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ZNER 2012, 219
Becker 

Editorial

Die ZNER widmet diese Ausgabe dem Schwerpunkt Atomausstieg. Denn der „Ausstieg aus dem Ausstieg aus dem Ausstieg“ hat zumindest in der Öffentlichkeit den Eindruck erzeugt, dass mit der Abschaltung des letzen Reaktors im Jahre 2022 die Atomverstromung beendet sei und in der Zwischenzeit eine geordnete Abwicklung eines interessanten Kapitels Industriegeschichte erfolge. Aber wenn sich Insider mit der Innenansicht dieses Kapitels befassen, kommen erstens viele spannende bis delikate Details ans Tageslicht. Zudem zeigt sich eine hohe Komplexität der Staatsaufgaben bis hin zum „Ewigkeitstrauma“ der Atomverstromung, der ungelösten Entsorgungsfrage. Die Redaktion freut sich, das es gelungen ist, sachkundige AutorInnen für das Schwerpunktheft zu gewinnen, dessen Betreuung in der Hand ihres Mitgliedes Cornelia Ziehm lag.

Sie gibt mit dem Kopfaufsatz Atomausstieg und Energiewende einen Überblick über die Abläufe, die zur 13. AtG-Novelle führten. Dieses Gesetz hatte jedoch keineswegs einen „roma locuta“-Effekt. Vielmehr bleibt wirksam die 12. AtG-Novelle mit Vorschriften über ein neues Schutzniveau (§ 7d „Weitere Vorsorge“) sowie über Enteignungen für ein atomares Endlager. Dazu kommen die Verfassungsbeschwerden der Atomkonzerne E.ON und RWE, die wahrscheinlich aussichtslos sind, aber anhängig bleiben, weil sie für die Konzerne die angenehme Folge haben, dass die Rückbau- und Entsorgungsrückstellungen noch einige Zeit verfügbar bleiben. Dazu kommt eine delikate „Fundsache“: Der Deutschen Umwelthilfe gelang mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) und des Verwaltungsgerichts Berlin ein Einblick in die Abstimmung zwischen BMU und BMJ, die Folgendes zutage förderte: Das BMU hatte öffentlich behauptet, dass das BMJ die erforderliche Rechtsprüfung zum Spielraum für eine Laufzeitverlängerung vorgenommen habe. Tatsächlich hatte das BMJ rechtliche Zweifel zum Ausdruck gebracht. Die ZNER druckt auch die Entscheidung des VG Berlin dazu ab; ferner ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichts, das das IFG durchaus als interessantes Instrument zum Einblick in den Arkanbereich der öffentlichen Verwaltung ausweist.

Mit der Sicherheitsgewährleistung für Kernkraftwerke während der Restlaufzeit befassen sich Roßnagel und Hentschel. Der Aufsatz zeigt die rechtliche Basis für die dynamische Schadenvorsorge auf, was schon deswegen erforderlich ist, weil nicht nur die stillgelegten, sondern auch die noch laufenden Kernkraftwerke konzeptionell seit langem nicht mehr dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Sie verharren vielmehr auf dem Stand von vor 23 Jahren. Es gab danach neue Risiken wie etwa das des terroristischen Angriffs auf Kernkraftwerke durch den gezielten Absturz eines Passagierflugzeugs, einem Risiko, dem sieben der abgeschalteten Atomkraftwerke zum Opfer fielen. Das achte, Krümmel, hatte seine Betriebserlaubnis wegen überlanger Stillstandszeit aus Rechtsgründen schon vorab verloren. Es gibt mehrere konzeptionelle Vorgaben, anhand derer die Sicherheitsauflagen für die verbliebenen Kernkraftwerke überprüft werden können. Sie gehen über den Standard des neuen § 7d AtG deutlich hinaus, den die Autoren daher auch für verfassungswidrig halten.

Mit dem Endlagerthema befasst sich einer der besten deutschen Kenner der Materie, nämlich Wolfram König, Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz. Er gibt einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Endlagerfrage bis hin zum Entwurf eines Standortauswahlgesetzes und macht dabei darauf aufmerksam, dass der Forderung, Gorleben vorab endgültig zu schließen, nicht entsprochen werden könne. Denn die Nicht-Eignung von Gorleben sei bislang – ebenso wenig wie die Eignung von Gorleben – nicht offiziell festgestellt worden. Wichtig ist die Feststellung für die Standortauswahl, dass „Entscheidungsgrundlagen und Bewertungen entweder seit langem zur Verfügung stehen oder von den bestehenden Institutionen erstellt werden“ könnten. Es fehle also nicht an wissenschaftlich fundierten Aussagen, „sondern einem geordneten politischen und administrativen Prozess, um sie zur Vorbereitung der Standortentscheidung auszuwerten.“ Wie immer liegt damit der Ball bei der Politik.

Sehr interessant ist auch der Beitrag von Bettina Meyer, die als Referentin für Klimaschutzpolitik im Umweltministerium Schleswig-Holstein arbeitet und ehrenamtlich im Vorstand des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS) tätig ist, das schon mit der Untersuchung über die staatliche Förderung der Atomenergie im Zeitraum 1950 bis 2010 auf sich aufmerksam gemacht hatte. Sie zeigt auf, dass die Rückstellungen für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung, die die Atomkonzerne zu bilden hatten, im Grundsatz ausreichen, aber um Risikorücklagen für Kostenerhöhungen ergänzt werden müssten. Sie schlägt daher ein Reformkonzept vor, in dessen Rahmen verstärkte Transparenz und Überprüfung der Nuklearrückstellungen gewährleistet werden müssten. Um die öffentliche Verantwortung für die Rückstellungen abzusichern, fordert sie – wie schon vor ihr der verstorbene Mitgründer der ZNER Hermann Scheer – eine öffentlich-rechtliche Fondslösung für langfristige nukleare Verpflichtungen.

Zwei sehr interessante Aufsätze befassen sich schließlich mit den Situationen in Frankreich und Japan nach Fukushima. Anaïs Guerry stellt zunächst die direkten politischen Reaktionen nach Fukushima in Frankreich dar, teilt mit, dass eine Mehrheit der Franzosen für eine Energiewende wäre, die allerdings keine Strompreissteigerung will. Die Strompreise in Frankreich werden nach wie vor subventioniert, insbesondere die Preise für die Industrie, so dass die Atomverstromung Bestandteil der französischen Industriepolitik ist. Das macht natürlich einen Ausstieg besonders schwer. Zwar hat Nicolas Sarkozy die Agentur für Atomsicherheit mit einer vollständigen Sicherheitsüberprüfung beauftragt. Dafür wurden die Reaktoren aber nicht einmal abgestellt. Untersucht wurde auch die Schätzung der Rückbaukosten, für die 18,4 Mrd. Euro bereitgestellt sind. In Frankreich müssen dafür allerdings 58 Reaktoren zurückgebaut werden, während für die 17 Reaktoren in Deutschland etwa 30 Mrd. Euro zurückgestellt sind. Da kann etwas nicht stimmen. Der neue französische Präsident strebt eine Energiepolitik an, die eine Reduzierung des nuklear gewonnenen Stromanteils von 75 auf 50 Prozent bis 2025 vorsieht. Andererseits soll aber die Forschung am European Pressurized Reactor (EPR) in Flamanville fortgesetzt werden. Der politische Druck, der in Deutschland von den Grünen ausging und zum Atomausstieg führte, muss eben in Frankreich erst aufgebaut werden.

Philipp Spatz untersucht die Situation in Japan mit einer sehr spannenden Vorstellung einzelner wichtiger Akteure. Nach einem Überblick über die rechtlichen Aufsichtsinstrumentarien und ihre Organe betrachtet der Autor kurz den Ablauf des Unfalls und den IAEA Mission Report, die Konsequenzen daraus sowie die Be¬ZNER 2012 S. 219 (220)schlussfassung über ein neues Gesetz zu Erneuerbaren Energien, das dem deutschen EEG nachgebildet ist.

Der Entscheidungsteil wächst und wächst. Er zeigt, dass das Energierecht längst ein quantitativ bedeutsamer Teil der Gerichtspraxis geworden ist, was die Universitätsausbildung aber kaum zur Kenntnis nimmt. Im übrigen enthält der Überblick nicht nur business as usual. Vielmehr zeigt sich an den Entscheidungen des OVG Münster zu den E.ON-Altkraftwerken Datteln und Shamrock, dass das OVG seine umweltrechtsorientierte kritische Rechtsprechung fortsetzt; Vorgänger waren die Kassationsentscheidungen zu den neuen Kohlekraftwerken Datteln (E.ON) und Lünen (Trianel). Sie zeigen, dass zur Investitionsplanung heute auch eine Abschätzung der Rechtsprechungsrisiken gehört. Interessant auch die beiden schon erwähnten Entscheidungen zum IFG, die nicht nur bürgerlichen Interessen am Innenbereich der öffentlichen Verwaltung ein Instrument in die Hand geben, sondern auch signalisieren, dass die Gewährleistung von Transparenz heute ein Essentiale staatlicher Planung von Großprojekten sein muss.

Sehr interessant ist neben dem Beschluss des FG Baden-Württemberg auch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur Zwischenlagerung von Kernbrennstoffen: Das Gericht hat seine Rechtsprechung im Urteil vom 10. April 2008 (ZNER 2010, 417) bekräftigt. Im entschiedenen Fall ging es darum, ob Castor-Behälter gegen den gezielten Absturz eines A380 ausgelegt seien und welche Anforderungen an die gerichtliche Kontrolldichte gelten. Im amtlichen Leitsatz 2 heißt es dazu, dass die eingeschränkte gerichtliche Überprüfung atomrechtlicher Genehmigungen mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG nicht auf eine Plausibilitätskontrolle reduziert werden dürfe. Das Gericht stellt auch klar, dass § 7d AtG nicht dahingehend verstanden werden dürfe, „das erreichte Niveau der Vorsorge und des Drittschutzes im Atomrecht zu schmälern“. Die entsprechenden Bedenken von Renneberg (ZNER 2011, 106, , 112) und Roßnagel/Hentschel (ZNER 2011, 7, , 9) würden nicht geteilt: Bemerkenswert!

Peter Becker

 
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