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CB 2019, I
Bielefeld 
CB 2019, Heft 11, Umschlagteil S. I (I)

Alles wird sich ändern

„Das Verbandssanktionengesetz birgt Stoff für drastische Veränderungen in der gesamten Compliance-Community.“

Abbildung 1

Die Diskussion um das Unternehmensstrafrecht geht weiter – diesmal über den neuen „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“. Christine Lambrecht, Bundesministerin für Justiz und Verbraucherschutz, erst seit wenigen Monaten im Amt, scheint entschlossen, das Gesetzgebungsverfahren voranzutreiben. Bundestagsdebatten und Anfragen einzelner Fraktionen weisen einen ähnlichen Weg. Noch bevor der derzeit vorliegende Referentenentwurf Gesetz wird, zeigt sich: Das im Entwurf enthaltene „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG)“ birgt Stoff für drastische Veränderungen in der gesamten Compliance-Community. So gut wie alles wird sich ändern für Unternehmen, deren Verteidiger und Sachverhaltsermittler. Neues gibt es zudem für Behörden, namentlich Staatsanwaltschaften, und für Gerichte. Versicherer (D&O, VSV, Strafrechtsschutz) werden ihre Bedingungen anpassen müssen. In seinen insgesamt 69 Paragraphen gibt der Entwurf Wege vor, wie Unternehmen im Falle von aus ihnen heraus begangenen Straftaten härter als bisher möglich sanktioniert werden müssen. Richtig, müssen: das bisher bei der Verfolgung von Unternehmen geltende Opportunitätsprinzip soll einem Verfolgungszwang weichen. Folgerichtig heißt es im Entwurf, er sei gegen „Unternehmenskriminalität“ ein „ausreichend scharfes und zugleich flexibles Sanktionsinstrument“. Das Instrumentarium ist dem entsprechend breit gefächert. Auf Staatsanwaltschaften kommt deutlich mehr Arbeit zu.

Zugleich wird erstmals geregelt, wie genau sich eine Kooperation mit Behörden auszahlen soll. Das ist grundsätzlich gut, gibt es doch ein gewisses Maß an Rechtssicherheit. Allerdings: Unternehmen werden einen hohen Preis für in Aussicht gestellte Erleichterungen zahlen. Es wird zwingend erforderlich sein, dass sich das Top-Management rechtzeitig der Tragweite einer Entscheidung zur Kooperation bewusst wird. Hier schadet es nicht, sich die aktuell gelebte Verfolgungspraxis etwa in den USA oder im UK anzusehen, um zu erfassen, was auf uns in Deutschland zukommt. Soweit Unternehmen auf einen Kooperations-Bonus spekulieren, regeln sechs Prinzipien und drei Grundsätze1, was zu beachten ist, wenn Sachverhalte untersucht und diese Ergebnisse mit Behörden geteilt werden müssen.

Wichtig: Ohne gelebte Compliance-Kultur im Unternehmen wird Kooperation wenig einbringen. Unwirksame Compliance „auf dem Papier“ wird nicht entlastend wirken.

Spannend wird es etwa bei folgenden Fragen:

Kann ein Vorstand oder Geschäftsführer eigentlich im Namen des von ihm gelenkten Unternehmens „nein“ zur Kooperation sagen – oder setzt er sich dadurch in der Praxis dem latenten Vorwurf der Untreue sowie massiven zivilrechtlichen Risiken (Organhaftung) aus? Der Entwurf stellt den Unternehmen zwar grundsätzlich frei, ob sie kooperieren. Zugleich regelt er aber, dass bei einer umfassenden Kooperation die vorgesehene Obergrenze einer Geldsanktion von bis zu zehn Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes zu halbieren ist. Auch wird dann die Verurteilung des Unternehmens nicht öffentlich bekannt gemacht (dies ist sonst in Fällen mit einer großen Anzahl von Geschädigten möglich). Zudem ist dann die Auflösung des Unternehmens, die der Entwurf als „ultima ratio“ vorsieht, ausgeschlossen. Bei Nicht-Kooperation droht dem Unternehmen also zum einen in bestimmten Fällen der Reputationsschaden durch eine öffentliche Prangerwirkung, zum anderen das Risiko, dass am Ende eine weit höhere Unternehmenssanktion verhängt wird. Hier reden wir über Abweichungen im Multi-Millionen-Bereich, von der „Todesstrafe“ für Unternehmen, der Verbandsauflösung, einmal abgesehen.

Oder: Wie setzt der Unternehmensverteidiger durch, dass er seine Arbeit machen kann? Auch die Entwurfsverfasser in der Abteilung Rechtspflege des BMJV wissen, dass es zur Kernaufgabe eines Rechtsanwalts gehört, sich selbst ein ungefiltertes Bild vom Sachverhalt zu machen. Da der Entwurf im Fall der sanktionsmindernden Kooperation vorsieht, dass nicht derselbe Anwalt den Sachverhalt erheben und das Unternehmen gegen Sanktionen verteidigen darf, wird es doppelt teuer: Immerhin müssten zwei Spezialisten parallel mit derselben Tätigkeit beauftragt werden. So verwundert es nicht, dass bereits Vorschläge von Interessenvertretern insbesondere kleiner Unternehmen vorliegen, die eine Anpassung des Entwurfs verlangen. Weitere Vorschläge dürften folgen.

Egal, welche Modifikationen am Referentenentwurf im weiteren Gesetzgebungsverfahren vorgenommen werden: Alles wird sich ändern. Es ist unwahrscheinlich, dass der Entwurf wieder „versanden“ wird. Gut, sich darauf rechtzeitig vorbereiten zu können. In diesem Sinne wünsche ich eine erkenntnisreiche Lektüre!

Jörg Bielefeld ist Rechtsanwalt und Partner bei BEITEN BURKHARDT in Frankfurt und München. Er leitet den Bereich Wirtschaftsstrafrecht und Compliance.

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Siehe in dieser Ausgabe Jörg Bielefeld, CB 2019, 413.

 
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