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RdF-News
13.05.2024
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FG Köln: Erstattung von Quellensteuer auf Dividenden an einen ausländischen Kompositversicherer

FG Köln, Urteil vom 20.4.2023 – 2 K 2018/19

ECLI:DE:FGK:2023:0420.2K2018.19.00

Volltext des Urteils: RdFL2024-153-1

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin bezüglich des Streitjahres 2009 ein Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 32 Abs. 5 KStG zusteht und bejahendenfalls, ob der Erstattungsanspruch zu verzinsen ist.

Die Klägerin ist eine in Belgien ansässige Kapitalgesellschaft, die Kranken- und Lebensversicherungen sowie Sachversicherungen anbietet. Unmittelbare Anteilseigner im Streitjahr waren die Z S.A., Y (Frankreich), zu ...% sowie die Z1 S.A., Luxemburg zu ...%. Weitere in Frankreich und den Niederlanden ansässige Konzerngesellschaften waren mittelbare Anteilseigner, deren Anteile letztlich zu 100 % von der X W (Deutschland) gehalten wurden.

Die Klägerin war im Streitjahr an der V AG zu ... %, an der U AG zu ... %, an der T AG zu ... %, an der W AG zu ... %, an der S AG zu ... %, an der Q AG zu ... %, an der P AG zu ... %, an der N AG zu ... % und an der R AG zu ... % beteiligt.

Auf diverse aus diesen Beteiligungen im Jahr 2009 zugeflossene Gewinnausschüttungen in Höhe von insgesamt ... EUR wurde Kapitalertragsteuer zzgl. Solidaritätszuschlag i.H.v. ... EUR (Kapitalertragsteuer i.H.v. ... EUR zzgl. Solidaritätszuschlag i.H.v. ... EUR) einbehalten und abgeführt.

Im Erstattungsverfahren gemäß § 44a Abs. 9 EStG bzw. § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. DBA Deutschland-Belgien erfolgte mit Freistellungsbescheiden vom 24. Juni 2010 (BE 1...), vom 14. Oktober 2010 (BE 2...) und vom 21. Oktober 2010 (BE 3...) eine Teilentlastung i.H.v. 2/5 der abgeführten Kapitalertragsteuer (vgl. Bl. 25 ff. Verwaltungsakte des Beklagten zum Aktenzeichen BE 4... - VA -).

Mit Schreiben vom 5. Dezember 2013, eingegangen beim Beklagten am 16. Dezember 2013, beantragte die Klägerin die Erstattung der verbliebenen Kapitalertragsteuer gemäß § 32 Abs. 5 KStG in Höhe von ... EUR (vgl. Bl. 1 ff. VA).

Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 17. Dezember 2015 wegen fehlender bzw. unvollständiger Unterlagen (vgl. Bl. 252 ff. VA) und den daraufhin eingelegten Einspruch mit Entscheidung vom 9. Juli 2019 wegen Fehlens der sachlichen Voraussetzungen gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG sowie § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG als unbegründet ab. Den auf § 37 Abs. 2 AO gestützten Hilfsantrag lehnte er im Hinblick auf seine fehlende Zuständigkeit ab, die geltend gemachte Verzinsung im Hinblick auf einen fehlenden Erstattungsanspruch (vgl. im Einzelnen Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2019, Bl. 97 ff. eFG-Akte).

Mit der hiergegen erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Erstattung des Restbetrags der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer. Nach ihrer Auffassung liegen sämtliche Voraussetzungen, auch diejenigen gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG sowie § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG vor.

Die vorliegend relevanten Kapitalerträge blieben gemäß § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz, sodass § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG erfüllt sei. Dies folge bereits daraus, dass § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG ausschließlich auf § 8b Abs. 1 KStG verweise, nicht jedoch auf § 8b Abs. 8 KStG. Selbst wenn davon unbenommen § 8b Abs. 8 KStG mit einzubeziehen sei, sei diese Vorschrift nicht einschlägig. Gemäß § 8b Abs. 8 KStG seien Kapitalerträge nicht steuerfrei, sofern es sich bei der Gläubigerin um eine Lebens- und Krankenversicherung handele. Entgegen der Auffassung des Beklagten erfülle sie, die Klägerin, diesen Ausnahmetatbestand nicht, da sie kein Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen im Sinne des § 8b Abs. 8 KStG sei. Der Begriff sei entsprechend des Wortlauts und der Systematik der Vorschrift unternehmensbezogen auszulegen, was auch aus dem Sinn und Zweck der Norm folge.

Zunächst spreche bereits der klare Wortlaut der Norm gegen die Aufteilung der Erträge aus Beteiligungen auf verschiedene Sparten von Versicherungsunternehmen, welche neben dem Geschäft der Lebens- und Krankenversicherungen noch weitere Tätigkeitsbereiche aufwiesen. Die Norm spreche nicht, wie beispielsweise § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 KStG von dem "nach Art der Lebensversicherung betriebenen Geschäft", sondern eindeutig von "Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen". Dementsprechend sei diese Vorschrift unternehmensbezogen anzuwenden. Für eine Aufteilung von Kapitalanlagen auf unterschiedliche Geschäftszweige eines Unternehmens, wie sie der Beklagte vornehmen wolle, fänden sich im Wortlaut keine Anhaltspunkte. Folglich sei eine Anwendung des § 8b Abs. 8 KStG auf sie nur dann geboten, wenn es sich bei ihr ausschließlich um ein Lebens- oder Krankenversicherungsunternehmen handele. Dass dieses Geschäft lediglich auch betrieben werde, sei nicht ausreichend. Der Begriff des Lebens- oder Krankenversicherungsunternehmens sei, wie auch der Begriff der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsunternehmen in § 8b Abs. 7 KStG, unter Berücksichtigung des Aufsichtsrechts auszulegen (vgl. Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG, § 8b, Rn. 576 ff.).

Das VAG definiere Versicherungsunternehmen in § 7 Nr. 33 VAG als "Erst- oder Rückversicherungsunternehmen, die den Betrieb von Versicherungsgeschäften zum Gegenstand haben und nicht Träger der Sozialversicherung sind (...)". Für deutsche Versicherungsunternehmen (vgl. § 8 Abs. 1a VAG) sowie grundsätzlich auch für Unternehmen, die im EU-/EWR-Raum ansässig seien (vgl. Art. 73 Abs. 1 RL 2009/138/EG) gelte der Grundsatz der Spartentrennung. Das bedeute, dass das Geschäft der Lebens- und Krankenversicherungen im Hinblick auf die besondere soziale Bedeutung der Lebens- und Krankenversicherung nicht zusammen mit dem Geschäft anderer Versicherungssparten betrieben werden dürfe. Zudem sei der Gesetzgeber der Auffassung, dass das Geschäft von Lebens- und Krankenversicherern im Vergleich zu anderen Versicherungssparten überschaubarer sei und daher nicht mit den Risiken dieser Betriebe vermischt werden dürfe (vgl. BT-Drucksache 7/3537, S. 3). Somit schreibe das VAG eine klare Trennung zwischen Sachversicherungsunternehmen und Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen vor. Nach nationalem Recht würden diese Versicherungsgeschäfte daher in voneinander getrennten Unternehmen ausgeübt. Im Hinblick auf diesen regulierungsrechtlichen Hintergrund sei klar, dass von § 8b Abs. 8 KStG nur solche Versicherungsunternehmen umfasst sein sollten, die in Übereinstimmung mit § 8 Abs. 4 VAG ausschließlich Lebens- und Krankenversicherungen anböten.

Überdies handele es sich unter Berücksichtigung der Entwicklungshistorie sowie Sinn und Zweck bei § 8b Abs. 8 KStG um eine eng auszulegende Sondervorschrift. Sie solle die besondere Behandlung von Beitragsrückerstattungen sowie Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen bei Kranken- und Lebensversicherungen berücksichtigen (vgl. BT-Drucksache 15/1684, S. 9). Vor Einführung des § 8b Abs. 8 KStG habe § 14 Abs. 2 KStG a.F. Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen von der Verlustverrechnung als Organgesellschaft ausgeschlossen, sodass das Prinzip der Spartentrennung auch im Steuerrecht festgeschrieben worden sei. Somit sei auch unter Berücksichtigung des Normtelos von einem wortlautorientierten engen Verständnis auszugehen.

Selbst wenn § 8b Abs. 8 KStG grundsätzlich auch bei Kompositversicherern wie ihr anwendbar sei, sei unter Berücksichtigung der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV der Erstattungsanspruch gegeben. Dies folge aus dem Urteil des EuGH vom 13. November 2019 (C-641/17 - College Pension Plan of British Columbia/Finanzamt München Abteilung III, IStR 2019, S. 933 mit Anmerkung Linn). Die Erwägungsgründe dieser Entscheidung seien auf den vorliegenden Fall übertragbar. In diesem Urteil habe der EuGH zum einen eine unterschiedliche steuerliche Behandlung inländischer und ausländischer Pensionsfonds und dementsprechend eine dem Grunde nach verbotene Beschränkung des Kapitalverkehrs nach Art. 63 Abs. 1 AEUV angenommen und darüber hinaus auch eine fehlende Rechtfertigung der Ungleichbehandlung gemäß Art. 65 Abs. 1 Buchst. a) AEUV für möglich gehalten, nämlich unter der Voraussetzung, dass beim ausländischen Pensionsfonds ebenso wie beim deutschen Pensionsfonds ein Kausalzusammenhang zwischen dem Bezug der Dividenden und der Erhöhung der Deckungsrückstellung sowie anderer Passivposten bestehe, welcher dazu führe, dass die Dividenden den steuerpflichtigen Gewinn des Pensionsfonds nicht erhöhten.

Zwar seien sowohl im Inlandsfall als auch im grenzüberschreitenden Fall Dividenden, die an Pensionsfonds ausgeschüttet würden, zunächst mit Kapitalertragsteuer belastet und beim Empfänger grundsätzlich steuerpflichtig. Der entscheidende Unterschied in der steuerlichen Behandlung liege jedoch darin, dass bei inländischen Pensionsfonds die Kapitalertragsteuer auf die Körperschaftsteuer angerechnet und ggf. erstattet werde und gleichzeitig der Bezug von Dividenden keine oder nur eine sehr geringe Erhöhung des zu versteuernden Einkommens bewirke, da die versicherungstechnischen Rückstellungen proportional stiegen. Mithin führe bei einem deutschen Pensionsfonds der Bezug von Dividenden, welche den versicherungstechnischen Rückstellungen zugeführt würden, dazu, dass sich die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer nicht erhöhe. Dementsprechend befinde sich ein ausländischer Pensionsfonds in einer vergleichbaren Lage wie ein inländischer Pensionsfonds, wenn er die bezogenen Dividenden freiwillig oder in Anwendung des in seinem Sitzstaat geltenden Rechts den Rückstellungen für die Altersversorgung zuweise.

Diese Situation lasse sich auf sie, die Klägerin, übertragen. Auch bei inländischen Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen würden die Dividenden nach Maßgabe des § 8b Abs. 8 KStG als steuerpflichtig behandelt, jedoch seien ebenfalls "versicherungstechnische Rückstellungen proportional" zu den vereinnahmten Dividenden dotierbar und steuerrechtlich zum Abzug zugelassen (vgl. zur Besteuerungssystematik bspw. Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 8b Rn. 611). Der EuGH habe in seiner Entscheidung den "Kausalzusammenhang" zwischen dem Bezug der Dividenden und den Betriebsausgaben (aus der Erhöhung der versicherungstechnischen Rückstellungen) betont (vgl. EuGH vom 13. November 2019, C-641/17, Rn. 79). Ein solcher Kausalzusammenhang bestehe auch bei Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen. Denn diesen Unternehmen sei es durch die Spezialregelung in § 21 Abs. 1 KStG möglich, steuerlich abzugsfähige Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen zu bilden. Zur Berechnung dieser werde der handelsrechtliche Jahresüberschuss herangezogen (vgl. Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG, § 8b, Rn. 618). Dies habe zur Folge, dass Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen in ihrer Höhe von dem handelsrechtlichen Jahresüberschuss abhingen. Im Ergebnis führe also jede vereinnahmte Dividende zu einem höheren Jahresüberschuss und damit wiederum zu höheren Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen. Es bestehe mit anderen Worten ein "unmittelbarer wirtschaftlicher Zusammenhang" zwischen den inländischen Einkünften (Kapitalerträgen) und den Aufwendungen. Insoweit bestehe auch kein Unterschied zu der Situation von Pensionsfonds.

Aus ihrem bereits mit Schreiben vom 6. August 2014 (vgl. Bl. 88 ff. VA) erstmals übersandten Jahresabschluss (vgl. Bl. 101 ff. VA) ergebe sich, dass sie die bezogenen Dividenden freiwillig oder in Anwendung des belgischen Rechts den Rückstellungen zugewiesen habe. Die Gewinn- und Verlustrechnung im Bereich der Lebensversicherung ("Compte Technique Vie") zum 31. Dezember 2009 zeige u.a.:

2. Erträge aus Kapitalanlagen (Produits des placements) i.H.v. ... EUR

6. Veränderung der sonstigen versicherungstechnischen Rückstellungen nach Abzug des Rückversicherungsaufwands (Erhöhung -, Verringerung +) (Variation des autres provisions techniques, nette de de réassurance (augmentation -, réduction +)) i.H.v. - ... EUR

13. Gewinn im Bereich Lebensversicherung (Résultat du compte technique vie, Bénéfice) i.H.v. ... EUR

Die versicherungstechnische Gewinn- und Verlustrechnung für das Nicht-Lebensversicherungsgeschäft weise einen Gewinn von ... EUR aus, im Vergleich zu ... EUR im Jahr 2008.

Auch die Bilanz weise auf der Passivseite unter C. Technische Rückstellungen (Provisions techniques) II. Rückstellungen für Lebensversicherungen (Provision d'assurance 'vie') i.H.v. ... EUR aus (vgl. Bl. 134 VA). Die den streitigen Kapitalerträgen zu Grunde liegenden Kapitalanlagen seien auf der Aktivseite unter C. Kapitalanlagen (Anlagen Nr. 1, 2 und 3), III. Sonstige Finanzanlagen, 1. Aktien, Anteile und sonstige Papiere mit Dividendenzahlung i.H.v. ... EUR (C. Placements (etats n. 1, 2 et 3) III. Autres Placements financiers 1. Actions, parts et autres titres a revenue variable (etats n. 1) sowie in Anlage 1, Spalte 7 bilanziert (vgl. Schreiben vom 24.04.2015, Bl. 22 f. VA sowie Jahresabschluss, Bl. 133, 142 VA).

Zusammenfassend sei festzuhalten (vgl. Schreiben vom 27. März 2023, Bl. 444 ff. eFG-Akte), dass sie jährlich Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen nach den in den Streitjahren geltenden belgischen Bilanzvorschriften aufgestellt und darin die streitbefangenen Kapitalanlagen aktiviert (C. Placements i.H.v. insgesamt ... EUR) und auf der Passivseite Rückstellungen für Leistungsverpflichtungen (C. Provisions techniques i.H.v. insgesamt ... EUR) gebildet habe (vgl. auch Erläuterungen zu den Rückstellungen Bl. 446 ff. eFG-Akte). In den Gewinn- und Verlustrechnungen seien generell die Erträge aus den Investitionen und Beitragszahlungen ausgewiesen und als Ausgaben die im jeweiligen Jahr gezahlten Leistungen und versicherungstechnischen Rückstellungen (provisions techniques) gebucht worden. Hieraus ergebe sich, dass die Erträge aus den Kapitalanlagen um Zuführungen zu Rückstellungen für künftige Leistungsverpflichtungen gemindert worden seien.

Da dem Beklagen der geprüfte Jahresabschluss mit Bilanz und GuV bereits seit dem Jahr 2014 vorliege, sei davon auszugehen, dass auch er von einer Vergleichbarkeit im Bereich der Lebensversicherung ausgehe. Eine gegenteilige Aussage sei bisher nicht getroffen worden. Zudem gehe der Beklagte von einer entsprechenden Anwendbarkeit von § 8b Abs. 8 KStG aus. Diese Regelung mache indes nur dann Sinn, wenn man von Kapitalerträgen (Dividenden) im Lebensversicherungsbereich ausgehe, die Voraussetzungen der Sonderregelung seien.

Soweit der Beklagte in einem seiner letzten Schriftsätze auf die Bestandskraft der Erstattungsbescheide aus dem Jahr 2010, wonach gemäß § 44a Abs. 9 EStG bzw. § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. DBA Deutschland-Belgien Teilbeträge erstattet worden seien, hinweise, sei dies vorliegend ohne Bedeutung. Zum einen habe es jahrelanger, mit dem Beklagten abgestimmter Übung entsprochen, diese Bescheide nicht im Hinblick auf mögliche zusätzlich bestehende Erstattungsansprüche auf der Grundlage der Kapitalverkehrsfreiheit bzw. der EU-Grundfreiheiten offen zu halten (vgl. Schreiben des BZSt vom 9. Juli 2013, Bl. 431 eFG-Akte). Es widerspreche Treu und Glauben, wenn der Beklagte sich hieran nicht mehr halten wolle. Zum anderen habe der BFH entschieden, dass eine Geltendmachung im Hinblick auf eine angenommene EU-Rechtswidrigkeit auf § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG analog gestützt werden könne (vgl. BFH-Urteil vom 11. Januar 2012, I R 25/10, IStR 2012, 340). Die Zuständigkeit hierfür sah der BFH nicht beim Beklagten, so dass dieser hierüber im Rahmen der 2010 durchgeführten Erstattungsverfahren nicht habe entscheiden können. Selbst bei Zuständigkeit des Beklagten, wie sie jedenfalls rückwirkend durch das AbzStEntModG vom 2. Juni 2021 (BGBI. I 2021, 1259) begründet worden sei, handele es sich bei der Erstattung nach DBA i.V.m. § 50d Abs. 1 EStG und der unionsrechtlichen Erstattung, einschließlich der Erstattung nach § 32 Abs. 5 KStG, um voneinander getrennte Verfahren.

Letztlich sei es im Einzelnen unerheblich, ob ihr ein Anspruch auf Erstattung aus § 32 Abs. 5 KStG, einer entsprechenden Anwendung von § 32 Abs. 5 KStG oder aufgrund unmittelbarer Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit zustehe. Zumindest ursprünglich habe sie ihren Hilfsantrag, den sie mit der Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit begründet habe, und für den der Beklagte sich in der Einspruchsentscheidung unter der von ihm genannten Norm, § 37 Abs. 2 AO, für nicht zuständig gehalten habe, nicht als separaten Anspruch verstanden wissen wollen. Vielmehr habe sie ihren Anspruch auf § 32 Abs. 5 KStG gestützt, geltungserhaltend reduziert im Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit.

Hinsichtlich des geltend gemachten Zinsanspruchs sei zu berücksichtigen, dass es mittlerweile allgemein anerkannt sei, dass Zinsen auf unionsrechtswidrig erhobene Steuern für den Zeitraum, in dem die Mittel nicht zur Verfügung standen, zuzusprechen seien. Der Anspruch auf Erstattung der erhobenen Beträge zuzüglich Zinsen ergebe sich dabei unmittelbar aus dem Unionsrecht.

Nicht gänzlich geklärt sei der Beginn des Zinslaufs (vgl. Paar/Pignot, IStR 2022, S. 500). Vorliegend beginne der Zinslauf bereits mit Erhebung der Kapitalertragsteuer. Bereits in der Rechtssache Irimie habe der EuGH entschieden, dass Zinsen auf unionsrechtswidrig erhobene Steuern für den Zeitraum, in dem die Mittel nicht zur Verfügung stünden, zuzusprechen seien (vgl. EuGH vom 18. April 2013, C-565/11). Hiernach beginne der Zinslauf für einen Steuererstattungsanspruch mit Erhebung der unionsrechtswidrigen Steuer. Zu dieser Überzeugung gelange auch der BFH in seinem Urteil vom 22. September 2015 (Vll R 32/14, BStBI. Il 2016, 323). Diese Entscheidungen seien vorliegend relevant, da es bereits an einem nationalen Entlastungsverfahren fehle/gefehlt habe. Wenn der Gesetzgeber schon keine Verfahrensmodalitäten bereitstelle, an denen sich ein unionsrechtlicher Entlastungsanspruch orientieren könne, könne es weder auf einen (formlosen) Antrag ankommen noch eine angemessene Bearbeitungszeit berücksichtigt werden. Vielmehr verlange das Unionsrecht eine angemessene Entschädigung des Steuerpflichtigen. Diese könne nicht durch Untätigkeit des Gesetzgebers begrenzt werden.

Sie begehre die Erstattung von Kapitalertragsteuer auf Gewinnausschüttungen, die ihr im Jahr 2009 zugeflossen seien. Insoweit stütze sich das vorliegende Verfahren auf die Anwendung des erst nachträglich geschaffenen § 32 Abs. 5 KStG, bzw. rüge die Definitivbelastung mit Kapitalertragsteuer, da im Falle einer Ansässigkeit im Inland zwar die Dividenden steuerpflichtig seien, aber aufgrund von mit den Dividenden in Zusammenhang stehender abzugsfähiger Aufwendungen effektiv keine Steuerbelastung eintreten würde.

Sollte der Anspruch auf Festsetzung von Zinsen nicht ab dem Tag der zu Unrecht geleisteten Zahlung selbst bestehen, so doch zumindest ab Antragstellung (Dezember 2013). Insoweit bleibe abzuwarten, ob der BFH in der Rechtssache I R 50/21 dem Beklagten eine Bearbeitungszeit zubillige und, falls ja, innerhalb welcher Frist die Bearbeitung zu erfolgen habe, um nicht gegen den unionsrechtlichen Äquivalenz- und Effektivitätsgrundsatz zu verstoßen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid für das Kalenderjahr 2009 vom 17. Dezember 2015 über die Freistellung und Erstattung von deutschen Abzugsteuern vom Kapitalertrag nach § 32 Abs. 5 KStG sowie die Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2019 über Entlastung von deutschen Abzugsteuern aufzuheben und den Beklagten zum Erlass eines Bescheids für das Kalenderjahr 2009 zu verpflichten, der die Erstattung von deutschen Abzugsteuern vom Kapitalertrag nach § 32 Abs. 5 KStG auf ... EUR festsetzt;

den Beklagten zu verurteilen, Zinsen auf die Erstattungsbeträge i.H.v. 6 % seit Zahlung der Steuer festzusetzen;

im Falle des Unterliegens die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er vor, dass die sachlichen Entlastungsvoraussetzungen gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG nicht vorlägen, da die Kapitalerträge nicht nach § 8b Abs. 1 KStG bei der Einkommensermittlung außer Ansatz blieben. Im Fall der Klägerin sei nach § 8b Abs. 8 KStG eine Anwendung des § 8b Abs. 1 KStG ausgeschlossen, da es sich um Kapitalerträge aus Anteilen handele, die den Kapitalanlagen einer Lebens- und Krankenversicherung zuzurechnen seien. Die Vorschrift des § 8b Abs. 8 KStG sei über den gesetzlichen Verweis in § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG als die den § 8b Abs. 1 KStG als Rückausnahme wieder ausschließenden Absatz anwendbar.

Entgegen der Ansicht der Klägerin sei für die Anwendbarkeit des § 8b Abs. 8 KStG nicht maßgeblich, ob die Klägerin entsprechend dem in § 8 Abs. 4 VAG normierten Spartentrennungsgrundsatz ausschließlich Krankenversicherungs- bzw. Lebensversicherungsgeschäfte betreibe oder auch Sachversicherungsgeschäfte. Von Relevanz sei allein, ob die betroffenen Kapitalerträge den Kapitalanlagen dieser Versicherungssparten zuzuordnen seien. Denn für Kapitalerträge, die den Lebens- und Krankenversicherungssparten zuzurechnen seien, bestehe kein Anspruch auf Erstattung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer. Aus den während des Einspruchsverfahrens vorgelegten Unterlagen der Klägerin ergebe sich, dass im Streitjahr die Kapitalerträge sämtliche der Sparte der Lebens- und Krankenversicherung zuzuordnen seien. Die Sparte Sachversicherung sei im Streitjahr nicht betroffen. Da der Gesamtbetrag mithin auf die schädlichen Sparten der Lebens- und Krankenversicherung entfalle, sei eine Erstattung aufgrund § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG ausgeschlossen.

Soweit die Klägerin unter Berufung auf die Kapitalverkehrsfreiheit einen Anspruch auf Erstattung geltend mache, bestehe hierfür mangels ausdrücklicher Regelung keine Zuständigkeit. Aus § 5 Abs. 1 Nr. 39 FVG folge diese nur für Anträge auf Erstattung der Kapitalertragsteuer nach § 32 Abs. 5 KStG. Erstattungsanträge, die sich auf einen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 ff. AEUV beriefen, fielen hingegen nicht in seine Zuständigkeit, denn diese seien im Katalog des § 5 Abs. 1 FVG nicht aufgeführt. Die Zuständigkeit für ein auf diese Rechtsgrundlage gestütztes Erstattungsverfahren liege nach § 17 Abs. 2 FVG bei den örtlich zuständigen Landesfinanzbehörden. So sei auch das dem Urteil des EuGH vom 13. November 2019 zugrundeliegende Verfahren vor dem örtlich zuständigen Finanzamt München geführt worden. Die örtliche Zuständigkeit richte sich gemäß § 17 i.V.m. § 20 Abs. 3 AO danach, in welchem Bezirk sich das Vermögen des jeweiligen Antragstellers befinde. Hieran ändere auch das von der Klägerin angeführte Urteil des BFH (vgl. BFH-Urteil vom 10. Januar 2007, Az. I R 87/03, BStBl. II 2008, 22) nichts. Es sei nicht anwendbar, denn es habe die geltungserhaltende Reduktion von einschränkenden tatbestandlichen Voraussetzungen betroffen, mithin die entsprechende Anwendung einer Rechtsgrundlage. Vorliegend betreffe der Hilfsantrag aber eine Rechtsgrundlage, die ein Aliud zu dem Erstattungsverfahren nach § 32 Abs. 5 KStG darstelle. Hierfür sei er nicht zuständig und könne im Rahmen des Verfahrens nach § 32 Abs. 5 KStG keine Entscheidung über einen eventuellen Erstattungsanspruch nach dem AEUV treffen.

der einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer auf der Grundlage von § 44a Abs. 9 EStG bzw. § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. DBA seien unstreitig in Bestandskraft erwachsen. Änderungsnormen nach der AO seien nicht ersichtlich. § 32 Abs. 5 KStG gelange nicht zur Anwendung, § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG sei nicht erfüllt. Eine "Verwerfungskompetenz", auch im Wege einer normerhaltenden Reduktion i.e.S., bestehe zu Recht aufgrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes selbst im hypothetischen Falle einer tatsächlichen Unvereinbarkeit mit Unionsrecht nur in sehr begrenztem Umfang und unter strengen Voraussetzungen, die vorliegend jedenfalls nicht erfüllt seien (vgl. Englisch in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Europäisches Steuerrecht, Rn. 4.49 ff.).

Hinsichtlich der Entscheidung des EuGH vom 13. November 2019 (C-641/17) und der Nachfolgeentscheidung des FG München vom 6. Dezember 2021 im Verfahren 7 K 1435/15, auf die von Seiten des Gerichts hingewiesen worden sei, werde mitgeteilt, dass die Nichtzulassungsbeschwerde (I B 4/22) gegen das klageabweisende Urteil des FG München zwischenzeitlich mit Datum vom 30. November 2022 als unbegründet zurückgewiesen worden sei.

Mangels eines Erstattungsanspruchs stehe der Klägerin auch kein Verzinsungsanspruch zu. Selbst bei Bestehen eines Anspruchs auf eine Erstattung gemäß § 32 Abs. 5 KStG der abgeführten Kapitalertragsteuer sei der Erstattungsbetrag nicht zu verzinsen. Nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO werde lediglich die Festsetzung der sog. Veranlagungssteuern (Einkommen-, Vermögen-, Körperschaft-, Umsatz- und Gewerbesteuer) verzinst. Nach § 233a Abs. 1 Satz 1 AO gelte dies ausdrücklich nicht für Steuerabzugsbeträge, wie es die Kapitalertragsteuer sei. Bei der abgeführten Kapitalertragsteuer handele es sich nicht um zu Unrecht erhobene Steuerbeträge. So rüge die Klägerin selbst auch nur die verweigerte Entlastung nach § 32 Abs. 5 KStG und nicht grundsätzlich die Vornahme eines Steuerabzuges i.S.d. § 43 Abs. 1 EStG. Inwieweit diese Rechtslage aufgrund aktueller EuGH-Rechtsprechung für den Bereich der Kapitalertragsbesteuerung ggf. einer modifizierenden Betrachtung zugänglich sein könne, werde aktuell durch den BFH in einem Revisionsverfahren geklärt (Az. des BFH: I R 50/21).

Das Verfahren hat im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Senats an den EuGH (C-572/20) zwischenzeitlich geruht. Durch die in diesem Verfahren getroffene Entscheidung (EuGH-Urteil vom 16. Juni 2022) sind sich die Beteiligten inzwischen einig, dass § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG als erfüllt anzusehen ist und nur noch § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG hinsichtlich des Erstattungsanspruchs im Streit ist.

 

Aus den Gründen

I. Die Klage ist hinsichtlich des Erstattungsanspruchs begründet.

Der Bescheid vom 17. Dezember 2015 betreffend das Jahr 2009 sowie die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung vom 9. Juli 2019 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Satz 1 FGO). Die Klägerin hat einen Anspruch auf die von ihr begehrte weitere Erstattung von Kapitalertragsteuer für das Jahr 2009, da sämtliche Voraussetzungen gemäß § 32 Abs. 5 KStG als erfüllt anzusehen sind.

1. Der mit Gesetz vom 21. März 2013 eingeführte § 32 Abs. 5 KStG (Gesetz zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rs. C-284/09, BGBl. I 2013, 561) sieht für beschränkt steuerpflichtige Körperschaften unter bestimmten subjektiven und materiellen Voraussetzungen eine Erstattungsmöglichkeit einbehaltener und abgeführter Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, bei denen dem Steuerabzug abgeltende Wirkung zukommt, vor. Die Erstattung der Kapitalertragsteuer erfolgt gemäß § 32 Abs. 5 Sätze 1, 6 KStG auf Antrag auf der Grundlage eines Freistellungsbescheids gemäß § 155 Abs. 1 Satz 3 AO.

2. Die Klägerin erfüllt unstreitig hinsichtlich der von ihr beantragten Kapitalertragsteuererstattung i.H.v. ... EUR betreffend die im Jahr 2009 zugeflossenen Gewinnausschüttungen sowohl die subjektiven Voraussetzungen als auch weitgehend die materiell-rechtlichen Voraussetzungen gemäß § 32 Abs. 5 KStG. Infolge des EuGH-Urteils vom 16. Juni 2022 (C-572/20) ist nunmehr auch § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 5 KStG nicht mehr im Streit. Auch § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 KStG steht dem Anspruch der Klägerin unstreitig nicht entgegen, da eine Erstattung im Verfahren gemäß § 32 Abs. 5 KStG nur hinsichtlich des Teils der Kapitalertragsteuer geltend gemacht wird, für die eine Erstattung in anderen Verfahren, insbesondere jenen gemäß § 44a Abs. 9 EStG bzw. § 50d EStG i.V.m. DBA Deutschland-Belgien, nicht vorgesehen ist.

3. Die einzig noch streitige Voraussetzung gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG ist ebenfalls als erfüllt anzusehen. Danach erfolgt eine Erstattung nach Satz 1 dieser Vorschrift nur ("Satz 1 gilt nur"), soweit die Kapitalerträge nach § 8b Abs. 1 KStG bei der Einkommensermittlung außer Ansatz bleiben würden.

Die grundsätzlich vorliegende Anwendbarkeit von § 8b Abs. 1 KStG auf die von der Klägerin im Streitjahr erzielten Dividenden würde zwar gemäß § 8b Abs. 8 KStG ausgeschlossen, da die den Dividenden zu Grunde liegenden Kapitalanlagen zur Lebensversicherungssparte der Klägerin gehören. Allerdings gelangt § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG im Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV im Wege der geltungserhaltenden Reduktion zu Gunsten der Klägerin mit der Maßgabe zur Anwendung, dass eine im Ergebnis nicht vorzunehmende Besteuerung der in § 8b Abs. 1 KStG genannten Bezüge durch eine aufwandswirksame Rückstellungsbildung als ausreichend anzusehen ist.

a) Bei alleiniger Betrachtung von § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. § 8b Abs. 1 KStG liegen die Voraussetzungen zu Gunsten der Klägerin unzweifelhaft vor. Denn bei den maßgeblichen Kapitalerträgen handelt es sich um Dividenden gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, für die § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG ein Außeransatzbleiben bei der Ermittlung des Einkommens vorsieht.

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt aus der isolierten Nennung von § 8b Abs. 1 KStG in § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG jedoch nicht, dass bei der hypothetischen Überprüfung zu Gunsten der Klägerin als ausländischer Gesellschaft im Rahmen des Erstattungsverfahrens gemäß § 32 Abs. 5 KStG ausschließlich § 8b Abs. 1 KStG zu betrachten und z.B. § 8b Abs. 8 KStG außen vor zu lassen ist. Denn es kommt nach der gesetzlichen Formulierung in § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG nicht darauf an, dass es sich um Bezüge i.S.d. § 8b Abs. 1 KStG handelt oder die Voraussetzungen von § 8b Abs. 1 KStG vorliegen würden. Vielmehr wird eine hypothetische Einkommensermittlung gefordert, bei der die Kapitalerträge nach § 8b Abs. 1 KStG außer Ansatz bleiben würden. Bei der Einkommensermittlung einer inländischen Körperschaft wäre neben § 8b Abs. 1 KStG u.a. auch § 8b Abs. 8 KStG in den Blick zu nehmen, so dass dies gleichermaßen auch bei der hypothetischen Einkommensermittlung im Rahmen des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG gilt.

c) Gemäß § 8b Abs. 8 KStG sind die Absätze 1 bis 7 nicht anzuwenden auf Anteile, die bei Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen den Kapitalanlagen zuzurechnen sind.

 

Diese Ausnahmeregelung gelangt bei der Klägerin zur Anwendung, auch wenn es sich bei ihr nicht um ein reines Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen handelt, sondern sie neben diesen Sparten auch als sog. Kompositversicherer andere Sachversicherungen anbietet.

Die in § 8b Abs. 8 KStG gewählte Formulierung der "Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen" beruht auf der aus § 8 Abs. 4 VAG folgenden Spartentrennung. Danach schließen bei Erstversicherungsunternehmen die Erlaubnis zum Betrieb der Lebensversicherung und die Erlaubnis zum Betrieb anderer Versicherungssparten einander aus; das Gleiche gilt für die Erlaubnis zum Betrieb der Krankenversicherung und die Erlaubnis zum Betrieb anderer Versicherungssparten. Im unmittelbaren Anwendungsbereich des § 8b KStG unterfallen mithin sämtliche gebietsansässige Versicherungsunternehmen, die im Bereich der Lebens- und Krankenversicherung tätig sind, zwangsläufig dieser Regelung.

Hintergrund der in § 8b Abs. 8 KStG durch das sog. Korb II-Gesetz vom 22. Dezember 2003 (BGBl. I 2003, 2840) eingeführten Regelung waren steuerrechtliche Besonderheiten im Bereich der Lebens- und Krankenversicherungen. Einerseits führte die Anwendung von § 8b Abs. 1 und Abs. 2 KStG zugunsten von Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen regelmäßig zu doppelten Begünstigungen. So erhöhten die steuerlich außer Ansatz bleibenden Einkünfte den handelsrechtlichen Jahresüberschuss und damit den Umfang der möglichen Zuführungen zu den nach §§ 140, 151 VAG (bis 1.1.2016: §§ 81c und 81d VAG a. F.) zu bildenden Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen (RfB). Die RfB minderten sodann ihrerseits - nach Maßgabe von § 21 KStG - den steuerlichen Gewinn, so dass die dadurch bewirkte steuerlich doppelte Begünstigung tendenziell regelmäßig zu steuerlichen Verlusten geführt hat. Andererseits bewirkte die Regelung in § 8b Abs. 3 KStG, dass sich Teilwertabschreibungen nicht steuerwirksam effektuieren ließen, was insbesondere infolge der Börsenbaisse in den Jahren 2002/2003 auf Grund des beträchtlichen Beteiligungsbesitzes bei den entsprechenden Unternehmen dazu führte, dass notwendig gewordene Teilwertabschreibungen steuerlich nicht verwertet werden konnten (vgl. Gosch, KStG, 4. Aufl. 2020, § 8b KStG Rn. 610 f. m.w.N.).

Diese Regelungssystematik kann gleichermaßen bei Unternehmen vorliegen bzw. eingreifen, die neben der Kranken- und Lebensversicherungssparte andere Versicherungen anbieten. Insbesondere bei Unternehmen wie der Klägerin, bei denen Bilanzpositionen der maßgeblichen Versicherungssparte (vorliegend dem Lebensversicherungsbereich) getrennt ausgewiesen werden und sich zudem die relevanten Positionen aus der eigens für diese Sparte erstellten Gewinn- und Verlustrechnung ergeben, sind keine Gründe erkennbar, dass § 8b Abs. 8 KStG im Rahmen des Erstattungsverfahrens gemäß § 32 Abs. 5 KStG nicht bezogen auf diesen gesonderten (Lebensversicherungs-)Bereich anwendbar sein soll.

Der Hinweis der Klägerin auf eine Textstelle, wonach der Begriff des Lebens- oder Krankenversicherungsunternehmens, wie auch der Begriff der Kreditinstitute und Finanzdienstleistungsunternehmen in § 8b Abs. 7 KStG, unter Berücksichtigung des Aufsichtsrechts auszulegen ist (vgl. Frotscher in Frotscher/Drüen, KStG, § 8b, Rn. 576 ff.), stimmt zwar grundsätzlich mit der Entstehungsgeschichte der Norm überein und trifft auf die Anwendung von § 8b Abs. 8 KStG bei inländischen Versicherungsunternehmen zu. Im Rahmen des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG ist indes eine modifizierte Auslegung angezeigt, da die gemäß § 32 Abs. 5 KStG grundsätzlich erstattungsberechtigten Versicherungsunternehmen, wie im Fall der Klägerin ersichtlich, nicht zwangsläufig gleichermaßen den strengen Anforderungen gemäß § 8 Abs. 4 VAG unterliegen und lediglich getrennte Bereiche innerhalb ihres Unternehmens aufweisen. Auch aus der inzwischen in § 21 Abs. 1 Nr. 1 KStG (in der Fassung des JStG 2018 vom 11. Dezember 2018, BStBl. I 2018, 1377) enthaltenen Formulierung lässt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht schließen, dass die Anwendung von § 8b Abs. 8 KStG bei Versicherungsunternehmen wie ihr ausgeschlossen ist. Zum einen galt die in § 21 Abs. 1 Nr. 1 KStG verwendete Formulierung "in dem nach Art der Lebensversicherung betriebenen Geschäft" im Streitjahr noch gar nicht. Zum anderen ist der Anwendungsbereich von § 21 Abs. 1 Nr. 1 KStG weiter als derjenige von § 8b Abs. 8 KStG, da neben der Lebensversicherung vor allem die Krankenversicherung und die Unfallversicherung mit Beitragsrückgewähr umfasst werden sollen. Die unterschiedliche Behandlung im nach Art der Lebensversicherung betriebenen Geschäft im Vergleich zu den übrigen Versicherungsgeschäften (Nr. 2) liegt in der unterschiedlichen Verwendung der Versicherungsbeiträge begründet, da im nach Art der Lebensversicherung betriebenen Geschäft Sicherheitszuschläge zur Finanzierung von Kosten und Risiken enthalten sind, die ggf. rückgewährt werden (vgl. Koblenzer/Klaas/Frank in Herrmann/Heuer/Raupach, § 21 KStG, Rz. 10).

Angesichts dessen, dass die den relevanten Kapitalerträgen zu Grunde liegenden Kapitalanlagen nach dem unstreitigen Vortrag der Klägerin ihrer Lebensversicherungssparte zuzurechnen sind, ist § 8b Abs. 8 KStG vorliegend grundsätzlich mit der Folge zu berücksichtigen, dass die Anwendung von § 8b Abs. 1 KStG ausgeschlossen wird.

Randnummer58

Da es sich bei den Kapitalanlagen um Streubesitzanteile handelt, kann die Klägerin schließlich auch § 8b Abs. 9 KStG nicht für sich fruchtbar machen. Hiernach gelten die Absätze 7 und 8 nicht für Bezüge im Sinne des Absatzes 1, auf die die Mitgliedstaaten der Europäischen Union Art. 4 Abs. 1 der MTR anzuwenden haben. Zwar diente die Einführung von § 32 Abs. 5 KStG dazu, Erstattungen im Fall von Streubesitzdividenden zu ermöglichen, die von der MTR gerade nicht erfasst wurden. Mangels ausdrücklicher Regelung in § 32 Abs. 5 KStG sowie fehlenden Hinweisen in der Gesetzesbegründung ist eine Übertragbarkeit der gesetzlichen Rückausnahme in § 8b Abs. 9 KStG auf Fälle des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG nicht denkbar.

d) Aus der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV folgt jedoch, dass es bei diesem Ergebnis nicht bleiben kann. Vielmehr ist § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG im Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit im Wege der geltungserhaltenden Reduktion zu Gunsten der Klägerin mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine im Ergebnis nicht vorzunehmende Besteuerung der in § 8b Abs. 1 KStG genannten Bezüge infolge einer aufwandswirksamen Rückstellungsbildung als ausreichend anzusehen ist.

Insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH zu Pensionsfonds (vgl. EuGH-Urteile vom 8. November 2012, C-342/10 - Kommission/Finnland, IStR 2013, 204, vom 13. November 2019, C-641/17 - College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München Abteilung III, IStR 2019, 933) ist davon auszugehen, dass § 32 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 KStG i.V.m. § 8b Abs. 1, 8 KStG nicht mit den Anforderungen der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß § 63 AEUV vereinbar ist, soweit bei gebietsfremden Versicherungsunternehmen mit einer Lebensversicherungssparte gleichermaßen wie bei gebietsansässigen Lebensversicherungsunternehmen ein kausaler Zusammenhang zwischen in diesem Bereich bezogenen Dividenden und aufwandswirksamen versicherungstechnischen Rückstellungen besteht.

aa) Nach der Rechtsprechung des EuGH gehören zu den Maßnahmen, die Art. 63 Abs. 1 AEUV als Beschränkungen des Kapitalverkehrs verbietet, solche, die geeignet sind, Gebietsfremde von Investitionen in einem Mitgliedstaat oder die in diesem Mitgliedstaat Ansässigen von Investitionen in anderen Staaten abzuhalten (vgl. u.a. Urteile des EuGH vom 10. April 2014, C-190/12 - Emerging Markets Series of DFA Investment Trust Company, IStR 2014, 334; vom 13. November 2019, C-641/17 - College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933; vom 16. Juni 2022, C-572/20 - ACC Silicones, IStR 2022, 727).

Insbesondere kann der Umstand, dass ein Mitgliedstaat an ausländische Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden weniger günstig behandelt als an inländische Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden, Gesellschaften, die im Ausland ansässig sind, davon abhalten, im Inland zu investieren, und stellt damit eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, die nach Art. 63 AEUV grundsätzlich verboten ist (vgl. so zur Besteuerung von gebietsfremden Pensionsfonds, die Dividenden aus dem Gemeinschaftsgebiet beziehen, Urteile des EuGH vom 13. November 2019, C-641/17 - College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933; s.a. EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011, C-284/09 - Kommission/Deutschland, IStR 2011, 840).

Werden Dividenden, die an im Ausland ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, höher besteuert als Dividenden gleicher Art, die an im Inland ansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, so stellt dies eine solche weniger günstige Behandlung dar (vgl. so zur Besteuerung von gebietsfremden Pensionsfonds, die Dividenden aus dem Gemeinschaftsgebiet beziehen, Urteile des EuGH vom 13. November 2019, C-641/17 - College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München, IStR 2019, 933; in diesem Sinne auch Urteil vom 17. September 2015, C-10/14, C-14/14 und C-17/14 - Miljoen u.a., IStR 2015, 921). Gleiches gilt für die vollständige oder in wesentlichem Umfang erfolgende Befreiung der an eine inländische Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden, während die an eine ausländische Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden einer endgültigen Quellensteuer unterliegen (vgl. in diesem Sinne EuGH-Urteil vom 8. November 2012, C-342/10 - Kommission / Finnland, IStR 2013, 204).

Vor diesem Hintergrund ist ein Eingriff in den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß § 63 AEUV gegeben. Die Klägerin bleibt als beschränkt steuerpflichtiges Versicherungsunternehmen mit ihren Kapitalerträgen aus der Lebensversicherungssparte infolge der betragsmäßig beschränkten Erstattung gemäß § 44a Abs. 9 EStG bzw. § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. dem DBA Deutschland-Belgien und einer Nichtanwendbarkeit von § 32 Abs. 5 KStG mit einer 15-% -igen Kapitalertragsteuer auf die von ihr bezogenen Dividenden belastet und hat wegen § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG keine Möglichkeit einer Anrechnung oder Erstattung. Demgegenüber wird bei unbeschränkt steuerpflichtigen deutschen Lebensversicherungsunternehmen die Kapitalertragsteuer in vollem Umfang auf ihre Körperschaftsteuerschuld angerechnet und gegebenenfalls erstattet. Gleichzeitig führt die Erzielung von Dividendenerträgen über die hiermit einhergehende Steigerung des Jahresüberschusses zu einer Erhöhungsmöglichkeit der Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen gemäß § 341e Abs. 2 HGB sowie §§ 140, 151 VAG (bis 1.1.2016: §§ 81c und 81d VAG a. F.) und damit - nach Maßgabe von § 21 Abs. 2 KStG in der im Streitjahr geltenden Fassung - überwiegend nicht zur Entstehung eines steuerpflichtigen Bilanzgewinns. Vergleichbar der Situation bei Pensionsfonds im EuGH-Urteil vom 13. November 2019 ist diese unterschiedliche Behandlung der an gebietsfremde Versicherungen mit Lebensversicherungssparte ausgeschütteten Dividenden und der an gebietsansässige Lebensversicherungen ausgeschütteten Dividenden geeignet, die in einem anderen Staat als diesem Mitgliedstaat niedergelassene (Lebens-)Versicherung davon abzuhalten, in diesem Mitgliedstaat zu investieren. Hieraus ergibt sich eine Beschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 Abs. 1 AEUV, die grundsätzlich verboten ist (vgl. EuGH-Urteil vom 13. November 2019, C-641/17 - College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München Abteilung III, IStR 2019, 933).

bb) Eine Rechtfertigung dieser Beschränkung nach den Bestimmungen des AEUV liegt bei Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH nicht vor.

Gemäß Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV berührt Art. 63 AEUV nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die einschlägigen Vorschriften ihres Steuerrechts anzuwenden, die Steuerpflichtige mit unterschiedlichem Wohnort oder Kapitalanlageort unterschiedlich behandeln. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV als Ausnahme vom Grundprinzip des freien Kapitalverkehrs jedoch eng auszulegen und kann nicht dahin verstanden werden, dass jede nationale Regelung, die zwischen Steuerpflichtigen nach ihrem Wohnsitz oder Niederlassungsort differenziert, ohne weiteres mit dem Vertrag vereinbar wäre. Die in Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV vorgesehene Ausnahme wird nämlich ihrerseits durch Abs. 3 dieses Artikels eingeschränkt; danach dürfen die in Abs. 1 genannten nationalen Vorschriften "weder ein Mittel zur willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs im Sinne des Artikels 63 [AEUV] darstellen" (vgl. EuGH-Urteil vom 17. September 2015, Miljoen u. a., C-10/14, C-14/14 und C-17/14, IStR 2015, 921; EuGH-Urteil vom 22. November 2018 , C-575/17 - Sofina u.a., DStRE 2019, 760)

Zu unterscheiden ist zwischen einer nach Art. 65 Abs. 1 Buchst. a AEUV erlaubten Ungleichbehandlung und einer nach Art. 65 Abs. 3 AEUV verbotenen willkürlichen Diskriminierung. Die fraglichen nationalen Rechtsvorschriften können nur dann als mit den Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr nach Art. 63 AEUV vereinbar angesehen werden, wenn die unterschiedliche Behandlung entweder Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. EuGH-Urteile vom 22. November 2018 , C-575/17 - Sofina u.a., DStRE 2019, 760; vom 16. Juni 2022, C-572/20 - ACC Silicones, IStR 2022, 727).

1) Die unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger Lebensversicherungen im Vergleich zu gebietsfremden Versicherungen mit einer Lebensversicherungssparte betrifft im Fall der Klägerin Situationen, die objektiv miteinander vergleichbar sind.

Dies folgt aus der Entscheidung des EuGH zu Pensionsfonds vom 13. November 2019 (C-641/17 - College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München Abteilung III, IStR 2019, 933). Hiernach befindet sich ein gebietsfremder Pensionsfonds, der bezogene Dividenden freiwillig oder in Anwendung des in seinem Sitzstaat geltenden Rechts den Rückstellungen für die Altersversorgung zuweist, die er in der Zukunft wird leisten müssen, insoweit in einer Situation, die mit der eines gebietsansässigen Pensionsfonds vergleichbar ist. Bei Letzterem besteht ein Kausalzusammenhang zwischen dem Bezug von Dividenden, der Erhöhung der Deckungsrückstellung sowie anderer Passivposten und der Nichterhöhung der Besteuerungsgrundlage des gebietsansässigen Pensionsfonds, da die Dividenden, die für versicherungstechnische Rückstellungen verwendet werden, den steuerpflichtigen Gewinn des Pensionsfonds nicht erhöhen.

Vergleichbare Situationen sind bei der Klägerin im Bereich der Lebensversicherungssparte sowie bei gebietsansässigen Lebensversicherungsunternehmen feststellbar.

Die Klägerin hat im Streitjahr im Bereich der Lebensversicherung Zuführungen zu den versicherungstechnischen Rückstellungen nach Abzugs des Rückversicherungsaufwands i.H.v. ... EUR vorgenommen. Erträge aus Kapitalanlagen im Bereich der Lebensversicherung stehen i.H.v. ... EUR zu Buche, so dass die im Streitjahr neu hinzugekommenen Rückstellungen die erzielten Dividenden umfassen. Ob diese Dotierung der Rückstellungen freiwillig oder in Anwendung des belgischen Rechts erfolgt ist, kann dahinstehen. Jedenfalls hat die Klägerin, anders als der kanadische Pensionsfonds in dem vom EuGH zu beurteilenden Fall (vgl. EuGH-Urteil vom 13. November 2019, C-641/17 - College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München Abteilung III, IStR 2019, 933 sowie nachfolgend FG München, Urteil vom 6. Dezember 2021, 7 K 1435/15, EFG 2022, 609; NZB abgewiesen durch BFH-Beschluss vom 30. November 2022, I B 4/22, IStR 2023, 177), die Rückstellungen in ihrer Bilanz passiviert. Im Rahmen der Gewinn- und Verlustrechnung neutralisieren die Rückstellungen den aus den Kapitalerträgen erzielten Gewinn.

Bei gebietsansässigen Lebensversicherungsunternehmen besteht - ähnlich wie bei Pensionsfonds - ein Kausalzusammenhang zwischen dem Bezug von Dividenden sowie der Erhöhung von Passivposten und der daraus folgenden Nichterhöhung der Besteuerungsgrundlage der gebietsansässigen Lebensversicherungen, da die Dividenden, die den Umfang möglicher versicherungstechnischer Rückstellungen vergrößern, den steuerpflichtigen Gewinn des Lebensversicherungsunternehmens im Ergebnis (zumindest weitgehend) nicht erhöhen. Wie bereits festgestellt führt die Erzielung von Dividendenerträgen über die hiermit einhergehende Steigerung des Jahresüberschusses zu einer Erhöhungsmöglichkeit der Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen gemäß § 341e Abs. 2 HGB sowie §§ 140, 151 VAG (bis 1.1.2016: §§ 81c und 81d VAG a. F.). Wegen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes sind diese handelsrechtlich gebildeten Rückstellungen auch der Steuerbilanz und der steuerrechtlichen Gewinnermittlung zu Grunde zu legen. Die körperschaftsteuerrechtliche Norm des § 21 Abs. 2 KStG zu den Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen in der im Streitjahr geltenden Fassung ist keine den Betriebsausgabenabzug begründende Norm. Vielmehr bestimmt diese Regelung, in welcher Höhe diese Bilanzposition in der Steuerbilanz, ggf. abweichend von der Handelsbilanz, zu berücksichtigen ist. Insoweit ist die Situation mit derjenigen eines Pensionsfonds, bei dem es im Wesentlichen um Deckungsrückstellungen gemäß § 21a KStG ging, vergleichbar (vgl. FG München, Beschluss vom 23. Oktober 2017, 7 K 1435/15, EFG 2017, 1963).

Die unterschiedliche Behandlung betrifft im Fall der Klägerin mithin eine objektiv vergleichbare Situation, so dass hieraus keine Vereinbarkeit mit Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr nach Art. 63 AEUV abgeleitet werden kann.

2) Die unterschiedliche Behandlung gebietsansässiger und gebietsfremder Lebensversicherungsunternehmen bzw. Versicherungsunternehmen mit Lebensversicherungssparte wird nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt.

Unabhängig davon, dass im vorliegenden Verfahren keine solch zwingenden Gründe genannt bzw. diskutiert wurden, sind solche für den Senat auch nicht erkennbar. Entsprechend der Ausführungen im Urteil des EuGH zu Pensionsfonds vom 13. November 2019 folgen solche zwingenden Gründe weder aus der Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsgrundlagen noch aus der notwendigen Gewährleistung einer wirksamen Steueraufsicht (vgl. EuGH-Urteil vom 13. November 2019, C-641/17 - College Pension Plan of British Columbia / Finanzamt München Abteilung III, IStR 2019, 933; vgl. auch EuGH-Urteil vom 22. November 2018 , C-575/17 - Sofina u.a., DStRE 2019, 760). Bestätigt wird dies hinsichtlich des Rechtfertigungsgrundes der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis durch Ausführungen im EuGH-Urteil vom 16. Juni 2022, dem ein Verfahren vor dem erkennenden Senat zu Grunde lag, bei dem ebenfalls eine Erstattung gemäß § 32 Abs. 5 KStG im Streit war (vgl. EuGH-Urteil vom 16. Juni 2022, C-572/20 - ACC Silicones, IStR 2022, 727).

cc) Die Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit führt dazu, dass § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 i.V.m. § 8b Abs. 1 und 8 KStG im Lichte der EU-Grundfreiheiten geltungserhaltend auszulegen ist.

1) Das Recht der Europäischen Union ist gemäß Art. 23 GG, Art. 267 AEUV Bestandteil des Bundesrechts und zwar mit Anwendungsvorrang vor nationalem Recht (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juni 2000 - 2 BvL 1/97, BVerfGE 102, 147; vom 9. Januar 2000 - 1 BvR 1036/99, NJW 2001,1267). Die Gerichte dürfen deshalb deutsche Vorschriften nicht anwenden, soweit sie Unionsrecht verletzen. Der Anwendungsvorrang des Primärrechts der EU und damit der unionsrechtlichen Grundfreiheiten vor nationalem Recht ist folglich auch mit Blick auf die sachliche Entlastungsvoraussetzung gemäß § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG i.V.m. § 8b Abs. 1 und § 8b Abs. 8 KStG zu beachten.

Allerdings ist die nationale Norm bei einem Verstoß gegen EU-Primärrecht nicht generell überhaupt nicht anwendbar. Denn der gemeinschaftsrechtliche Anwendungsvor-rang wirkt sich nicht prinzipiell dergestalt aus, dass von der Anwendung der EU rechtswidrigen Norm grundsätzlich gänzlich abzusehen ist. Die vom EuGH verbindlich formulierten gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse sind vielmehr in geeigneten Fällen durch die sog. "geltungserhaltende Reduktion" in die betreffenden Normen hineinzulesen (vgl. BFH-Urteile vom 21. Oktober 2009 - I R 114/08, BFH/NV 2010, 279; vom 13. Juni 2018 - I R 94/15, BFHE 262, 79; vom 3. Februar 2010 - I R 21/06, BStBl II 2010, 692). Dadurch wird im Wege richterlicher Fortbildung ein unionsrechtskonformer Zustand geschaffen (vgl. auch FG Köln, Urteil vom 30. Juni 2020, 2 K 140/18, zu § 50d Abs. 3 EStG).

2) Dies berücksichtigend ist § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG im Hinblick auf die Kapitalverkehrsfreiheit im Wege der geltungserhaltenden Reduktion zu Gunsten der Klägerin mit der Maßgabe anzuwenden, dass eine im Ergebnis nicht vorzunehmende Besteuerung der in § 8b Abs. 1 KStG genannten Bezüge infolge einer aufwandswirksamen Rückstellungsbildung für die Anwendung als ausreichend anzusehen ist.

3) Ob sich an diesem Ergebnis bei Berücksichtigung der Regelung in § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des EuGH-Urteils vom 20. Oktober 2011 in der Rs. C-284/09 vom 21. März 2013 (BGBl. I 2013, 561), wonach Bezüge im Sinne des Absatzes 1 abweichend von Absatz 1 Satz 1 bei der Ermittlung des Einkommens zu berücksichtigen sind, ändern würde, kann dahinstehen. Denn § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG i.d.F. dieses Gesetzes vom 21. März 2013 gilt erst für Dividenden aus Streubesitzbeteiligungen, die nach dem 28. Februar 2013 zugeflossen sind (vgl. § 34 KStG Abs. 7a i.d.F. des Gesetzes vom 21. März 2013), so dass diese Regelung in § 8b Abs. 4 Satz 1 KStG auf die von der Klägerin im Jahr 2009 bezogenen Kapitalerträge keine Anwendung findet. § 32 Abs. 5 KStG i.d.F. des Gesetzes vom 21. März 2013 gilt demgegenüber gemäß § 34 Abs. 13b Satz 4 KStG i.d.F. dieses Gesetzes auch für vor diesem Zeitpunkt zugeflossene Dividenden und dabei unstreitig für vorliegend in Rede stehenden Dividenden 2009.

II. Hinsichtlich des Zinsanspruchs ist die Klage überwiegend begründet.

Der Erstattungsbetrag ist ab dem 26. April 2014 i.H.v. 6 % p.a. zu verzinsen. Dies ergibt sich bei Berücksichtigung der bereits durch den erkennenden Senat getroffenen Entscheidungen, dass ein zu Unrecht nach § 50d Abs. 3 EStG versagter Kapitalertragsteuererstattungsanspruch zu verzinsen ist (vgl. FG Köln, Urteile vom 30. Juni 2020, 2 K 140/18, EFG 2021, 117 und vom 17. November 2021, 2 K 1544/20, EFG 2022 349, Revision anhängig unter dem Az. I R 50/21).

1. Nach der Rechtsprechung des EuGH ergibt sich im Fall von Steuerbeträgen, die unter Verstoß gegen Vorschriften des Unionsrechts erhoben worden sind, ein Anspruch auf Erstattung der erhobenen Beträge zuzüglich Zinsen unmittelbar aus dem Unionsrecht (vgl. EuGH-Urteil vom 18. April 2013, C-565/11 - Irimie, HFR 2013, 659; s.a. EuGH-Urteil vom 27. September 2012, C-234/10 - Jülich, HFR 2012, 1210; vgl. BFH-Urteil vom 22. September 2015, VII R 32/14, BStBl. II 2016, 323).

So ist nach der Rechtsprechung des EuGH eine nationale Regelung unionsrechtswidrig, die die bei der Erstattung einer unionsrechtswidrig erhobenen Steuer zu zahlenden Zinsen auf jene Zinsen beschränkt, die ab dem auf das Datum des Antrags auf Erstattung der Steuer folgenden Tag angefallen sind. Eine derartige nationale Regelung dürfe im Hinblick auf die Erfordernisse des Grundsatzes der Effektivität nicht dazu führen, dass dem Steuerpflichtigen eine angemessene Entschädigung für die Einbußen, die er durch die zu Unrecht gezahlte Steuer erlitten habe, vorenthalten werde. Die Einbußen hingen u.a. davon ab, wie lange der unter Verstoß gegen das Unionsrecht zu Unrecht gezahlte Betrag nicht zur Verfügung gestanden habe und entstünden somit grundsätzlich im Zeitraum vom Tag der zu Unrecht geleisteten Zahlung der fraglichen Steuer bis zum Tag ihrer Erstattung (vgl. EuGH-Urteil vom 18. April 2013, C-565/11 - Irimie, HFR 2013, 659). Der EuGH hat somit grundsätzlich entschieden, dass Zinsen auf unionsrechtswidrig erhobene Steuern für den Zeitraum, in dem die Mittel nicht zur Verfügung stehen, zuzusprechen sind (bestätigt durch EuGH-Urteil vom 24. Oktober 2013, C-431/12 - Rafinăria Steaua Română, HFR 2013, 1163).

Für den Bereich der Energiesteuerentlastung hat der BFH entschieden, dass der Behörde bei der Prüfung von Anträgen auf Entlastung eine angemessene Bearbeitungszeit zuzubilligen ist (vgl. BFH-Urteil vom 22. Oktober 2019, VII R 24/18, BFHE 267, 90). Er berief sich hierzu auf die Rechtsprechung des EuGH zum Mehrwertsteuerüberschuss und bemaß die Frist in Ermangelung ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen in Anlehnung an die Art. 19 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9/EG, wonach eine Behörde insgesamt vier Monate und zehn Arbeitstage zur Verfügung stünden, um einen Erstattungsantrag zu bearbeiten und den Erstattungsbetrag auszuzahlen. Der BFH hat in seiner Entscheidung ausdrücklich auf das Urteil des EuGH in der Sache Irimie Bezug genommen und den von ihm entschiedenen Fall dahingehend abgegrenzt, dass es bei der Energiesteuervergütung nicht um eine unionsrechtswidrige Erhebung einer Abgabe gegangen sei, sondern um eine unionsrechtswidrige Nichtgewährung einer obligatorischen Steuerbefreiung.

Die Abgabenordnung sieht im Zusammenhang mit Erstattungsansprüchen indes lediglich einen Anspruch auf Prozesszinsen ab Rechtshängigkeit gemäß § 236 AO vor; Ausnahmen hiervon sind in § 233a AO abschließend normiert und im Streitfall nicht einschlägig.

. Angesichts dessen steht der Klägerin ein Anspruch auf Verzinsung zu. Die einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer wurde zunächst zu Unrecht nicht erstattet. Die zunächst nicht vorgenommene Erstattung basierte (u.a.) auf der Anwendung der Regelung des § 32 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 KStG. Diese Norm ist mit der in Art. 63 AEUV geregelten Kapitalverkehrsfreiheit nicht in Einklang zu bringen und verstößt damit gegen EU-Recht, so dass der Klägerin die Erstattung der Kapitalertragsteuer in unionsrechtswidriger Weise zeitweise vorenthalten wurde.

In Ermangelung einer nationalen Normierung der Verzinsungsmodalitäten ist auf die allgemein gültigen Verzinsungsgrundsätze zurückzugreifen. Hiernach beträgt der Zinssatz für jeden Monat 0,5 Prozent (vgl. § 238 Abs. 1 AO).

Im Hinblick auf den Beginn des zu verzinsenden Zeitraumes ist grundsätzlich auf den Zeitpunkt der Antragstellung gemäß § 32 Abs. 5 KStG abzustellen, wobei dem Beklagten vor dem Beginn der Verzinsung ein angemessener Prüfungszeitraum hinsichtlich des Erstattungsantrages zuzubilligen ist.

Im Streitfall hat die Klägerin mit Eingang am 16. Dezember 2013 eine Erstattung gemäß § 32 Abs. 5 KStG beantragt, nachdem von den Kapitalerträgen im Jahr 2009 zunächst entsprechend des gesetzlich vorgesehenen Steuerabzugsverfahrens die Kapitalertragsteuer einbehalten und abgeführt wurde und erst im Nachgang im anschließenden Erstattungsverfahren wieder auszukehren ist. Für diesen Fall, in dem der Steuerabzug zu Recht erfolgt und erst die Erstattung zu Unrecht zeitweise vorenthalten wurde, sind die Grundsätze des BFH aus seiner Entscheidung vom 22. Oktober 2019 heranzuziehen, wonach dem Beklagten ab dem Erstattungsantrag zunächst eine angemessene Bearbeitungszeit zuzugestehen ist und vor diesem Hintergrund der Zinslauf erst mit Ablauf der Bearbeitungszeit beginnt. Im Hinblick auf die Angemessenheit der Bearbeitungszeit teilt das Gericht wie bereits in der Entscheidung vom 17. November 2021 (2 K 1544/20, EFG 2022, 349, Az. des Revisionsverfahrens I R 50/21) die Auffassung des BFH, wonach in Ermangelung ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen in Anlehnung an die Art. 19 Abs. 2 und Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 2008/9/EG dem Beklagten insgesamt vier Monate und zehn Arbeitstage zur Bearbeitung des Erstattungsantrages zur Verfügung stehen.

Ein früherer Zeitpunkt kommt mangels eines vorherigen formlosen Antrags unter Berufung auf die EU-Rechtswidrigkeit der fehlenden Erstattungsmöglichkeit im Fall von Streubesitzdividenden nicht in Betracht (zum Antrag gemäß § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG analog vgl. Ausführungen des BFH im Urteil vom 11. Januar 2012, I R 25/10, IStR 2012, 340). Dies wäre auch bereits vor Inkrafttreten des mit Gesetz vom 21. März 2013 ( BGBl. I 2013, 561) eingeführten § 32 Abs. 5 KStG, mit dem das EuGH-Urteil vom 20. Oktober 2011 in der Rs. C-284/09 umgesetzt wurde, möglich gewesen.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 FGO.

IV. Die Revision zum Bundesfinanzhof war nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowohl im Hinblick auf den Erstattungsanspruch als auch den Zinsanspruch, hinsichtlich der Zinsanspruchs auch angesichts des bereits unter I R 50/21 anhängigen Revisionsverfahrens, zuzulassen.

V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

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