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ZFWG 2022, 217
Hayer 

Das Einzahlungslimit von 1.000 EUR für Online-Glücksspiele: Warum diese Grenze zu hoch angesetzt ist

Abbildung 1

Zwingende Vorrausetzung für eine evidenzgestützte Weiterentwicklung des Glücksspielstaatsvertrages (GlüStV) ist das Wissen um wirksame Maßnahmen des Jugend- und Spielerschutzes zur Abwehr der mit Glücksspielen assoziierten Suchtgefahren. In diesem Zusammenhang stellt die Einführung einer anbieterübergreifenden Limitdatei für Online-Glücksspiele (§ 6c GlüStV) auf den ersten Blick eine Errungenschaft dar1: Verschiedene Evaluationsstudien verweisen grundsätzlich auf den suchtpräventiven Mehrwert derartiger Pre-Commitment-Systeme, mit denen im Vorfeld einer Glücksspielteilnahme Begrenzungen der Spielzeit, des Einsatzes, möglicher Gewinne und/oder Verluste festgelegt werden2. Dies scheint insbesondere für verbindlich vorgegebene Beschränkungen zu gelten, da ausschließlich auf Freiwilligkeit basierende Ansätze mit einer geringen Inanspruchnahmerate einhergehen3.

Konkret sieht § 6c GlüStV ein Einzahlungslimit für alle Glücksspiele im Internet vor, das 1.000 EUR pro Monat nicht überschreiten darf. Gewinne, Einsätze oder andere (nicht-finanzielle) Parameter bleiben davon genauso unberührt wie eine Spielteilnahme an terrestrischen Glücksspielangeboten. Mit anderen Worten: Es wurde eine gesetzliche Norm verankert, die es gestattet, bis zu 1.000 EUR monatlich in einem spezifischen Glücksspielsegment zu „verzocken“. Erwartungsgemäß hat die Höhe dieses Grenzwertes heftige Diskussionen ausgelöst. Während der Betrag vor allem von Seiten der Suchthilfe und von Betroffenen als deutlich zu hoch eingestuft wurde, wünschen sich Glücksspielanbieter diametral entgegensetzt eine signifikante Heraufsetzung, vordergründig um den „Kanalisierungsauftrag“4 nicht zu gefährden und ein (Weiter-)Spielen auf illegalen Plattformen zu unterbinden. Unter dem Strich finden sich in den öffentlichen Diskussionen auch hier die bekannten Argumente auf dem Kontinuum „staatliche Fürsorgepflicht vs. mündige Bürger*innen“ wieder.

Doch wie lässt sich die Angemessenheit dieser monetären Grenzsetzung wissenschaftlich herleiten? Ein Forschungsansatz zur Beantwortung dieser Frage bezieht sich auf die empirische Bestimmung von Konsummustern, die das Risiko der Entwicklung glücksspielbezogener Probleme erhöhen5. Im internationalen Kontext liegen mittlerweile einige Studien vor, die entsprechende Schwellenwerte für eine risikoarme Glücksspielbeteiligung („low-risk gambling“) anhand verschiedener Stichproben und Datenanalyseverfahren ermittelt haben. Publikationsübergreifend konnte gezeigt werden, dass die Ausgaben für Glücksspiele (als Absolutbetrag) in einem bestimmten Zeitraum bzw. der prozentuale Anteil des individuellen oder familiären Bruttoeinkommens valide Prädiktorvariablen repräsentieren6. Als aussagekräftig erweist sich vor allem das Vorgehen von der Arbeitsgruppe um Hodgins7, die elf qualitativ hochwertige Datensätze aus acht unterschiedlichen Ländern zur Analyse herangezogen haben: So erhöht sich das Risiko für das Vorliegen glücksspielbedingter Schäden, wenn sich die Aufwendungen für Glücksspiele auf 1 % bis 3 % des monatlichen Bruttoeinkommens (im ZfWG 2022 S. 217 (218)Sinne von Nettoverlusten) belaufen. Die weitgehende Konsistenz der Befunde über einzelne westliche Länder hinweg ermöglicht eine weiterführende Übertragung auch auf den nationalen Kontext. In Deutschland betrug das monatliche Durchschnittsgehalt in 2021 bei Betrachtung aller Arbeitnehmer*innen 3.203 EUR brutto8. Unter Hinzuziehung des von Hodgins et al. extrahierten oberen Schwellenwertes von 3 %9 ergibt sich ein Limit von 96 EUR. Somit ist davon auszugehen, dass sich bei Glücksspielverlusten (alle Glücksspielformen betreffend) von bereits knapp 100 EUR im Monat die Wahrscheinlichkeit einer möglichen Fehlanpassung im Umgang mit Glücksspielen erhöht. Auf Basis dieser Berechnung wirkt das Einzahlungslimit von 1.000 EUR (nur Online-Glücksspiele betreffend) als zu hoch angesetzt.

Vor dem Hintergrund eines umfassenden Public-Health-Konzeptes10 und des ihm inhärenten Vorsorgeprinzips bedarf es folglich einer deutlichen Kurskorrektur mit einer signifikanten Verringerung des Einzahlungslimits für Online-Glücksspiele (oder perspektivisch alternativ mit einer Erweiterung des Limits auf Offline-Segmente). Als pragmatischer Kompromiss wird hier eine Reduktion auf 300 EUR11 vorgeschlagen, verbunden mit der Aufforderung, diesen Grenzwert im Hinblick auf Positiv- und Negativeffekte unter Beachtung der gängigen wissenschaftlichen Standards zu evaluieren. Daneben sollte die bislang vorgesehene Option, unter bestimmten Voraussetzungen eine Limiterhöhung zu erlauben, ersatzlos wegfallen. Zum einen ist dieser Schutzzweck als genuine Norm an Durchschnittsspielende auszurichten (und eben nicht an Besserverdienende)12. Zum anderen dürfte sich gerade in der Subgruppe, die das Limit ausreizt, eine vergleichsweise hohe Anzahl an Personen mit einem problematischen Glücksspielverhalten befinden13. Die Zukunft wird zeigen, ob ein derartiger evidenzgeleiteter Vorstoß auf Akzeptanz stößt oder ob die Glücksspielanbieter weiterhin Versuche starten, dieses im Grundsatz sinnvolle Tool durch Scheinargumente und Klageverfahren zu torpedieren.

Dr. Tobias Hayer, Bremen*

1

Vgl. Hayer, SuchtAktuell 2020, 27(2), 55–59.

2

Kalke/Hayer, Expertise zur Wirksamkeit von Maßnahmen des Spieler- und Jugendschutzes: Ein systematischer Review, 2018.

3

Delfabbro/King, International Gambling Studies, 21, 255–271.

4

Natürlich geht es bei diesem Argument eigentlich gar nicht um die Optimierung des Spielerschutzes, sondern vielmehr um die Kanalisierung der Umsätze in Richtung des eigenen Unternehmens.

5

Erstmals mit Bevölkerungsdaten aus Deutschland umgesetzt von Brosowski/Hayer/Meyer/Rumpf/John/Bischof/Meyer, Psychology of Addictive Bevahiors 2015, 29, 794–804.

6

Vgl. exemplarisch für Kanada: Currie/Hodgins/Wang/el-Guebaly/Wynne/Chen, Addiction 2006, 101, 570–580; für die USA: Weinstock/Ledgerwood/Petry, Psychology of Addictive Behaviors 2007, 21, 185–193; für Australien: Dowling/Youssef/Greenwood/Merkouris/Suomi/Room, Journal of Clinical Medicine 2021, 10, 167 und bezogen auf Online-Glücksspiele: Louderback/LaPlante/Currie/Nelson, Psychology of Addictive Behaviors 2021, 35, 921–938.

7

Hodgins et al., Cross-national consistency in lower-risk gambling limits: Linked analysis across eight countries, 2021.

8

https://de.statista.com/statistik/daten/studie/161355/umfrage/monatliche-bruttoloehne-und-bruttogehaelter-pro-kopf-in-deutschland (Zugriff am 23.3.2022).

9

Hodgins et al., Cross-national consistency in lower-risk gambling limits: Linked analysis across eight countries, 2021.

10

Vgl. Meyer/Hayer, Prävention und Gesundheitsförderung 2022 (in Druck).

11

Die Festlegung eines exakten Betrages ist (und bleibt naturgemäß immer) ein Stück weit willkürlich. Ein höheres Limit sollte aber zum jetzigen Zeitpunkt auf jeden Fall ausgeschlossen werden.

12

Beispielsweise werden leistungsstarken Kraftfahrzeugen bei Tempolimits auch keine Ausnahmen genehmigt.

13

Z. B. Fiedler/Kairouz/Costes/Weißmüller, Journal of Business Research 2019, 98, 82–91.

*

Auf Seite III erfahren Sie mehr über den Autor.

 
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