R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Arbeitsrecht
26.08.2022
Arbeitsrecht
LAG Nürnberg: Kündigung – Kündigungsschutz – Wahlinitiator

LAG Nürnberg, Urteil vom 25.2.2022 – 3 Sa 109/21

ECLI:DE:LAGNUER:2022:0225.3SA109.21.00

Volltext:BB-ONLINE BBL2022-1971-4

Leitsatz

Die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers, der zu einer Betriebs- bzw. Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands für eine Betriebsratswahl einlädt, endet nach § 15 Abs. 3a S. 1 KSchG erst mit Bekanntgabe des Ergebnisses der Betriebsratswahl. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer nicht in den Wahlvorstand gewählt wird.

Sachverhalt

Die Parteien streiten um zwei betriebsbedingte Arbeitgeberkündigungen.

Der am 02.04.1963 geborene Kläger ist bei der Beklagten seit dem 15.01.2017 als Sales Manager EMEA im Industrievertrieb beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wird geregelt durch den schriftlichen Arbeitsvertrag vom 21.12.2016 (Anlage K1 zur Klage, Bl. 5 ff. d.A.).

§ 1 Abs. 2 lautet: „Als Dienstsitz des Mitarbeiters wird ein Home Office vereinbart“.

In § 1 Abs. 5 wird auf eine dem Vertrag als Anlage 1 beigefügte Stellenbeschreibung verwiesen. Dort ist geregelt, dass die Stellenbeschreibung innerhalb der ersten vier Wochen gemeinsam erstellt wird. Es existiert eine Stellenbeschreibung (Anlage B1 zum Schriftsatz vom 28.10.2019, Bl. 48 f. d.A.), der Kläger hat vorgetragen, dass diese nicht durch die Parteien gemeinsam erstellt wurde.

Die Stellenbeschreibung sieht hinsichtlich des Tätigkeitsbereichs des Klägers Folgendes vor:

- Verantwortlich für das Managen des gesamten Vertriebsaufwands für einen zugewiesenen Kundenstamm in EMEA.

- Kundenpräsentationen an wichtige Entscheidungsträger und andere relevante Funktionsbereiche von bestehenden und potenziellen Kunden innerhalb des jeweiligen Kundenstamms.

- Erfüllen der festgelegten vierteljährlichen Vertriebsziele für die EMEA-Region.

- Koordinieren von Kundenbesuche, einschließlich der Gesamtverantwortung für Agenda, Betriebsbesichtigungen und Unterhaltung.

- Besuch von Fachausstellungen.

Diese Aufgaben erfüllt der Kläger auch nach seinem eigenen Vortrag. In der Vergangenheit war der Kläger vor allem für den japanischen Kunden E… und B… (B…– Hausgeräte), M… u. ä. tätig. Den Großkunden E… hat er nach seinen eigenen, nicht bestrittenen Ausführungen ca. vierteljährlich besucht. Daneben betreute er noch ca. zehn Bestandskunden, mit denen er telefonisch kommunizierte und sie nur bei Problemen oder Jahresverhandlungen besuchte. Er hatte Kunden in Deutschland, Belgien, Frankreich und Norwegen. Außerhalb von Deutschland wurden die Verhandlungen auf Englisch geführt.

Seine monatliche Bruttovergütung beträgt 9.721,25 €.

Das Kündigungsschutzgesetz ist auf das Arbeitsverhältnis anwendbar.

Mit Schreiben vom 25.07.2019 sprach die Beklagte dem Kläger gegenüber eine betriebsbedingte Änderungskündigung zum 31.12.2019 aus, wonach der Kläger ab dem 01.01.2020 seine Tätigkeit, soweit er sich nicht auf Dienstreise befindet, am Sitz des Unternehmens in N… und nicht mehr im Home-Office erbringen sollte.

Der Kläger nahm diese Änderungskündigung unter dem Vorbehalt der sozialen Rechtfertigung an und stellte sie mit Klage vom 02.08.2019 zur Überprüfung durch das Arbeitsgericht.

Mit Schreiben vom 12.03.2020 hat der Kläger zur Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes zum Zweck der Neugründung eines Betriebsrates eingeladen. Die Betriebsversammlung fand am 27.05.2020 statt. Der Kläger, der sich auch als Wahlvorstand zur Wahl gestellt hatte, wurde nicht gewählt. Die neu gewählte Wahlvorstandsvorsitzende gab mit Schreiben vom 19.06.2020 der Belegschaft das Wahlergebnis bekannt. Die erste Sitzung des Wahlvorstandes war zunächst für den 23.06.2020 geplant, musste jedoch auf den 30.06.2020 verschoben werden. Die konstituierende Sitzung des inzwischen gewählten Betriebsrates fand am 06.10.2020 statt.

Mit Schreiben vom 23.06.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers aus betriebsbedingten Gründen zum 30.09.2020. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner am 09.07.2020 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung vom 08.07.2020.

Mit Schreiben vom 23.10.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut aus betriebsbedingten Gründen zum 31.03.2021. Hiergegen wandte sich der Kläger mit seiner am 02.11.2020 bei Gericht eingegangenen Klageerweiterung vom selben Tag.

Darüber hinaus hat der Kläger mit Klageerweiterungen Annahmeverzugsansprüche für den Zeitraum Oktober 2020 bis Januar 2021 hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Feststellungsanträgen geltend gemacht.

Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien vor dem Arbeitsgericht und der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Mit Teilurteil vom 23.02.2021 hat das Arbeitsgericht Würzburg über die beiden Beendigungskündigungen und die Annahmeverzugsansprüche entschieden.

Es hielt die beiden Kündigungen für nicht sozial gerechtfertigt. Wenn die behauptete Organisationsentscheidung und der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers praktisch deckungsgleich seien, müsse dieser konkret darlegen, wie sich seine Entscheidung auf die tatsächlichen Möglichkeiten, den Arbeitnehmer einzusetzen, auswirke und in welchem Umfang durch sie ein konkreter Änderungsbedarf bestehe. Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast seien insbesondere dann zu stellen, wenn der Arbeitgeber das Anforderungsprofil für Arbeitsplätze ändere, die bereits mit langjährig beschäftigten Arbeitnehmern besetzt seien. Darüber hinaus habe der Arbeitgeber konkret darzulegen, dass die Kündigung nicht durch mildere Mittel, insbesondere eine Fortbildung des Arbeitnehmers, zur vermeiden gewesen sei. Es sei für die Kammer nicht nachvollziehbar, wie sich die unternehmerische Entscheidung konkret auf die Einsatzmöglichkeit des Klägers auswirke. Hinsichtlich seiner mangelhaften Englischkenntnisse trage die Beklagte lediglich vage vor, diese reichten nicht aus, um auf internationalem Niveau tätig zu sein. Gerade angesichts der Tatsache, dass die Beklagte nach ihrem Vorbringen bereits Ende 2019 beschlossen habe, das Anforderungsprofil zu ändern und dass der Kläger hinsichtlich seiner Englischkenntnisse nicht bei Null anfangen musste, erscheine es nicht fernliegend, dass es ihm möglich gewesen wäre, seine Englischkenntnisse innerhalb eines Dreivierteljahres erheblich zu verbessern. Auch die mangelnden Kenntnisse im Automotive-Bereich seien nicht geeignet, die Kündigung zu rechtfertigen. Dem Kläger stünden Annahmeverzugsansprüche in der geltend gemachten Höhe zu.

Das Teilurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 23.02.2021 ist der Beklagten am 15.03.2021 zugestellt worden. Die Berufungsschrift vom 29.03.2021 ist am selben Tag beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangen. Die Berufungsbegründungsschrift vom 15.06.2021 ist am selben Tag innerhalb der bis zum 15.06.2021 verlängerten Berufungsbegründungsfrist eingegangen.

Die Beklagte wendet sich gegen das erstinstanzliche Urteil und macht geltend, dass sie Ende 2019 die unternehmerische Entscheidung getroffen habe, den Bereich Sales Europe umzustrukturieren. Der Fokus sollte auf das internationale Geschäft und weitere Internationalisierung gerichtet werden, insbesondere auf die Schwerpunkte Automotive und Key Accounts. Das Unternehmen sollte hierauf ausgerichtet werden. Ein wesentlicher Grund für die Entscheidung, zukünftig den Fokus weg von dem Industriebereich auf den Automotive- Bereich zu legen, sei gewesen, dass das amerikanische Unternehmen T… Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Beklagten signalisiert und schließlich auch einen Auftrag erteilt habe. Das „Industriegeschäft“ der D-A-CH-Region sollte an die Firma D… GmbH & Co. KG abgegeben werden. Im Industrievertrieb sollten nur noch Leitungsfunktionen verbleiben, ein Sales Manager werde nicht mehr benötigt. Die verbliebenen Leitungsaufgaben habe schon vorher der Vorgesetzte des Klägers ausgeübt. Dieser sei sowohl auf einer anderen hierarchischen Ebene als auch sozial schutzwürdiger. Die neu eingestellten Mitarbeiter seien mit dem Kläger nicht vergleichbar, da diese sowohl über die geforderten Englischkenntnisse als auch über die nötigen Erfahrungen im Automotive Bereich verfügten. Es seien lediglich noch Salesmanager im Automotive-Bereich bei der Beklagten vakant gewesen. Diese müssten aufgrund der internationalen Neuausrichtung aber nicht nur über umfangreiche und langjährige Berufserfahrung im Automotive Bereich, sondern außerdem über ein verhandlungssicheres Englisch in Wort und Schrift verfügen. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers als Automotive Sales Manager sei aufgrund dieser Anforderungen nicht möglich gewesen. Die Kündigung vom 23.06.2020 sei auch nicht deshalb unwirksam, weil der Kläger als Wahlinitiator einen besonderen Kündigungsschutz genossen habe. Der besondere Kündigungsschutz des Wahlinitiators ende mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses zum Wahlvorstand bzw., wenn es nicht zur Wahl komme, drei Monate nach dem Zeitpunkt der Einladung. Dies zeige sich an einem Vergleich mit dem Kündigungsschutz eines Wahlbewerbers zum Wahlvorstand und aus den aktuell beabsichtigten Änderungen des Kündigungsschutzgesetzes. Nachdem das Arbeitsverhältnis wirksam zum 30.09.2020 beendet worden sei, habe der Kläger keine Gehaltsansprüche mehr. Sollte die Kündigung vom 23.06.2020 aufgrund eines noch bestehenden Kündigungsschutzes unwirksam sein, hätte jedenfalls die Kündigung vom 23.10.2020 das Arbeitsverhältnis beendet. Annahmeverzugsansprüche bestünden dann nur bis zum Ende der Kündigungsfrist.

Die Beklagte und Berufungsklägerin stellt folgende Anträge:

1. Das Teilurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 23.02.2021, Az. 12 Ca 987/19, wird abgeändert.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Auch im Hinblick auf die am 11.08.2021 erfolgte Klageerweiterung wird kostenpflichtige Klageabweisung beantragt.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt:

Die Berufung gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Würzburg vom 23.02.2021, Az. 12 Ca 987/19, wird zurückgewiesen.

Im Übrigen wird die Klage wie folgt erweitert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Mai 2021 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.06.2021 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Juni 2021 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.07.2021 zu zahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für Juli 2021 7.916,67 € brutto abzüglich erhaltenes Arbeitslosengeld in Höhe von 2.542,80 € netto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.08.2021 zu zahlen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Seine Einstellung als Salesmanager für Europe Middle East Asia sei aufgrund seiner guten Sprachkenntnisse in Englisch und Spanisch erfolgt. Mit ihm sei als Dienstsitz ein Home-Office vereinbart worden. Mit einer Änderungskündigung habe die Beklagte versucht, die Erbringung seiner Tätigkeit in N… zu erreichen. Erstinstanzlich habe die Beklagte vortragen lassen, sie habe die unternehmerische Entscheidung getroffen, ab 01.01.2020 generell in Deutschland keine Home-Office Arbeitsplätze mehr zuzulassen. De facto habe aber eine Mitarbeiterin auch nach dem 01.01.2020 bis zur Eigenkündigung im Home-Office gearbeitet. Nachdem Vergleichsgespräche gescheitert seien, habe die Beklagte eine Beendigungskündigung ausgesprochen. Der Kläger habe zur Wahlversammlung zur Wahl eines Betriebsrates eingeladen und sich als Wahlvorstand zur Wahl gestellt, er sei aber nicht gewählt worden. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 23.06.2020 habe das Wahlergebnis der Betriebsratswahl nicht vorgelegen. Die Kündigung sei bereits deswegen unwirksam. Er weist darauf hin, dass die Beklagte die Beendigungskündigung erst sechs Monate nach der angeblichen Unternehmerentscheidung ausgesprochen habe. Es bestehe ein Bedarf für

Sales Manager für die Kunden B…, M… und G…. Er sei weder in Österreich noch in der Schweiz tätig geworden, sondern in Deutschland, Belgien, Frankreich und Norwegen. Berechtigte Zweifel an der unternehmerischen Entscheidung folgten bereits daraus, dass weder der Vorgesetzte, der Projekte des Klägers übernommen habe, noch der neu eingestellte Mitarbeiter Z… englische Muttersprachler seien. Einige der Tatsachenbehauptungen der Beklagten in der Berufung seien verspätet, eine Beweiserhebung diesbezüglich sei unzulässig. Es werde bestritten, dass das Industriegeschäft in der Region Europe eingebrochen wäre. Insbesondere der Kunde E… Technologies werde weiter von der Beklagten direkt betreut, darüber hinaus betreue die Beklagte massenhaft Kunden im Industriebereich im EMEA - und insbesondere im D-A-CH-Gebiet - durch verschiedene Salesmanager selbst weiter. Auch aus dem Budgetplan der Beklagten werde offensichtlich, dass diese selbst von einer langfristigen Geschäftstätigkeit im Bereich Industrie im EMEA-Bereich ausgehe. Der Budgetplan zeige auch, dass den beiden neuen Salesmanagern massenhaft Tätigkeiten im Bereich Industrie EMEA zugewiesen worden seien. Die Klage sei um weitere Annahmeverzugsansprüche zu erweitern gewesen.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze im Berufungsverfahren und auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlungen vom 25.11.2021 und 25.02.2022 verwiesen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernahme der Zeugen H…, J… und He…. Wegen des Inhalts der Zeugenaussagen wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.02.2022 in Bezug genommen.

Aus den Gründen

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2 c), d) ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO. Im Rahmen einer (verdeckten) Anschlussberufung ist die Klage um Annahmeverzugsansprüche erweitert worden, §§ 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 524 Abs. 1 ZPO, 66 Abs. 1 S. 3 ArbGG.

II. Soweit die Beklagte die Entscheidung des Arbeitsgerichts, betreffend die Kündigung vom 23.10.2020 angreift, ist die Berufung erfolgreich. Daher waren Annahmeverzugsansprüche des Klägers über den 31.03.2021 hinaus abzuweisen. Im Übrigen war die Berufung zurückzuweisen.

A. Die Kündigung vom 23.06.2020 ist gemäß § 15 Abs. 3a Satz 1 Alt. 1 KSchG unwirksam.

Die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers, der zu einer Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands gemäß § 17 Abs. 3 BetrVG einlädt, ist vom Zeitpunkt der Einladung bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses unzulässig, § 15 Abs. 3a Satz 1 KSchG. Die zur Wahl des Wahlvorstands einladenden Arbeitnehmer sowie die zur Bestellung eines Wahlvorstandes beim Arbeitsgericht antragstellenden Arbeitnehmer sind im Hinblick auf mögliche Interessenkonflikte mit dem Arbeitgeber für die Zeit der Wahl in ähnlicher Weise schutzbedürftig wie die Mitglieder des Wahlvorstandes und die Wahlbewerber (Ascheid/Preis/Schmidt/Linck, Kündigungsschutzgesetz § 15 Rn. 51, m.w.N.).

Unstreitig ist, dass der Kläger mit Schreiben vom 12.03.2020 (Anlage B11, Bl. 202 f. d.A.) zur Wahlversammlung zur Wahl eines Wahlvorstandes zum Zweck der Neugründung eines Betriebsrates eingeladen hat. Die Betriebsversammlung fand am 27.05.2020 statt. Der Kläger, der sich auch als Wahlvorstand zur Wahl gestellt hatte, wurde nicht gewählt. Die neu gewählte Wahlvorstandsvorsitzende gab mit Schreiben vom 19.06.2020 der Belegschaft das Wahlergebnis bekannt. Die erste Sitzung des Wahlvorstandes war zunächst für den 23.06.2020 geplant, musste jedoch auf den 30.06.2020 verschoben werden. Die konstituierende Sitzung des inzwischen gewählten Betriebsrates fand am 06.10.2020 statt.

Der Kündigungsschutz des Klägers begann mit der ordnungsgemäßen, die wesentlichen Formalien beachtenden Einladung i.S.v § 17 Abs. 3 BetrVG im Schreiben vom 12.03.2020. Der Kündigungsschutz endete mit der Bekanntgabe des Wahlergebnisses (§ 18 Abs. 3 BetrVG) der durchgeführten Wahl am 19.06.2020 (§ 15 Abs. 3a S. 2 KSchG, vgl. Ascheid/Preis/Schmidt/Linck a.a.O.). Nachdem in § 15 Abs. 3 Satz 1 KSchG ebenfalls auf die „Bekanntgabe des Wahlergebnisses“ abgestellt wird, sprechen sowohl Wortlaut des § 15 Abs. 3a Satz 1 KSchG als auch dessen Sinn und Zweck dafür, auch den Wahlinitiator bis zur Bekanntgabe des Wahlergebnisses gemäß § 18 Abs. 3 BetrVG zu schützen. Nachwirkender Sonderkündigungsschutz kommt dem Wahlinitiator nicht zu (Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, 4. Auflage 2017, Rn. 17-21).

Damit beendet die ordentliche Kündigung vom 23.06.2020 das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht mit Ablauf des 30.09.2020, § 15 Abs. 3a Satz 1 KSchG.

Die Berufung der Beklagten gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts Würzburg war insoweit zurückzuweisen. In der Folge war die Berufung auch insoweit zurückzuweisen, als sich die Beklagte gegen die (der Höhe nach unstreitigen) zugesprochenen Annahmeverzugsansprüche für die Monate Oktober 2020 bis Januar 2021 wandte. Auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts, die sich das Berufungsgericht insoweit nach eigener Prüfung zu eigen macht, kann verwiesen werden, § 69 Abs. 2 ArbGG.

B. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 23.10.2020 ist sozial gerechtfertigt und beendet das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Ablauf des 31.03.2021. Insoweit war das erstinstanzliche Urteil auf die Berufung der Beklagten abzuändern.

a) Mit dem Erstgericht geht auch das Berufungsgericht davon aus – und macht sich dessen zutreffende Ausführungen zu eigen –, dass nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG eine Kündigung unter anderem dann sozial ungerechtfertigt ist, wenn sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen. Eine Kündigung ist unter anderem dann durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt, wenn der Bedarf für eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers im Betrieb voraussichtlich dauerhaft entfallen ist.

b) Ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs kann sich dabei daraus ergeben, dass sich eine im Betrieb tatsächlich umgesetzte unternehmerische Organisationsentscheidung auf die Anzahl der verbliebenen Arbeitsplätze auswirkt. Trifft ein Arbeitgeber eine unternehmerische Entscheidung, ist diese selbst zwar nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unvernünftig oder willkürlich ist. Vom Gericht voll nachprüfbar ist jedoch, ob durch die innerbetriebliche Umsetzung dieser Unternehmerentscheidung das Bedürfnis für die Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers entfallen ist.

c) Dabei unterliegt auch die Gestaltung des Anforderungsprofils an den jeweiligen Arbeitsplatz der lediglich auf offenbare Unsachlichkeit zu überprüfenden unternehmerischen Disposition des Arbeitgebers. Die Entscheidung des Arbeitgebers, bestimmte Tätigkeiten nur von Arbeitnehmern mit bestimmten Qualifikationen ausführen zu lassen, ist von den Arbeitsgerichten grundsätzlich jedenfalls dann zu respektieren, wenn die Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten haben, BAG vom 22.10.2015 – 2 AZR 582/14, zit. nach juris.

d) Sind allerdings die betreffende Organisationsentscheidung und der Kündigungsentschluss des Arbeitgebers praktisch deckungsgleich, weil der Arbeitnehmer dem neuen Anforderungsprofil nicht entspricht, kann die generelle Vermutung, dass eine unternehmerische Entscheidung auf sachlichen Gründen beruht, nicht in jedem Fall von vornherein greifen. In diesem Fall muss der Arbeitgeber konkret darlegen, wie sich seine Entscheidung auf die tatsächlichen Möglichkeiten, den Arbeitnehmer einzusetzen, auswirkt und in welchem Umfang durch sie ein konkreter Änderungsbedarf entsteht.

e) Darüber hinaus hat der Arbeitgeber konkret darzulegen, dass die Kündigung nicht durch mildere Mittel, insbesondere eine Fortbildung des Arbeitnehmers, zu vermeiden war, BAG vom 07.07.2005 – 2 AZR 399/04, zit. nach juris.

Die Beklagte hat – jedenfalls in der Berufung – vorgetragen, dass sie Ende 2019 die unternehmerische Entscheidung, den Bereich Sales Europa umzustrukturieren, vor dem Hintergrund getroffen habe, dass das Industriegeschäft in dieser Region eingebrochen sei und Aufträge von Kunden, die ehemals der Kläger betreut habe, sich um 30-50 % reduziert hätten. Die verbliebenen Aufträge aus dem Industriegeschäft in Europa in der sog. D-A-CH-Region seien auf die Firma D… GmbH & Co. KG outgesourced worden. Der Fokus sollte auf das internationale Geschäft und eine weitere Internationalisierung, insbesondere mit den Schwerpunkten Automotive und Key Accounts gerichtet werden. Das Unternehmen sollte hierauf ausgerichtet werden. Grund sei gewesen, dass das amerikanische Unternehmen T… Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Beklagten signalisiert und schließlich auch einen Großauftrag erteilt habe. Hierdurch seien die Aufgaben des Klägers weggefallen. Eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei nicht möglich gewesen. Eine Sozialauswahl sei nicht vorzunehmen gewesen.

Der Vortrag der Beklagten ist nicht verspätet gemäß § 67 ArbGG. Das Erstgericht hat Angriffs- und Verteidigungsmittel im ersten Rechtszug nicht zurückgewiesen (§ 67 Abs. 1 ArbGG). Es kann dahinstehen, ob die gesetzten Fristen in erster Instanz den Voraussetzungen des § 61a Abs. 3 ArbGG genügen, jedenfalls liegt eine Verzögerung des Rechtsstreits nicht vor (§ 67 Abs. 2 ArbGG). Die Beklagte hat aufgrund der Hinweise des Erstgerichts im Teilurteil ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel bereits in der Berufungsbegründung vorgebracht. Konkretisierungen aufgrund der Berufungsbeantwortung führten ebenfalls nicht zu einer Verspätung, § 67 Abs. 4 ArbGG.

Der Vortrag der Beklagten hat sich nach durchgeführter Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts als zutreffend erwiesen. Der Arbeitsplatz des Klägers ist durch die Unternehmerentscheidung weggefallen.

Laut seinem Arbeitsvertrag war der Kläger als Sales Manager EMEA der V… GmbH Deutschland eingestellt. Ein erweitertes Direktionsrecht besteht nach dem Vertrag nicht.

Nach seinem eigenen Vortrag war der Kläger für das Managen des gesamten Vertriebsaufwands für einen zugewiesenen Kundenstamm in Europa verantwortlich. Tatsächlich betreute der Kläger den Großkunden E…, den er ca. vierteljährlich besuchte. Daneben betreute der Kläger noch ca. zehn Bestandskunden, die er nur bei Problemen oder Jahresverhandlungen besucht (Schriftsatz vom 19.11.2019, Bl. 54 d.A.). Daneben hat der Kläger Zielkunden, die er zweimal im Monat vor Ort besuchte, da auch dort regelmäßig die Kundenkontakte telefonisch von statten gehen (Schriftsatz vom 19.11.2019, Bl. 55 d.A.). Im Schriftsatz vom 04.02.2022 (Bl. 101 d. Berufungsakte) hat der Kläger angegeben, dass er 16 Projekte betreute. Er war der Ansicht, dass nicht alle Projekte im Industriebereich auf die Firma D… GmbH & Co. KG übertragen worden seien, sondern massenhaft Kunden weiterhin von Mitarbeitern der Beklagten betreut würden. Der Kläger legt Wert auf die Feststellung, dass er bestimmte Kunden wie E…, Ja… und G… nicht nur betreut, sondern auch selbst geworben habe.

Demgegenüber hat die Beklagte vorgetragen, dass der Vorgesetzte des Klägers diese Kunden selbst geworben und schon vor Ausscheiden des Klägers betreut habe.

Für die Frage des Wegfalls des Arbeitsplatzes ist nicht entscheidend, wer die vom Kläger zu betreuenden Kunden einmal geworben hat. Entscheidend ist, ob nach der behaupteten Umstrukturierung und Ausrichtung auf den Automotive-Bereich noch das Bedürfnis für die Beschäftigung eines Salesmanagers EMEA besteht. Es ist auch nicht entscheidend, ob einzelne Kunden des Klägers immer noch von Mitarbeitern der Beklagten betreut werden. Auch eine Umverteilung der Arbeit vermag den Wegfall eines Arbeitsplatzes zu begründen. Insoweit ist aber zu überprüfen, ob andere Mitarbeiter durch die Übernahme von Teiltätigkeiten des Klägers überobligatorisch belastet werden. Deshalb ist von Interesse, ob und inwieweit diese Tätigkeiten bereits vor Ausspruch der Kündigung nicht mehr vom Kläger verrichtet wurden. Hierzu ist auch auf die längere Erkrankung des Klägers vom 21.01.2020 bis Anfang März 2020 zu verweisen, ebenso wie auf die Freistellung ab Zugang der Kündigung vom 23.06.2020. Bei der Vortragslast der Beklagten ist zu berücksichtigen, dass der Kläger bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses (nach Ausspruch der Änderungskündigung weiterhin pandemiebedingt) praktisch ausschließlich im Home-Office bzw. im Außendienst tätig gewesen ist. Damit kann die Beklagte anders als bei Anwesenheit im Betrieb keine konkreten Angaben über die Arbeitszeit des Klägers machen, was sich auch auf die ihr obliegende Darlegungslast auswirkt (BAG 24.05.2012, EzA, § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung, Nr. 167).

Anders als das Arbeitsgericht meint das Berufungsgericht nicht, dass an die Beklagte erhöhte Anforderungen zur Begründung einer Änderung des Anforderungsprofils der Stelle des Klägers zu stellen sind. Denn die Beklagte hat nach ihrer Begründung in der Berufung nicht die Anforderung an die Stelle des Klägers geändert, sondern festgestellt, dass diese insgesamt aufgrund ihrer Unternehmerentscheidung weggefallen ist. Die Frage der Englischkenntnisse des Klägers ist in diesem Zusammenhang nur für die Vergleichbarkeit mit anderen Mitarbeitern (und deren Stellen) von Bedeutung. Die Beklagte hat nicht die Stelle des Klägers verändert und deshalb diesem gekündigt, sondern nach ihrem Vortrag ist die Stelle des Klägers aufgrund der Unternehmerentscheidung weggefallen und der Kläger konnte nicht weiter beschäftigt werden.

Unter Berücksichtigung dieser besonderen Umstände des Einzelfalles hat die Beklagte den Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers zur Überzeugung des Gerichts darstellen können (BAG 24.05.2012, EzA, § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 167).

So hat der Zeuge H… in seiner ausführlichen Aussage klar dargelegt, dass der ohnedies schrumpfende Bereich Industriegeschäft nach der Unternehmerentscheidung auf die Firma D… GmbH übertragen wurde. Es sei ab 2020 von Fall zu Fall entschieden worden, welche Geschäfte an die Firma D… übertragen werden. Nicht alle Geschäfte sollten abgegeben werden, solche außerhalb des deutschsprachigen Raumes sollten zunächst behalten werden. Der Mitarbeiter Z… sollte dann vergleichbare Partner im nicht deutschsprachigen Raum finden, um dann das Direktgeschäft an diese Partner übertragen zu können. Die Firmen G… und Ja… seien von der Übertragung an die D… nicht betroffen gewesen, weil es sich nicht um deutschsprachige Kunden gehandelt habe. Betreffend den Großkunden E… des Klägers hat der Zeuge klar ausgesagt, dass die Beklagte derzeit kein Geschäft mehr mit E… mache.

Bei der B…. (B…-Hausgeräte) sei zwar ein Angebot abgegeben worden, die Beklagte sei aber nicht zum Zuge gekommen.

Die Verhandlungen mit G… hätten im Jahr 2019 zur Lieferung von zwei „nichtfunktionalen Prototypen“ geführt und im Jahr 2020 seien drei funktionierende vereinbart worden, der Vertriebsprozess sei also erst ganz am Anfang gewesen. Er habe 2020 intensive Preisverhandlungen mit G… geführt, im Jahr 2021 habe G… schließlich abgesagt. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass der Kläger mit G… noch in Kontakt gewesen sei, da dieser zunächst erkrankt gewesen und dann gekündigt worden sei. Die Verhandlungen mit der Firma Ja… habe zunächst der Kläger geführt. Aufgrund der Fehler in der englischen Präsentation und den E-Mails habe sich der Zeuge dann in die Verhandlungen eingeschaltet, obwohl dies bei derartigen Verhandlungen über Muster sehr unüblich sei, das mache der Sales Manager normalerweise selber. Seit der Freistellung des Klägers betreue er Ja… alleine und schätze den Arbeitsaufwand auf etwa 1 Stunde pro Woche. Mit dem Kunden „To…“ habe es seit zwei Jahren kein Geschäft mehr gegeben, nur jetzt einen Instandsetzungsauftrag, den die Reparaturabteilung betreue, nicht der Vertrieb. Der Zeuge hat angegeben, dass sich die Tätigkeit in seiner Abteilung von dem Industriegeschäft in Richtung Automotive verlagert habe. Seine Aufgaben als Abteilungsleiter seien vor- und nachher dieselben gewesen. Er sei mittlerweile meist im Bereich Automotive, nicht im Direktvertrieb tätig. Seine Arbeitszeit habe sich nur unwesentlich verändert, durch Ja… kam etwa 1 Stunde wöchentlich dazu, denn die anderen Aufgaben seien an die D… gegangen, bzw. weggefallen. Herr Bo… kümmere sich zu fast 100 % um Automotive. Herr Z… mache das nicht-deutsche Ausland und sei dort im Partner-Sales, nicht im Endkunden-Sale tätig. Das sei etwas komplett anderes als das Direktgeschäft, in dem der Kläger tätig gewesen sei. Die Tätigkeiten des Klägers seien entweder weggebrochen oder bei D…. Von der Tätigkeit des Klägers laut der Stellenbeschreibung sei nichts mehr da.

Konfrontiert mit der Anlage K1 zum Schriftsatz vom 04.02.2022 (Bl. 103 ff. d. Berufungsakte) hat der Zeuge ausgesagt, dass es sich nicht um einen Global-Budget-Plan handele, sondern eine Projektliste aus dem Kundenmanagement-System der Beklagten. Sie habe mit dem Budget-Plan 2021 nichts zu tun, bis zum Jahr 2025 seien es Verkaufsprognosen. Diese würden von den einzelnen Account-Managern erstellt, dann ins System eingegeben und in wöchentlichen Meetings diskutiert. Die Liste werde nicht von einer Person erstellt, sondern jeder trage dort seine eigene Prognose ein. Er konnte nicht bestätigen, dass sich auffällig viele deutsche GmbHs bei Herrn Bo… befänden. Es seien wohl aufgrund eines Filters die Automotive-Projekte ausgeblendet worden und es lasse sich nicht erkennen, welche Projekte dann an die D… abgegeben worden seien. Für ihn schaue es nach einer nachträglich bearbeiteten Liste aus. Natürlich seien Altprojekte Herrn Bo… oder Herrn Z… zugeordnet worden, das seien die normalen Aufgaben der Mitarbeiter, keine zusätzlichen Aufgaben gewesen.

Die Aussage des Zeugen war für das Gericht glaubwürdig. Sein Aussageverhalten war überzeugend, er hat den Sachverhalt souverän und zusammenhängend aus seinem Gedächtnis dargestellt. Er konnte Nachfragen zufriedenstellend und widerspruchsfrei beantworten. Dabei hat die Kammer durchaus gewürdigt, dass sich der Zeuge nach wie vor in einem Arbeitsverhältnis mit der Beklagten befindet und als Vorgesetzter bei unzureichenden Leistungen des Klägers auch ein Eigeninteresse an dessen Ausscheiden haben könnte. Weil aber der Zeuge plausibel die Unterstützung des Klägers bei englischsprachigen Geschäftsbeziehungen zur Sicherstellung von professionellen Angeboten schilderte und keinen Belastungseifer zeigte, ist die Kammer nach wie vor von der Glaubwürdigkeit des Zeugen überzeugt. Die Aussage war auch glaubhaft, da seine Schilderungen nicht im Widerspruch zum unstreitigen Akteninhalt stehen.

Die Aussage des Zeugen H… wird durch die Aussagen der vom Kläger benannten Zeugen J… und He… bestätigt.

Der Zeuge J… hat ausgesagt, dass der Kontakt der Firma Ja… zur Beklagten aufgrund seiner Empfehlung des Klägers zustande gekommen sei. Er hat aber auch bestätigt, dass im Sommer 2020 schon Herr H… übernommen habe.

Der Zeuge He… hat den Vortrag der Beklagten, dass ein Geschäft mit E… Technologies nicht mehr stattfindet, vollständig bestätigt. Er hat ausgesagt, dass er schnell Kontakt mit dem Kläger bekommen habe und auch Herr H… seit August 2017 als Vorgesetzter involviert gewesen sei. Die Basisvertriebsarbeit habe hauptsächlich der Kläger gemacht. Letzte Verhandlungsversuche mit dem Vertrieb habe es 2019 gegeben, eine Zusammenarbeit sei aber nicht mehr zustande gekommen. Auch bei der Aufarbeitung der Mängel sei natürlich der Vertrieb beteiligt gewesen, sowohl der Kläger als auch Herr H…. Die Regressverhandlungen hätten im Wesentlichen zwischen den beiden Einkaufsabteilungen stattgefunden, der Vertrieb V… und die Entwicklung die E… seien involviert gewesen.

Auch die Zeugen des Klägers haben somit den Vortrag der Beklagten bestätigt. Geschäft mit der Firma E… wurde nicht mehr abgeschlossen. Bei der Firma Ja… war zunächst der Kläger und später auch Herr H… tätig.

Die Aussagen dieser Zeugen waren für das Gericht sowohl glaubwürdig als auch glaubhaft. Ihr Aussageverhalten war überzeugend und es lagen keine Anhaltspunkte für Interessenkonflikte vor. Die Aussagen stimmen überein mit dem unstreitigen Akteninhalt.

Die Beweisaufnahme hat den vollständigen Wegfall des Arbeitsplatzes des Klägers bestätigt. Demgegenüber gibt es keine Anhaltspunkte für den Vortrag des Klägers, seine wichtigen Schlüsselkunden würden nunmehr von anderen Mitarbeitern betreut. Mit der Firma E… findet kein Geschäft mehr bei der Beklagten statt. Es ist insoweit nicht relevant, aufgrund wessen Verschulden der Geschäftskontakt nicht mehr weitergeführt wurde, entscheidend ist, dass der Kunde der Beklagten verloren ging. Zur Überzeugung des Gerichtes hat der Zeuge H… schon vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers den Kunden Ja… (mit-)betreut und die vollständige Übernahme der Betreuung belastet den Zeugen nicht überobligatorisch, da auch er durch das outsourcen an die Firma D… entlastet wird. Die Abteilung des Zeugen hat sich vom Industriegeschäft zum Automotive-Geschäft gewandelt, das Bedürfnis für die Beschäftigung des Klägers ist vollständig entfallen.

In diesem Zusammenhang kann der Kläger der Beklagten nicht vorhalten, dass sie die Kündigung erst sechs Monate nach der (angeblichen) Unternehmerentscheidung ausgesprochen habe. Denn mit Schreiben vom 12.03.2020 erreichte der Kläger wie ausgeführt Kündigungsschutz als Wahlinitiator. Allerdings zeigt der längere Zeitraum der Abwesenheit des Klägers, dass die behauptete Unternehmerentscheidung der Beklagten problemlos umzusetzen war, also gerade nicht offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich gewesen ist (BAG, 17.06.1999, EzA, § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung, Nr. 102).

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist stets zu prüfen, ob die Kündigung durch eine anderweitige Beschäftigung des Arbeitnehmers hätte vermieden werden können. Ist die Weiterarbeit an einem anderen freien Arbeitsplatz, über den der Arbeitgeber verfügen kann, möglich und zumutbar, ist die Kündigung weder dringend noch durch ein betriebliches Erfordernis bedingt.

Die Möglichkeit der Weiterbeschäftigung bezieht sich nur auf vergleichbare freie Arbeitsplätze. Dabei sind auch solche Arbeitsplätze zu berücksichtigen, deren Anforderungen der Arbeitnehmer erst nach einer angemessenen Einarbeitungszeit genügen kann (Erfurter Kommentar/Oetker, KSchG, § 1 Rn. 252).

Ein freier Arbeitsplatz lag im Zeitpunkt der Kündigung des Klägers nicht vor. Insbesondere waren die Stellen der Mitarbeiter Bo… und Z… – ungeachtet der von der Beklagten verneinten Eignung des Klägers für diese Stellen – zu dieser Zeit bereits besetzt, sodass sich insoweit allenfalls die Frage der sozialen Auswahl (dazu unten) stellt.

Soweit sich der Kläger auf eine Stellenanzeige als Automotive Sales Manager bezieht (Anlage K11 zum Schriftsatz vom 23.11.2020, Bl. 231 d.A.), ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Tätigkeit „at our headquarter in N…“ angeboten wird, was nicht dem Arbeitsvertrag des Klägers entspricht und diesem entsprechend seiner Änderungsschutzklage auch nicht zumutbar ist. Darüber hinaus wird ausdrücklich eine dreijährige Tätigkeit in der „automotive industry“ verlangt. Das Gericht erachtet eine solche Anforderung an einen Bewerber auf die Stelle eines Automotive Sales Manager als selbstverständlich sachgerecht. Die Qualifikationsmerkmale weisen einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten auf, BAG vom 22.10.2015 – 2 AZR 582/14, a.a.O. Auch der Zeuge H… hat erklärt, dass sich Automotive „nur langjährig lerne“. Dem Kläger fehlt eine dreijährige Tätigkeit in der Automotive Industrie, daran ändert auch nichts, wenn er in Einzelfällen Geschäfte mit Unternehmen der Automobilbranche abgewickelt hat. Soweit er auf eine frühere Tätigkeit bei der Firma F… und bei der Firma L… hinweist, ist nach Ansicht der Kammer eine Tätigkeit „vor der Bundeswehr“ bei dem 1963 geborenen Kläger ebenso wenig zu berücksichtigen wie eine Tätigkeit im Zeitraum 1982-1985. Damit liegt ein zumutbarer, vergleichbarer freier Arbeitsplatz nicht vor.

Die Kündigung des Klägers ist auch nicht wegen einer mangelhaften sozialen Auswahl unwirksam.

Die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 Satz 1 KSchG erstreckt sich innerhalb des Betriebs nur auf Arbeitnehmer, die miteinander vergleichbar sind. Die Vergleichbarkeit der in die soziale Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer richtet sich in erster Linie nach objektiven, d.h. arbeitsplatzbezogenen Merkmalen und damit nach der bisher ausgeübten Tätigkeit. Vergleichbar sind (nur) alle Arbeitnehmer, die austauschbar sind, d.h. deren Funktion auch von den Arbeitnehmern wahrgenommen werden könnte, deren Arbeitsplatz weggefallen ist. Die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer setzt im Einzelnen voraus, dass die betroffenen Arbeitnehmer auf einem vorhandenen Arbeitsplatz tatsächlich und rechtlich einsetzbar sind. In die Sozialauswahl können nur solche Arbeitnehmer einbezogen werden, deren Aufgabenbereich miteinander vergleichbar ist. Weiter muss der Arbeitgeber in der Lage sein, den Arbeitnehmer, dessen Arbeitsplatz wegfällt, nach den arbeitsvertraglichen Vorgaben kraft seines Direktionsrechts auf den in Betracht kommenden anderen Arbeitsplatz umzusetzen bzw. zu versetzen. Arbeitnehmer sind nur dann austauschbar, wenn der unmittelbar vom Arbeitsplatzwegfall betroffene Arbeitnehmer aufgrund seiner fachlichen Qualifikation und der Art des Arbeitsplatzes des in die Auswahl einbezogenen Arbeitnehmer auf diesem gegebenenfalls nach einer Einarbeitungszeit wirtschaftlich sinnvoll einsetzbar ist. Ein arbeitsplatzbezogener Routinevorsprung hat bei der Vergleichbarkeit außer Acht zu bleiben. Welcher Einarbeitungszeitraum dem Arbeitgeber zugemutet werden kann, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Das BAG spricht in ständiger Rechtsprechung von einer kurzen Einarbeitungszeit. Eine Einarbeitungszeit von drei Monaten hat das BAG als zu lang angesehen (KR-Rachor, 13. Aufl., § 1 KSchG, Rn. 660 ff).

Nach diesen Grundsätzen der höchstrichterlichen Rechtsprechung, denen das erkennende Gericht folgt, ist der Kläger mit seinem Vorgesetzten H… bereits horizontal nicht vergleichbar. Auf dessen höhere soziale Schutzwürdigkeit kommt es nicht an.

Mit den Arbeitnehmern Bo… und Z… ist der Kläger nicht vergleichbar. Es fehlt bereits an der rechtlichen Einsetzbarkeit. Denn nach dem Sachvortrag der Beklagten – der auch durch die genannte Stellenanzeige gestützt wird – hat sie entschieden, ab dem 01.01.2020 generell in Deutschland keine Home-Office Arbeitsplätze mehr zuzulassen. Die Beklagte könnte den Kläger nicht aufgrund ihres Direktionsrechts abweichend von der ausdrücklich im Arbeitsvertrag getroffenen Regelung eine Tätigkeit in N… zuweisen.

Darüber hinaus fehlt es hinsichtlich dieser Arbeitsplätze auch an der tatsächlichen Einsetzbarkeit des Klägers. Zu Recht hat die Beklagte auf die Erforderlichkeit von Englischkenntnissen für die genannten Stellen hingewiesen und dargelegt, dass beide Mitarbeiter seit Kindheit an Englisch sprechen. Darüber hinaus fordert die Beklagte zu Recht aufgrund der beabsichtigten (und vom Zeugen bestätigten) Neuorientierung in Richtung „Automotive“ entsprechende Erfahrungen in diesem Bereich. Auch nach Ansicht des Berufungsgerichts weisen diese Qualifikationsmerkmale einen nachvollziehbaren Bezug zur Organisation der auszuführenden Arbeiten auf, BAG vom 22.10.2015 – 2 AZR 582/14, a.a.O. Die beabsichtigte Internationalisierung und Neuorientierung der Beklagten ist als Ausdruck der unternehmerischen Freiheit zu respektieren.

Die vorgelegten Proben der englischen Korrespondenz des Klägers lassen auch unter Berücksichtigung der nur beschränkten Kompetenz des Gerichtes einen Verbesserungsbedarf erkennen, der wohl nicht in der von der Rechtsprechung genannten kurzen Zeit zu erzielen ist.

Herr Z… ist Inder und spricht nach dem insoweit nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten seit seiner Jugend Englisch. Er ist nach der Aussage des Zeugen H… im „nicht deutschen Ausland“ tätig und bearbeitet Partner-Sales, anders als der Kläger, der „Direktgeschäfte“ gemacht hat. Aus seiner Bewerbung (in englischer Sprache) ergibt sich nach der Beklagten, dass er im Automotive Bereich gearbeitet hat. Nach der nachvollziehbaren Einschätzung des Zeugen H… hätte der Kläger die Tätigkeit von Herrn Z… „vielleicht in 2-3 Jahren ausüben können, jedenfalls nicht sofort“.

Die Muttersprache von Herrn Bo… ist Englisch, er weist umfangreiche berufliche Erfahrung im Automotive Bereich auf, vergleiche dessen Lebenslauf (Anlage B9 zum Schriftsatz vom 28.09.2020 Bl. 196 d.A.). Er kümmert sich nach der Aussage des Zeugen H… „zu fast 100 % um Automotive“. Auch seine Qualifikation entspricht der getroffenen Organisationsentscheidung.

Nach § 1 Abs. 3 Satz 3 KSchG trägt der Arbeitnehmer die Beweislast für die eine nicht ausreichende Berücksichtigung der Kriterien der Sozialauswahl begründenden Tatsachen. Die Beklagte ist der ihr hinsichtlich ihrer subjektiven Auswahlüberlegungen obliegenden Darlegungslast vollständig nachgekommen. Danach war die soziale Auswahl zutreffend, der Arbeitnehmer trägt wieder die volle Darlegungs- und Beweislast für eine objektiv fehlerhafte Auswahlentscheidung (KR, a.a.O, Rn. 764). Weiteren substantiierten Sachvortrag hierzu konnte der Kläger nicht leisten, sodass die Kündigung nicht wegen mangelhafter sozialer Auswahl sozialwidrig ist.

Da weitere Unwirksamkeitsgründe weder vorgetragen, noch ersichtlich sind, hat die ordentliche Kündigung vom 23.10.2020 das Arbeitsverhältnis innerhalb der arbeitsvertraglichen Kündigungsfrist von drei Monaten zum Quartalsende (§ 2 Abs. 2 des Arbeitsvertrages) mit Ablauf des 31.03.2021 aufgelöst.

Wegen des Endes des Arbeitsverhältnisses stehen dem Kläger Vergütungsansprüche über den 31.03.2021 hinaus nicht zu. Die klageerweiternd in der Berufung geltend gemachten Annahmeverzugsansprüche waren daher abzuweisen.

III. 1. Die Kostenentscheidung beruht auf dem Verhältnis des jeweiligen Obsiegens bzw. Unterliegens in Bezug auf den Streitgegenstand in der Berufungsinstanz, § 92 Abs. 1 Satz 1 2. Alt. ZPO. Zu berücksichtigen war die teilweise wirtschaftliche Identität der Feststellungsanträge und der Annahmeverzugsanträge. Die Kostenentscheidung hinsichtlich der erstinstanzlichen Entscheidung bleibt der Schlussentscheidung des Arbeitsgerichts vorbehalten.

2. Für eine Zulassung der Revision bestand kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Abs. 1 und 2 ArbGG.

stats