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ZFWG 2019, 417
Koenig 

„Ein Staat – zwei Systeme“ überfordert nicht den Föderalismus, sondern rechts- und ordnungspolitische Schablonen!

Abbildung 1

Jörg Ennuschat hat an dieser Stelle (ZfWG 2019, 201) die Frage „Online-Casinos: Ist der Föderalismus überfordert?“ gestellt und beantwortet. Nach seiner Auffassung wäre das Nebeneinander von Totalverbot und Online-Zulassungsregulierung im Bundesstaat zwar ein politischer Ausgleich, dennoch ein regulatorischer Irrweg, der den Bund veranlassen müsste, das Heft des Handelns zu übernehmen. Doch ist ein „entweder Totalverbot oder Regulierung“ in einer orientierungssuchenden Umbruchphase überhaupt sinnvoll? Ist nicht vielmehr zur nachhaltigen Überwindung der – unter dem Online-Verbot des § 4 Abs. 4 GlüStV wuchernden – faktischen Online-Casino-Anarchie eine geordnete föderale vorübergehende Experimentierphase unter strengen Überwachungs- und Evaluierungspflichten der Länder zielführender? Zwar werden mit der – zwecks Evaluierung eingeführten, materiell aber nie aktivierten, inzwischen beendeten – für alle Länder geltenden Experimentierphase bezüglich Sportwetten (§ 10 a Abs. 1 GlüStV) nicht gerade regulatorische Vorbildfunktionen assoziiert. Gleichwohl würde sich ein zweiter, besser gestalteter föderaler Experimentieransatz, diesmal zur wirksamen Überwachung und Regulierung von Online-Casinos, sicherlich lohnen. Die rudimentäre Blaupause hierfür – freilich nur unilateral gedacht – haben die für regulatorische Innovationen eher unverdächtigen Chefs der Staats- und Senatskanzleien (CdS) mit ihrem, mit Evaluierungspflichten verbundenen Aussetzungskompromiss in einem Protokoll vom 21. Februar 2019 gegenüber dem Land Schleswig-Holstein selbst geliefert: „Das Land Schleswig-Holstein wird seine Erfahrungen mit dem Erlaubnismodell [für Online-Casinos] den übrigen Ländern in Form eines schriftlichen Evaluierungsberichts über die Aufsichts- und Überwachungsmechanik zur Kenntnis geben.“

Nach den verfassungsrechtlichen Geboten der intraföderalen Rücksichtnahme und Gleichbehandlung der Bundesländer müsste eine überwachungsrechtliche und regulatorische Experimentierphase für Online-Casinos freilich allen Ländern (letztlich staatsvertraglich) eingeräumt werden. Bereits der Jahresreport 2016 der – ebenso wie die CdS für grundlegende Reformabsichten unverdächtigen – Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder spricht (in seiner endgültigen Fassung vom 20.3.2018) für eine überwachungsrechtlich streng ausgestaltete regulatorische Experimentierphase. Darin wird für den Online-Glücksspielbereich aufgezeigt, dass im Jahr 2016 85 % der Bruttospielerträge im nicht regulierten Markt und lediglich 15 % im regulierten Markt erzielt wurden (381 Mio. EUR Bruttospielertrag im regulierten und 2.051,6 Mio. EUR Bruttospielertrag im nicht regulierten Online-Glücksspielmarkt).

Es wäre bei dem Gebot intraföderaler Gleichbehandlung verpflichteter Betrachtung nicht nachvollziehbar, weiteren reformwilligen Ländern eine aktive Beteiligung an der Evaluierung von – modernste Digitaltechniken in Echtzeit (u. a. den „Safe-Server“) einsetzenden – Überwachungsmechanismen in Bezug auf die Risiken der Aussetzung von § 4 Abs. 4 GlüStV zu verwehren. Eine Beschränkung der Evaluierung auf das Land Schleswig-Holstein wäre aber vor allem gemessen an der ständigen Rechtsprechung des EuGH sinn- und zweckwidrig, mithin eine nicht „kohärente und systematische“ Vorgehensweise. Denn der EuGH hat in ständiger Rechtsprechung der staatlichen Evaluierung aufgegeben, zur Beurteilung der mitgliedstaatlich geltend gemachten Gefährdungs- und Risikolagen die zuverlässigsten verfügbaren wissenschaftlichen Informationen und Daten zu erheben und auszuwerten, um darzulegen, dass die mitgliedstaatliche Beschränkungsmaßnahme – hier das Online-Verbot nach § 4 Abs. 4 GlüStV – tatsächlich den sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ergebenden Anforderungen genügt. In seinem Urteil vom 30.6.2016 (Rs. C-464/15, Admiral Casinos & Entertainment AG, Rn. 34) akzentuiert der EuGH hierzu besonders die mitgliedstaatliche Pflicht zur Datenaktualisierung. Bildet aber nur eine hinsichtlich der Verlässlichkeit und Belastbarkeit zur Vermeidung statistischer Ungenauigkeiten und Streueffekte ZfWG 2019 S. 417 (418)möglichst breit angelegte mitgliedstaatliche Evaluierung den Dreh- und Angelpunkt der Binnenmarktkonformität, um tatsächliche Gefährdungs- und Risikolagen fortlaufend aktualisiert zu ermitteln und folgerichtig auszuwerten, so müsste eine Beschränkung der Evaluierung auf ein kleines Teilgebiet des Mitgliedstaates (das Land Schleswig-Holstein) als eine nicht „kohärente und systematische“ Vorgehensweise verworfen werden. Damit würde gegen ein statistisches Axiom zur Vermeidung von Evaluierungsfehlern verstoßen: Je größer der Stichprobenumfang, desto kleiner der Standardfehler. Neben dem Gebot intraföderaler Gleichbehandlung streitet mithin auch eine unionsrechtskonforme Auslegung für die Offenhaltung des von den CdS ausgehandelten Aussetzungskompromisses in Bezug auf § 4 Abs. 4 GlüStV für weitere reformwillige Länder.

Statt mehr oder weniger ungewollt, gleichwohl implizit, nach dem Bund zu rufen, sollten sich die Länder zumindest für eine überwachungsrechtliche und regulatorische Experimentierphase nach dem weisen chinesischen – dort aktuell freilich missachteten – Motto „ein Staat – zwei Systeme“ zusammenraufen.

Univ.-Prof. Dr. Christian Koenig, Bonn*

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