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Haase 

Immaterialgüterrechtlicher Schutz von dreidimensionalen Formen

Abbildung 1

Der technische Fortschritt führt nach wie vor zu einem starken Anstieg der Gestaltungsmöglichkeiten und -freiheiten in der Produktion von Gütern. Zu den treibenden Kräften zählen die Digitalisierung, die wachsenden Einsatzmöglichkeiten additiv generativer Fertigungsverfahren sowie die beständig zunehmende Materialvielfalt. Sie ermöglichen einerseits die Anpassung der „Massenproduktion“ an die individuellen Bedürfnisse Einzelner (z. B. der an den individuellen Fuß angepasste Turnschuh). Zudem können durch neue dreidimensionale Formen neben dem „Erscheinungsbild an sich“ zusätzlich technische Wirkungen erzielt werden (z. B. die besondere Form einer „atmenden“ Wand oder eines Leichtbauteils). Vielfach werden dabei einfache geometrische Formen kombiniert. Vor diesem Hintergrund erlangt der immaterialgüterrechtliche Schutz von dreidimensionalen Formen und Strukturen, die aus Sicht des Betrachtenden zunächst relativ „simpel“ erscheinen, ganz neue Bedeutung.

Das Urheberrecht schützt u. a. Werke der bildenden Künste und angewandten Kunst (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG) sowie plastische Darstellungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 UrhG). Voraussetzung für den Schutz ist nach § 2 Abs. 2 UrhG jedoch das Vorliegen einer persönlich geistigen Schöpfung. Eine Schutzfähigkeit nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG hat die Rechtsprechung beispielsweise bei einer plastischen Hundefigur (BGH, Urt. v. 8.7.2004 – I ZR 25/02), dem sog. „Eierkoch“ von Wilhelm Wagenfeld (OLG München, Urt. v. 14.10.2010 – 29 U 2001/10) sowie einem Zug aus Holz, auf dessen Waggons sich Kerzen und Ziffern aufstecken lassen (so. „Geburtstagszug“; BGH, Urt. v. 13.11.2013 – I ZR 143/12) angenommen. Verlangt wird stets eine gewisse Gestaltungshöhe, die durch einfache geometrische Grundformen kaum erreichbar ist.

Patentierbar sind nach § 1 Abs. 1 PatG nur Erfindungen auf einem Gebiet der Technik. Ästhetische Formschöpfungen als solche sind wiederum vom Patentschutz ausgeschlossen (§ 1 Abs. 3 Nr. 2 i. V. m. Abs. 4 PatG). Dreidimensionale Formen können über das Patentrecht insoweit geschützt werden, als sie eine technische Wirkung erzielen.

Daneben existieren Gebrauchsmuster- und Designschutz. Designschutz wurde z. B. für Fassaden- und Dacheindeckungsplatten angenommen, auch wenn eine gängige geometrische Form genutzt wird (BGH, Urt. v.18.10.2007 – I ZR 100/05). Insgesamt hat der Gesetzgeber über das Immaterialgüterrecht ein ausdifferenziertes Normengefüge geschaffen, das anhand Anknüpfungspunkte verschiedener den rechtlichen Schutz von dreidimensionalen Formen eingrenzt.

Hoch umstritten ist der Schutz dreidimensionaler Formen als Kennzeichen über das Markenrecht. Denn Markenschutz ist wiederum ausgeschlossen, wenn die Form ausschließlich zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist (§ 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG). Mit dem Verhältnis zwischen Markenschutz und Erzielung einer technischen Lösung befasste sich der EuGH im Jahr 2016 im Zusammenhang mit dem sog. „Zauberwürfel“ (Rubik’s Cube, EuGH, Urt. v. 10.11.2016 – C-30/15 P)

Der Bundesgerichtshof befasste sich zuletzt am 18.10.2017 in zwei Verfahren mit dem Markenschutz von Formen (sog. „dreidimensionalen Gestaltungen“). In seinen Entscheidungen bejahte der BGH die Schutzfähigkeit von quadratischen Verpackungsmarken für Tafelschokolade („Ritter Sport“) sowie für einen Stapel von acht quaderförmigen Täfelchen mit quadratischer Grundfläche, mittigen V-förmigen Einkerbungen und abgeschrägten und abgerundeten Ecken und Kanten (Dextro Energy) (BGH, I ZB 105/16 und I ZB 106/16 sowie I ZB 3/17 und I ZB 4/17). In beiden Fällen hob der Gerichtshof die jeweiligen Entscheidungen des Bundespatentgerichts auf, was bereits als Indiz gewertet werden kann, dass die Beurteilung der Schutzfähigkeit von dreidimensionalen Formen hoch umstritten ist.

Die Schutzfähigkeit als Marke ist grundsätzlich in § 3 MarkenG geregelt. Nach § 3 Abs. 1 MarkenG können auch dreidimensionale Gestaltungen einschließlich der Form einer Ware oder ihrer Verpackung geschützt werden. Voraussetzung ist, dass diese geeignet sind, Waren oder Dienstleis¬InTeR 2018 S. 1 (2)tungen eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (§ 3 MarkenG).

Die Schutzfähigkeit von Kennzeichen als Marke wird durch § 3 Abs. 2 MarkenG eingeschränkt. Für die Entscheidungen des BGH ausschlaggebend waren insbesondere § 3 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 MarkenG.

Nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG sind Zeichen, die ausschließlich aus einer Form bestehen, die durch die Art der Ware selbst bedingt ist, dem Schutz als Marke nicht zugänglich. Diese Ausnahme greife im Hinblick auf die quadratische Form einer Tafelschokolade nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht. Denn die quadratische Form der Tafelschokolade sei keine wesentliche Gebrauchseigenschaft von Schokolade. BGH Urt. v. 18.10.2017, Abs. 55 ff. Diese Auffassung des Gerichts sicherte am Ende der Marke vorerst ihren Bestand.

Nach § 3 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG sind Zeichen nicht schutzfähig, die ausschließlich aus einer Form bestehen, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist. Nach Ansicht des BGH sei diese Voraussetzung im Hinblick auf die Dextro-Energy Täfelchen nicht bei allen wesentlichen Merkmalen gegeben. Zwar stünden hinter der Quaderform von Täfelchen und deren V-förmigen Einkerbungen technische Funktionen. Soweit jedoch ein angenehmer Verzehr gefördert werde, läge keine technische Funktion vor, sondern lediglich eine sensorische Wirkung beim Verbrauch. BGH Urt. v. 18.10.2017 I ZB 3/17, Abs. 35 ff.

Beide Entscheidungen machen deutlich, dass die Markenschutzfähigkeit von dreidimensionalen Gestaltungsformen letztlich sehr weit reichen kann. Dies ist insgesamt kritisch zu betrachten. Rechtsprechung und Literatur sollten in Zukunft darauf achten, dass die neu gewonnenen technischen Gestaltungsfreiheiten nicht dadurch für die Allgemeinheit wieder zu Nichte gemacht werden, indem an die Schutzfähigkeit von dreidimensionalen Formen zu geringe Anforderungen gestellt werden. Diese gilt vor dem Hintergrund einer möglichen Schutzfristverlängerung insbesondere für den Markenschutz.

Hochschuldozent Dr. Martin Sebastian Haase, LL.M., LL.M., MLE

 
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