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CB 2019, I
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CB 2019, Heft 05, Umschlagteil S. I (I)

Compliance durch Non-Compliance?

Abbildung 1

Neulich hatte ich einen etwas speziellen Mandanten. Ein wirtschaftlich sehr erfolgreiches Unternehmen wurde gekauft, der neue Gesellschafter wünschte die Einführung eines Compliance-Management-Systems. Dies sollte pragmatisch und schlank ausgestaltet sein. Als es nun nach der ersten Risikoanalyse zur Ausgestaltung und Bestimmung der Compliance-Maßnahmen und Richtlinien kam, reagierte der Mandant auf etwas unübliche Art und Weise. Denn einen Leitfaden für Maßnahmen bei Durchsuchungen wollte er gar nicht haben. Er war der Ansicht, dass sich Staatsanwaltschaft und Polizei schon richtig verhalten werden und wenn Vorwürfe gegen ihn, die Mitarbeiter oder das Unternehmen erhoben werden würden, so müsse man eben dafür geradestehen. Schließlich sei man nicht bei der Mafia und habe nichts zu verbergen.

Wie Sie sich vorstellen können, war ich etwas irritiert, auf rechtliche Hintergründe zur Frage der Geschäftsführerhaftung will ich hier nicht weiter eingehen.

Aber denken wir den Ansatz doch einmal weiter: Großes Problem im Bereich der Wirtschaftskriminalität ist bekanntermaßen die organisierte Verantwortungslosigkeit. Ein CMS soll für Gesetzestreue sorgen und Haftungsrisiken minimieren. Dazu gibt es betriebsinterne Vorgaben, Gebote und Verbote. Was aber, wenn es das alles nicht gibt? Das persönliche Haftungsrisiko erhöht sich. Ist aber gerade dies nicht die beste Compliance-Maßnahme – also die Freiheit von Compliance-Maßnahmen als bester Schutz vor Compliance-Verstößen? Gar nicht so dumm, oder? Denn Freiheit steht ja nicht für Verantwortungslosigkeit, vielmehr bedeutet Freiheit auch die Möglichkeit, falsche Entscheidungen treffen zu können – und dafür die Konsequenzen tragen zu dürfen.

Ist die Freiheit von Compliance-Maßnahmen der bessere Schutz vor Compliance-Verstößen?

Wir erleben gerade eine Zeit, in der der Bürger viel Freiheit hat, die Politik ihm dies aber immer weniger zutraut. Der vermeintlich mündige Bürger soll vor allen möglichen Risiken des Lebens – auch vor sich selbst – geschützt werden. In der Rechtsprechung hat sich das Bild gewandelt vom mündigen Verbraucher zum schutzbedürftigen, dem weder selbständiges Informieren noch das (Er-)Tragen der Konsequenzen seines Handelns zugemutet werden können. Dabei wird dem Bürger auch gleich noch kraft Gesetzes vorgegeben, dass die Weisheit des Gesetzgebers unantastbar ist. Mit den flotten, moralisch unantastbaren Bewertungen eines Gesetzes – wie beim „Gute-Kita-Gesetz“ oder der „Respekt-Rente“ wird dem Bürger jegliches Restdenken abgenommen. Dagegen sind die Visionen von Orwell auf Schülerlotsenniveau. Für Unternehmen bietet sich die „Bei uns gibt es keine Gesetzesverstöße-Richtlinie“ an. Ein Satz reicht, nie wieder Probleme mit den Behörden. Schutz vor Freiheit führt aber zur Entmündigung. Der Bürger wird nicht sicherer dadurch, dass man ihm das Küchenmesser wegnimmt; er wird zum Kind. Ein Leben in Freiheit ist notwendigerweise ein Leben in Eigenverantwortung. Freiheit ohne Eigenverantwortung ist also keine echte Freiheit, sondern eine infantile Illusion (Rahim Taghizadegan, NZZ 13. 2. 2019, S. 3). Der konsequente „Schutz“ – besser: die Abschirmung, des Menschen vor den Konsequenzen und der Verantwortung für sein Handeln – führt daher gerade nicht zu mehr Sicherheit, Vertrauen und Verantwortung, vielmehr ist gerade das Gegenteil der Fall. Wer die Konsequenzen seines Handelns nicht tragen muss, handelt zunehmend verantwortungslos und richtet zwingend Schäden an.

Wenn Personen, die entscheiden, verwalten, oder gar regieren, nicht mehr ihre Haut (oder ihr Portemonnaie) riskieren müssen, werden die Risiken von Fehlverhalten zunehmen. Je mehr ein Entscheidungsträger für die Folgen seiner Entscheidung persönlich einzustehen hat, umso geringer ist das Risiko von fehlerhaften Entscheidungen.

Wem würden Sie eher vertrauen? Demjenigen, der entscheiden kann, ohne die Verantwortung für seine Entscheidungen tragen zu müssen, oder demjenigen, der für seine Handlungen selbst einstehen muss – und wen würden Sie sich als Geschäftspartner aussuchen?

Vertrauen ist also Ausfluss von Verantwortung – nicht nur die Basis des gesellschaftlichen Zusammenhaltes, sondern auch Grundlage jeder unternehmerischen Tätigkeit.

Zurück zur Ausgangslage: Was ist besser? Ein umfangreiches CMS, das jede kleinste Maßnahme und Handlungsabläufe im Unternehmen vorbestimmt und Prozesse und Freigaben definiert? Oder aber ein System, das auf Eigenverantwortung und Haftung setzt?

Was würden Sie für Ihr Unternehmen bevorzugen, welches System würden Sie bei Geschäftspartnern schätzen? Schreiben Sie mir, ich freue mich auf Ihre Meinung!

Dr. Malte Passarge ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht in der Kanzlei Passarge, Prudentino & Rhein PartGmbB – Studio Legale sowie Vorstand des Instituts für Compliance im Mittelstand (ICM), Geschäftsführer von Pro Honore e. V. und Chefredakteur des Compliance-Beraters.

 
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