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RIW 2020, I
Luttermann 

Der Corona-Aufbruch: Europas Wohlergehen durch Sprachenrecht

Abbildung 1

Corona, das tödliche Virus, ist der große Gleichmacher. Rund um den Erdball. Es deckt Defizite und Blendwerk auf. Alte Autoritäten stürzen über Nacht, der Ausblick wird frei, schrieb Stefan Zweig in seinem Werk “Erasmus von Rotterdam” zur Aufklärung. In unserer Schicksalsstunde Europas wachsen gesellschaftlich wie wirtschaftlich Sorgen und die Chance: der Neubau einer besseren Welt für allseitiges Wohlergehen.

Das beginnt wie meist im Leben mit menschlicher Kommunikation, mit Sprache und Recht. In der Europäischen Union in kritischer Vernunft begründet durch gemeinsame Werte (Art. 2, 3 EUV). Doch unsere Gemeinschaft ist erschüttert. Im Binnenmarkt sind Freiheiten für Personen, Waren, Dienstleistungen begrenzt. Bei Kapital und Lastenverteilung durch Corona-Bonds erklingen Schuldengemeinschaft (vgl. Art. 125 AEUV) und dunkle Ressentiments.

Erkennen wir, was längst vor Corona galt und die Friedensquelle birgt: Die Europäische Union ist eine Rechtsgemeinschaft, etabliert im Binnenmarkt durch das Europarecht. Dieses Recht aber hängt an Sprache und Übersetzung in offiziell (noch) 24 Vertrags- und Amtssprachen, die gleichermaßen als authentisch gelten; das umfasst das Primärrecht (EUV, AEUV) und jeden Rechtsakt (Verordnung, Richtlinie). Herrscht damit gleiches Recht für jedermann?

Das fordert das Gebot der Rechtsstaatlichkeit. Sie mangelt aber. Selbst mit dem weltgrößten Übersetzungsdienst gibt es erhebliche Divergenzen in 24 Sprachfassungen, Rechtsgefälle zwischen Mitgliedstaaten. Der Bürger trägt das Sprachenrisiko. Zugleich öffnen sich Spielräume durch Sprachenwahl (language shopping). Das befördert Rechtsungleichheit. Vor allem aber prägt – rechtsgrundlos – Monolingualismus: traditionell herrscht Französisch am Gerichtshof und sonst Englisch – oder was dafür gelten mag (Eurospeak, Pidgin English).

In der Union ist damit die De-Regulierung à la Wall Street/City of London, die Pax Americana installiert worden. Eine Katastrophenwirtschaft von Schulden (leverage) und Phantasiewerten (shareholder value), anschaulich in zahllosen Fällen wie Enron, Worldcom, Lehman: “financial euphoria” (Galbraith). Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. Die Bürger zahlen mit Negativzins und Substanzverlust (quantitative easing). Wo bleibt die europäische Identität, unser humanistisches Menschenbild sozialer Marktwirtschaft (Art. 3 Abs. 3 EUV)?

Deren Bedeutung zeigt uns Corona!

Rechtsstaatliche Ordnung für Wohlergehen schafft das Europäische Referenzsprachensystem (dazu Luttermann/Luttermann, Ein Sprachenrecht für die Europäische Union, 2020): Ohne hegemoniale Verengung auf eine Sprache (Rechtswelt) oder die Ausschließlichkeit weniger Sprachen bildet es mit allen Vertragssprachen ein rechtslinguistisch kommunizierendes System für ein klares Europarecht. Demokratisch wahren die Maßgaben zweier Referenzsprachen die Amtssprachen der Mitgliedstaaten, also die muttersprachliche Lebenswirklichkeit der Bürger im Sinne des Subsidiaritätsprinzips. Die Union gewinnt so eine rechtskräftige Stimme.

Dieses Kommunikationssystem stärkt die Bürger und die Mitgliedstaaten: Sie übertragen im Prinzip der Subsidiarität politisch nur begrenzt nationale Souveränität in die Kompetenz der supranationalen Union; folglich darf Brüssel keine weitere Macht (sog. Kompetenz-Kompetenz, Art. 5 EUV) greifen, wozu Zentralismus neigt. Praktisch hängt die Abgrenzung an Sprache und Übersetzung (Normenklarheit). Die rechtsstaatliche Basis gilt für jedes Lebensverhältnis, trägt Wohlstand: “Where-ever law ends, tyranny begins” (Locke).

Damit ist unsere Einheit in Vielfalt gerecht zu gestalten. Rechtssprachenvergleichend können wir aus dem reichen Kulturspektrum schöpfen, durch Verständlichkeit und Transparenz allseits für Gesellschaft, Wirtschaft, Umwelt. Das wirkt für Europa im Ganzen und in die Welt hinein, gibt tatkräftige Orientierung: eine kopernikanische Wende zur Wahrheit (Luttermann, EWS 2011, 330).

Wir müssen interkulturell neue Wege erschließen, gerade mit der Seidenstraße nach Eurasien (Luttermann/Hummel, RIW 2018, 30), um aus den Schulden herauszuwachsen und Zukunft zu erarbeiten – qualitativ, nicht quantitativ verkürzt.

Wir benötigen eine Verantwortungskultur in allen Lebensbereichen. Menschliche Substanz, Solidarität und Balance, aristotelisch: Maß und Mitte. Nachhaltigkeit befördert der Europäische Green Deal (ec.europa.eu) im angemessenen ökologischen Umbau der Wirtschaft, der uns mit der Umwelt versöhnt. Vernunft, die Errungenschaft der europäischen Aufklärung, kann das Werk vollenden: Sie krönt (von lateinisch corona) symbolisch Leben und Gerechtigkeit.

Brechen wir also auf zur Krönung unserer Rechtsgemeinschaft, ganz praktisch beginnend mit der Sprache als “Urwissenschaft” (Ortega y Gasset) und Mittel für die Umsetzung. Durch die Reform des Sprachenrechts gewinnt die Europäische Union eine klare Stimme, Identität und Wohlergehen beim Neubau der Welt.

Professor Dr. Claus Luttermann, Ingolstadt

 
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