Rückstellungen

Neben zinstragenden können auch andere Rückstellungen als Finanzverbindlichkeiten qualifiziert werden. Dies gilt beispielsweise für Rückstellungen, die zum Stichtag, gemessen an einem historischen Verlauf, außerordentlich hoch sind. Als weitere Beispiele sind Tantiemerückstellungen für Gesellschafter-Geschäftsführer oder Rückstellungen für Transaktionsprämien zu nennen.

Abbildung 2

BBM 2021 S. 4 (5)

Auch Rückstellungen für Rechtsstreitigkeiten werden regelmäßig, sofern sie ein übliches Maß übersteigen, als Nettofinanzverbindlichkeiten behandelt.

3.2. Kreditoren CAPEX

In den Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen können Bestandteile enthalten sein, die Investitionscharakter haben. Diese Posten sind aus dem Working Capital zu bereinigen und als Nettofinanzposition zu behandeln.

3.3. Rechnungsabgrenzungsposten

Passive Rechnungsabgrenzungsposten können als Verbindlichkeiten dargestellt werden. Beispielsweise im Softwarebereich bei Software as a Service (SaaS)-Vergütungsmodellen. Hier ist es möglich, die anfallenden Kosten für die noch zu erbringenden Leistungen als Verbindlichkeitsposition abzuziehen.

3.4. CAPEX-Backlog

Weisen Unternehmen einen Investitionsrückstau auf, kann dieser als latente Belastung in Form einer Finanzverbindlichkeit abgezogen werden. Die Herausforderung liegt hierbei bei der Bestimmung des Investitionsrückstaus (beispielsweise Ermittlung auf Basis einer technischen Due-Diligence-Untersuchung oder einem normalisierten CAPEX-Niveau).

3.5. Factoring

Beim echten Factoring handelt es sich um ein Finanzierungssubstitut. Alternativ kann eine Anpassung im Rahmen des Working-Capital-Mechanismus erfolgen. Beim unechten Factoring verbleibt die Forderung in der Bilanz des Unternehmens. Der Verkäufer erhält jedoch liquide Mittel und erfasst eine Factoringverbindlichkeit. Beide Posten sind im Net Debt zu berücksichtigen.

3.6. Liquidität

Bestandteil von Net Debt ist auch die übertragende Liquidität. Neben Bargeldbeständen und Guthaben auf Bankkonten zählen dazu oftmals auch Ertragssteuerforderungen oder Forderungen gegenüber dem Verkäufer. Nicht in die Liquidität einzubeziehen sind gebundene Liquiditätsbestände. Der Abzug von betriebsnotwendiger Liquidität hat in der Praxis an Bedeutung gewonnen. Ein Teil der Liquidität ist im Unternehmen in der Regel durch das Working Capital gebunden. Für das Referenz-Working-Capital wird in der Regel auf einen bereinigten historischen Durchschnittsverlauf des Working Capital abgestellt. Tatsächlich benötigt das Unternehmen aber zu bestimmten Zeitpunkten im Jahr gegebenenfalls mehr Liquidität, um einen saisonal bedingten Working-Capital-Stand zu finanzieren. Die Differenz zwischen einem durchschnittlichen und dem maximalen Working Capital könnte man als betriebsnotwendige Liquidität betrachten. Zur Ermittlung der betriebsnotwendigen Liquidität gibt es verschiedene Methoden.

Die am häufigsten angewendete Methode ist die Ermittlung anhand des Verlaufs des Working Capitals. Aus einer Untersuchung von 325 Transaktionen in den Jahren 2015 bis 2019, bei denen Ebner Stolz als Berater tätig war, ging hervor, dass im Jahr 2019 bei 39 Prozent der Transaktionen eine betriebsnotwendige Liquidität ermittelt wurde; im Jahr 2015 nur bei 7 Prozent der Transaktionen. Aus Käufersicht sollte die Möglichkeit evaluiert werden, betriebsnotwendige Liquidität abzuziehen. Verkäufer verweisen in der Regel auf vorhandene Kontokorrentlinien und lehnen einen Abzug ab. Lässt sich dieses Argument nicht widerlegen, wäre es allerdings anzuraten die anteiligen Zinsaufwendungen beim bewertungsrelevanten Ertrag (EBIT/EBITDA) abzuziehen.

4. ABLEITUNG DES REFERENZ-WORKING-CAPITALS

Bei der Ableitung eines Referenz-Working-Capitals (WC) für den Kaufpreismechanismus existieren Spielräume. Die Ableitung des Referenz-Working-Capitals auf Basis historischer Durchschnittswerte ist die geläufigste Methode. Zu beachten ist eine exakte Abgrenzung der unterjährigen Zahlen und die Bereinigung von a.o. Effekten. Entscheidend bei der Ableitung des Referenz-WC aus historischen Durchschnittswerten ist die Definition des Ermittlungszeitraums und die Form der Durchschnittsbildung (beispielsweise letzte zwölf Monate versus mehrere Jahre). Hierdurch können erhebliche Werthebel entstehen.

5. FAZIT

In Fällen von Carve-Outs oder rechtlichen Restrukturierungen vor dem Closing ist in besonderem Maße darauf zu achten, dass der Referenzabschluss für das Closing zutreffend determiniert wird. Die Regeln für die Aufstellung und Prüfung der Closing-Finanzzahlen sind hinreichend im Kaufvertrag zu spezifizieren. Die Definitionen von Net Debt und Working Capital sind so zu formulieren, dass alle relevanten Posten erfasst werden, unter Berücksichtigung von zu erwartenden Änderungen in der Struktur der Closing-Finanzzahlen. Aus Käufersicht sollte überprüft werden, betriebsnotwendige Liquidität zu berücksichtigen. Diese Festlegung und Nutzung von Gestaltungsspielräumen sollte zudem möglichst früh in den Verhandlungsprozess eingebracht werden.

Abbildung 3 Abbildung 4

Autoren

Florian Leis

Wirtschaftsprüfer und Steuerberater, Director im Bereich Transaction Advisory Services, Ebner Stolz in Köln

Dr. Nils Mengen

Partner bei Ebner Stolz – Wirtschaftsprüfer und Steuerberater

 
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