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RIW 1996, 433
 
EuGH
2. Richtlinie

EuGH, Entscheidung vom 12. März 1996 - C-441/93;

EuGH vom 12.03.1996 - C-441/93
RIW 1996, 433 (Heft 5)
Urteilstenor:1. Artikel 25 der Zweiten Richtlinie des Rates vom 13. Dezember 1976 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter für die Gründung der Aktiengesellschaft sowie für die Erhaltung und Änderung ihres Kapitals vorgeschrieben sind, um diese Bestimmungen gleichwertig zu gestalten (77/91/EWG), steht einer nationalen Regelung entgegen, nach der das Kapital einer Aktiengesellschaft des Banksektors, die sich wegen ihrer Verschuldung in einer außergewöhnlichen Situation befindet, ohne Beschluß der Hauptversammlung durch die Verwaltung erhöht werden kann.2. Die Bekanntmachung des Zeichnungsangebots in Tageszeitungen fällt nicht unter den Begriff der schriftlichen Unterrichtung der Inhaber von Namensaktien im Sinne des Artikels 29 Absatz 3 Satz 3 der Richtlinie 77/91.Aus den Gründen:»Zur Anwendbarkeit der Zweiten Richtlinie auf die Aktiengesellschaften des Banksektors(18) Wie sich aus dem Titel und aus Artikel 1 der Zweiten Richtlinie ergibt, gilt diese für die in der Rechtsform der Aktiengesellschaft errichteten Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 EG-Vertrag.(19) Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat demnach als Kriterium für die Festlegung des Anwendungsbereichs der Zweiten Richtlinie die Rechtsform der Gesellschaft unabhängig von ihrer Tätigkeit gewählt.(20) Von dieser allgemeinen Regel gibt es nur eine Ausnahme, nämlich diejenige des Artikels 1 Absatz 2, wonach die Mitgliedstaaten die Richtlinie nicht auf Investmentgesellschaften mit veränderlichem Kapital und auf Genossenschaften, die in der Rechtsform der Aktiengesellschaft gegründet worden sind, anzuwenden brauchen.(21) Da die Aktiengesellschaften des Banksektors nicht unter diese Ausnahmebestimmung fallen, werden sie also von der Zweiten Richtlinie erfaßt.(22) Dies wird auch dadurch bestätigt, daß die Zweite Richtlinie u. a. in den Artikeln 20 Absatz 1 Buchstabe c, 23 Absatz 2 und 24 Absatz 2 ausdrücklich den Besonderheiten von Bankgeschäften Rechnung trägt, indem sie vorsieht, daß bestimmte Vorschriften nicht für Banken und andere Finanzinstitute, die in der Rechtsform der Aktiengesellschaft gegründet worden sind, gelten oder von den Mitgliedstaaten nicht auf diese angewandt zu werden brauchen.(23) Die Artikel 25 und 29 der Zweiten Richtlinie sehen indessen keine derartige Ausnahme vor.(24) Somit ist festzustellen, daß die Zweite Richtlinie, insbesondere ihre Artikel 25 und 29, für Aktiengesellschaften des Banksektors gilt.Zur Anwendbarkeit des Artikels 25 der Zweiten Richtlinie auf Maßnahmen zur Sanierung einer Gesellschaft des Banksektors(25) ... (38) [Es] ... ist zunächst festzustellen, daß die Zweite Richtlinie gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g EG-Vertrag bezweckt, die Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 EG-Vertrag vorgeschrieben sind, zu koordinieren, um diese Schutzbestimmungen gleichwertig zu gestalten und die Interessen der Gesellschafter und Dritter zu wahren. Somit soll die Zweite Richtlinie in allen Mitgliedstaaten ein Mindestmaß an Schutz für die Aktionäre gewährleisten.(39) Dieses Ziel wäre ernstlich in Frage gestellt, wenn die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen der Richtlinie abweichen könnten, indem sie Regelungen - auch wenn sie als Sonder- oder Ausnahmeregelungen bezeichnet werden -beibehalten, die es erlauben, ohne irgendeinen Beschluß der Hauptversammlung der Aktionäre durch eine Verwaltungsmaßnahme eine Erhöhung des Grundkapitals zu beschließen (Urteile vom 30. Mai 1991 in den verbundenen Rechtssachen C-19/90 und C-20/90, Karella und Karellas, Slg. 1991, I-2691, Randnrn. 25 f., und vom 24. März 1992 in der Rechtssache C-381/89, Syndesmos Melon tis Eleftheras Evangelikis Ekklisias u. a., Slg. 1992, I-2111, Randnrn. 32. f.).(40) Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof daher bereits entschieden, daß Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie dahin auszulegen ist, daß er der Anwendung einer Regelung entgegensteht, die es zur Sicherung der Sanierung und der Fortsetzung des Betriebs von Unternehmen, die für die Volkswirtschaft eines Mitgliedstaats von besonderer Bedeutung sind und die sich wegen ihrer Verschuldung in einer außergewöhnlichen Situation befinden, erlaubt, die Erhöhung des Grundkapitals durch Verwaltungsakt und ohne Beschluß der Hauptversammlung zu beschließen (Urteile Karella und Karellas, Randnr. 31, und Syndesmos Melon tis Eleftheras Evangelikis Ekklisias u. a., Randnr. 37, a. a. O., sowie vom 12. November 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-134/91 und C-135/91, Kerafina - Keramische und Finanz-Holding AG und Vioktimatiki, Slg. 1992, I-5699, Randnr. 18; im folgenden: Karella-Rechtsprechung).(41) Auch wenn die Zweite Richtlinie nicht speziell die Sanierung von Kreditinstituten oder von Aktiengesellschaften im allgemeinen betrifft und diese Fragen noch nicht Gegenstand einer Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene sind, bedeutet dies doch nicht, daß die Mitgliedstaaten insoweit Sanierungsmaßnahmen treffen dürften, die den Vorschriften der Richtlinie, die - wie in Randnummer 24 festgestellt - für Gesellschaften des Banksektors gelten, zuwiderlaufen.(42) Was nämlich Sanierungsmaßnahmen angeht, gilt Artikel 25, der entsprechend dem Ziel der Zweiten Richtlinie in allen Mitgliedstaaten ein Mindestmaß an Schutz für die Aktionäre gewährleistet, mangels einer ausdrücklichen Ausnahmeregelung für Kreditinstitute in gleicher Weise wie für alle anderen Unternehmen, die für die Volkswirtschaft eines Mitgliedstaats von besonderer Bedeutung sind und die sich wegen ihrer Verschuldung in einer außergewöhnlichen Situation befinden.(43) ... (44) Zu den Gemeinschaftsvorschriften für den Banksektor ist in Übereinstimmung mit Nummer 19 der Schlußanträge des Generalanwalts festzustellen, daß die Mehrzahl der betreffenden Richtlinien darauf gerichtet ist, das Niederlassungsrecht und den freien Dienstleistungsverkehr in diesem Sektor durch Sondervorschriften für die Banken zu verwirklichen und zu ergänzen. Im übrigen berühren die zahlreichen Vorschriften über das Aufsichtsrecht, aufgrund derer die zuständigen Behörden von einem Kreditinstitut verlangen können, daß es innerhalb einer bestimmten Frist seine nicht mehr angemessene Vermögenslage mit dem geltenden Recht in Einklang bringt, nicht die Befugnis der Organe des Kreditinstituts, selbst Abhilfe zu schaffen.(45) ... (49) Gesichtspunkte des notwendigen Schutzes der Sparerinteressen und ganz allgemein des Gleichgewichts des Sparsystems [erfordern] eine strikte Aufsichtsregelung, damit die Solidität des Banksystems gewährleistet ist.(50) Dies bedeutet jedoch nicht, daß eine solche nationale Regelung zwangsläufig Maßnahmen umfassen muß, die den Organen eines Kreditinstituts eine Befugnis nehmen, die ihnen als Organen einer Aktiengesellschaft nach Artikel 25 der Zweiten Richtlinie zustehen.(51) Der Schutz der fraglichen Interessen kann nämlich, wie der Generalanwalt in Nummer 18 seiner Schlußanträge zu Recht festgestellt hat, auch mit anderen Mitteln, wie u. a. durch die Schaffung eines allgemeinen Einlagensicherungssystems, angemessen gewährleistet werden, die denselben Zweck haben, jedoch die Erreichung des Zieles der Zweiten Richtlinie, in allen Mitgliedstaaten ein Mindestmaß an Schutz für die Aktionäre zu gewährleisten, nicht behindern.(52) Die Mitgliedstaaten könnten somit, wenn ihre Regelung für die Aufsicht über die Kreditinstitute nicht den Anforderungen der Zweiten Richtlinie entsprechen sollte, die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um ihre Regelung innerhalb der gesetzten Frist diesen Anforderungen anzupassen, und ein System einführen, das der Richtlinie entspricht und zugleich die fraglichen Interessen schützt.(53) Im übrigen ergibt sich aus den Akten, daß die Griechische Republik inzwischen gesetzgeberische Maßnahmen getroffen hat, durch die ein Einlagensystem eingeführt wird sowie das in der streitigen Regelung vorgesehene Amt des kommissarischen Verwalters und damit dessen Befugnisse einschließlich der Befugnis, anstelle der Hauptversammlung die Erhöhung des Kapitals einer Bank zu beschließen, abgeschafft werden.Zu den Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 25 der Zweiten Richtlinie(54) ... (57) Wie der Gerichtshof in den Urteilen Karella (a. a. O., Randnr. 30) und Syndesmos Melon (a. a. O., Randnr. 27) festgestellt hat, soll die Zweite Richtlinie sicherstellen, daß insbesondere bei der Gründung einer Gesellschaft sowie bei der Erhöhung und der Herabsetzung ihres Kapitals die Rechte der Gesellschafter und Dritter gewahrt werden. Die Richtlinie steht zwar nicht dem Erlaß von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, durch die die Gesellschaft zum Erlöschen gebracht werden soll, und insbesondere nicht Abwicklungsregelungen entgegen, die die Gesellschaft zum Schutz der Rechte der Gläubiger einer Zwangsverwaltungsregelung unterstellen. Sie findet jedoch im Fall einer einfachen Sanierungsregelung, die den Fortbestand der Gesellschaft sichern soll, weiter Anwendung, auch wenn diese Regelung bewirkt, daß die Aktionäre und die satzungsmäßigen Organe der Gesellschaft vorübergehend ihrer Rechte enthoben werden.(58) Die vorliegende Einsetzung eines kommissarischen Verwalters weist dagegen keine Ähnlichkeit mit dem Erlaß von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen oder gar einer Abwicklungsregelung auf, auch wenn alle Befugnisse und Zuständigkeiten der satzungsmäßigen Organe auf diesen Verwalter übergehen. Wie nämlich die Beklagten des Ausgangsverfahrens selbst ausgeführt haben, unterscheidet Artikel 8 Absatz 1 des Ausnahmegesetzes Nr. 1665/1961 hinsichtlich der vom Währungsausschuß zu treffenden Maßnahmen zwischen dem Entzug der Zulassung der Bank, der zu deren Liquidation führt, und der Einsetzung eines Verwalters. Wie die Beklagten des Ausgangsverfahrens ferner ausgeführt haben, sollte die Einsetzung des kommissarischen Verwalters gerade den Fortbestand der betroffenen Gesellschaft sichern und belegt damit, daß sie Teil einer Regelung zur Sanierung einer Gesellschaft ist.(59) Somit kann nicht angenommen werden, die Gesellschaft bestehe nicht mehr, was hier zudem noch dadurch bestätigt wird, daß den satzungsmäßigen Organen nur vorübergehend ihre Verwaltungsbefugnisse und -zuständigkeiten entzogen waren und alle Kapitalerhöhungen, die im Anschluß an die vom kommissarischen Verwalter vorgenommene Kapitalerhöhung erfolgten, wieder von der Hauptversammlung der Aktionäre beschlossen wurden.(60) Aufgrund all dessen ist auf die erste und zweite Frage somit zu antworten, daß Artikel 25 der Zweiten Richtlinie einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der das Kapital einer Aktiengesellschaft des Banksektors, die sich wegen ihrer Verschuldung in einer außergewöhnlichen Situation befindet, ohne Beschluß der Hauptversammlung durch die Verwaltung erhöht werden kann....(61) Artikel 29 Absatz 3 der Zweiten Richtlinie betrifft die Modalitäten des Angebots zur vorzugsweisen Zeichnung, das den Aktionären einer Aktiengesellschaft nach Absatz 1 dieses Artikels bei jeder Erhöhung des gezeichneten Kapitals durch Bareinlagen zu machen ist.(62) Nach dieser Vorschrift brauchen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats die Bekanntmachung des Zeichnungsangebots in dem gemäß der Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind (ABl. L 65, S. 8), bestimmten einzelstaatlichen Amtsblatt nicht vorzuschreiben, wenn sämtliche Aktien der Gesellschaft Namensaktien sind. In diesem Fall sind gemäß Artikel 29 Absatz 3 Satz 3 der Zweiten Richtlinie die Aktionäre schriftlich zu unterrichten.(63) Unstreitig sahen die griechischen Rechtsvorschriften im maßgeblichen Zeitraum nicht gemäß diesem Artikel die Bekanntmachung der Mitteilung in dem hierzu bestimmten einzelstaatlichen Amtsblatt vor.(64) Vor diesem Hintergrund stellt das vorlegende Gericht die Frage, ob die Bekanntmachung des Angebots in Tageszeitungen unter den Begriff der schriftlichen Unterrichtung im Sinne des Artikels 29 Absatz 3 Satz 3 der Zweiten Richtlinie fällt.(65) Zur Beantwortung dieser Frage ist festzustellen, daß Artikel 29 Absatz 3 sicherstellen will, daß alle Inhaber von Namensaktien namentlich und einzeln über die Bedingungen für die Ausübung ihres Vorzugsrechts unterrichtet werden, wenn die Bekanntmachung in dem hierzu bestimmten einzelstaatlichen Amtsblatt erfolgt.(66) Auf diese Frage ist daher zu antworten, daß die Bekanntmachung des Zeichnungsangebots in Tageszeitungen nicht unter den Begriff der schriftlichen Unterrichtung der Inhaber von Namensaktien im Sinne des Artikels 29 Absatz 3 Satz 3 der Zweiten Richtlinie fällt.(67) ... (69) Nach ständiger Rechtsprechung ist es Sache des Gerichtshofes, die Angemessenheit des durch die nationalen Rechtsordnungen gewährten Rechtsschutzes zu überprüfen, wenn es um Rechte geht, auf die sich ein einzelner auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts beruft.(70) Im vorliegenden Fall wäre die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und seine volle Wirksamkeit beeinträchtigt, wenn von einem Aktionär, der sich auf Artikel 25 Absatz 1 der Zweiten Richtlinie beruft, allein deswegen angenommen würde, daß er sein Recht mißbräuchlich ausübt, weil er Minderheitsaktionär einer Gesellschaft ist, die einer Sanierungsregelung unterliegt, oder weil er angeblich Vorteile aus der Sanierung der Gesellschaft gezogen hat. Da Artikel 25 Absatz 1 nämlich unterschiedslos für alle Aktionäre und unabhängig vom Ausgang eines etwaigen Sanierungsverfahrens gilt, würde eine auf derartigen Gründen beruhende Qualifizierung einer auf Artikel 25 Absatz 1 gestützten Klage als mißbräuchlich darauf hinauslaufen, daß die Tragweite dieser Vorschrift verändert würde.«

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