LG Bonn
Staatshaftung der Bundesrepublik Deutschland wegen Nichtumsetzung der Pauschalreise-Richtlinie?
LG Bonn, Entscheidung vom 6. Juni 1994 - 1 0 360/93;
LG Bonn
vom 06.06.1994
- 1 0 360/93
EWS
1994, 292
(Heft 8)
Gemäß Artikel 177 des EG-Vertrages werden dem Europäischen Gerichtshof folgende Fragen zur Beantwortung vorgelegt:1. Ist es Zielsetzung der Richtlinie des EG-Ministerrates vom 13. 6. 1990 über Pauschalreisen (90/314/EWG), den einzelnen Pauschalreisenden über die innerstaatlichen Umsetzungsbestimmungen das individuelle Recht auf Sicherstellung gezahlter Beträge und der Rückreisekosten im Insolvenzfall des Reiseveranstalters zu verleihen (vgl. Tz. 40 des Urteils des EuGH vom 19. 11. 1990, C-6/90 und C-9/90 »Francovich«)?2. Ist der Inhalt dieses Rechts auf der Grundlage der Richtlinie hinreichend bestimmt?3. Welche Mindestanforderungen sind an die von den Mitgliedstaaten zu treffenden »erforderlichen Maßnahmen« im Sinne des Artikels 9 der Richtlinie zu stellen?4. Genügte es insbesondere Artikel 9 der Richtlinie, wenn der nationale Gesetzgeber bis zum 31. 12. 1992 den gesetzlichen Rahmen zur Verfügung stellte, um den Reiseveranstalter und/oder -vermittler zu Sicherstellungsmaßnahmen im Sinne des Artikels 7 der Richtlinie gesetzlich anzuhalten?Oder mußte die hierfür erforderliche Gesetzesänderung unter Berücksichtigung entsprechender Vorlaufzeiten in der Reise-, Versicherungs- und Kreditbranche so frühzeitig vor dem 31. 12. 1992 in Kraft treten, daß die Sicherstellung ab 1. 1. 1993 auf dem Pauschalreisemarkt tatsächlich funktionierte?5. Genügt es dem eventuellen Schutzzweck der Richtlinie, wenn der Mitgliedstaat dem Reiseveranstalter erlaubt, eine Anzahlung auf den Reisepreis bis zur Höhe von 10% des Reisepreises, höchstens 500,-DM, schon vor Aushändigung werthaltiger Unterlagen zu verlangen?6. In welchem Umfang sind die Mitgliedstaaten nach der Richtlinie verpflichtet, (gesetzgeberisch) tätig zu werden, um eigenen Nachlässigkeiten der Pauschalreisenden vorzubeugen?7. a) Hätte die Bundesrepublik Deutschland angesichts des »Vorkasse-Urteils« des Bundesgerichtshofs vom 12. 3. 1987 (BGHZ 100, 157; NJW 86, 1613) ganz auf eine normative Umsetzung des Artikels 7 der Richtlinie verzichten dürfen?b) Fehlt die »Sicherstellung« im Sinne des Artikels 7 der Richtlinie auch dann, wenn die Reisenden bei Zahlung des Reisepreises im Besitz werthaltiger Dokumente waren, die einen Erfüllungsanspruch gegen die einzelnen Leistungsträger (Fluggesellschaft/Hotelier) verbrieften?8.a) Reicht die bloße Überschreitung der in Artikel 9 der Richtlinie erwähnten Frist zur Bejahung eines Schadensersatzanspruchs im Sinne der Francovich-Entscheidung des EuGH als haftungsbegründender Tatbestand aus oder darf der Mitgliedstaat mit dem Einwand gehört werden, die Umsetzungsfrist habe sich als zu kurz erwiesen?b) Wenn der Einwand abgeschnitten ist:Gilt dies auch in den Fällen, in denen der andere Mitgliedstaat nicht lediglich durch bloße Gesetzesänderung (wie z. B. beim Konkursausfallgeld der Arbeitnehmer) den Schutzzweck der Richlinie erreichen kann, sondern die Mitwirkung privater Dritter (Reiseveranstalter, Versicherungs- und Kreditbranche) erforderlich ist?9. Setzt die Haftung des Mitgliedstaates wegen Verletzung von Gemeinschaftsrecht einen qualifizierten, d. h. offenkundigen und schwerwiegenden Pflichtenverstoß voraus?10. Ist eine dem Schadensereignis zeitlich vorangehende Verurteilung im Vertragsverletzungsverfahren Haftungsvoraussetzung?11. Läßt sich aus der Francovich-Entscheidung des Gerichtshofs schließen, daß es für den Schadensersatzanspruch wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht auf ein Verschulden generell oder jedenfalls beim pflichtwidrigen Unterlassen normsetzender Akte durch den Mitgliedstaat ankommt?12. Wenn dieser Schluß unzutreffend ist:Kann die Vorkasse-Entscheidung des Bundesgerichtshofs ein anzuerkennender Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund für die [Bundesrepublik] gewesen sein, die Umsetzung der Richtlinie im Sinne der Antworten des EuGH zu den vorgelegten Fragen Nr. 4 und 7 erst nach Ablauf der in Artikel 9 genannten Frist vorzunehmen?
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