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CNL 2022, 2
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Compliance-Kommunikation: Wie Sie den Elefanten im Raum thematisieren können

Dass die Unternehmenskultur erfolgskritisch für gelebte Compliance ist, scheint unstrittig. Es fällt allerdings auf, dass „Kultur“ in der Praxis oft nur für allgemeine, kulturell angestrebte Normen und Werte steht. Compliance-Kommunikation entfaltet mehr Wirkung, wenn sie auch das identitätsstiftende Momentum und die spezifischen Risiken der jeweiligen Unternehmenskultur anspricht.

Abbildung 1

Gut versteckt? Unliebsame Compliance-Themen werden oft ignoriert, auch wenn sie als “Elefant im Raum“ mehr als offensichtlich sind.

Ein Problem, das zwar unübersehbar im Raum steht, aber vornehm verschwiegen wird, nennt man im Englischen treffend „the elephant in the room“. Diesen Eindruck gewinnen Führungskräfte, wenn die Compliance-Kommunikation nur breit geteilte und völlig unstrittige, letztlich austauschbare Werte zum Thema macht, ansonsten aber, „um den heißen Brei herumredet“. Als implizite Botschaft kommt dann an: Die Kolleg:innen aus der Compliance haben halt wenig Bezug zum Tagesgeschäft. Die Herausforderung besteht darin, dass unternehmensspezifische Compliance-Risiken zwar wichtige, aber oft auch heikle Themen sind, wie drei Beispiele zeigen.

Zielvorgaben und Fehlerkultur: In engen Märkten mit relativ austauschbaren Produkten prägt Effizienzdenken die Kultur. Im „Dauer-Change“ führen Sparprogramme und Restrukturierungsprozesse zu stetig steigenden Zielvorgaben; bis der Druck so hoch ist, dass „nicht sein darf, was nicht sein kann“. Die verfehlten Ziele werden verschwiegen. Das notwendige Pendant zu hohen Zielen ist aber eine konstruktive Fehlerkultur; also die Bereitschaft von Führungskräften, das Verfehlen von Zielen zu diskutieren, und den Mut des Einzelnen, Nicht-Erreichtes oder Nicht-Erreichbares auch offen zu legen. Der Dieselskandal lässt grüßen.

Innovation und Prozesstreue: In anderen Unternehmen steht Innovation über allem. Wie kommt das Neue in die Welt? In der Regel geschieht das nicht im Regelwerk, sondern „outside the box“ – worauf Agilität ganz ausdrücklich setzt. Für manchen Erfindergeist wird Compliance daher zur Innovationsbremse, zum Beispiel bei mittelständisch geprägten Technologieführern. Deren informelle Kontrollroutinen greifen irgendwann nicht mehr. Die Aussöhnung von Innovationskraft und Prozesstreue, von Freiräumen und Kontrollen ist dann erfolgskritisch für das weitere Wachstum – und für Compliance.

Purpose im Wertewandel: Veränderte gesellschaftliche Erwartungen wirken sich (hoffentlich) auf das interne Werteverständnis aus. Widersprüchliche oder verlogene Ansprüche können allerdings den ethischen Kompass beeinträchtigen. Die Lebensmittelindustrie steht derzeit am Pranger der zeitgenössischen Gesundheitsideale. Sie betont ihr Engagement für Gesundheit und merkt zugleich, dass z.B. süße Produkte weiter nachgefragt werden. Wenn ein breit kommunizierter Purpose im Produkt nicht integer umgesetzt wird, drohen neue Reputations- und Compliance-Risiken: Vom „goldenen Windbeutel“, dem Negativpreis des Vereins Foodwatch, bis zur Verbraucherschutzklage.

Jede Kultur hat ihre blinden Flecken und ihre Achillesferse. Es braucht Mut, das anzusprechen, und vor allem Augenmaß, denn naive Offenherzigkeit schadet ebenso wie Stillschweigen. Man muss nicht mit der Tür ins Haus fallen: Oft reichen Andeutungen, manches kann „durch die Blume“ gesagt werden, damit man im Unternehmen verstanden wird. Der „Tone from the Top“ wirkt, wenn er den Ton trifft.

Welche Themen das Unternehmen bewegen, ist den Verantwortlichen oftmals bekannt. Es fehlt aber häufig das Gespür, wie man sensible Fragen angemessen ansprechen kann. Für die Planung und Steuerung wirksamer Compliance-Kommunikation ist daher ein differenziertes Verständnis der Stimmungslage und des kulturellen Selbstverständnisses im Unternehmen unverzichtbar.

Die notwendige Prozess- und Strategiesicherheit lässt sich am besten durch qualitative Interviews erreichen – Fragebögen sind schlichtweg zu grob für die sensible Thematik. 20 bis 30 Gespräche mit Führungskräften und Multiplikatoren, vertraulich und von externen Spezialisten geführt, schaffen erfahrungsgemäß eine verlässliche Planungsgrundlage.

Ein solcher „Integrity Check-up“ gibt Leitplanken und wertvolle Impulse für die Konzeption einer kampagnenhaften Kommunikationsstrategie. Im Mittelpunkt steht eine kreative, strategische Leitidee, die durch Metaphern oder Analogien eine hohe Identifikation mit dem Unternehmen herstellt. Unternehmensspezifische Risiken und Dilemmata werden am besten im Dialog und in Workshops durchgearbeitet. Anonymisierte Statements aus den Interviews sind dabei ein wichtiger Input und eine Möglichkeit, im O-Ton auch unliebsame Wahrheiten zu adressieren.

Ralf Weinen

Abbildung 2

Ralf Weinen (Diplom Psychologe) ist verantwortlich für Markt- und Sozialforschung bei der Kommunikationsagentur A&B One, die einen Beratungsschwerpunkt in der Compliance-Kommunikation hat. Mit Hartwin Möhrle (Senior Advisor bei A&B One) hat er jüngst das praxisorientierte Handbuch „Professionelle Compliance-Kommunikation“ veröffentlicht (SpringerGabler, 2022).

 
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