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EWS 1997, 225
Dreher, Meinrad 
Dreher, Meinrad
Der Gerichtsbegriff im Sinne von Art. 177 EGV, die Vergabeüberwachungsausschüsse und die Zukunft des vergaberechtlichen Rechtsschutzes

EWS 1997, 225 (Heft 7)
I. Das ProblemEinzelstaatliche Gerichte sind nach Art. 177 EGV beim Erlaß unanfechtbarer Entscheidungen verpflichtet und im übrigen berechtigt, Fragen zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts, die sich in einem Rechtsstreit stellen, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Eine Zulässigkeitsvoraussetzung ist daher, daß es sich bei der vorlegenden Instanz um ein Gericht im Sinne von Art. 177 Abs. 2 und 3 EGV handelt. Der EuGH hatte bereits mehrfach Gelegenheit, die vorlegende Stelle daraufhin zu überprüfen, ob es sich dabei um ein Gericht im europarechtlichen Sinne handelte. Diese Frage stellt sich nun mit besonderer Dringlichkeit auch für die Vergabeüberwachungsausschüsse des Bundes und der Länder. Diese »gerichtsähnlichen Einrichtungen«1Begründung zum RegE 2. Gesetz zur Änderung des HGrG, BR-Drucks. 5/93, S. 2 u. 22 = BT-Drucks. 12/4636; Bericht des BT-Wirtschaftsausschusses zu dem RegE, BT-Drucks. 12/5334, S. 10; Begründung der Bundesregierung zur Verordnung über das Nachprüfungsverfahren für öffentliche Aufträge (NpV), BR-Drucks. 574/93, Vorblatt. wurden im Rahmen der Umsetzung der EG-Überwachungsrichtlinien zum öffentlichen Auftragswesen2Richtlinie 89/665 über die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABlEG Nr. L 395/33 vom 30. 12. 1989 (Überwachungsrichtlinie). Richtlinie 92/13 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABlEG Nr. L 76/14 vom 23. 3. 1992 (Sektorenüberwachungsrichtlinie). als spezifisch vergaberechtliche Instanzen geschaffen, um die Gewährung subjektiver Rechte im Vergaberecht und den damit einhergehenden Rechtsschutz vor den allgemeinen Gerichten zu vermeiden3Vgl. dazu ausführlich Dreher, Der Rechtsschutz bei Vergabeverstößen nach »Umsetzung« der EG-Vergaberichtlinien, ZIP 1995, 1869 ff.; ders., Anmerkung zu EuGH Rs. C-433/93, Slg. 1995, I-2203, EuZW 1995, 637 f., sowie aus neuerer Zeit auch Rittner, NVwZ 1995, 313; Pietzcker, NVwZ 1996, 313; von Meibom/Meibom, EuZW 1995, 629; Brinker, EWS 1995, 255; Gröning, WuW 1995, 985; Prieß, EuZW 1995, 793; Steindorff, EWS 1995, 393.. Die EG-Kommission hält dieses Vorgehen für eine fehlerhafte Umsetzung der Richtlinien und hat deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet4Vgl. das Beanstandungsschreiben der Kommission vom 31. 10. 1995, ZIP 1995, 1940 ff.. Es schließt sich an zwei andere Vertragsverletzungsverfahren auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens an, in denen die Bundesrepublik Deutschland jeweils wegen der nicht fristgerechten Umsetzung der Richtlinien 88/295/EWG und 89/440/EWG für öffentliche Bau- und Lieferaufträge5EuGH Slg. 1995, I-2203 = EuZW 1995, 635 m. Anm. Dreher = EWS 1995, 343. sowie der Richtlinie 92/50/EWG für öffentliche Dienstleistungsaufträge6EuGH Urt. vom 2. 5. 1996, Rs. C-253/95. Zur Rechtsprechung des EuGH im Bereich des Vergaberechts vgl. im übrigen ausf. Dreher, Das öffentliche Auftragswesen in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes 1993-1995, VergabeRecht 1997, 43 ff. verurteilt wurde. Zur Begründung des jetzigen Vertragsverletzungsverfahrens beruft sich die Kommission unter anderem auf Art. 2 Abs. 8 Überwachungsrichtlinie bzw. Art. 2 Abs. 9 Sektorenüberwachungsrichtlinie. Danach haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, daß Vergaberechtsverstöße »zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer Instanz, die ein Gericht im Sinne des Art. 177 des Vertrages ist, gemacht werden können«7Vgl. speziell dazu EG-Kommission (Fn. 4), 1941 ff.. Die Frage, ob Vergabeüberwachungsausschüsse Gerichte im Sinne des Art. 177 EGV sind, stellt sich neuerdings jedoch nicht nur im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens wegen der fehlerhaften Umsetzung der Vergaberichtlinien, sondern auch direkt in einem Vorlageverfahren vor dem EuGH. Der Vergabeüberwachungsausschuß des Bundes hat mit einem Beschluß dem EuGH nämlich erstmals eine Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt8VÜA Bund, Beschluß vom 5. 2. 1996 - 1 VÜ 8/95 »Regierungsneubau« = EuGH Rs. C-54/96, ABlEG Nr. C 108 v. 13. 4. 1996, S. 6. In zwei früheren Entscheidungen hatte der VÜA Bund eine Vorlage sachlich nicht für erforderlich gehalten, vgl. Beschluß vom 20. 11. 1995 - 1 VÜ 3/95, S. 3..Im Ergebnis ist daher zunächst zu fragen, welche Elemente der europarechtliche Gerichtsbegriff im Sinne vonArt. 177 EGV enthält (unten II.), bevor die deutschen Vergabeüberwachungsausschüsse an diesen Anforderungen gemessen werden (unten III.). Im Anschluß daran ist noch zu prüfen, ob Heilungs- oder Korrekturmöglichkeiten für die geltende Lösung bei einem Verstoß gegen das Europarecht bestehen (unten IV.) und ob der EuGH eine Vorlagefrage der Vergabeüberwachungsausschüsse trotz eines laufenden Vertragsverletzungsverfahrens gegen die Schaffung dieser Instanzen akzeptieren könnte (unten V.).II. Der europarechtliche Gerichtsbegriff1. Das europarechtliche Begriffsverständnis als AuslegungsmaßstabGemäß § 3 Abs. 2 NpV9Verordnung über das Nachprüfungsverfahren für öffentliche Aufträge, BGBl. 1994, I-324. ist der Vergabeüberwachungsausschuß (VÜA) »verpflichtet, nach Maßgabe des Artikels 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft den Europäischen Gerichtshof anzurufen, wenn er die Entscheidung einer Frage über die Auslegung dieses Vertrages oder über die Gültigkeit und Auslegung eines auf seiner Grundlage ergangenen Rechtsakts für den Erlaß seiner Entscheidung für erforderlich hält«. Warum die Vergabeüberwachungsausschüsse als lediglich »gerichtsähnliche Instanzen« dennoch zur Vorlage nach Art. 177 EGV verpflichtet sein sollen, erläutern die Materialien nicht10Nach der Begründung zur NpV (Fn. 9), S. 5, soll § 3 NpV »das Verfahren des Vergabeüberwachungsausschusses regeln«. Die Begründung zum RegE des 2. HGrG (Fn. 1), S. 25 enthält nur den Satz: »Europarechtliche Zweifelsfragen legen sie (scil.: die VÜA) dem EuGH vor.«. Die Notwendigkeit zu dieser Vorgehensweise folgte jedoch daraus, daß einerseits erklärtes Ziel im deutschen Gesetzgebungsverfahren war, »individuelle, einklagbare Rechtsansprüche der Bieter nicht entstehen zu lassen«11Begründung zum RegE (Fn. 1), S. 21., um die Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen oder zu den Verwaltungsgerichten zu verbauen, und andererseits der Gesetzgeber der bereits angeführten Forderung der EG-Überwachungsrichtlinien nachzukommen hatte, die Nachprüfungsinstanz müsse ein »Gericht im Sinne des Artikels 177 EGV« sein. Nur daraus erklärt sich auch, daß die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP im deutschen Bundestag - in völliger Verkennung des Europarechts - anfänglich als Überwachungsinstanz gemeinsam sogar einen bloßen »Beauftragten für das Vergabewesen als unabhängige Instanz« gefordert hatten, »der die Vorlagebefugnis nach Art. 177 EG-Vertrag hat«12BT-Drucks. 12/770, S. 2, wo ebenso bezeichnend wie fehlerhaft »Art. 77« als maßgebliche Rechtsgrundlage für die Vorlagebefugnis angeführt ist.. Inzwischen hat der EuGH im ersten Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland13EuGH (Fn. 5), Rn. 18. sogar entschieden, daß die Richtlinien zum Öffentlichen Auftragswesen, soweit sie Ansprüche des einzelnen begründen sollen, für die mitgliedstaatliche Umsetzung bedeuten, daß die Betroffenen ihre Rechte »vor den nationalen Gerichten geltend machen« können. Der auch die vorliegende Frage betreffende Streit um die notwendige Einräumung subjektiver Rechte und damit die - im Rahmen der Umsetzung in Deutschland - notwendige Einschaltung der Gerichte anstelle der »gerichtsähnlichen Einrichtungen« ist damit zugleich vorentschieden14Vgl. Dreher (Fn. 3)..Im Ergebnis hat der deutsche Gesetzgeber die Vergabeüberwachungsausschüsse zwar als »gerichtsähnliche Einrichtungen« bezeichnet und für sie eine Vorlageverpflichtung nach Art. 177 EGV postuliert. Damit ist jedoch noch nichts darüber gesagt, ob es sich bei den VÜA tatsächlich um Gerichte im Sinne von Art. 177 EGV handelt. Diese Frage ist nämlich eine Frage der Auslegung des Europarechts15Vgl. nur EuGH Slg. 1993, I-1300, 1304 Corbiau, wonach »darauf hinzuweisen ist, daß der Begriff 'Gericht' ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff ist«. Unverständlich ist es daher, wenn das KG EuZW 1996, 30 = WuW/E OLG 5462 = NVwZ 1996, 415 = EWS 1995, 427 im Saalebrükken-Fall dem einerseits zustimmt, andererseits aber zur Begründung der Gerichtsqualität der VÜA auch auf die Vorlageverpflichtung nach § 3 Abs. 2 NpV verweist.. Darüber kann der Gesetzgeber eines Mitgliedstaats ebensowenig befinden wie einzelstaatliche Gerichte. Rechtsbegriffe des Gemeinschaftsrechts sind vielmehr autonome Begriffe, die spezifisch gemeinschaftsrechtlich auszulegen sind16Ständige Rechtsprechung des EuGH, so z. B. schon EuGH Slg. 1964, 383, 396 f. Unger; EuGH Slg. 1972, 23, 35 Hagen. Zur Zurückweisung abweichender Ansichten gerade im Hinblick auf die Auslegung des Gerichtsbegriffs im Sinne von Art. 177 EGV vgl. auch Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz in der Europäischen Union, 1994, Rn. 356 ff.. Zur verbindlichen Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen Begriffe ist allein der EuGH berufen. Dies bedeutet, daß die Auslegung des Begriffs »Gericht« in Art. 177 EGV losgelöst von dem einzelstaatlichen Verständnis des Begriffs zu erfolgen hat17Für die stärkere Berücksichtigung der einzelstaatlichen Begriffsverständnisse im Ausgangspunkt dagegen zuletzt Maasch, Der EuGH und das Chaos, in: FS Raisch, 1995, S. 417, 421..Unerheblich ist infolgedessen auch die Bezeichnung der VÜA als »gerichtsähnliche« Instanzen durch den deutschen Gesetzgeber. Trotz der Formulierungen »Gericht eines Mitgliedstaates« und »einzelstaatliches Gericht« in Art. 177 EGV ist selbst die formelle Qualifizierung einer Instanz als Gericht im Rahmen der Umsetzungsgesetzgebung unbeachtlich18Vgl. dazu z. B. EuGH Slg. 1981, 2311, 2327 Rn. 11 Broekmeulen/Registratie Commissie.. Maßgebend ist allein eine materielle Qualifizierung, also die Erfüllung der vom EuGH an Gerichte im Sinne von Art. 177 EGV gestellten Anforderungen. Um festzustellen, ob die VÜA tatsächlich Gerichte in diesem Sinne sein können, ist demnach zu prüfen, welche inhaltlichen Voraussetzungen der EuGH dafür aufgestellt hat.2. Der materielle Gerichtsbegriff im Sinne von Art. 177 EGVa) VoraussetzungenDer EuGH hat sich in zahlreichen Entscheidungen mit dem Begriff des Gerichts in Art. 177 EGV beschäftigt und dafür materielle Kriterien entwickelt. Zunächst bedarf ein Gericht in diesem Sinne einer gesetzlichen Grundlage für seine Entscheidungszuständigkeit in einem Rechtsstreit19Vgl. EuGH Slg. 1966, 583, 602 Vaassen-Göbbels/Beambtenfonds; EuGH Slg. 1980, 1975, 1977 Borker; EuGH Slg. 1987, 2545, 2567 Pretore di Salò/X; EuGH Slg. 1988, 2041, 2074 Fratelli Pardini/Ministero del Commercio; EuGH Slg. 1994, I-1477, 1515 = EuZW 1994, 408, 409 = EWS 1994, 238 Gemeinde Almelo/IJM.. Allerdings hat der EuGH auch eine Vorlagefrage von der Instanz einer Berufsorganisation akzeptiert, die »nach dem Recht eines Mitgliedstaats mit der Durchführung« von Vorschriften betraut ist und die »mit Zustimmung und unter Mitwirkung der Behörden (...) faktisch endgültig« entscheidet, da es »in der Praxis keinen effektiven Rechtsbehelf zu den ordentlichen Gerichten« gab20EuGH Slg. 1981, 2311, 2328 Broekmeulen/Registratie Commissie.. Die Grenzeder Einstufung außerstaatlicher Entscheidungsinstanzen als Gerichte im Sinne von Art. 177 EGV sieht der EuGH jedoch als erreicht an, wenn die öffentliche Gewalt des Mitgliedstaats in die Entscheidung, ob der Weg zu den allgemeinen Gerichten oder zu einer anderen Instanz - in concreto einem Schiedsgericht - gewählt wird, »nicht einbezogen« ist und sie auch »nicht von Amts wegen in den Ablauf des Verfahrens vor dem Schiedsrichter eingreifen kann«21EuGH Slg. 1982, 1095, 1110 = NJW 1982, 1207 Nordsee; ebenso, wenn auch im konkreten Fall mit gegenteiligem Ergebnis EuGH Slg. 1989, 3199, 3224 Handels-og Kontorfunktionærernes Forbund/Danfoss; vgl. weiter zur Diskussion um die Vorlageberechtigung von Schiedsgerichten z. B. Hepting, EuR 1982, 315; Bebr, 22 CMLRev (1985), 489; Dauses, Gutachten D zum 60. Deutschen Juristentag 1994, D 121; ders., Das Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 177 EG-Vertrag, 2. Aufl., 1995, S. 86 ff.; Gündisch, Rechtsschutz in der Europäischen Gemeinschaft, 1994, S. 101; Funck-Brentano, EuZW 1995, 65.. Bloße Stellungnahmen einer staatlichen Stelle innerhalb eines Verfahrens reichen daher ebenfalls nicht aus und liegen als Zuständigkeit innerhalb eines Verwaltungsverfahrens außerhalb der gerichtlichen Streitentscheidung22EuGH Slg. 1986, 955, 957 Greis Unterweger; zum Ausschluß von Verwaltungsinstanzen vom Vorlageverfahren vgl. auch EuGH, Urt. vom 14. 12. 1995 Rs. C-312/93 Peterbroeck/Belgien..Sodann muß das Gericht eine »ständige Einrichtung«, also nicht nur eine vorübergehend tätige Instanz sein23Vgl. z. B. EuGH Slg. 1966, 583, 602; EuGH Slg. 1994, I-1477, 1515 = EuZW 1994, 408, 409 = EWS 1994, 238.. Weiter ist notwendig, daß die Gerichtsbarkeit eine obligatorische ist. Dies bedeutet, daß die Betroffenen verpflichtet sind, den Rechtsschutz aus rechtlichen oder auch nur tatsächlichen Gründen bei der betreffenden Instanz zu suchen24Vgl. z. B. EuGH Slg. 1966, 583, 602; EuGH Slg. 1981, 2311, 2328; EuGH Slg. 1982, 1095, 1110; EuGH Slg. 1994, I-1477, 1515 = EuZW 1994, 408, 409 = EWS 1994, 238.. Auch hat der EuGH von Anfang an betont, daß ein Gericht im Sinne von Art. 177 EGV in einem streitigen Verfahren tätig werden muß25Vgl. z. B. EuGH Slg. 1966, 583, 602; EuGH Slg. 1981, 2311, 2326; EuGH Slg. 1986, 955, 957; EuGH Slg. 1994, I-1477, 1515 = EuZW 1994, 408, 409 = EWS 1994, 238. Lediglich für das Verfahren der Vorlage selbst, das von dem zugrunde liegenden Rechtsstreit streng zu unterscheiden ist, hat der EuGH auf das Erfordernis des streitigen Verfahrens ausdrücklich verzichtet, vgl. EuGH Slg. 1994, I-1812, 1818 Corsica Ferries m. z. Nw. aus der EuGH-Rechtsprechung.. Eine Instanz, die im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit tätig ist, hält der EuGH daher nicht für vorlageberechtigt26EuGH Slg. 1995, I-3361, 3387 Job Centre Coop = EuZW 1996, 47 m. Anm. Abele = EWS 1996, 35.. Erforderlich ist weiter, daß das Gericht Rechtsnormen anwendet27Vgl. z. B. EuGH Slg. 1966, 583, 602; EuGH Slg. 1982, 1095, 1110; EuGH Slg. 1987, 2545, 2567; EuGH Slg. 1988, 2041, 2074; EuGH Slg. 1994, I-1477, 1515 = EuZW 1994, 408, 409.. Die Befugnis zu reinen Billigkeitsentscheidungen genügt daher für die Anerkennung als Gericht nicht. Dies gilt allerdings nicht für die Überprüfung von schiedsgerichtlichen Entscheidungen durch die ordentlichen Gerichte28EuGH Slg. 1994, I-1477, 1515 = EuZW 1994, 408, 409 = EWS 1994, 238.. Schließlich ist es nach dem EuGH auch noch zwingend, daß Gerichte im Sinne von Art. 177 EGV unabhängig sind29Vgl. z. B. EuGH Slg. 1987, 2545, 2567; EuGH Slg. 1988, 2041, 2074..b) FolgerungenDie kasuistische Rechtsprechung des EuGH läßt sich in einigen abstrakten Aussagen zusammenfassen. Danach fordert der EuGH in ständiger Rechtsprechung, daß die betreffende Instanz »Entscheidungen mit Rechtsprechungscharakter« erläßt. Instanzen, die Teil eines Verwaltungsverfahrens sind, hat der EuGH die Anerkennung als Gericht daher regelmäßig versagt30Vgl. dazu auch den Schlußantrag von GA Mayras im Fall EuGH Slg. 1966, 1299, 1320 NV Nederlandse Spoorwegen/Minister van Verkeer.. Dagegen ist die Tatsache, daß es sich um Instanzen handelt, die lediglich für spezielle Rechtsfragen zuständig und daher kein Teil der allgemeinen Gerichtsorganisation sind, kein Hindernis für die Qualifizierung als Gericht. Unschädlich ist auch die Bestellung der »Richter« auf Zeit31So z. B. EuGH Slg. 1981, 2311, 2326: auf jeweils 5 Jahre ernannter »Streitsachenausschuß«.. Nicht zwingend ist, daß es sich bei der Instanz um eine staatliche Instanz handelt. Jedoch muß zwischen dem betreffenden Entscheidungsverfahren und dem allgemeinen Rechtsschutzsystem in dem betroffenen Mitgliedstaat auf jeden Fall eine »hinreichend enge Beziehung« bestehen32EuGH Slg. 1982, 1095, 1110.. Für sehr wesentlich hält der EuGH dagegen das Erfordernis der »Schlichtung eines Rechtsstreits nach einem kontradiktorischen Verfahren«, da er hiernach unter anderem die Abgrenzung zu Entscheidungen mit Verwaltungscharakter vornimmt33EuGH (Fn. 26) für Entscheidungen im Rahmen der freiwilligen Gerichtsbarkeit.. Handelt es sich dagegen von vornherein um Entscheidungen im Rahmen von Verwaltungsverfahren, kann auch ein kontradiktorisches Verfahren nicht zur Vorlageberechtigung führen34EuGH Slg. 1993, I-1300, 1304 Corbiau..Insgesamt kann die Rechtsprechung des EuGH bei der Bestimmung des Gerichtsbegriffs im Sinne von Art. 177 EGV daher durchaus als großzügig beurteilt werden. Der EuGH hat hierbei - allerdings unter bestimmten Kautelen35Siehe oben II. 2. a) bei Fn. 20. - sogar ausdrücklich den Gedanken des effet utile bemüht, um ein Gremium einer Berufsorganisation als Gericht einzustufen36EuGH Slg. 1981, 2311, 2328.. Zwar hatte er es im Einzelfall zugelassen, daß nicht alle Kriterien, die den Entscheidungen einer Instanz Rechtsprechungscharakter geben, kumulativ vorlagen37EuGH Slg. 1987, 2545, 2567.. Demgegenüber hat der EuGH in neuerer Zeit betont, daß bereits die Leitentscheidung des EuGH aus dem Jahre 196638EuGH (Fn. 19). »den Begriff des Gerichts im Sinne von Art. 177 EGV definiert und eine Reihe von Kriterien genannt hat, die ein solches Organ erfüllen muß, wie z. B. gesetzliche Grundlage, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren und Anwendung von Rechtsnormen«. Zugleich fügt der EuGH noch an, daß jedes Rechtsprechungsorgan auch dem Erfordernis der Unabhängigkeit entsprechen muß39EuGH Slg. 1994, I-1477, 1515 = EuZW 1994, 408, 409 = EWS 1994, 238, Hervorhebung vom Verfasser..III. Vergabeüberwachungsausschüsse als »gerichtsähnliche Einrichtungen« und der europarechtliche Gerichtsbegriff1. Das Vorliegen materieller QualifikationsanforderungenNachdem der deutsche Gesetzgeber die VÜA als »gerichtsähnliche Einrichtungen« bezeichnet und daher nach seinen Vorstellungen im Grenzbereich zwischen Verwaltung und Rechtsprechung angesiedelt hat, stellt sich im fol-genden die Frage, ob die VÜA die vom EuGH entwickelten Anforderungen an den Gerichtsbegriff im Sinne von Art. 177 EGV erfüllen. Für einige der genannten Kriterien läßt sich dies ohne weiteres feststellen. So sind die VÜA ständige Einrichtungen und nicht nur vorübergehend tätig. Durch § 57 c Abs. 7 Satz 1 HGrG hat beispielsweise der Bund »den VÜA des Bundes errichtet«, ohne seine Tätigkeit zeitlich zu begrenzen40Auch die folgenden Ausführungen beschränken sich aufgrund der Leitbildfunktion des VÜA des Bundes im wesentlichen auf diese Einrichtung.. Die gegenteilige Ansicht der EG-Kommission41EG-Kommission (Fn. 4), 1943 bei 1.5.4. hierzu vermag nicht zu überzeugen. Zwar sind Mitglieder der VÜA teilweise nicht unabhängig im Sinne von unabsetzbar42Siehe dazu unten III. 2. c)., jedoch betrifft die unter Umständen fehlende Dauerhaftigkeit der Tätigkeit nur die jeweiligen Entscheider, nicht die Institution VÜA als solche. Auch ist die Zuständigkeit der VÜA insoweit obligatorisch, als es um die Rüge von Vergaberechtsverstößen geht und diese von den interessierten Beteiligten auch vor dem VÜA gerügt werden könnnte. Allerdings geht es - worauf noch zurückzukommen ist - vorwiegend nicht um Ansprüche der Bieter bzw. Interessenten an einem Auftrag und damit nicht um Rechtsschutz im eigentlichen Sinne. Der mögliche Rechtsschutz einzelner Beteiligter an Vergabeverfahren vor den ordentlichen und Verwaltungsgerichten ist daher in diesem Zusammenhang grundsätzlich unbeachtlich. Gleichwohl ist jedoch schon hier darauf hinzuweisen, daß für einzelne Betroffene auch im Vergaberecht der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten offensteht43Siehe unten III. 2. a)., Schadensersatz- sowie Unterlassungsklagen vor den ordentlichen Gerichten ohne weiteres in Betracht kommen und sich daher, selbst wenn man das Verfahren vor dem VÜA als ein Individualrechtsschutzverfahren ansähe, die Frage der obligatorischen Zuständigkeit stellt44Siehe unten III. 2. a).. In diesem Zusammenhang wird weiter noch darauf einzugehen sein, daß die obligatorische »Gerichtsbarkeit« der VÜA mit einer fehlenden Rechtsschutzgewährung über vorläufigen Rechtsschutz verbunden ist45Siehe unten III. 2. a)..Erfüllt ist auch die Anforderung des EuGH an den Gerichtsbegriff im Sinne von Art. 177 EGV, daß es um die Anwendung von Rechtsnormen geht. Nach § 57 c Abs. 5 Satz 1 HGrG überprüft der VÜA die »Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Vergabeprüfstelle«. Aber auch hier treten Probleme in Form des völligen Ausschlusses jeder Tatsachenprüfung durch die VÜA als erste und letzte gerichtsähnliche Instanz und in Form der fehlenden Bindungen an eine Verfahrensordnung auf, die sich jedoch sachlich besser anderen Kriterien des Gerichtsbegriffs zuordnen lassen46Siehe unten III. 2. und IV. 2..Im übrigen hat sich bei der Analyse der Rechtsprechung des EuGH gezeigt, daß - wie vorliegend jeweils der Fall - eine enge Zuständigkeit der Instanz für die Entscheidung spezieller Rechtsfragen, eine fehlende Eingliederung in die allgemeine Gerichtsorganisation und eine Berufung der Entscheider auf Zeit47Dies gilt nach § 57 c Abs. 2 Satz 7 HGrG jedoch nur für die ehrenamtlichen Beisitzer, deren Amtszeit 5 Jahre beträgt. Zu den beamteten Entscheidern siehe unten III. 2. c). für sich genommen grundsätzlich keine Hindernisse für die materielle Qualifizierung einer Instanz als Gericht im Sinne von Art. 177 EGV sind.2. Das Fehlen materieller Qualifikationsanforderungena) »Verwaltungsorientierte Überprüfung« statt Entscheidung eines RechtsstreitsDer deutsche Gesetzgeber verfolgt ausdrücklich das Ziel, für die Geltendmachung von Vergaberechtsverstößen lediglich ein System der »verwaltungsorientierten Überprüfung«48Begr. zum RegE 2. HGrG (Fn. 1), S. 2. zu schaffen, um den Zugang der Betroffenen zu den Gerichten zu verhindern. Hierfür wurden außer den rein verwaltungsinternen Vergabeprüfstellen als weitere Instanzen die VÜA geschaffen, die also auch nur Teil der verwaltungsorientierten Überprüfung sind. Der Unterschied ihrer Aufgabe zu einer Tätigkeit mit Rechtsprechungscharakter zeigt sich deutlich in zahlreichen Vorgaben des Gesetzgebers: dies gilt zunächst für das sogleich noch ausführlich zu erörternde Fehlen eines kontradiktorischen Verfahrens49Siehe unten III. 2. b)., sodann aber auch für das Fehlen jeder Tatsachenprüfung.§ 57 c Abs. 5 Satz 2 HGrG ordnet für die VÜA an: »eine Überprüfung der Tatsachen, die der Entscheidung der Vergabeprüfstelle zugrunde liegen, findet nicht statt.« Während solche Beschränkungen in den höheren Instanzen eines Rechtszuges durchaus üblich sind, liegt die Besonderheit hier darin, daß die VÜA die erste und zugleich die letzte Instanz des gerichtsähnlichen vergaberechtlichen Überprüfungsverfahrens bilden sollen. Eine Überprüfung der Tatsachenfragen findet hier also vor »Gericht« überhaupt nicht statt. Dies führt nicht nur zu einem Verstoß gegen europäische und nationale Grundrechtsgewährleistungen - unter anderem in Form der Verweigerung des Grundrechts auf rechtliches Gehör50Vgl. dazu schon Dreher, ZIP 1995, 1869, 1878 Fn. 126 sowie zum deutschen Verfassungsrecht BVerfGE 85, 337, 345: »Der Justizgewährungsanspruch umfaßt das Recht auf Zugang zu den Gerichten und eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes sowie eine verbindliche Entscheidung durch den Richter.« Zur europarechtlichen Seite vgl. z. B. EuGH Slg. 1985, 1951, 1966 Rn. 16 ff., wo der EuGH für ein kontradiktorisches Verfahren eine Tatsachenprüfung als Teil der Gewährung rechtlichen Gehörs fordert, vgl. dazu auch unten IV. 2. -, sondern europarechtlich zusätzlich auch zu der - zu verneinenden - Frage, ob eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter in diesem Fall überhaupt noch denkbar ist. Immerhin geht es darum, das einzig tätige Entscheidungsgremium als Gericht im Sinne von Art. 177 EGV zu qualifizieren, das für die gesamte Tatsachenfeststellung an die Vorgaben der Verwaltung gebunden ist51Die Übernahme der revisionsrichterlichen Praxis des BGH zur Tatsachenfeststellung untergerichtlicher Instanzen kann daher hier keinen Ausgleich schaffen; vgl. zu dieser Praxis der VÜA den Vorsitzenden des VÜA des Bundes Stockmann, WuW 1995, 572, 577 und Dreher (Fn. 50), 1872..Im vorliegenden Fall kommt sogar noch hinzu, daß der VÜA des Bundes durch seine Entscheidungspraxis eine zum Teil nur beschränkte Sachverhaltsaufklärung durch die Vergabeprüfstellen zugelassen hat. Zwar fordert der VÜA von den Vergabeprüfstellen eine »hinreichende Aufklärung« des Sachverhalts52VÜA Bund, Beschluß vom 8. 9. 1994 - 1 VÜ 6/94, S. 3 f.. Zugleich geht der VÜA jedoch davon aus, trotz eindeutiger technischer Beanstandungen des Vergabeverfahrens und damit notwendiger Sachverhaltsaufklärung durch die Vergabeprüfstelle zurKlärung von Vergaberechtsverstößen bestehe eine Pflicht zur Gutachterbestellung für die Vergabeprüfstelle »nur dann noch, wenn sie vor dem Zuschlag das Vergabeverfahren einstweilen ausgesetzt hat«53VÜA Bund, Beschluß vom 21. 11. 1994 - 1 VÜ 8/94, S. 7.. In den meisten Fällen findet eine solche Aussetzung nicht statt. Daher geht es vor dem VÜA rechtlich - zu Lasten des möglichen Rechtsschutzes für die betroffenen Bieter oder Interessenten an einem Auftrag - sehr oft nur noch um die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Vergabeentscheidung. Das unausgesprochene, aber offensichtliche Ziel der Gutachter-»Rechtsprechung« des VÜA liegt daher darin, für diese Fälle keinen finanziellen Aufwand durch eine vollständige Sachverhaltsaufklärung zu schaffen. Im Ergebnis führt dies jedoch dazu, daß nicht nur das einzige, vom Gesetzgeber bei der Vergabeprüfung für unabhängig erklärte Entscheidungsgremium hinsichtlich der Tatsachenfeststellung nach § 57 c Abs. 5 HGrG der rein verwaltungsinternen Vergabeprüfstelle ausgeliefert ist, sondern diese noch nicht einmal in jedem Fall zu einer vollständigen Sachverhaltsaufklärung gezwungen ist. Eine Basis für Entscheidungen mit Rechtsprechungscharakter fehlt also auch insoweit.An einer Tätigkeit mit Rechtsprechungscharakter fehlt es weiter auch deshalb, weil die VÜA nach § 3 Abs. 4 NpV zu vorläufigem Rechtsschutz ausdrücklich nicht befugt sind54§ 3 Abs. 4 NpV widerspricht daher auch dem seit 1. 1.1996 geltenden Government Procurement Act, der in Art. 20 Abs. 7 (a) ausdrücklich die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Überprüfungsinstanz fordert.. Bieter, die bei einem VÜA ein Überprüfungsverfahren beantragen, müssen daher - und haben es in der bisherigen Praxis auch schon so erfahren55Vgl. z. B. die Verfahren VÜA Bund, Beschluß vom 23. 8. 1994 - 1 VÜ 3/94, S. 4 und Beschluß vom 14. 7. 1995 - 1 VÜ 4/95, S. 9. - erfolglos zusehen, wie während des laufenden Überprüfungsverfahrens vor dem VÜA von der Vergabestelle der Zuschlag aufgrund einer unter Umständen eindeutig rechtswidrigen Vergabeentscheidung erteilt und das verfolgte Begehren somit genau vor den Augen der insoweit machtlosen »Richter« vereitelt wird56Vgl. ausführlich Dreher (Fn. 50), 1873..Die Einordnung einer Instanz als »Gericht«, die nicht in der Lage ist, den erstrebten Rechtsschutz in dem vorgegebenen begrenzten Überprüfungsverfahren zu gewähren und damit auch in der Sache selbst zu entscheiden, ist jedoch nur schwer vorstellbar. Das gilt für das Vergaberecht sogar in besonderer Weise, weil hier die Entscheidung in der Praxis aufgrund der Eilbedürftigkeit der Vergabeverfahren regelmäßig über vorläufigen Rechtsschutz erfolgt57Vgl. dazu Dreher, NVwZ 1996, 345, 346.. Wollte man die VÜA als Gerichte im Sinne des Art. 177 EGV ansehen, so würde das grundsätzliche Verbot der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in § 3 Abs. 2 NpV ohnehin gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen. Der EuGH hat nämlich bereits im Jahre 1990 entschieden: »Die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts würde auch dann abgeschwächt, wenn ein mit einem nach Gemeinschaftsrecht zu beurteilenden Rechtsstreit befaßtes Gericht durch eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen.«58EuGH Slg. 1990, I-2433, 2474 = EuZW 1990, 578, 579 The Queen/Secretary of State of Transport (Factortame I). Nach dem EuGH darf daher auch nicht die praktische Wirksamkeit des durch Art. 177 EGV geschaffenen Systems dadurch geschmälert werden, daß »ein nationales Gericht, das das Verfahren bis zur Beantwortung seiner Vorlagefrage durch den Gerichtshof aussetzt, nicht solange einstweiligen Rechtsschutz gewähren könnte, bis es auf der Grundlage der Antwort des Gerichtshofes seine eigene Entscheidung erläßt«59Ebenda..Weiter entscheiden die VÜA - wie bereits dargelegt - zwar Rechtsfragen und wenden dabei, wie vom EuGH gefordert, auch Rechtsnormen an. Weitestgehend rechtlich ungebunden sind die VÜA dagegen im Bereich des Verfahrensrechts. Mangels gesetzgeberischer Vorgaben entscheiden die VÜA auf der Grundlage selbst gegebener, nicht amtlich veröffentlichter und zudem unterschiedlicher Geschäftsordnungen sowie extensiver Rechtsanalogien zu den unterschiedlichsten Verfahrensordnungen60Vgl. ausführlich Dreher (Fn. 50), 1871 ff. - eine für Instanzen, die Entscheidungen mit Rechtsprechungscharakter fällen wollen, mehr als überraschende Vorgehensweise.Äußerst ungewöhnlich wäre es auch, Entscheidungen einer Instanz, die unter Umständen vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten angefochten werden können und daher den Charakter von Verwaltungsakten haben müssen, als gerichtliche Entscheidungen eines Rechtsstreits anzusehen. Dies gilt zumindest für die Fälle, in denen Vergabestellen, die grundsätzlich schon die Entscheidung der Vergabeprüfstellen vor den Verwaltungsgerichten anfechten können61Bundesregierung, Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrats zum RegE 2. HGrG, BT-Drucks. 12/4636, S. 21. Der VÜA des Bundes hat daher vor kurzem in der Sache 1 VÜ 4/96, Beschluß vom 15. 2. 1996, entschieden, daß sich die Vergabestellen gegen Entscheidungen der Vergabeprüfstellen nicht an den VÜA wenden können., erst durch die Entscheidung eines VÜA beschwert sind. Gegen die bloße Anfechtbarkeit der erneuten Entscheidung der Vergabeprüfstelle im Falle der Zurückverweisung durch den VÜA spricht schon die sich dann für denselben Streitgegenstand möglicherweise ergebende Entscheidungsdivergenz von VÜA und Verwaltungsgericht62Gleichermaßen ungeklärt ist bisher die Entscheidungsdivergenz im Falle der Anrufung des VÜA durch einen Bieter und des Verwaltungsgerichts durch eine Vergabestelle nach der Entscheidung der Vergabeprüfstelle; vgl. zum Ganzen schon Dreher (Fn. 50), 1873.. Um eine obligatorische Zuständigkeit der VÜA handelt es sich auch deshalb nicht, weil Vergabeverstöße - wie das KG im GE/VEAG-63KG EuZW 1995, 645. und im Saalebrükken-Fall64S. o. Fn. 15. festgestellt hat - zumindest in Fällen sogenannter gemischter Vergaberechtsfälle65So auch der Richter am KG Gröning, WuW 1995, 985, 988 ff., 996 ff.; weitergehend aufgrund der neuen Schutzgesetzeigenschaft der Verdingungsordnungen Dreher, ZIP 1995, 1869, 1874 ff. zu Unterlassungs- und Schadensersatzklagen auch vor den ordentlichen Gerichten führen können.Bemerkenswert ist im vorliegenden Zusammenhang ebenfalls, daß eine selbständige Vollstreckung der Entscheidungen der Vergabeüberwachungsausschüsse nicht vorgesehen ist. Endentscheidungen in Rechtsstreitigkeiten mit Rechtsprechungscharakter sind dagegen stets vollstreckbar. Die Möglichkeiten der VÜA, bei Feststellung der Rechtswidrigkeit der Entscheidung der Vergabeprüfstellen diese nach § 57 c Abs. 5 Satz 3 HGrG anzuweisen,unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des VÜA erneut zu entscheiden, steht dem nicht entgegen. Zum einen ist ein Anweisungsrecht von dem darüber hinausgehenden Vollstreckungsrecht gerade zu unterscheiden, und zum anderen betrifft das Anweisungsrecht nur die Vergabeprüfstellen und nicht die Vergabestellen selbst. Obsiegende Beschwerdeführer stehen hier daher vor dem Problem, eine Endentscheidung in Händen zu halten, die eine gerichtliche sein soll, ohne ein vollstreckbarer Titel zu sein.Fehlt es schon an der Vollstreckbarkeit der Entscheidungen der VÜA, so ist sub specie der tatsächlichen Rechtsschutzmöglichkeiten nur ergänzend noch zu fragen, ob wenigstens die - hier allerdings unbeachtlichen, weil rein verwaltungsinternen - Vergabeprüfstellen entsprechende Durchsetzungsbefugnisse haben. Aber sogar eine solche aus der Sicht der VÜA »mediatisierte« Durchsetzungsmöglichkeit ist nur sehr begrenzt vorhanden. § 57 b Abs. 4 Satz 3 HGrG gibt den Vergabeprüfstellen das Recht der Ersatzvornahme nämlich nur gegenüber den in § 57 a Abs. 1 Nr. 1-3 HGrG, nicht aber gegenüber den in Nr. 4-8 genannten Auftraggebern.Schließlich zeigt auch die getroffene Kostenregelung deutlich, daß der Gesetzgeber das Verfahren dem Bereich der Verwaltung zugeordnet hat. Statt die Geltung des Gerichtskostengesetzes anzuordnen, hat er für den VÜA des Bundes in § 57 c Abs. 10 HGrG die Geltung des Verwaltungskostengesetzes festgelegt. Dieses Gesetz gilt nach § 1 »für die Kosten öffentlich-rechtlicher Verwaltungstätigkeit der Behörden des Bundes«, aber gerade »nicht für die Kosten der Gerichte«. Die Geltung des Verwaltungskostenrechts führt - nach Erlaß der noch immer ausstehenden konkretisierenden Kosten-RVO i. S. v. § 57 c Abs. 10 S. 3 HGrG - zu dem Paradoxon, daß zwar die Kostenentscheidung des VÜA als Verwaltungsakt nach § 22 VwKostG selbständig angefochten werden kann66Vgl. Dreising, Erläuterungen zum VwKostG, in: Das deutsche Bundesrecht, 1975, S. 38, wonach die selbständige Anfechtbarkeit der Kostenentscheidung von der Verwaltungsaktsqualität der ihr zugrundeliegenden Amtshandlung unabhängig ist., eine Anfechtung der Sachentscheidung im »verwaltungsorientierten Überprüfungsverfahren« dagegen ausgeschlossen sein soll.Insgesamt hat der Gesetzgeber dem Verfahren vor den VÜA also nicht nur die Bezeichnung »verwaltungsorientierte Überprüfung« gegeben. Er hat es vielmehr - wo immer es um konkrete Regelungen geht - auch dieser Bezeichnung entsprechend in einer Weise ausgestaltet, daß es sich deutlich von den gerichtlichen Verfahren der Entscheidung eines Rechtsstreits, der auf der Grundlage subjektiver Rechte angestrengt wird, unterscheidet. Ziel des deutschen Gesetzgebers war es nämlich gerade, »individuelle, einklagbare Rechtsansprüche der Bieter nicht entstehen zu lassen«67Begründung zum RegE 2. HGrG (Fn. 1), S. 21.. Mit einer Zuweisung von Vergaberechtsfällen an die Gerichte wäre dieses Ziel nicht zu erreichen gewesen. Der Gesetzgeber mußte daher in Form der VÜA notwendig neue Instanzen als Nichtgerichte für diese Fälle schaffen. Der VÜA des Bundes zum Beispiel hat zu dieser Zielsetzung in seiner eigenen Entscheidungspraxis völlig zutreffend wie folgt formuliert: »Das Vergabeüberwachungsverfahren nach § 57 c HGrG dient ebenso wie das Vergabeprüfverfahren nach § 57 b HGrG zwar auch den subjektiven Interessen der am Vergabeverfahren beteiligten Unternehmen, die einen Verstoß gegen Vergabevorschriften zu ihren Lasten geltend machen, vor allem aber, wie sich unter anderem aus § 6 HGrG ergibt, dem übergeordneten Allgemeininteresse an einer sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung durch öffentliche oder öffentlicher Aufsicht unterstehende Stellen.«68VÜA Bund, Beschluß vom 12. 4. 1995 - 1 VÜ 1/95, S. 7; ebenso VÜA Bund, Beschluß vom 28. 5. 1996 - 1 VÜ 8/96, S. 3. In einem jüngeren Fall hat der VÜA damit übereinstimmend ausgeführt, »allein das private Interesse eines an der Ausschreibung beteiligten Unternehmens auf Ersatz eines möglicherweise entstandenen Vertrauensschadens rechtfertigt die Überprüfung einer Entscheidung der Vergabestelle nicht, wenn durch eine solche Entscheidung Allgemeininteressen nicht berührt sind«. In diesem Fall, in dem der öffentliche Auftraggeber eine Ausschreibung zweimal aufgehoben und keinen Auftrag erteilt hatte, hat der VÜA zudem ausdrücklich darauf hingewiesen, daß Entscheidungen der Vergabestelle, die das Vergabeverfahren endgültig beenden, ohne daß es zu einer Vergabeentscheidung gekommen wäre, mangels berührten Allgemeininteresses keiner vergaberechtlichen Überprüfung unterliegen69VÜA Bund, Beschluß vom 28. 5. 1996 - 1 VÜ 8/96, S. 3.. Einem Bieter, der konkret vorgetragen hatte, daß er hohe Kosten in die zweifache ergebnislose Bewerbung gesteckt habe und daß die zweifache Aufhebung der Ausschreibung lediglich dazu gedient habe, einem bestimmten Unternehmen den Auftrag ohne Ausschreibung zu verschaffen, wird in einem so angelegten vergaberechtlichen Überprüfungsverfahren jedenfalls keinen gerichtsadäquaten Schutz eigener Rechte mehr erblicken können. Im Ergebnis geht es bei der vergaberechtlichen Überprüfung also lediglich um die Mitberücksichtigung von »Interessen« der Bieter in einem Verwaltungsverfahren zur Wahrung öffentlicher Belange, nicht aber um die Durchsetzung von eigenen Rechten der Bieter in einem gerichtlichen Verfahren. Die Vergabeüberwachungsausschüsse stehen mit ihrer Verwaltungsorientierung daher den nicht vorlageberechtigten Instanzen der Verwaltung so deutlich nahe, daß schon aus diesem Grund eine Qualifizierung als vorlageberechtigte Gerichte nicht in Betracht kommt.b) Amtsverfahren statt kontradiktorisches VerfahrenDiese These wird vollends bestätigt bei Betrachtung eines wesentlichen und zugleich zwingenden Erfordernisses des europarechtlichen Gerichtsbegriffs, nämlich dem Erfordernis eines streitigen oder kontradiktorischen Verfahrens. Das Verfahren vor den VÜA kommt gemäß § 57 c Abs. 6 HGrG auf Antrag in Gang. Allerdings handelt es sich dabei lediglich um die Fortsetzung des Verfahrens vor den Vergabeprüfstellen, das seinerseits von Amts wegen oder auf Beschwerden eingeleitet werden kann. In § 3 NpV ist für das Verfahren vor den VÜA lediglich noch geregelt, daß die Beteiligten vor einer Entscheidung des VÜA »zu hören« sind, die Entscheidung schriftlich ergeht und den Beteiligten unverzüglich zu übersenden ist. Anders als im streitigen Verfahren haben die Bieter oder Interessenten an einem Auftrag auch bei eklatanten Verstößen gegen das Vergaberecht lediglich die Möglichkeit, einen Antrag auf Entscheidung zu stellen und gehört zu werden. Ihre Rolle beschränkt sich daher auf diejenige von Anregern eines im übrigen von Amts wegen erfolgenden Überprüfungsverfahrens, an dessen Ende sie einen Bescheid über den Ausgang in Form der Entscheidung desVÜA erhalten. Mit der Rolle von Beteiligten in einem streitigen Verfahren vor Gerichten, die unter anderem mit selbständigen Antragsrechten - zum Beispiel auf Beweiserhebung, Aussetzung, Richterablehnung - innerhalb des Verfahrens einer auf Tatsachen und Rechtsfragen erstreckten Auseinandersetzung zwischen den Parteien im Rahmen einer zwingenden mündlichen oder wenigstens schriftlichen Verhandlung mit Replizierungsrechten einhergeht, hat dies nichts gemein70Auch insoweit widerspricht das deutsche Verfahren dem am 1. 1. 1996 in Kraft getretenen Government Procurement Act, vgl. die Anforderungen in Art. 20 Abs. 6 GPA..Bei dem Verfahren der VÜA handelt es sich also um ein Amtsverfahren und gerade nicht um ein streitiges Verfahren der Rechtsprechung. Der VÜA des Bundes71VÜA Bund, Beschluß vom 2. 8. 1994 - 1 VÜ 1/94, S. 7; Beschluß vom 21. 11. 1994 - 1 VÜ 8/94, S. 5. hat daher in Entscheidungen mehrfach festgestellt, »daß der Ausschuß nach den für seine Tätigkeit maßgeblichen Verfahrensvorschriften nicht in einem kontradiktorischen Verfahren tätig wird«72Dies ist um so bemerkenswerter, als die Überwachungsrichtlinien, aufgrund deren der VÜA geschaffen wurde, explizit anordnen: »Die unabhängige Instanz erkennt in einem kontradiktorischen Verfahren.«. Konsequent hat der VÜA zu Anträgen von Beteiligten im Überprüfungsverfahren ausgeführt, diese seien »entsprechend seiner ständigen Praxis nur Anregungen für seine Entscheidungsfindungen«73VÜA Bund, Beschluß vom 21. 11. 1994 - 1 VÜ 8/94, S. 5; Hervorhebung vom Verfasser. Daher muß auch der apologetische Versuch von Gröning (Fn. 3), 995, scheitern, in die haushaltsrechtliche Lösung Rechte der Bieter und ein kontradiktorisches Verfahren hineinzuinterpretieren.. Demgemäß hat er zum Beispiel auch entschieden, er habe im Rahmen des verwaltungsorientierten Überprüfungsverfahrens »unabhängig davon zu entscheiden, ob dem Antrag zum Entscheidungszeitpunkt noch ein individuelles Rechtsschutzinteresse des Antragstellers zugrunde liegt«74VÜA Bund, Beschluß vom 12. 4. 1995 - 1 VÜ 1/95, S. 7. Vgl. auch den Fall VÜA Bund, Beschluß vom 28. 5. 1996 - 1 VÜ 8/96, oben bei III. 2. a. a. E.. Stellt einerseits die fragliche Entscheidungsinstanz selbst in ständiger Praxis fest, daß das gesetzlich vorgesehene Verfahren vor ihm kein streitiges Verfahren ist, und fordert andererseits der EuGH für Gerichte im Sinne von Art. 177 EGV zwingend ein solches streitiges Verfahren, so bleibt auch bei einer grundsätzlich weiten Interpretation des Gerichtsbegriffs75Darauf beruft sich z. B. Pietzcker (Fn. 3), 316 für seine Annahme, daß es »nicht ausgeschlossen« sei, daß die VÜA den Anforderungen des Art. 177 EGV entsprechen; Pietzcker meldet dann aber selbst bei Einzelfragen »erhebliche Zweifel« an diesem Ergebnis an. Vgl. zu dieser Ansicht Gröning, WuW 1996, 566 ff. kein Raum für die Qualifikation der Vergabeüberwachungsausschüsse als Gerichte im Sinne dieser Vorschrift.c) Beamtete Entscheider statt unabhängige RichterIm Hinblick auf den so offensichtlichen Widerspruch zwischen den Qualifikationsanforderungen an ein Gericht im Sinne von Art. 177 EGV und der Ausgestaltung der Vergabeüberwachungsausschüsse ist nur noch kurz auf ein weiteres Defizit der VÜA einzugehen, das die notwendige Unabhängigkeit des Entscheidungsgremiums betrifft. Zwar scheint die vom EuGH für ein Gericht geforderte Unabhängigkeit vorliegend nach § 57 c Abs. 2 Satz 3 HGrG grundsätzlich gegeben zu sein, indem dort die Mitglieder der Kammern für »unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen« erklärt werden. In Satz 4 ist jedoch auch festgelegt, daß »der Vorsitzende und einer der Beisitzer Beamte auf Lebenszeit sein müssen«. Für sie ist anders als für die ehrenamtlichen Beisitzer76Siehe dazu oben III. 1. a. E. jedoch keine Mindestzeit bei der Ernennung zum Mitglied des VÜA vorgeschrieben. Sie müssen nach § 57 c Abs. 7 Satz 2 HGrG im »Hauptberuf« Vorsitzende oder Beisitzer von Beschlußabteilungen des Bundeskartellamts sein. Ernannt werden sie - wie auch die ehrenamtlichen Entscheider - nicht wie Richter, sondern vom Präsidenten des BKartA. Dieser kann sie auch jederzeit wieder abberufen, da für sie im Gegensatz zu den ehrenamtlichen Beisitzern keine Mindestzeit festgelegt ist und auch die Voraussetzungen des § 19 Abs. 3 DRiG nicht gelten, in denen als Rücknahmevoraussetzung für die Ernennung eine rechtskräftige richterliche Entscheidung festgelegt ist77Das deutsche Vergaberecht verstößt insoweit in jedem Punkt eindeutig gegen die Überwachungsrichtlinien, die ausdrücklich fordern, daß »bezüglich der für die Ernennung zuständigen Behörde, der Dauer ihrer Amtszeit und ihrer Absetzbarkeit die gleichen Bedingungen wie für Richter gelten«..Die Differenzierung zwischen den Entscheidern ist im HGrG dadurch zumindest kaschiert, daß sich bei § 57 c HGrG Abs. 3 für die beamteten Mitglieder der VÜA und Abs. 4 für die ehrenamtlichen Mitglieder zunächst ausdrücklich und gleichermaßen auf einzelne Absätze und Nummern von § 19 DRiG beziehen, dann aber der nur für die ehrenamtlichen Richter geltende Abs. 4 der Vorschrift als solcher nicht angeführt, sondern im Wege der textlichen sinngemäßen Wiederholung einbezogen ist78Eindeutig gegen die Überwachungsrichtlinien, die für die Mitglieder der Vergabeüberwachungsinstanz »die gleichen Bedingungen wie für Richter« fordern, verstößt auch die Auslassung der §§ 44, 45 DRiG aus den in § 57 c Abs. 4 HGrG für ehrenamtliche Richter in Bezug genommenen Vorschriften des DRiG..Ein Entscheidungsgremium durch das HGrG als unabhängig zu bezeichnen, dessen Vorsitzender und einer von zwei Beisitzern jederzeit durch den Präsidenten einer Bundesoberbehörde79Vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1 GWB. abberufen werden können, ist daher zumindest irreführend. Dies muß aus rechtlicher Sicht unabhängig davon gelten, daß es in der Praxis kaum zu solchen Abberufungen kommen wird. Anders als von der EG-Kommission im laufenden Vertragsverletzungsverfahren gesehen80Vgl. EG-Kommission (Fn. 4), 1942 bei 1.5.1., ist in diesem Zusammenhang auch darauf hinzuweisen, daß die Aufgaben der VÜA sachlich durchaus Zusammenhänge mit den Aufgaben des BKartA kennen. Beide Instanzen sind nämlich auf die Sicherung des Wettbewerbs und der Gleichheit der Marktteilnehmer verpflichtet. Zahlreiche kartellrechtliche Sachverhalte wurzeln daher auch im Vergaberecht, so daß sich gerade das BKartA und die Kartellsenate der Gerichte immer wieder mit Vergabefällen beschäftigen81Vgl. dazu Dreher, in: FS Traub, 1994, S. 63 ff.; ders., EuVR 1995, 258 ff.; ders., NVwZ 1996, 345, 346.. Nicht von ungefähr geht daher auch der VÜA des Bundes in seinen Entscheidungen davon aus, daß das »Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ähnlich wie das Vergaberecht den wirtschaftlichen Wettbewerb schützen soll«, und legt textgleiche vergaberechtliche Vorschriften nach dem Vorbild der kartellrechtlichen Vorschriften aus82Vgl. z. B. VÜA Bund, Beschluß vom 20. 7. 1995 - 1 VÜ 5/95, S. 6, für den Begriff der Beherrschung.. Die jederzeitige Abberufbarkeit von Mitgliedern des VÜA durch den Präsidenten einer Bundesoberbehörde gewinnt insofern gerade durch die aufgabenbezogene Sachnähe eine besondereBedeutung. Unabhängigkeit ist auch insoweit ohne Unabsetzbarkeit nicht denkbar.IV. Die fehlenden Heilungs- und Korrekturmöglichkeiten1. Keine Heilung durch richtlinienkonforme Auslegung des deutschen VergaberechtsSteht als Zwischenergebnis mithin fest, daß die VÜA nach ihrer rechtlichen Konstruktion nicht Gerichte im Sinne von Art. 177 EGV sind, so ist weiter zu fragen, ob es insoweit nicht Heilungsmöglichkeiten gibt. Dies führt zur richtlinienkonformen Auslegung, da es vorwiegend um Umsetzungsrecht geht. Der EuGH hat mehrfach festgestellt, daß solches Recht soweit wie möglich nach dem Wortlaut und Zweck der jeweiligen Richtlinie auszulegen ist83Vgl. z. B. EuGH Slg. 1994, I-3325, 3347 ff. = EuZW 1994, 498 = EWS 1994, 269 Faccini Dori m. w. N.. Fraglich ist also, ob das HGrG und die NpV in einer Weise ausgelegt werden können, daß den VÜA, wie von den Überwachungsrichtlinien gefordert, der Charakter eines Gerichts im Sinne von Art. 177 EGV zukommt.Die zuvor erörterten Defizite der VÜA im Hinblick auf die materiellen Anforderungen an ein solches Gericht lassen eine derartige Auslegung jedoch nicht zu84A. A. Pietzcker (Fn. 3), 314 f., der dann als Folge einer solchen Interpretation allerdings »Verstöße gegen verfassungsrechtliche Anforderungen an den gerichtlichen Rechtsschutz« - a. a. O., 314 - sowie gleichwohl bleibende Verstöße gegen das Europarecht im »Detail« - a. a. O., 318 - sieht.. Schon das europarechtlich zwingend geforderte kontradiktorische Verfahren läßt sich angesichts der insoweit eindeutigen Vorschriften des HGrG und der NpV, die den Beteiligten lediglich die Rolle von »Anregern« geben, nicht im Wege der Normauslegung gewinnen. Gleiches gilt für fast alle anderen genannten Mängel der Ausgestaltung der VÜA sub specie des europarechtlichen Gerichtsbegriffs.2. Keine Korrektur durch systemimmanente GesetzesänderungenWohl im Bewußtsein dieser eindeutigen Rechtslage richten sich die Bemühungen im politischen Raum derzeit vermehrt auf das Ziel, Korrekturen am HGrG selbst vorzunehmen. Gedacht ist also allein an systemimmanente Gesetzeskorrekturen, nicht aber an einen dringend notwendigen gesetzgeberischen Neubeginn über ein eigenes Vergabegesetz und die - für die Bedürfnisse des öffentlichen Auftragswesens - modifizierte Eröffnung des Rechtswegs zu den ordentlichen Gerichten85Vgl. dazu sub specie des Rechtsschutzes mit konkreten Regelungsvorschlägen für den gerichtlichen Rechtsschutz Dreher, NVwZ 1996, 345 ff. und allgemein schon ders., EuVR 2/1993, S. 58, 62, jew. m. w. Nw.. Dies gilt insbesondere für die Thesen des BACDJ, die im gesetzgeberischen Raum gewisse Beachtung gefunden haben86Vgl. die zehn Thesen im Expertenpapier des Bundesarbeitskreises Christlich-Demokratischer Juristen vom 9. 2. 1996 und befürwortend Schäfer, BB-Beilage 12/1996, S. 11 ff.; zu den Thesen vgl. auch Beilage Beschaffung spezial zum Behördenspiegel, Februar 1996, S. B I. Für ein systemimmanentes Vorgehen hat sich mit oft gleichen Ergebnissen wie der BACDJ - nach Abschluß des vorliegenden Beitrags - jetzt auch ausgesprochen eine Expertengruppe des Forum ÖA e. V., Empfehlungen zum Rechtsschutz im öffentlichen Auftragswesen, 1996..Zum Teil sind systemimmanente Verbesserungsvorschläge ohne weiteres im Rahmen der bestehenden, sogenannten haushaltsrechtlichen Lösung des deutschen Vergaberechts zu verwirklichen. Dies gilt etwa für die Schaffung einer Kompetenz des VÜA zur Überprüfung der Aussetzungsentscheidungen der Vergabeprüfstellen und zur Überprüfung der Tatsachen. Soweit eine Tatsachenprüfung allerdings - wie vorgeschlagen - an das Einverständnis aller Verfahrensbeteiligten geknüpft werden soll87Vgl. BACDJ, These 8. b., reicht dies als Korrekturmechanismus nicht aus. Auch wäre es sicher möglich, Einzelheiten der Geschäftsordnung der VÜA gesetzlich zu regeln - zum Beispiel eine zwingende mündliche Verhandlung vor dem VÜA anzuordnen88Mit Ausnahmen für bestimmte Eilentscheidungen. - und einen förmlichen Publikationszwang für die Geschäftsordnungen zu begründen.Mit Blick auf die EG-Richtlinien kann das derzeitige System jedoch z. B. mit dem Ziel der Herstellung »gleicher Bedingungen wie für Richter«89So die Forderungen der Überwachungsrichtlinien »bezüglich der für ihre Ernennung zuständigen Behörde, der Dauer ihrer Amtszeit und ihrer Absetzbarkeit«. in bezug auf die bisherigen beamteten Mitglieder der VÜA nicht europarechtskonform korrigiert werden. Fraglich ist hier zunächst, welcher Richterbegriff maßgeblich ist. Zum Teil wird vorgeschlagen, den Richterbegriff der EG-Vergaberichtlinien auch insoweit europarechtlich und nicht einzelstaatlich zu bestimmen90So z. B. Gutknecht, Anmerkung zu ÖVfGH v. 11. 12. 1995, ÖZW 1996, 28, 30 m. w. Nw. zur entsprechenden Diskussion um das österreichische Bundesvergabeamt.. Auch wenn bestimmte Mindeststandards für den Richterbegriff schon aus Gründen des europarechtlichen Grundrechtsschutzes nicht unterschritten werden dürfen, muß im vorliegenden Zusammenhang jenseits dieser Schwelle der Verweis auf »die gleichen Bedingungen wie für Richter« grundsätzlich als ein Verweis auf das nationale Recht verstanden werden. Dies muß schon deshalb gelten, weil eine Gleichstellung im Hinblick auf die ausdrücklich genannte, »für die Ernennung zuständige Behörde« nach gemeineuropäischen Standards nicht in Betracht kommt. Betrachtet man sodann im vorliegenden Fall die einzelnen Gleichstellungsanforderungen, so ließe sich zwar eine Angleichung der bloßen Zuständigkeiten für die Ernennung der Entscheider ermöglichen, nicht aber eine Angleichung der Dauer ihrer Ernennung. Da die betreffenden Mitglieder der VÜA im Hauptberuf Beamte sind, gelten für sie - wie bisher offensichtlich als Problem noch überhaupt nicht erkannt - die besonderen Vorschriften des Richtergesetzes für Verwendung von Beamten als Richter. Nach § 14 DRiG kann ein Beamter nur zum Richter kraft Auftrags ernannt werden91Von Sonderfällen, z. B. für beamtete Hochschullehrer der Rechtswissenschaft abgesehen, vgl. §§ 4 Abs. 2 Nr. 3, 7, 41 DRiG in Verbindung mit den jeweiligen Beamtengesetzen, nach denen ausnahmsweise die Fortdauer des Beamtenverhältnisses bei der Ernennung zum Richter angeordnet werden kann.. Voraussetzung ist darüber hinaus, daß der Beamte später als Richter auf Lebenszeit verwendet werden soll92Die Schaffung des Richters kraft Auftrags hat nämlich nicht zum Ziel, einen vorübergehenden Bedarf an Richtern zu decken, ohne die hierfür eingestellten Richter später zu Richtern auf Lebenszeit zu ernennen, vgl. Schmidt-Räntsch, Deutsches Richtergesetz - Kommentar, 5. Aufl., 1995, § 14 Rn. 2.. Schon diese Voraussetzung ist bei den beamteten Mitgliedern der VÜA niemals gegeben, da sie gerade dauernd Beamte bleiben und nur vorübergehend als »Teilzeitrichter« Mitglieder der VÜA sein sollen. Weiter ruhen nach § 15 Satz 3 DRiG die Rechte und Pflichten der Richter kraft Auftrags aus dem Beamtenverhältnis bis auf die Besoldung und Versorgung. AuchRichter kraft Auftrags müssen also anders als derzeit die beamteten Mitglieder der VÜA ausschließlich als Berufsrichter im Sinne von § 1 DRiG tätig sein. Schließlich können derartige Richter maximal zwei Jahre ihr Amt als Richter kraft Auftrags ausüben. Danach müssen sie für die Fortsetzung der Richtertätigkeit gemäß § 16 Abs. 1 DRiG zu Berufsrichtern auf Lebenszeit ernannt werden, eine im Rahmen der haushaltsrechtlichen Lösung ebenfalls nicht erfüllbare Voraussetzung. Nach § 29 DRiG i. d. F. ab 1. 3. 1998 dürfen schließlich auch nicht mehr zwei derartige Richter an einer Entscheidung mitwirken, während der VÜA unter Beteiligung von zwei beamteten Beisitzern entscheidet.Problematisch ist außerdem und vor allem die Frage des streitigen Verfahrens. Hier gehen die Vorstellungen dahin, es erscheine »zweckmäßig, für diese Geschäftsordnungen (scil.: der VÜA) in § 57 c HGrG und in der Nachprüfungsverordnung ausdrücklich vorzusehen, daß die Vergabeüberwachungsausschüsse allen Beteiligten ausreichendes rechtliches Gehör gewähren und aufgrund mündlicher Verhandlung, in der die Beteiligten Anträge stellen können, entscheiden. Es sollte ferner vorgesehen werden, daß die Geschäftsordnung öffentlich bekannt gemacht wird. Damit ist dem Erfordernis eines 'kontradiktorischen' Verfahrens entsprochen, dessen Kern in einem ausreichenden rechtlichen Gehör besteht.«93So BACDJ, These 7. Diese Erwägungen beruhen auf grundsätzlichen Fehlvorstellungen über den Begriff des streitigen Verfahrens. Zentral dafür ist nämlich nicht die Gewährung rechtlichen Gehörs. Die Notwendigkeit hierzu folgt schon für jedes gerichtliche Verfahren unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG94Vgl. nur Arens/W. Lüke, Zivilprozeßrecht, 6. Aufl., 1994, Rn. 5. bzw. aus dem entsprechenden Gemeinschaftsgrundrecht95Vgl. dazu z. B. EuGH Slg. 1985, 1951, 1966 de Compte/EP und EuGH Slg. 1989, 2859, 2923 f. = NJW 1989, 3080 Hoechst, wobei der EuGH allerdings von einem weiteren Begriff des rechtlichen Gehörs im Sinne der Gesamtheit der Angriffs- und Verteidigungsrechte ausgeht - vgl. EuGH (Hoechst) a. a. O., Rn. 15 f.; EuGH (de Compte), a. a. O., Rn. 16 ff. und aus der Literatur z. B. Pernice, in: Grabitz/Hilf, Kommentar zur EU, Art. 164 Rn. 83; vgl. weiter grundlegend zu den Gemeinschaftsgrundrechten zuletzt EuGH EuZW 1996, 307 Rn. 33.. Das Erfordernis eines streitigen Verfahrens meint daher etwas anderes als das bloße rechtliche Gehör96Vgl. insoweit auch EuGH (Hoechst/Fn. 95), Rn. 16., das vor den VÜA im übrigen auch schon de lege lata nach § 3 Abs. 3 NpV ausdrücklich gegeben ist. Gemeint ist nämlich, daß die Beteiligten eigene Rechte vor dem Gericht im Sinne von Art. 177 EGV mit Angriffs- und Verteidigungsmitteln verfolgen können, indem sie selbst das Verfahren durch Anträge gestalten. Die betroffenen Bieter bzw. Interessenten an einer Vergabe werden dadurch von Beteiligten zu Parteien.Dies betrifft zunächst verfahrensrechtliche Anträge. So müssen Parteien alle verfahrensrechtlichen Rechte haben, die in Gerichtsverfahren üblich sind. Dies gilt z. B. für die Ablehnung von »Richtern«, für die Unterbrechung und Aussetzung des Verfahrens, für die Akteneinsicht, für die anwaltliche Vertretung und - wie der EuGH immer wieder betont - vor allem für die Geltendmachung von Angriffs- und Verteidigungsmitteln97Siehe oben Fn. 95.. Für all dies und insbesondere für das Beweisantragsrecht braucht es aber als Rechtsgrundlage eine eindeutige Verfahrensordnung, von der in den bisher bekannten systemimmanenten Regelungsvorschlägen de lege ferenda nicht die Rede ist. Da wohl niemand eine gesamte Verfahrensordnung neu für das Vergaberecht entwickeln will und für eine solche im HGrG auch kein Platz wäre, käme allenfalls ein Verweis auf eine bestehende Verfahrensordnung in Betracht. Hier wäre der VwGO die ZPO vorzuziehen98Zu den Gründen vgl. Dreher (Fn. 57), 346; ders. (Fn. 50), 1872.. Unabhängig davon wäre jedoch im Rahmen jeder solchen Regelung das mit der haushaltsrechtlichen Lösung verfolgte Ziel, eine gerichtliche Prüfung mit den dafür geltenden Vorschriften auszuschließen, nicht mehr erreicht, wenn das Verfahren vor den VÜA den Verfahren vor den allgemeinen Gerichten gleichen würde. Nach dem erklärten Willen des Gesetzgebers sollte eine solche Prüfung nämlich gerade nicht stattfinden, da eine Zuweisung der »Überprüfung des Vergabeverhaltens öffentlicher Auftraggeber an die ordentliche Gerichtsbarkeit mit dem bewährten deutschen Vergabeverfahren nicht vereinbar« erschien99Ausschußbericht (Fn. 1), S. 11 und ebenso schon Begründung RegE (Fn. 1), S. 2..Um ein streitiges Verfahren kann es sich schon dem Begriff nach aber weiter auch nur dann handeln, wenn eine Partei überhaupt ein Rechtsschutzanliegen in Auseinandersetzung mit anderen Parteien verfolgen kann. Ein streitiges Verfahren setzt voraus, daß eine Partei ein eigenes Begehren durch Anträge verfolgt. Dies bedeutet, daß eine Partei nicht nur Anregungsmöglichkeiten oder gewisse begrenzte Rechte in einem von ihr nicht erzwingbaren Verfahren haben kann, sondern subjektive Rechte auf das und im Verfahren besitzen muß. Gerade das auszuschließen, war jedoch ebenfalls erklärtes Ziel der sogenannten haushaltsrechtlichen Lösung durch die Einführung der »verwaltungsorientierten Überprüfung« vor den VÜA100S. o. bei Fn. 48.. Mit der Schaffung gewisser Verfahrensbeteiligungsrechte in diesem Überprüfungsverfahren ändert sich jedoch nicht der rechtliche Charakter des Verfahrens selbst, sondern nur die Stellung der »Anreger«101S. o. bei Fn. 73. im Verfahren. Das Fehlen von Ansprüchen der Bieter und Interessenten an der Vergabe auf Einhaltung der Vergaberegeln, das bei den Vorschlägen für systemimmanente Gesetzeskorrekturen weiterhin gewollt ist, und ein gerichtliches, streitiges Rechtsschutzverfahren mit wirklichen Antragsrechten schließen sich infolgedessen aus. Europarechtlich steht nach dem EuGH-Urteil vom 11. 8. 1995 aber fest, daß die Vergaberichtlinien »Ansprüche des einzelnen begründen« sollen102EuGH (Fn. 5)..Daher wird von anderer Seite vorgeschlagen, das derzeitige System der haushaltsrechtlichen Lösung de lege ferenda so umzugestalten, daß den Bietern bzw. Vergabeinteressenten ein Recht auf die Nachprüfung des Vergabeverfahrens eingeräumt wird, diese Überprüfung jedoch - unter Verzicht auf die Vergabeprüfstellen - allein durch die VÜA erfolgt103So BDI, Positionspapier zum Rechtsschutz bei öffentlichen Aufträgen v. 10. 6. 1996, S. 4 und Schäfer (Fn. 86), S. 11.. Selbst dann wären allerdings die europarechtlichen Rechtsdefizite nicht vollständig beseitigt, wie sich schon an dem zuvor ausgeführten Problem der Besetzung des Entscheidungsgremiums abweichend von der Richterbestellung zeigt. Außerdem wäre aufgrund der europarechtlich ebenfalls notwendigen Bindung der VÜA an eine ausführliche, gesetzlich festgelegte Verfahrensordnung das mit der haushaltsrechtlichen Lösung verfolg-te Ziel der Abkoppelung der Überprüfung des Vergabeverfahrens von den gerichtlichen Überprüfungsverfahren auch in diesem Fall nicht mehr erreichbar. Ungeklärt blieben weiter die bereits angeführten Fälle der Entscheidungsdivergenzen zwischen VÜA und zuständigen Gerichten104S. o. III. 2. a).. Auch ließe sich die europarechtlich geforderte Vollstreckbarkeit der Entscheidungen des VÜA für obsiegende Verfahrensbeteiligte nur bei der Gewährung subjektiver Rechte erreichen, was mit der haushaltsrechtlichen Lösung gerade ausgeschlossen werden sollte.Ebensowenig wäre ein solches einstufiges Reduktionsmodell des vergaberechtlichen Überprüfungsverfahrens mit deutschem Verfassungsrecht vereinbar. Sollten den Bietern und Interessenten an einem Auftrag nämlich tatsächlich subjektive Rechte eingeräumt werden, verbietet schon die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG die Zuweisung an Nichtgerichte wie die VÜA105Im Sektorenbereich folgt dies aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 GG mit dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch.. Darüber hinaus stünden auch Art. 92 mit der Zuweisung der rechtsprechenden Gewalt an die Richter und damit dem Gebot der Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung106Das in § 4 DRiG mit der Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Zugehörigkeit zur Exekutive und zur Legislative - wie dann bei den beamteten Entscheidern der VÜA - konkretisiert ist. sowie Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG mit dem Recht auf den gesetzlichen Richter einer solchen Lösung entgegen107Zu weiteren Unvereinbarkeiten mit dem deutschen Verfassungsrecht, die sich bei der Beibehaltung der bisherigen Ausgestaltung der haushaltsrechtlichen Lösung ergeben, vgl. Dreher, NVwZ 1996, 345, 346..Soweit die Vorschläge zur »Rettung« der haushaltsrechtlichen Lösung schließlich weiter davon ausgehen, die Entscheidungen der Vergabeüberwachungsausschüsse sollten für die Gerichte in nachfolgenden Schadensersatzansprüchen Bindungswirkung entfalten, wäre dies schon mit der EMRK nicht vereinbar. Art. 6 EMRK gibt nämlich im Rahmen der Verfahrensgarantien jedermann einen »Anspruch« darauf, daß über »zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen« von einem »unabhängigen und unparteilichen, auf Gesetz beruhenden Gericht« entschieden wird. Dies bedeutet - wie die EMRK-Organe entschieden haben - in concreto nicht nur einen Zwang zur Festlegung einer Verfahrensordnung, zur vollen Tatsachenüberprüfung, zur Einräumung von umfassenden Beweisantragsrechten, zur Nachprüfung von verwaltungsbehördlichen Ermessensentscheidungen, sondern vor allem für das gesamte damit verbundene Verfahren ein Recht der Betroffenen auf Zugang zu einem Gericht, das den hohen Anforderungen an Unabhängigkeit, Unbefangenheit und Überprüfungsbefugnisse gerecht wird108Vgl. die umfangreichen Nw. aus der Entscheidungspraxis der EMRK-Organe bei Villiger, Handbuch der Europäischen Menschenrechtskonvention, 1993, Rn. 408, 422 f., 477 und Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 1985, Rn. 37 ff., 88 ff..V. Vorlageentscheidung auf der Grundlage fehlerhafter RichtlinienumsetzungAbschließend ist noch auf eine Besonderheit einzugehen, die sich im Falle, daß der EuGH trotz aller zuvor geäußerter Bedenken zur Vorlageberechtigung der VÜA kommt, hier als Anschlußfrage stellt. Dabei geht es darum, ob der EuGH die Vorlagefrage einer Instanz, deren Schaffung auf einer fehlerhaften Richtlinienumsetzung beruht und die in ihrer Verfahrensweise - so zum Beispiel nach eigener Aussage des VÜA des Bundes im Hinblick auf das von den Richtlinien geforderte kontradiktorische Verfahren - die Richtlinienanforderungen gerade nicht einhält, akzeptieren kann. Das Problem stellt sich um so drängender, da hier das entsprechende Vertragsverletzungsverfahren durch die Kommission bereits eingeleitet ist.Gegen eine Berücksichtigung des Verstoßes der Umsetzungsgesetzgebung gegen die Richtlinien im Rahmen des Vorlageverfahrens spricht zunächst, daß die Vertragsverletzungsklage nach Art. 169 EGV und das Vorlageverfahren nach Art. 177 EGV unterschiedliche Streitgegenstände betreffen. Auch hat es der EuGH in anderem Zusammenhang abgelehnt, Fragen zu beantworten, wenn er »zuvor über die Vereinbarkeit einer innerstaatlichen Maßnahme mit dem Vertrag entscheiden« müßte109EuGH Slg. 1969, 165, 183 Milch-, Fett- und Eierkontor., woraus entsprechende Umkehrschlüsse gezogen werden könnten. Allerdings hat der EuGH immer wieder die Entscheidung hypothetischer Fragen zurückgewiesen110Vgl. z. B. EuGH Slg. 1992, I-4871 = EuZW 1992, 546Meilicke.. Sollte das Vertragsverletzungsverfahren die europarechtswi

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