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EWS 2000, 132
 
EuGH
Keine Ablehnung der Einstellung Schwangerer wegen eines gesetzlichen Beschäftigungsverbots für Schwangere

EuGH, Entscheidung vom 3. Februar 2000 - C-207/98;

EuGH vom 03.02.2000 - C-207/98
EWS 2000, 132 (Heft 3)
UrteilstenorArt. 2 Absätze 1 und 3 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. 2. 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen verbietet es, eine Schwangere deshalb nicht auf eine unbefristete Stelle einzustellen, weil sie für die Dauer der Schwangerschaft wegen eines aus ihrem Zustand folgenden gesetzlichen Beschäftigungsverbots auf dieser Stelle von Anfang an nicht beschäftigt werden darf.Aus den Gründen(1) Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat mit Beschluß vom 16. 4. 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 2. 6. 1998, gemäß Art. 177 EG-Vertrag (jetzt Art. 234 EG) eine Frage nach der Auslegung des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. 2. 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.(2) Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Frau Mahlburg (Klägerin) und dem Land Mecklenburg-Vorpommern (Beklagter) um dessen Weigerung, die Klägerin auf unbestimm-te Zeit einzustellen. Diese Weigerung wird damit begründet, daß Frau Mahlburg schwanger war und die für die angestrebte Stelle vorgesehenen Tätigkeiten daher von Anfang an nicht ausüben konnte.Rechtlicher RahmenGemeinschaftsrecht(3) Art. 2 der Richtlinie bestimmt:»1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, daß keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts - insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand - erfolgen darf ...3) Diese Richtlinie steht nicht den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, entgegen ...«Deutsches Recht(4) § 611a BGB, der 1980 zur Umsetzung der Richtlinie in das deutsche Recht eingeführt worden war, sieht insbesondere vor:»Der Arbeitgeber darf einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme, insbesondere bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses, beim beruflichen Aufstieg, bei einer Weisung oder Kündigung, nicht wegen seines Geschlechts benachteiligen.«(5) Die einschlägigen Vorschriften des Mutterschutzgesetzes vom 24. 1. 1952 (BGBl. I S. 315) sind die §§ 3 bis 5.(6)-(8) ... [§§ 3, 4 und 5 des Mutterschutzgesetzes].Sachverhalt und Ausgangsrechtsstreit(9) Die Klägerin war für die Zeit vom 26. 8. 1994 bis 31. 8. 1995 als Krankenschwester bei der in der Trägerschaft des Beklagten stehenden Universitätsklinik für Herzchirurgie der Universität Rostock angestellt. Sie bemühte sich seit Februar 1995 um einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Dabei wurde sie von der Oberschwester unterstützt, die bei der Personalabteilung der Universität die Übernahme der Klägerin in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis beantragt hatte. Nachdem der Klägerin mitgeteilt worden war, daß eine unbefristete Beschäftigung nur möglich sei, wenn eine konkrete Stelle dieser Art frei sei, bewarb sie sich am 1. 6. 1995 auf zwei innerbetrieblich ausgeschriebene unbefristete Stellen.(10) Diese Stellen waren sofort oder zum nächstmöglichen Termin zu besetzen und wurden in der Stellenausschreibung wie folgt beschrieben:» - Einsatz erfolgt im OP der Chirurgie im Schichtdienst- Indikationsgerechte Vorbereitung und Kontrolle sämtlicher zur Operation benötigter Sterilgüter und Medikamente- Instrumentierung bei der Operation«.(11) Außerdem wurde in einer der Ausschreibungen eine abgeschlossene OP-Schwestern-/Pflegerausbildung und in der anderen eine abgeschlossene Berufsausbildung in der Krankenpflege mit Erfahrungen im OP verlangt.(12) Die Klägerin war bei Einreichung ihrer Bewerbung am 1. 6. 1995 schwanger. Die Schwangerschaft war am 6. 4. 1995 festgestellt worden. Die Klägerin teilte die Schwangerschaft am 13. 7. 1995 ihrem Arbeitgeber, bei dem sie sich zwischenzeitlich um eine unbefristete Anstellung beworben hatte, schriftlich mit. Auf dieses Schreiben hin wurde sie unter Hinweis auf das Mutterschutzgesetz innerbetrieblich umgesetzt. Von diesem Zeitpunkt an war sie bis zum Ablauf ihres befristeten Arbeitsvertrags nicht mehr als Krankenschwester im Operationssaal, sondern mit anderen Tätigkeiten für Krankenschwestern beschäftigt, d. h. mit Tätigkeiten, die nicht mit einer Infektionsgefahr verbunden waren.(13) Der Beklagte lehnte die Bewerbung der Klägerin am 18. 9. 1995 mit folgender Begründung ab:»Die beiden Stellen waren als OP-Schwesternstellen ausgeschrieben worden, und eine Nichtberücksichtigung von schwangeren Bewerberinnen für diese Stellen stellt keine Diskriminierung von Schwangeren dar, sondern eine Erfüllung gesetzlicher Vorgaben. Gemäß den §§ 3 bis 5 Mutterschutzgesetz ist es dem Arbeitgeber ausdrücklich verboten, werdende Mütter in Bereichen, in denen sie schädlichen Einwirkungen von gesundheitsgefährdenden Stoffen ausgesetzt sind, zu beschäftigen. Resultierend aus dieser gesetzlichen Forderung konnte die Berücksichtigung Ihrer Bewerbung für die Stellen als OP-Schwester nicht erfolgen.«(14) Die Klägerin focht die Ablehnung ihrer Bewerbung beim Arbeitsgericht Rostock an und machte geltend, die Weigerung, einen unbefristeten Arbeitsvertrag abzuschließen, und die Begründung hierzu seien eine unzulässige Diskriminierung aufgrund des Geschlechts im Sinne des § 611a BGB und des Art. 2 der Richtlinie.(15) Das Arbeitsgericht Rostock wies diese Klage mit Urteil vom 15. 4. 1997 ab. Die Klägerin legte dagegen beim Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern Berufung ein und wiederholte ihr Vorbringen [...].(16) Den Akten des Ausgangsverfahrens zufolge stimmt das Landesarbeitsgericht mit dem Arbeitsgericht darin überein, daß das Verhalten des Beklagten nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Männern und Frauen nach § 611 a BGB verstoße. Nach dieser Rechtsprechung verbiete es § 611 a BGB einem Arbeitgeber nicht, eine schwangere Bewerberin deshalb nicht einzustellen, weil er sie wegen eines Beschäftigungsverbots aufgrund der Schwangerschaft auf dem zu besetzenden Arbeitsplatz von Anfang an nicht beschäftigen dürfe.(17) Das Landesarbeitsgericht fügt jedoch hinzu, § 611 a BGB, der die Richtlinie 76/207 ins deutsche Recht umsetze, sei gemeinschaftsrechtskonform auszulegen. Es sei fraglich, ob die ständige Rechtsprechung zur Auslegung des § 611 a BGB mit Art. 2 der Richtlinie vereinbar sei.Vorlagefrage(18) Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:Stellt es eine unzulässige Benachteiligung aufgrund des Geschlechts im Sinne des Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. 2. 1976 dar, wenn eine Arbeitgeberin eine an sich für die vorgesehene Tätigkeit befähigte Bewerberin um eine freie Stelle deshalb nicht einstellt, weil sie schwanger ist und für die Dauer der Schwangerschaft wegen eines aus dem Mutterschutzgesetz folgenden Beschäftigungsverbots auf einem zur unbefristeten Besetzung vorgesehenen Arbeitsplatz von Anfang an nicht beschäftigt werden dürfte?Zur Beantwortung der Vorlagefrage(19) Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie es verbietet, eine Schwangere deshalb nicht auf eine unbefristete Stelle einzustellen, weil sie für die Dauer der Schwangerschaft wegen eines aus ihrem Zustand folgenden gesetzlichen Beschäftigungsverbots auf dieser Stelle von Anfang an nicht beschäftigt werden darf.(20) Die Verweigerung einer Einstellung wegen Schwangerschaft kommt nur Frauen gegenüber in Betracht und stellt daher eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar (Urteil vom 8. 11. 1990 in der Rechtssache C-177/88, Dekker, Slg. 1990, I-3941, Rdnr. 12).(21) Anders als in der Rechtssache Dekker gründet sich die ungleiche Behandlung in einem Fall wie dem Ausgangsverfahrenjedoch nicht unmittelbar auf die Schwangerschaft der Arbeitnehmerin, sondern rührt aus einem mit diesem Zustand zusammenhängenden gesetzlichen Beschäftigungsverbot her.(22) Dieses durch das Mutterschutzgesetz aufgestellte Verbot beruht auf Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie, wonach diese den Vorschriften zum Schutz der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegensteht.(23) Zu prüfen ist demnach, ob es dem Arbeitgeber nach der Richtlinie erlaubt ist, den Abschluß eines unbefristeten Arbeitsvertrags deshalb abzulehnen, weil die Arbeitnehmerin wegen des Beschäftigungsverbots für werdende Mütter auf dem zu besetzenden Arbeitsplatz von Anfang an nicht beschäftigt werden darf.(24) Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, daß die Entlassung einer Schwangeren aus einem unbefristeten Beschäftigungsverhältnis nicht damit begründet werden darf, daß sie unfähig sei, eine der wesentlichen Voraussetzungen ihres Arbeitsvertrags zu erfüllen. Die Verfügbarkeit des Arbeitnehmers ist zwar für den Arbeitgeber zwangsläufig eine wesentliche Voraussetzung für die ordnungsgemäße Erfüllung des Arbeitsvertrags, doch kann der vom Gemeinschaftsrecht gewährleistete Schutz für die Frau während der Schwangerschaft und nach der Entbindung nicht von der Frage abhängen, ob die Anwesenheit der Betroffenen in dem ihrer Mutterschaft entsprechenden Zeitraum für das ordnungsgemäße Funktionieren des Unternehmens, in dem sie beschäftigt ist, unerläßlich ist. Die gegenteilige Auslegung nähme den Bestimmungen der Richtlinie ihre praktische Wirksamkeit (Urteil vom 14. 7. 1994 in der Rechtssache C-32/93, Webb, Slg. 1994, I-3567, Rdnr. 26).(25) Zudem kann ein gesetzliches Nachtarbeitsverbot für Schwangere, das grundsätzlich mit Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie vereinbar ist, gleichwohl nicht als Kündigungsgrund eines auf unbestimmte Zeit geschlossenen Arbeitsvertrags dienen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. 5. 1994 in der Rechtssache C-421/92, Habermann-Beltermann, Slg. 1994, I-1657, Rdnrn. 18 und 25). Denn ein solches Verbot kann nur für eine gegenüber der Gesamtdauer des Vertrages beschränkte Zeit wirken (Urteil Habermann-Beltermann, Rdnr. 23).(26) Schließlich hat der Gerichtshof im Urteil vom 30. 4. 1998 in der Rechtssache C-136/95 (Thibault, Slg. 1998, I-2011, Rdnr. 26) festgestellt, daß die Ausübung der Rechte, die Frauen nach Maßgabe des Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie gewährt werden, nicht zu Nachteilen beim Zugang zur Beschäftigung und bei den Arbeitsbedingungen führen darf und daß die Richtlinie insofern auf eine inhaltliche, nicht formelle Gleichheit abzielt.(27) Aus dieser Rechtsprechung folgt, daß die Anwendung der Vorschriften zum Schutz der werdenden Mutter für diese keine Nachteile beim Zugang zur Beschäftigung mit sich bringen darf und einem Arbeitgeber nicht erlaubt, die Einstellung einer schwangeren Bewerberin deshalb abzulehnen, weil er diese aufgrund eines aus der Schwangerschaft folgenden Beschäftigungsverbots auf dem auf unbestimmte Zeit zu besetzenden Arbeitsplatz nicht von Anfang an und für die Dauer ihrer Schwangerschaft beschäftigen darf.(28) In der mündlichen Verhandlung ist zu den finanziellen Auswirkungen Stellung genommen worden, die insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen aus einer Verpflichtung zur Einstellung von Schwangeren folgen könnten.(29) Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, kann die Verweigerung einer Einstellung wegen Schwangerschaft nicht mit dem finanziellen Nachteil gerechtfertigt werden, den der Arbeitgeber im Fall der Einstellung einer Schwangeren während deren Mutterschaftsurlaubs erleiden würde (Urteil Dekker, Rdnr. 12). Dasselbe muß für den finanziellen Nachteil gelten, der dadurch entsteht, daß die Arbeitnehmerin während der Dauer ihrer Schwangerschaft nicht auf dem betreffenden Arbeitsplatz beschäftigt werden darf.(30) Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten ... [s. Urteilstenor].

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