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EWS 1993, 222
 
BGH
Keine Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik wegen Vollzugs normativen Unrechts des Europäischen Gemeinschaftsgesetzgebers

BGH, Entscheidung vom 11. März 1993 - III ZR 44/92;

BGH vom 11.03.1993 - III ZR 44/92
EWS 1993, 222 (Heft 7)
SachverhaltDer Kläger, ein Landwirt, hatte in dem Zeitraum vom 25. März 1981 bis zum 26. März 1986 keine Milch erzeugt und dafür eine Nichtvermarktungsprämie auf der Grundlage der Verordnung der Europäischen Gemeinschaften vom 17. Mai 1977 (Nr. 1078/77 - ABl. L 131, S. 1) bezogen. Durch die Milchgarantiemengenverordnung des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom 25. Mai 1984 (MGVO - BGBl. I 720), die auf der Verordnung (EWG) Nr. 857/84 vom 31. März 1984 des Rates der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 90 S. 13) beruhte, wurde die Zuteilung von Anlieferungs-Referenzmengen für Milcherzeuger vorgesehen. Dabei konnte (nur) solchen Erzeugern eine Referenzmenge zugeteilt werden, die im Kalenderjahr 1983, dem nach § 4 Abs. 2 MGVO maßgeblichen »Referenzjahr« Milch an Käufer geliefert hatten. Eine Ausnahmeregelung für Nichtvermarkter war weder in der MGVO noch in der dieser zugrundeliegenden Verordnung (EWG) Nr. 857/84 enthalten. Als der Kläger nach Beendigung des Nichtvermarktungszeitraums erneut Milch erzeugen und eine Referenzmenge zugeteilt erhalten wollte, wurde diese mit der Begründung, daß er im »Referenzjahr« keine Milch an einen Käufer geliefert habe, auf Null festgesetzt.Durch Urteile vom 28. April 1988 (Rs. 120/86, Slg. 1988, 2321, Rn. 28 und Rs. 170/86, Slg. 1988, 2355, Rn. 17) erklärte der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Verordnung Nr. 857/84 wegen Verletzung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes insoweit für ungültig, als sie keine Zuteilung einer Referenzmenge an Erzeuger vorsah, die in Erfüllung einer im Rahmen der Verordnung Nr. 1078/77 eingegangenen Verpflichtung während des von dem betreffenden Mitgliedstaat gewählten Referenzjahres keine Milch geliefert hatten. Der Kläger nimmt nunmehr die beklagte Bundesrepublik wegen der ursprünglichen Nichtzuteilung einer Referenzmenge auf Schadensersatz wegen Amtspflichtverletzung und Entschädigung wegen enteignungsgleichen Eingriffs in Anspruch. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Die Revision wurde nicht zur Entscheidung angenommen.Aus den Gründen»Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 554 b ZPO). Die Revision hat im Ergebnis auch keine Aussicht auf Erfolg (BVerfGE 54, 277).1. Amtshaftungsansprüche (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG):a) Der Bescheid des Hauptzollamts B. R. vom 17. April 1986 vermag eine Amtshaftung der beklagten Bundesrepublik nicht zu begründen. Der zuständige Amtsträger handelte jedenfalls nicht schuldhaft, als er in Anwendung des § 4 Abs. 2 MGVO die Anlieferungs-Referenzmenge des Klägers auf Null festsetzte. Der Kläger hatte im Referenzjahr, dem Kalenderjahr 1983, keine Milch an einen Käufer geliefert. Daraus folgte, daß ihm auch keine Referenzmenge zugeteilt werden konnte. Eine Ausnahmeregelung für Nichtvermarkter war weder in der MGVO noch in der dieser zugrundeliegenden Verordnung (EWG) Nr. 857/84 vom 31. März 1984 des Rates der Europäischen Gemeinschaften vorgesehen (ABl. L 90 S. 13). Daß diese Verordnung später vom Europäischen Gerichtshof insoweit für ungültig erklärt werden würde, als sie die Zuteilung von Referenzmengen an Nichtvermarkter nicht vorsah, war für die mit der Anwendung dieser Regelung befaßten Amtsträger nicht erkennbar.b) Durch den Erlaß der MGVO selbst wurden keine Amtspflichten zu Lasten des Klägers verletzt. Die Nichtberücksichtigung der Nichtvermarkter ging unmittelbar auf die EG-Verordnung selbst zurück. Die nationale deutsche Milchgarantiemengenverordnung litt also in diesem Punkte - im Unterschied zu ihrer hier nicht in Rede stehenden Bestimmung des § 6 Abs. 6, die vom Bundesverwaltungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden ist (BVerwGE 81, 49; s. dazu den Senatsbeschluß vom 11. März 1993 - III ZR 110/92) - nicht an einem eigenen Nichtigkeitsgrund.c) Zu Recht hat das Berufungsgericht ferner ausgeführt, daß die mit dem Antrag auf Nichtvermarktung befaßten Amtsträger ebenfalls kein Vorwurf trifft, soweit sie im Jahre 1980 den Kläger nicht auf Risiken hinwiesen, die sich später durch die 1984 beschlossene EG-Garantiemengenregelung ergeben konnten. In diesem Punkte ist dem Berufungsurteil nichts hinzuzufügen.2. Ansprüche aus enteignungsgleichem Eingriff:a) Es kann dahinstehen, ob als Anknüpfungspunkt für einen enteignungsgleichen Eingriff der Bescheid des Hauptzollamtes B. R. vom 17. April 1986 einerseits oder unmittelbar die Milchgarantiemengenverordnung andererseits in Betracht kommt. In beiden Fällen scheitert ein Anspruch gegen die Bundesrepublik Deutschland daran, daß die mögliche Beeinträchtigung einer eigentumsmäßig geschützten Position des Klägers nicht den nationalen deutschen Behörden zuzurechnen ist. Es handelt sich hier ausschließlich um eine Haftung fürUnrecht, das durch einen Rechtsetzungsakt der Europäischen Gemeinschaft begangen worden ist. Dieses Unrecht ist weder dem nationalen Verordnungsgeber, soweit er sich darauf beschränkt hat, die europäische Regelung umzusetzen, noch den mit der Anwendung dieser Rechtsnormen befaßten Verwaltungsbehörden anzulasten. In diesem Sinne hat auch der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. Mai 1992 (Rs. C-104/89 und C-37/90 = NVwZ 1992, 1077) die Einwände des Rates und der Kommission zurückgewiesen, die Weigerung der nationalen Behörden, den Nichtvermarktern Referenzmengen zuzuteilen, sei nicht einem Gemeinschaftsorgan, sondern den nationalen Behörden zuzurechnen. DerEuGH hat darauf hingewiesen, es sei nicht Sache der Mitgliedstaaten gewesen, den Nichtvermarktern Referenzmengen zuzuteilen und dabei Gebrauch von Befugnissen zu machen, die weder dafür vorgesehen, noch dafür geeignet gewesen seien, die Fälle von Landwirten zu regeln, die eine Nichtvermarktungsverpflichtung eingegangen seien. Unter diesen Umständen sei davon auszugehen, daß das zur Begründung der Schadensersatzklage geltend gemachte rechtswidrige Verhalten nicht von einer nationalen Stelle, sondern vom Gemeinschaftsgesetzgeber ausgegangen sei, so daß eventuelle Schäden, die sich aus der Durchführung der gemeinschaftsrechtlichen Regelung durch die nationalen Stellen ergäben, dem Gemeinschaftsgesetzgeber zuzurechnen seien. Auch für die innerstaatliche deutsche Rechtsordnung ist anerkannt, daß für die nachteiligen Auswirkungen eines verfassungswidrigen formellen Gesetzes und seines Vollzuges die öffentliche Hand nicht unter dem Gesichtspunkt des enteignungsgleichen Eingriffs haftet (Senatsurteil BGHZ 100, 136). Die tragenden Grundsätze dieser Rechtsprechung lassen sich auf den vorliegenden Fall entsprechend anwenden, der sein Gepräge dadurch erhält, daß das legislative Unrecht nicht in einem formellen innerstaatlichen Parlamentsgesetz, sondern in einer Verordnung des Rates der Europäischen Gemeinschaften liegt. Die Verordnung Nr. 857/84 war nämlich in allen ihren Teilen verbindlich und galt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat (vgl. den Schlußsatz der Verordnung i. V. m. Art. 189 Abs. 2 EWGV). Art. 24 Abs. 1 GG ermöglicht es, die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland derart zu öffnen, daß der ausschließliche Herrschaftsanspruch der Bundesrepublik Deutschland für ihren Hoheitsbereich zurückgenommen und der unmittelbaren Geltung und Anwendbarkeit eines Rechts aus anderer Quelle innerhalb dieses Hoheitsbereichs Raum gelassen wird. Aus dem Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes zum EWG-Vertrag, der sich auf Art. 189 Abs. 2 EWGV erstreckt, ergibt sich die unmittelbare Geltung der Gemeinschaftsverordnungen für die Bundesrepublik Deutschland und ihr Anwendungsvorrang gegenüber dem innerstaatlichen Recht (BVerfGE 73, 339, 374/375 - »Solange II«). Der für den Ausschluß der Staatshaftung für legislatives Unrecht maßgebliche Gesichtspunkt, daß sich ein derartiger Schadensausgleich nicht mehr im Rahmen eines richterrechtlich geprägten und ausgestalteten Haftungsinstituts hält, wie es der enteignungsgleiche Eingriff darstellt, gilt in gleicher Weise - und erst recht - für die hier zu beurteilende Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland für legislatives oder normatives Unrecht der Europäischen Gemeinschaften einzustehen hat. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß Art. 215 Abs. 2 EWGV eine unmittelbare Inanspruchnahme der Europäischen Gemeinschaft ermöglicht. Dementsprechend hat der Europäische Gerichtshof im Urteil vom 19. Mai 1992 (a. a. O.) den dort klagenden Nichtvermarktern unmittelbare Schadensersatzansprüche gegen die Gemeinschaft zuerkannt.b) Die Frage, ob die Nichtzuteilung einer Referenzmenge tatbestandlich einen Eingriff in eigentumsmäßig geschützte Rechtsposition des Klägers dargestellt hat, bedarf daher keiner Entscheidung.3. Eine grundsätzliche Bedeutung kommt der vorliegenden Rechtssache deswegen nicht zu, weil die entscheidungserheblichen Rechtsfragen, soweit sie das vom Europäischen Gemeinschaftsgesetzgeber begangene normative Unrecht betreffen, durch die Urteile des Europäischen Gerichtshofes vom 28. April 1988 und vom 19. Mai 1992 (jeweils a. a. O.) hinreichend geklärt erscheinen. Soweit es um die Haftung der Bundesrepublik Deutschland für den Vollzug dieses gemeinschaftsrechtlichen Rechtsetzungsaktes geht, stellt der vorliegende Beschluß lediglich eine Bestätigung der in der Senatsrechtsprechung (vor allem BGHZ 100, 136) entwickelten Grundsätze dar.«

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