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EWS 1999, 7
Riehle, Gerhard 
Riehle, Gerhard
Das europäische Musterrecht und die »Ersatzteilfrage«

EWS 1999, 7 (Heft 1)
I. VerfahrensstandNach einem langwierigen und zähen »Trilog«- und Vermittlungsverfahren haben sich Europäisches Parlament und Ministerrat am 29. 7. 19981Die sachliche Einigung im Vermittlungsausschuß wurde am 24. 6. 1998 erzielt (siehe Press Release des Ministerrates vom 24. 6. 1998, Dok. 9727/98 [Presse 224]), die redigierte Fassung dann am 29. 7. 1998 endgültig gebilligt. auf den Inhalt der im Jahre 1993 eingebrachten Richtlinien-Vorschlages »über den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen« (im folgenden: »Design-Richtlinie«) verständigt2Siehe Dok. PE-CONS 3621/98/00/0464 (COD) - C 4 - 0467/98 v. 29. 7. 1998 (»Gemeinsamer Entwurf«).. Die Billigung des Vermittlungsergebnisses ist im Parlament während der Plenarsitzung vom 15. 9. 19983Siehe vorläufiges Sitzungsprotokoll v. 15. 8. 1998, Teil I (PE 272.003) auf der Grundlage des Berichts (A 4-0315/98 - PE 225.313/end) v. 10. 9. 1998 des Berichterstatters Medina Ortega und der Plenaraussprache v. 14. 9. 1998 (siehe »Ausführlicher Sitzungsbericht« v. 14. 9. 1998, 12 ff.)., im Ministerrat am 24. 9. 19984Siehe Press Release 11283/98 [Press 303] v. 24. 9. 1998. erfolgt. Die Richtlinie, inzwischen veröffentlicht, tritt somit noch im Jahre 1998 in Kraft5Gemäß Art. 20 am 20. Tag nach der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften. Die Veröffentlichung ist erfolgt in ABl-EG L 289/28 vom 28. 10. 1998.. Den Mitgliedstaaten verbleiben anschließend 3 Jahre für die Umsetzung6Art. 19 der Richtlinie., so daß die Harmonisierung zu Beginn des Jahres 2002 EU-weit abgeschlossen sein müßte.Für die Wirtschaft insgesamt ist dies eine gute Nachricht. Die in der EU tätigen Unternehmen können ihre Vertriebs- und Marketingstrategien darauf abstellen, daß künftig der Schutz von Mustern - sprich: von »Designs« - in allen Mitgliedstaaten einheitlichen Regeln unterliegt, daß insbesondere die Voraussetzungen, nach denen Designs Schutz genießen, im gesamten Binnenmarkt identisch sind. Für Branchen, die mit dem Ersatzteilgeschäft befaßt oder davon berührt sind, ist der Brüsseler Beschluß dagegen unbefriedigend. Die Frage, ob und inwieweit ein Designschutz auch Ersatzteile (mit)erfassen soll, ist nämlich nur in einem Teilbereich EU-einheitlich gelöst und entschieden worden (dazu unten III.); das rechts- und ordnungspolitische Kernproblem, wie mit den sog. »must match«-Ersatzteilen verfahren werden soll7Siehe dazu eingehend und mit umfassenden Literatur- und Rechtsprechungshinweisen: G. Riehle, »EG-Geschmacksmusterschutz und Kraftfahrzeug-Ersatzteile«, GRUR Int 1993, 49-70 (im folgenden: G. Riehle I); G. Riehle, »Das künftige europäische Musterrecht und die 'Ersatzteilfrage'«, EWS-Beilage 1 zu Heft 7/1996 (im folgenden: G. Riehle II); G. Riehle, »Kapituliert Europa vor der Ersatzteilfrage? - 'Free-for-all' und das künftige europäische Musterrecht«, EWS 1997, 361-366 (im folgenden: G. Riehle III)., ist erneut ausgeklammert und - geknüpft an gewisse Einschränkungen - weiterhin den nationalen Designrechten der Mitgliedstaaten überlassen worden (dazu unten IV.).II. »Design approach« - ein neuer Schutzansatz mit FolgenUm die praktische Tragweite dieser Lösung voll ausleuchten zu können, ist vorab auf eine Neuerung im künftigen Designrecht hinzuweisen, die alle Branchen betrifft und in der Rechtsanwendung zu einem Umdenken zwingt. Während die traditionellen Wurzeln des Designschutzes teils urheber-, teils patentrechtlich geprägt sind, wählt die EU-Richtlinie einen eigenständigen Schutzansatz, der üblicherweise mit dem Begriff »design approach« belegt wird. Danach soll für den Schutz eines Designs nicht in erster Linie auf die Leistung des Designers, sondern vorrangig auf die Funktion des Designs abgestellt werden. Es rückt die Erkenntnis in den Vordergrund, daß der eigentliche Zweck ansprechender Produktgestaltung, der Sinn guten Designs, darin besteht, den Absatz des betreffenden Produktes zu fördern. Die Funktion als Marketinginstrument ist nach dieser Auffassung die eigentliche und sachgerechte Grundlage für den rechtlichen Schutz von Designs8Die Entwicklung dieses Konzepts geht auf das Max-Planck-Institut und einen von ihm erarbeiteten Gesetzesentwurf für ein »Europäisches Musterrecht« zurück (siehe GRUR Int 1990, 559 ff.). Zur Auseinandersetzung um diesen neuen Ansatz siehe: A. Kur, »Neue Entwicklungen im Musterrecht«, GRUR Int 1992, 528 ff. (im folgenden: A. Kur I); A. Kur, »The Green Paper's 'Design Approach' - What's Wrong with it?«, [1993] EIPR 374 ff. (im folgenden: A. Kur II); A. Kur, »Die Zukunft des Designschutzes in Europa - Musterrecht, Urheberrecht, Wettbewerbsrecht«, GRUR Int 1998, 353, 355 ff. (im folgenden: A. Kur III); H. Eichmann, »Das europäische Geschmacksmusterrecht auf Abwegen?«, GRUR Int 1996, 859 ff.; V. Scordamaglia, »La nozione di ed i requisiti per la sua tutela nelle proposte di regolamentazione comunitaria«, Riv. Dir. Ind. 1995, 113 ff.; H. Speyart, »The Grand Design«, [1997] EIPR 603 ff..Dieser Dogmenwechsel hat handfest-praktische Konsequenzen; sie zeigen sich insbesondere bei den Schutzvoraussetzungen (Neuheit und Eigenart9Art. 3 Abs. 2 der Design-Richtlinie lautet wie folgt: »Ein Muster wird durch ein Musterrecht geschützt, wenn es neu ist und Eigenart hat.« Für eine eingehendere Analyse der künftigen Schutzvoraussetzungen siehe A. Kur III (Fn. 8), 355 ff.). Während der künftige Neuheitsbegriff nicht wesentlich vom bisherigen deutschen Recht abweicht10Der »Neuheits«-Vergleich bezieht sich gemäß Art. 4 auf identische und quasi-identische Designs (»... Muster gelten als identisch, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden«). Grundsätzlich sind weltweit vorverbreitete Designs neuheitsschädlich, »es sei denn, daß dies[e] den in der Gemeinschaft tätigen Fachkreisen des betreffenden Sektors im normalen Geschäftsverlauf nicht .... bekannt sein konnte[n]« (Art. 6 Abs. 1 Design-Richtlinie). Dies kommt dem vom BGH entwickelten »objektiv-relativen« Neuheitsbegriff des deutschen Rechts sehr nahe (BGH GRUR 1969, 90, 94, »Rüschenhaube«)., liegt der entscheidende Unterschied in der inhaltlichen Bestimmung des Erfordernisses »Eigenart« und in dem Verzicht auf zusätzlich denkbare Schutzkriterien. In Deutschland - und Ähnliches gilt für einige andere Mitgliedstaaten - werden Designs bis-lang nur geschützt, wenn sie eine »ästhetische« Wirkung entfalten (Musterfähigkeit)11In der Formulierung des BGH: Wenn das betreffende Erzeugnis [genauer: sein Design] »bestimmt und geeignet ist, über das Auge auf den Formen- und Farbensinn des Betrachters zu wirken« (BGH GRUR 1985, 438, 439 f. »Escort-Kotflügel«; BGH GRUR 1976, 261, 262, »Gemäldewand«; h. L.). Ähnlich das Schweizerische Bundesgericht GRUR Int 1991, 314 (»Form ... muß ... den Geschmack, den Sinn für das Schöne ansprechen«). und sich durch eine im Vergleich zum vorhandenen Formenschatz besondere, über dem Durchschnitt liegende Designleistung (Eigentümlichkeit)12Siehe BGH GRUR 1969, 90, 95, »Rüschenhaube«; BGH GRUR 1975, 81, 83, »Dreifachkombinationsschalter«; BGH GRUR 1980, 235, 236, »Playfamiliy«. auszeichnen. Eine solche qualitative, die Schutzmöglichkeiten einschränkende Bewertung von Designs entfällt künftig. Der ästhetische Gehalt eines Designs bleibt völlig außer Betracht, Musterfähigkeit ist auf bloße Wahrnehmbarkeit reduziert13Siehe G. Riehle I (Fn. 7), 59; G. Riehle II (Fn. 7), 3 Fn. 2; und Art. 1 Abs. a) Design-Richtlinie.. Um das Kriterium »Eigenart« zu erfüllen, genügt es, wenn sich das Design, für das Schutz beansprucht wird, von vorhandenen Designs unterscheidet14Art. 5 Abs. 1 Design-Richtlinie lautet wie folgt: »Ein Muster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von dem Gesamteindruck unterscheidet, den ein anderes Muster bei diesem Benutzer hervorruft, das der Öffentlichkeit ... zugänglich gemacht worden ist«.. Ob die geforderte Unterscheidung (des Gesamteindrucks) auf dem bewußten Beitrag eines Designers oder schlicht darauf beruht, daß technische Vorgaben oder der Gebrauchszweck des Produktes eine bestimmte, bisher nicht gebräuchliche Formgebung nahegelegt haben, spielt keine Rolle. Die rein formale Feststellung, das schutzbegehrende Design sei in den Augen eines »informierten Benutzers« hinreichend15In ihrer Erstvorlage (1993) hatte die Kommission noch vorgeschlagen, die Unterscheidbarkeit müsse »wesentlich« sein. Nachdem das Parlament bereits in 1. Lesung diesen Zusatz gestrichen hatte, beließen es auch der Geänderte Vorschlag der Kommission (1996) und der Gemeinsame Standpunkt des Rates (1997) bei der einfachen Unterscheidbarkeit, die dann auch verabschiedet wurde (Fn. 1). Kurioserweise wird jedoch in Erwägungsgrund 13 der Richtlinie gesagt, die Unterscheidbarkeit müsse »deutlich« sein. unterscheidbar, reicht für die Schutzgewährung aus. Dies bedeutet, daß es nach künftigem Recht leichter ist, Designschutz zu erlangen, und daß vor allem technisch geprägte, sog. »funktionale« Designs in den Schutz einbezogen werden16Siehe dazu auch A. Kur III (Fn. 8), 356, die allerdings zu Recht auf die damit verbundenen Gefahren für einen funktionierenden Wettbewerb und die daraus resultierende »erhebliche Verantwortung« für den Rechtsanwender hinweist..Insbesondere für die Anbieter technisch komplexer Erzeugnisse eröffnen sich damit neue Perspektiven. Ein gutes Beispiel dafür ist der - gerade in der Ersatzteilfrage - in den Brennpunkt gerückte Automobilsektor. Designs im Automobilbau sind häufig, möglicherweise sogar überwiegend, funktionale Designs. Für Fahrzeugkomponenten läßt sich oft kaum sagen, inwieweit ihre äußere Form Folge technischer Gegebenheiten oder eines gezielten Gestaltungswillens ist. Nachdem es künftig auf diese Unterscheidung nicht mehr ankommt und auch funktionale Designs schutzfähig werden, wird der Umfang, in dem Fahrzeugkomponenten Designschutz erlangen können, mit Inkrafttreten des neuen Rechts tendenziell zunehmen. Dies führt zwangsläufig zu einer Verschärfung der Ersatzteilfrage17Auf den Zusammenhang, daß eine hohe Schutzschwelle die Probleme im Ersatzteilbereich verringert, eine niedrigere Schutzschwelle sie vergrößert, ist schon frühzeitig aufmerksam gemacht worden (vgl. z. B. A. Kur, »Gedanken zur Systemkonformität einer Sonderregelung für must match-Ersatzteile im künftigen europäischen Geschmacksmusterrecht«, GRUR Int 1996, 876, 881 m. weiteren Hinweisen). und erhöht die Notwendigkeit gezielter Sachlösungen im Ersatzteilbereich. Darauf wird noch einzugehen sein.III. Schutzausschluß- und Schutzbegrenzungs-BestimmungenZuvor ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie auch Bestimmungen enthält, die sich zwar nicht gezielt mit Ersatzteilen befassen, jedoch indirekt zu einer graduellen »Entschärfung«18In diesem Sinne auch A. Kur III (Fn. 8), 357. der Ersatzteilproblematik beitragen. Es handelt sich um Bestimmungen, die Produkte bzw. Produktelemente unter gewissen Voraussetzungen völlig vom Designschutz ausnehmen und auf diese Weise auch eine Freistellung der entsprechenden Ersatzteile bewirken. Berührt sind 4 Bereiche:1. »Nicht sichtbare« Teile von komplexen ErzeugnissenDer erste betrifft Teile eines komplexen Erzeugnisses (z. B. eines Automobils)19Der Begriff »komplexes Erzeugnis« wird in Art. 1 Abs. c) Design-Richtlinie authentisch wie folgt interpretiert: »... ein Erzeugnis aus mehreren Bauelementen, die sich ersetzen lassen, so daß das Erzeugnis auseinander- und wieder zusammengebaut werden kann«., die in eingebautem Zustand für den Endnutzer nicht sichtbar sind. Solche Teile sind gemäß Art. 3 Abs. 3 a) Design-Richtlinie nicht schutzfähig20Art. 3 Abs. 3 lautet wie folgt:»Das Muster, das bei einem Erzeugnis, das Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, benutzt oder in dieses Erzeugnis eingefügt wird, gilt nur dann als neu und hat nur dann Eigenart,a) wenn das Bauelement, das in das komplexe Erzeugnis eingefügt ist, bei dessen bestimmungsgemäßer Verwendung sichtbar bleibt undb) soweit diese sichtbaren Merkmale des Bauelements selbst die Voraussetzungen der Neuheit und Eigenart erfüllen.«. Beispielhaft bezogen auf den Automobilsektor bedeutet dies, daß künftig sämtliche Teile »unter der Haube«21Beispiele: Motorenteile, Anlasser, Lichtmaschinen, Kraftstoff- und Wasserpumpen, Kühler, Kupplungen (siehe dazu auch unten Fn. 24), Lenkungs- und die meisten Bremsenteile. einem Designschutz entzogen sind und damit, ob als Neu- oder Ersatzteile, in der EU frei vertrieben werden können. Soweit bestimmte Komponenten teilweise sichtbar sind22Dies mag zutreffen auf gewisse Bremsenteile (in einigen Modellen), auf Teile der Auspuffanlage etc., ist ihre Schutzmöglichkeit beschränkt: schutzfähig sind in diesem Falle nur die sichtbaren Designelemente und auch diese nur dann, wenn sie in sich selbst die Schutzvoraussetzungen »Neuheit« und »Eigenart« erfüllen23Das ergibt sich aus der bewußt und sorgfältig gewählten Formulierung des Art. 3 Abs. 3 (Fn. 20): »... soweit diese sichtbaren Merkmale....« (Hervorhebung vom Verfasser)..Die jetzt gesetzlich verankerte Überlegung, nicht sichtbare Teile vom Designschutz auszuschließen, ist übrigens nicht neu. Sie ist ansatzweise bereits im bisherigen deutschen Recht angelegt. So hat das LG München24Rechtskräftiges Urteil v. 29. 9. 1993 - 21 0 25121/92; ähnlich das Schweizerische Bundesgericht BGE 113 (1987) II 77, 81, »Tonkopfmodell«, das nicht sichtbaren, im Innern eines Plattenspieler-Tonkopfes angebrachten Kontaktelementen unter anderem deshalb den Schutz versagt hat, weil »L'acheteur ne peut être qu'indifferent à la forme de tels éléments«. einer Autokupplung den Schutz mit der Begründung versagt, sie sei »bei bestimmungsgemäßer Verwendung« (d. h. nach ihrem Einbau) nicht dazu bestimmt und geeignet, auf den Formensinn des Betrachters einzuwirken. Diese Formulierung knüpft zwar entsprechend der derzeit noch gülti-gen Rechtslage an das ästhetische Kriterium »Musterfähigkeit«25Siehe oben II. Fn. 11. an; der ihr zugrundeliegende Gedanke ist jedoch übergreifend der, daß ein Design, das für den Käufer und Nutzer des Produkts unsichtbar bleibt, seinen eigentlichen Zweck (seine Funktion) nicht erfüllen kann und deshalb auch nicht schutzwürdig ist. Dieser Gedanke trägt trotz Wechsels zum Schutzkonzept des »design approach«. Gerade eine markt- und absatzorientierte Betrachtung müßte sich der Erkenntnis öffnen, daß bei einer zum Einbau bestimmten Autokupplung das Design für den Kaufentscheid völlig unerheblich ist, keine Absatzanreize vermittelt und somit die einem Design zugedachte Funktion als Marketinginstrument nicht erfüllen kann26Aus diesen Gründen kann der teilweise geübten Kritik, die Richtlinien-Lösung sei nicht systemkonform, nicht gefolgt werden (siehe insbesondere H. Eichmann, »Das Europäische Geschmacksmusterrecht auf Abwegen?«, GRUR Int 1996, 859, 875 f.; A. Kur (Fn. 17), 877; etwas zurückhaltender A. Kur III (Fn. 8), 357: »Zwingende systematische Gründe für einen solchen Schutzausschluß gibt es allerdings nicht«; ... [er] nimmt sich eher systemfremd aus«). Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß das für die Gegenthese bisweilen verwandte Beispiel eines künstlichen Hüftgelenkes für den Menschen keinen Beleg abgibt, da der menschliche Körper kein »komplexes Erzeugnis« darstellt und somit der Schutzausschluß nicht greift. Allerdings wäre interessant zu prüfen, ob nicht gerade ein solches Hüftgelenk zu den in der Praxis äußerst seltenen Fällen gehört, daß für ein Neuprodukt nur eine einzige Formgebung möglich ist, also keine Gestaltungsalternative besteht und ein Designschutz deshalb (!) nach Art. 7 Abs. 1 Design-Richtlinie ausscheidet..2. Verbindungselemente (»must fit«-Klausel)Der zweite Bereich, in dem die Richtlinie einen Schutzausschluß vorsieht, bezieht sich auf »Verbindungselemente«, schlagwortartig auch als »must fit«-Elemente bezeichnet27Siehe dazu Riehle I (Fn. 7), 62.. Gemeint sind damit - wie in Art 7 Abs. 2 definiert28Art. 7 Abs. 2 hat folgenden Wortlaut: »Ein Recht an einem Muster besteht nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses, die zwangsläufig in ihrer genauen Form und ihren genauen Abmessungen nachgebildet werden müssen, damit das Erzeugnis, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es verwendet wird, mit einem anderen Erzeugnis mechanisch zusammengebaut oder verbunden oder in diesem, an diesem oder um dieses herum angebracht werden kann, so daß beide Erzeugnisse ihre Funktion erfüllen.« - Produktgestaltungen, die vorgegeben sind und eingehalten werden müssen, um die »Interoperabilität«29Siehe Erwägungsgrund (14) Design-Richtlinie (Text unten Fn. 32). von (konkurrierenden) Erzeugnissen zu ermöglichen. Nicht schutzfähig sind unter diesem Gesichtspunkt z. B. die Ausgestaltung einer Kamera in dem zur Andockung von (Zusatz-)Objektiven vorgesehenen Bereich30Siehe B. Posner, »The Community Design«, Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1993, Heft 6/7, 219, 223 (Autor war der für das Richtlinien-Vorhaben zuständige Referent der Kommission). oder - im Automobilsektor - die Lochanordnung eines Rades, die Befestigungspunkte einer Auspuffanlage, alle Ausführungsvarianten von Steck-, Schraub- und sonstigen Verbindungen, aber auch die Außenabmessungen eines Kotflügels oder einer Windschutzscheibe. Im Grunde geht es dabei um das auch in verwandten Rechtsgebieten praktizierte Prinzip31Z. B. Art. 6 der Computer-Software-Richtlinie v. 14. 5. 1991; dazu M. Lehmann, »Der neue Europäische Rechtsschutz von Computerprogrammen«, NJW 1991, 2112, 2116., Schnittstellen freizuhalten, um Wettbewerb in nachgelagerten Märkten nicht zu behindern.3. »Must fit«-FolgewirkungMit der Tatsache, daß »must fit«-Elemente keinen Designschutz genießen, ist eine Weiterung verbunden, die klarzustellen dem EU-Gesetzgeber wichtig erschien. Wie in den Erwägungsgründen ausdrücklich vermerkt32Erwägungsgrund (14) lautet wie folgt: »Ebensowenig sollte die Interoperabilität von Erzeugnissen unterschiedlichen Fabrikats dadurch behindert werden, daß sich der Schutz auf das Design mechanischer Verbindungselemente erstreckt. Merkmale eines Musters, die aus diesen Gründen vom Schutz ausgenommen sind, sollten bei der Beurteilung, ob andere Merkmale des Musters die Schutzvoraussetzungen erfüllen, nicht herangezogen werden« (Hervorhebung vom Verfasser)., dürfen bei der Prüfung, ob das Design eines Erzeugnisses die Schutzvoraussetzungen »Neuheit« und »Eigenart« erfüllt, die »must fit«-Elemente des Erzeugnisses nicht mit in Betracht gezogen werden. So müssen bei der Bewertung eines Kotflügel- oder Windschutzscheiben-Designs die Außenabmessungen und -konturen der beiden Komponenten hinweggedacht werden. Daß sich dadurch die Unterscheidbarkeit gegenüber vorbekannten Formen verringert und infolgedessen die Schutzmöglichkeit eingeschränkt wird, liegt auf der Hand.4. Schutzfähigkeit von EinzelteilenEine weitere schutzrestriktive Wirkung ist mit der in der Richtlinie erfolgten Klarstellung verbunden, daß Teile eines komplexen Erzeugnisses - z. B. die gleich zu erörternden integrierten Karosseriekomponenten - nur dann geschützt werden, wenn sie selbst und eigenständig die Schutzvoraussetzungen (künftig: Neuheit und Eigenart) erfüllen33Siehe Art. 3 Abs. 3 Buchst. b. (Fn. 20) i. V. m. Art. 1 b) Design-Richtlinie.. Versuchen wie dem des BGH, die einem Kotflügeldesign an sich fehlende Schutzfähigkeit aus der Gesamtkarosserie abzuleiten34BGH GRUR 1987, 518, »Escort Kotflügel«., ist damit künftig der Boden entzogen35Die vom Verfasser frühzeitig an der BGH-Rechtsprechung geübte Kritik (Festschrift für Ernst Steindorff, 1990, 991 ff.) ist damit bestätigt worden. Heute wird die in der Richtlinie festgeschriebene Lösung als »klarstellend« und »selbstverständlich« bezeichnet (Angaben bei G. Riehle III (Fn. 7), 363 Fußnoten 27 und 44; A. Kur III (Fn. 8), 357)..IV. »Must match«-ErsatzteileWährend in den vorstehend erwähnten Sachthemen rasch eine Einigung erzielt werden konnte, erwies sich - wie nicht anders zu erwarten - die eigentliche »Ersatzteilfrage« als schwierigster Punkt des Vermittlungsverfahrens. Wie sollte mit den sichtbaren Teilen komplexer Erzeugnisse - in der Praxis vorrangig den karosserieintegrierten, sog. »must match«-Teilen (Karosserieteilen i. e. S., Scheinwerfer/Leuchten und Autoglas) - verfahren werden? Darüber, daß diese Teile grundsätzlich, d. h. in ihrer Eigenschaft als Neuprodukte, schutzfähig sein sollten, bestand trotz derzeit teilweise abweichender Rechtslage in einzelnen Mitgliedstaaten36In Großbritannien, Italien und Spanien sind solche Komponenten vollkommen, also auch als Neuteile, vom Schutz ausgeschlossen (siehe G. Riehle III (Fn. 7), 362 mit weiteren Hinweisen). Zur Rechtslage in Großbritannien siehe jetzt auch W. Cornish, »Die Zukunft des Designschutzes in Europa aus der Sicht des britischen Rechts«, GRUR Int 1998, 368. Einigkeit. In der entscheidenden Frage jedoch, ob sich ein solcher, zu Recht gewährter Schutz auch auf die entsprechenden Ersatzteile erstrecken sollte, blieb der das Rechtsetzungsverfahren von Anfang an begleitende Dissens bestehen.Wie schon an anderer Stelle dargelegt37Siehe G. Riehle III (Fn. 7), 362 f., standen sich zwei inhaltlich nahezu unversöhnliche Positionen gegenüber. Das Europäische Parlament (unterstützt von der Kommission) hatte sich in 2 Lesungen mit jeweils überwältigender Mehrheit für eine Reparaturklausel (Vergütungsvariante) ausgesprochen; diese rechtssystematisch und ordnungs-politisch zutreffende Lösung hätte den Wettbewerb im Ersatzteilbereich EU-weit bewahrt, auch für Ersatzteile einen Gemeinsamen Markt geschaffen und die angestrebte Rechtsangleichung erzielt. Der Ministerrat, der sich intern nicht auf eine Sachlösung verständigen konnte, hatte dagegen beschlossen, die Ersatzteilfrage auszuklammern und ihre Behandlung (ohne jede inhaltliche Vorgabe!) den Mitgliedstaaten und somit auch künftig nationalem Recht zu überlassen (»free for all«); diese in vieler Hinsicht kritikwürdige Lösung38Eingehend dazu G. Riehle III (Fn. 7), 362 ff. hätte einen Rückschlag für die Wettbewerbsfreiheit der EU-Ersatzteilmärkte und einen Verzicht auf die Vertragsziele »Binnenmarkt« und »Rechtsangleichung« bedeutet.Das Parlament war unter keinen Umständen bereit, auf »free for all« einzugehen; eher hätte es die Richtlinie insgesamt scheitern lassen. Auf der anderen Seite mehrten sich im Ministerrat die Stimmen, die eine endgültige Sachlösung unter möglichst weitgehender Wahrung des Ersatzteilwettbewerbs wollten39Neben der vom Parlament vorgeschlagenen »Vergütungslösung« stand im Vermittlungsverfahren auch der ursprüngliche Kommissionsvorschlag einer Reparaturklausel mit 3-jähriger Schutz- (= Monopol-)frist wieder zur Diskussion; das hätte zwar zur Ausschaltung von Ersatzteilwettbewerb, jedoch für einen immerhin deutlich begrenzten Zeitraum geführt. Zumindest für eine Lösung innerhalb dieser Bandbreiten schien sich eine Mehrheit im Ministerrat anzubahnen.. Möglicherweise hätte diese Linie trotz der Blockadehaltung Frankreichs eine Mehrheit finden können, wenn sie von der Bundesregierung unterstützt worden wäre40Zur bis zum Verfahrensende unveränderten Haltung der Bundesregierung siehe G. Riehle III (Fn. 7), 362 Fn. 19.. Da dies nicht der Fall war, drängte die englische Regierung auf eine Entscheidung noch während ihrer am 30. 6. 1998 endenden Präsidentschaft. Auf diese Weise kam es zu einem politischen Kompromiß auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Man einigte sich41Die Parlamentsdelegation im Vermittlungsausschuß offenbar nur »zähneknirschend«, so die Abgeordnete Gebhardt, die bedauerte, daß der Parlamentsvorschlag »am Egoismus einzelner Mitgliedstaaten gescheitert« sei (Ausführlicher Sitzungsbericht v. 14. 9. 1998, 13 f.). auf die sog.1. »stand still plus«-Lösung(auch »freeze plus«-Lösung genannt), die sich in Art. 14 Design-Richtlinie wie folgt niedergeschlagen hat:»Solange nicht auf Vorschlag der Kommission gemäß Artikel 18 Änderungen dieser Richtlinie angenommen worden sind, behalten die Mitgliedstaaten ihre bestehenden Rechtsvorschriften über die Benutzung des Musters eines Bauelements zur Reparatur eines komplexen Erzeugnisses im Hinblick auf die Wiederherstellung von dessen ursprünglicher Erscheinungsform bei und führen nur dann Änderungen an diesen Bestimmungen ein, wenn dadurch die Liberalisierung des Handels mit solchen Bauelementen ermöglicht wird.«Wiederum beispielhaft bezogen auf den Automobilsektor stellt sich das erzielte Ergebnis so dar: Für Karosserie-Ersatzteile - und nur für diese (!)42So wenigstens die Intention des Gesetzgebers, die sich jedoch in dem unter Zeitdruck verabschiedeten Text nicht (präzise) wiederfindet. Der jetzige Wortlaut erfaßt alle Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses und nicht nur die integrierten. Richtigerweise hätte der Text - wie im Gemeinsamen Standpunkt v. 17. 6. 1997 vorgegeben (ABl EG Nr. C 237 v. 4. 8. 1997) - wie folgt ergänzt werden müssen: ».... Erscheinungsform bei, wenn das Erzeugnis, in das das Muster aufgenommen oder bei dem es benutzt wird, Bauelement eines komplexen Erzeugnisses ist, von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängt, und führen ...«. Selbstverständlich hätte diese Einfügung einen insgesamt eleganteren Textaufbau nahegelegt. - bleibt das bisher in den Mitgliedstaaten geltende Designrecht weiterhin in Kraft; es darf durch den nationalen Gesetzgeber grundsätzlich auch nicht geändert werden (»stand still«); der derzeit in der Gemeinschaft bestehende Rechtszustand wird, bis zu einer möglichen Novellierung der Richtlinie43Dazu unten IV. 2., eingefroren (»freeze«). Jeder Mitgliedstaat darf jedoch sein Designrecht insoweit ändern, als die Änderung, verglichen mit dem bestehenden Rechtszustand, zu mehr Wettbewerbsfreiheit (»plus«) im Markt für Karosserie-Ersatzteile führt (Liberalisierungsoption).Wie leicht ersichtlich, ist es auch mit diesem vorläufig letzten Beschluß in Brüssel nicht gelungen, die Ersatzteilfrage endgültig zu lösen, das Recht in diesem Punkt zu harmonisieren und einen Gemeinsamen Markt für Ersatzteile zu schaffen. Integrationspolitisch ist das Ergebnis daher auf jeden Fall enttäuschend. Ordnungspolitisch mag man bedauern, daß sich der ausgewogene, von einem breiten gesellschaftlichen Konsens44Belege dazu bei G. Riehle II (Fn. 7), 14 Fußnoten 145 und 146. getragene Lösungsvorschlag des Parlaments nicht gegen das Partikularinteresse eines Industriezweiges und dessen Einfluß auf den Ministerrat durchzusetzen vermochte. Eine sachlich nicht unwesentliche Modifikation der ursprünglichen Ratskonzeption konnte allerdings erreicht werden. »Free for all« hätte den Mitgliedstaaten volle Handlungsfreiheit, zum Beispiel auch die Möglichkeit eingeräumt, einen de lege lata für Ersatzteile nicht bestehenden Designschutz neu einzuführen45Dies ist z. B. für Italien angesichts des (politischen) Einflusses des dort führenden Automobilherstellers befürchtet worden.. »Stand still« läßt dies und andere gesetzgeberische Maßnahmen, die sich zum Nachteil eines freien Ersatzteilmarktes auswirken würden, nicht (mehr) zu.Welche konkreten Folgen das Brüsseler Ergebnis für den europäischen Wirtschaftsraum hat, sei kurz wie folgt skizziert:(1) In einigen Mitgliedstaaten - Großbritannien, Italien, Spanien46Siehe oben Fn. 36. (und wahrscheinlich Portugal47Portugal hat 1995 ein neues Designgesetz erlassen. Dessen Art. 153 Abs. 2 entspricht nahezu wörtlich dem spanischen Gesetzestext, den das OLG Bilbao dahin ausgelegt hat, daß karosserieintegrierte Komponenten nicht schutzfähig sind (siehe G. Riehle II (Fn. 7), 362 Fußnote 14, und L. Gimeno, »Spare Parts in Spain and from a European Perspective«, [1997] EIPR 357 ff.).) sind karosserieintegrierte Fahrzeugkomponenten derzeit generell vom Designschutz ausgeschlossen. Diese Staaten können es bei dem bestehenden Schutzausschluß belassen48Dies geht aus dem (deutschen) Text des Art. 14 nicht mit letzter Klarheit hervor, ist jedoch, wie in Erwägungsgrund (19) ausdrücklich vermerkt, so gewollt. Sowohl der vom Rat als auch der von der Kommission in der Schlußphase des Vermittlungsverfahrens eingebrachte Text sprach sich explizit für die Möglichkeit aus, den Schutzausschluß beizubehalten (»Those Member States which, on the date of entry into force of this Directive, do not provide for protection of designs for component parts are not required under Article 3, paragraphs (3) and (4), in conjunction with Article 1, to introduce registration of designs for such parts.«). Im weiteren Verlauf glaubte man jedoch, diesen Wortlaut vereinfachen und den ihm zugrundeliegenden Gedanken mit der - jetzt in Art. 14 enthaltenen Formulierung »... Member States shall maintain in force their existing legal provisions relating to the use of the design of a component part ...« mit einbinden zu können. Dabei wurde der zunächst noch enthaltene Zusatz »... relating to the use of a protected design ...« gezielt gestrichen, um klarzustellen, daß ein vorhandener Schutzausschluß auch künftig möglich bleiben muß. oder aber eine Reparaturklausel einführen. In jedem Falle ist dort ein Designschutz für Karosserie-Ersatzteile auch künftig nicht möglich. In den Ersatzteilmärkten dieser Länder, die 45% (!) des Gemeinsamen Marktes ausmachen, wird daher weiterhin freier Wettbewerb herrschen.(2) Mitgliedstaaten, deren geltendes Recht höhere Anforderungen an die Schutzfähigkeit eines Designs stellt, als in der Richtlinie vorgesehen, müssen für Karosserie-Ersatzteile weiterhin diese strengeren Schutzvoraussetzungen anwenden. Vorrangig betroffen von dieser Regelung ist Deutschland. Dort gelten die oben beschriebenen Schutzkriterien49Oben II. insoweit fort. Danach wird das Design eines Ersatzkotflügels auch künftig nur dann Schutz in Deutschland genießen können, wenn es den ästhetischen und qualitativen Anforderungen des geltenden Rechts genügt50Genau genommen hat Deutschland 2 Optionen: (1) die bisherige Schutzschwelle generell für Karosseriekomponenten, d. h. für Neu- und Ersatzteile einheitlich, fortgelten zu lassen oder (2) auf Neuteile das künftige und nur für Ersatzteile das bisherige Recht anzuwenden. Die 2. Option liefe auf eine abgestufte Prüfung der Schutzvoraussetzungen, in der Praxis auf eine Reparaturklausel hinaus, die die Ausübung erworbener Designrechte gegenüber Ersatzteilen grundsätzlich ausschließt - ausgenommen diejenigen Ersatzteile, die den bisherigen Schutzkriterien genügen (eine nicht ganz unkomplizierte Konstruktion). (was bislang noch kein Automobilhersteller vor Gericht nachzuweisen vermochte51Der 1986 an den BGH gelangte »Escort-Kotflügel«-Fall (GRUR 1987, 518) ist nie endgültig entschieden worden, und der 1996 vom OLG Düsseldorf entschiedene Fall »Golf II Heckleuchte« betraf die Klage eines Teileherstellers und bezog sich nicht auf ein Ersatz-, sondern auf ein Zubehörteil (siehe dazu G. Riehle III (Fn. 7), 361, 364 Fußnote 38).). Betroffen sind ferner solche Mitgliedstaaten (wie die 3 skandinavischen Länder und Irland), die deutlich verschärfte Anforderungen an die »Unterscheidbarkeit« stellen52Dänemark »differ significantly«, Finnland »differ substantially«, Schweden »differ considerably« und Irland »differ in a material way«. Siehe zur Rechtslage in den skandinavischen Ländern auch M. Levin, »Die Zukunft des Designschutzes in Europa aus der Sicht des Rechts der nordischen Staaten«, GRUR Int 1998, 371.. In allen Staaten dieser Kategorie, die zusammen 29% des Gemeinsamen Marktes abdecken, dürfte es deshalb auch in Zukunft, wenn überhaupt, nur in beschränktem Umfange zu einem Designschutz für Ersatzteile und zu Eingriffen in die Ersatzteilmärkte kommen.(3) Genau gegenteilig ist die Lage in Frankreich (mit einem Anteil von 16% am Gemeinsamen Markt). Der dort bestehende, auf Design- und Urheberrecht gestützte Schutz von Karosserieteilen wird fortgelten und wahrscheinlich mit derselben Rigorosität durchgesetzt werden wie bislang53Zur Situation in Frankreich: G. Riehle I (Fn. 7), 55 und G. Riehle II (Fn. 7), 13 mit weiteren Hinweisen.. Ob dieser Schutz, der nach dem Territorialitätsprinzip auf das französische Staatsgebiet beschränkt ist, auch dazu berechtigt, reine Transitlieferungen - z. B. spanischer Karosserieteile nach Italien oder Deutschland - zu unterbinden, ist eine Frage, die derzeit die Kommission in einem gegen Frankreich eingeleiteten Verfahren zu klären versucht54Verfahren No. A/97/4239 »Seizure of vehicle body parts by the French authorities«.. Ein im Vermittlungsverfahren in die Richtlinie eingefügter Erwägungsgrund, der festlegt, die »stand still«-Klausel des Art. 14 dürfe »keinesfalls als Hindernis für den freien Verkehr« mit Ersatzteilen interpretiert werden55Der auf Betreiben der spanischen Europa-Abgeordneten Palacio Vallelersundi eingefügte Erwägungsgrund (20) lautet wie folgt: »Die Übergangsbestimmung in Art. 14 .... darf keinesfalls als Hindernis für den freien Verkehr mit einem Erzeugnis, das ein derartiges Bauelement bildet, ausgelegt werden«., mag dafür eine richtungweisende Auslegungshilfe bieten.(4) In den restlichen Mitgliedstaaten (Anteil am Gemeinsamen Markt 10%) ändert sich durch den Brüsseler Entscheid praktisch nichts. Griechenland, das erstmals in seiner Geschichte 1997 eine Design-Gesetzgebung erlassen hat, kann eine darin enthaltene kombinierte Reparaturklausel56Sie sieht eine 5jährige Schutz-(= Monopol-)frist und anschließend eine Vergütungspflicht vor. Im griechischen Design-Gesetz haben sich die seit 1991 andauernden Diskussionen um die EG-Richtlinie erkennbar niedergeschlagen. beibehalten. Die Design-Gesetze der Benelux-Länder und Österreichs entsprechen in ihren allgemeinen Schutzvoraussetzungen schon jetzt im wesentlichen der Richtlinie und enthalten auch keine ausdrücklichen Sonderbestimmungen für Ersatzteile. Nach heutigem Kenntnisstand ist somit davon auszugehen, daß Karosserie-Ersatzteile dort grundsätzlich schutzfähig sind. Indes bleibt zu beachten, daß es in keinem dieser Länder in jüngerer Vergangenheit zu Designeingriffen kam (de facto also freier Wettbewerb herrschte) und die Gerichte somit keine Gelegenheit erhielten, die Ersatzteilfrage zu prüfen. Von daher ist es sehr wohl möglich, daß der Benelux-Gerichtshof oder der österreichische OGH, ähnlich wie ihre Richterkollegen in England, Italien und Spanien, in einem künftigen Rechtsstreit durch Auslegung57Zu dieser naheliegenden, sich aus Sinn und Zweck des Designschutzes geradezu aufdrängenden Möglichkeit siehe: G. Riehle I (Fn. 7), 69 und G. Riehle III (Fn. 7), 362. zu der Erkenntnis gelangen, daß auch nach ihrem Recht Karosserie-Ersatzteilen der Schutz zu versagen ist. Die »stand still«-Klausel steht einer solchen richterlichen Rechtsfindung nicht im Wege58Abgesehen davon, daß eine solche Auslegung bereits durch die Liberalisierungsoption gedeckt wäre, könnte die »stand still«-Klausel zwar den nationalen Gesetzgeber, nicht aber die nationalen Gerichte in der Auslegung nationalen Rechts binden..Obwohl grundsätzlich zur Bewahrung des rechtlichen Status quo verpflichtet, können alle Mitgliedstaaten - von den unter (1) genannten abgesehen - die ihnen eingeräumte Liberalisierungsoption nutzen. Sie können die in Frage stehenden Ersatzteile ganz oder teilweise vom Designschutz freistellen. Vollständige Freistellung bedeutet, rechtstechnisch umgesetzt, die gesetzliche Einführung einer reinen Reparaturklausel; diese Variante steht allen betroffenen Ländern offen. Teilweise Freistellung bedeutet die Einführung einer Reparaturklausel, kombiniert mit einer Schutzfrist und/oder einer Vergütungspflicht. Diese Variante können die unter (3) und (4) genannten Länder prinzipiell in voller Bandbreite ausschöpfen59Solange die in eine Reparaturklausel eingefügte Schutzfrist unterhalb der in der Richtlinie vorgesehenen und eine etwaige Vergütung »angemessen« bleibt (und nicht prohibitiv angesetzt wird).. Den unter (2) genannten Ländern, darunter Deutschland, ist dies hingegen nicht möglich. Sie müssen ihre Reparaturklauseln - z. B. in der Bemessung einer Schutzfrist - so ausgestalten, daß dadurch ein höherer Grad an Wettbewerbsfreiheit in den Ersatzteilmärkten erzielt wird, als ihn der derzeitige Schild einer hohen Schutzschwelle gewährleistet. Eine solche Abwägung und Grenzziehung erfordert eine sorgfältige Analyse der Auswirkungen, welche die ins Auge gefaßten Regelungen auf die relevanten Märkte haben würden.Es wird erwartet, daß sich mehrere Mitgliedstaaten (Frankreich ausgenommen) bei der Umsetzung der Richtlinie für die Einführung einer Reparaturklausel entscheiden werden. Interessant und bezeichnend zugleich wird sein, wie sich die Bundesregierung verhalten wird, die nunmehr ohne Rücksicht auf tatsächliche oder vermeintliche »europäische« Interessen eine sachgerechte Lösung der Ersatzteilfrage eigenverantwortlich für die Bundesrepublik finden kann und finden muß.2. Konsens-Strategie und RevisionsklauselObwohl die nächsten gesetzgeberischen Schritte jetzt bei den Mitgliedstaaten liegen, sollen die Bemühungen um eine EU-einheitliche Lösung der Ersatzteilfrage auch auf Gemeinschaftsebene fortgesetzt werden - und zwar in zweifacher Hinsicht.Zum einen hat sich die Kommission auf Drängen des Parlamentes dazu verpflichtet, Beratungsgespräche mit den beteiligten Wirtschaftskreisen einzuleiten und zu begleiten60Die verpflichtende Erklärung, zu der sich die Kommission ausdrücklich bekannt hat (siehe ABlEG L 289/35 v. 28. 10. 1998), hat folgenden Wortlaut »Unbeschadet des Artikels 18 schlägt die Kommission vor, unmittelbar nach der Annahme der Richtlinie einen Konsultationsprozeß einzuleiten, an dem die im Kfz-Sektor tätigen Hersteller sowohl von komplexen Erzeugnissen als auch von Bauelementen beteiligt werden. Zweck dieser Konsultationen ist eine freiwillige Vereinbarung zwischen den betroffenen Parteien über den Schutz von Mustern und Modellen in Fällen, in denen das Erzeugnis, in das das Muster aufgenommen ist oder bei dem es benutzt wird, Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses ist, von dessen Erscheinungsform das geschützte Muster abhängt.Die Kommission wird den Konsultationsprozeß koordinieren und das Parlament und den Rat über dessen Entwicklung unterrichten. Die konsultierten Parteien werden von der Kommission ersucht werden, ein Spektrum möglicher Optionen zu prüfen, auf denen eine freiwillige Vereinbarung beruhen kann, einschließlich eines Vergütungssystems und einer begrenzten Musterschutzdauer.«. Ziel dieser Gespräche soll sein, eine einvernehmliche Lösung der Ersatzteilfrage zu finden und in einer »freiwilligen Vereinbarung« umzusetzen. Ob diese Konsensstrategie erfolgreich sein wird, bleibt abzuwarten. Die Tatsache, daß nach mehr als 7jähriger Konsultation mit den Betroffenen kein Konsens zu erzielen war, stimmt eher skeptisch. Viel dürfte deshalb davon abhängen, wie die Kommission die ihr in diesem Verfahren zugedachte Moderatoren- und Führungsrolle begreift und nutzt.Unabhängig davon enthält die Richtlinie in Artikel 18 eine echte Revisionsklausel. Drei Jahre nach Umsetzung der Richtlinie (also etwa Ende 2004) muß die Kommission die Auswirkungen der Richtlinie, auch und gerade auf dem Markt für Karosserie-Ersatzteile, überprüfen und spätestens ein Jahr darauf (also wahrscheinlich im Jahre 2005) geeignete Änderungsvorschläge unterbreiten, bei denen das Ergebnis einer freiwilligen Vereinbarung, soweit dann vorhanden, mit zu berücksichtigen ist. Man wird deshalb davon ausgehen können, daß spätestens in diesem Zeitpunkt eine EU-einheitliche Lösung der Ersatzteilfrage verwirklicht sein wird.V. Perspektiven des »Gemeinschaftsgeschmacksmusters«Die jetzt in Brüssel erzielte Einigung dürfte sich auch positiv auf die geplante Einführung eines »Gemeinschaftsgeschmacksmusters« auswirken. Es ist zu erwarten, daß das Europäische Parlament die Beratungen des entsprechenden Verordnungs-Vorschlages61KOM (93) 342 endg. - COD 463 v. 3. 12. 1993., die es wegen eines konstitutionellen Konfliktes mit dem Rat seit 1995 ausgesetzt hatte62Siehe dazu A. Kur III (Fn. 8), 354 Fußnote 12; G. Riehle II (Fn. 7), 3 Fußnote 15., in Kürze wieder aufnehmen wird63Angedeutet von dem Abgeordneten C. Casini, dem Berichterstatter für die Verordnung, während der Plenardebatte v. 14. 9. 1998 (»Ausführlicher Sitzungsbericht« v. 14. 9. 1998, 15).. Ernsthafte Sachkonflikte zeichnen sich in diesem Verfahren nicht ab, weil Einigkeit darüber besteht, daß Richtlinie und Verordnung in den Kernfragen (Musterbegriff, Schutzvoraussetzungen und -umfang) identisch sein müssen und insoweit mit Annahme der Richtlinie eine Vorklärung erfolgt ist. Auch die »Ersatzteilfrage« kann eigentlich nicht erneut zum Streitpunkt werden. Reine Sachlogik gebietet es, in der Verordnung die Schutz- und Registrierfähigkeit integrierter Komponenten a limine auszuschließen. Andernfalls würde das mit »stand still« in der Richtlinie verfolgte Ziel, daß »must match«-Ersatzteile in einzelnen Mitgliedstaaten ganz oder teilweise vom Designschutz freigestellt bleiben müssen bzw. freigestellt werden können, durch das überlagernde, EU-weit wirkende »Gemeinschaftsgeschmacksmuster« konterkariert.

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