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WRP 2020, I
Körber 

Kartellrecht und Kartellrechtspraxis in Zeiten von COVID-19

Abbildung 1

Prof. Dr. Torsten Körber, LL.M.

Die aktuelle COVID-19-Pandemie lässt auch das Kartellrecht und seine Anwendung nicht unberührt. Sie wirft – wie die Bankenkrise 2008 – zahlreiche Fragen grundsätzlicher wie praktischer Art auf: Sind Markt und Wettbewerb als Ordnungsprinzipien oder jedenfalls die Globalisierung gescheitert? Muss der Staat wieder stärker das Ruder in die Hand nehmen? Sollte ein besonderes Krisenkartellrecht geschaffen werden? Sollte die Anwendung des Kartellrechts vorübergehend erleichtert oder gar ausgesetzt werden?

Die COVID-19-Pandemie hat in manchen Bereichen den Anstoß zu lange überfälligen Reformen gegeben. Das gilt insbesondere für die Digitalisierung. Beispielsweise können Hauptversammlungen (zunächst) auch digital durchgeführt werden und die Lehre an den Universitäten wurde binnen Wochen digitalisiert. Andererseits besteht die Gefahr, dass der Staat, wenn er – wie jetzt – besonders gefordert wird, „über die Stränge schlägt“ und ökonomische und persönliche Freiheiten zu kurz kommen, dass dirigistische Phantasien aus der politischen Mottenkiste geholt und im Gewande eines angeblichen Krisenmanagements erneut ins Rennen geschickt werden oder dass der Ruf nach Subventionen laut wird, die vordergründig der Überwindung der aktuellen Krise dienen, in Wirklichkeit aber einen Strukturwandel aufhalten sollen, der durch die Krise lediglich offengelegt oder beschleunigt wurde (wie das Sterben großer Kaufhäuser in Zeiten des Internethandels). Hier ist Vorsicht geboten, denn die Wirtschaft finanziert den Staat – und nicht umgekehrt. Die Krise kann daher am Ende nicht der Staat überwinden, sondern nur der Markt auf der Basis freien, unverfälschten und funktionsfähigen Wettbewerbs.

Bestimmte, bereits im Kartellrecht vorhandene Instrumentarien (etwa das Institut der Sanierungsfusion oder die Ministererlaubnis nach § 42 GWB) können helfen, die Folgen wirtschaftlicher Krisen abzumildern. Doch haben die Kartellbehörden schon in der Bankenkrise gezeigt, dass sie schnelle und sachgerechte Entscheidungen auch auf der Basis des allgemeinen Kartellrechts treffen können, um Schaden von den Unternehmen und von der Wirtschaft insgesamt abzuwenden. So hat die EU-Kommission damals manche Fusion buchstäblich „über Nacht“ freigegeben. Kompetenz und Entscheidungsfreudigkeit von EU-Kommission und nationalen Kartellbehörden sind auch gefordert, wenn es gilt, Unternehmenskooperationen sachgerecht zu bewerten, die zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie (z. B. durch Kooperationen im Pharmabereich) oder zur Bewältigung der wirtschaftlichen Pandemie-Folgen erforderlich sind. Dies wird gerade durch die Flexibilität der existierenden kartellrechtlichen Eingriffstatbestände ermöglicht und zeigt, dass es ein Fehler wäre, auf der Basis tagespolitischer Herausforderungen ein weitreichendes Sonderkartellrecht für die derzeitige Krise oder in Bezug auf bestimmte Sektoren zu schaffen. Dass insoweit eine Lösung auf der Basis der Rechtsanwendung möglich ist, zeigt auch die gemeinsame Stellungnahme der im ECN zusammengeschlossenen Kartellbehörden vom 23.03.2020, in welcher eine großzügige, der Krise angemessene Handhabung von Freistellungen vom Kartellverbot avisiert wird.

Vor diesem Hintergrund ist es zu begrüßen, dass für das deutsche Kartellrecht nur sehr moderate und befristet geltende Änderungen erfolgt sind. Das „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Wettbewerbsrecht und für den Bereich der Selbstverwaltungsorganisationen der gewerblichen Wirtschaft“ vom 25.05.2020 (BGBl. 2020 I, S. 1067) soll einerseits dem Umstand Rechnung tragen, dass Ermittlungs- und Entscheidungsprozesse durch die Pandemie möglicherweise verlangsamt wurden, und andererseits bebußten Unternehmen temporär finanzielle Entlastung verschaffen. Dazu wird § 186 GWB um zwei neue, befristet geltende Absätze ergänzt: Abs. 7 verlängert die maximale fusionskontrollrechtliche Prüffrist im Vorverfahren für Vorhaben, die von März bis Mai 2020 beim BKartA angemeldet wurden, von einem auf zwei Monate und die maximale Gesamtverfahrensdauer von vier auf sechs Monate, sofern bei Inkrafttreten des Gesetzes am 29.05.2020 nicht bereits ein Fristablauf eingetreten oder eine Freigabe erfolgt ist. Abs. 8 setzt die Pflicht zur Verzinsung von Kartellbußgeldern bis zum 30.06.2021 aus, soweit für die betreffende Kartellbuße Zahlungserleichterungen nach § 18 oder § 93 OWiG gewährt sind. Letzteres ist erforderlich, weil zwar die Gewährung von Zahlungserleichterungen im Ermessen der Behörde liegt, die Verzinsungspflicht aber aus dem Gesetz selbst folgt (§ 81 Abs. 6 S. 1 GWB) und nicht vom behördlichen Ermessen umfasst wird.

Darüber hinaus können und sollten die Kartellbehörden den Unternehmen durch eine großzügige Praxis und durch Rechtssicherheit schaffende Leitlinien helfen, das Kartellrecht auch angesichts der Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie einzuhalten. Das ist wichtig, denn Unternehmen sind in Krisensituationen nicht nur in besonderem Maße auf Kooperationen angewiesen, sondern auch einer besonderen Verlockung ausgesetzt, sich durch kartellrechtswidriges Verhalten auf Kosten anderer zu retten oder schadlos zu halten. Eine individuelle oder allgemeine Krise ist aber nicht per se ein Rechtfertigungsgrund für Kartellrechtsverstöße. Im Gegenteil: Wir brauchen wirksamen Wettbewerb, um die ökonomischen Folgen der COVID-19-Pandemie zu überwinden. Eine funktionierende Kartellrechts-Compliance ist daher in Krisenzeiten ebenso wichtig wie eine flexible Handhabung des Kartellrechts durch die Behörden.

Prof. Dr. Torsten Körber, LL.M., Köln

 
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