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RdZ-News
28.10.2021
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OLG Bremen : Anscheinsbeweis bei der Verwendung von Zahlungskarten mit PIN – Pflicht zur Sperranzeige

OLG Bremen, Beschluss vom 19.5.2021 – 1 W 4/21

Volltext des Beschlusses: RdZL2021-207-1

Leitsätze

1. Wurden bei Abhebungen mit einer Zahlungskarte an einem Automaten die Originalkarte und die PIN verwendet, dann ist ein Beweis des ersten Anscheins verfügbar, dass die Zahlung entweder vom berechtigten Karteninhaber selbst vorgenommen wurde oder dass er, wenn die Karte von einem Dritten unberechtigt genutzt wurde, diesem pflichtwidrig eine Kenntniserlangung von der PIN ermöglicht hat, insbesondere durch eine grob fahrlässig erfolgende gemeinsame Aufbewahrung der Karte mit einer Notiz der PIN. An diesen Grundsätzen ist auch unter der Geltung der Regelungen in § 675w S. 3 BGB sowie § 675w S. 4 BGB festzuhalten.

2. Die Grundsätze zur Verfügbarkeit eines Anscheinsbeweises für das Vorliegen eines Obliegenheitsverstoßes des Zahlungsdienstnutzers bei unautorisierter Nutzung von Zahlungskarten finden keine Anwendung beim Einsatz von Kreditkarten im Präsenzgeschäft ohne Verwendung einer PIN.

3. Die Begründung einer Pflicht eines Zahlungsdienstnutzers zur Abgabe einer Sperranzeige nach Nr. 7.4 Abs. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) bei Vorliegen eines bloßen Verdachts, dass eine nicht autorisierte Nutzung von Debitkarte oder PIN vorliegt, ist als unzulässige Abweichung zu Lasten des Zahlungsdienstnutzers von der gesetzlichen Regel des § 675l Abs. 1 S. 2 BGB unwirksam.

4. Die Schadensersatzhaftung des Kunden wegen der Verletzung von Obliegenheiten nach Nr. 20 Abs. 1 AGB-Sparkassen, insbesondere zur Mitteilung des Nichterhalts von Rechnungsabschlüssen, kann keinen Schadensersatzanspruch gegen den Zahlungsdienstnutzer wegen einer lediglich einfach fahrlässigen Ermöglichung nicht autorisierter Zahlungsvorgänge begründen.

Aus den Gründen

I.

Die Antragstellerin begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen die Antragsgegnerin auf Zahlung eines Betrags von EUR 16.452,35, um den die Antragsgegnerin das bei ihr geführte Konto der Antragstellerin für Geldabhebungen mit Zahlungskarten belastet hat, wobei diese Abhebungen nach den Behauptungen der Antragstellerin nicht von ihr autorisiert waren.

Die Antragstellerin unterhielt im streitgegenständlichen Zeitraum der Jahre 2016 bis 2019 ein Zahlungskonto bei der Antragsgegnerin, wobei der Kontoführung die AGB der Antragsgegnerin zugrunde lagen, die in den hier maßgeblichen Passagen den AGB-Sparkassen entsprechen. Zu Lasten dieses Zahlungskontos wurden durch mehrere Zahlungsvorgänge im Zeitraum vom 25.07.2016 bis zum15.08.2016 insgesamt EUR 822,08 unter Vorlage einer Kreditkarte gegen Unterschrift eines Auszahlungsbelegs in einer Bankfiliale in der Dominikanischen Republik abgehoben, wo auch die Antragstellerin lebt, sowie im Zeitraum vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 in teils kurzer zeitlicher Folge insgesamt EUR 15.720,27 mit einer Zahlungskarte und PIN an Geldautomaten ebenfalls in der Dominikanischen Republik. Im letztgenannten Zeitraum erfolgten daneben auch autorisierte Abhebungen mit der Debitkarte der Antragstellerin. Unstreitig hatte sich ein Bevollmächtigter der Antragstellerin Ende Dezember 2018 an die Antragsgegnerin gewandt, weil mit der Debitkarte der Antragstellerin eine Geldabhebung nicht möglich war. Die Abhebungsbeträge wurden von der Antragsgegnerin zu Lasten des Zahlungskontos der Antragstellerin belastet. Die Antragstellerin reklamierte diese Abbuchungen am 22.09.2016 bzw. 30.04.2019 gegenüber der Antragsgegnerin, die eine Rückerstattung jeweils verweigerte. Ob die Antragstellerin im Zeitraum der streitgegenständlichen Abbuchungen Kontoauszüge nebst Rechnungsabschlüssen von der Antragsgegnerin in Papierform zugesandt erhielt, ist zwischen den Parteien streitig. Ein Zugang zum Online-Banking war für das Konto der Antragstellerin nur für deren Kontobevollmächtigte eingerichtet; die Bereitstellung von Kontoauszügen durch elektronische Dokumente war nicht vereinbart.

Die Antragstellerin behauptet, die Abhebungen im Zeitraum vom 25.07.2016 bis zum 15.08.2016 seien ohne Vorlage der Originalkarte und mit von Mitarbeitern der Bank in der Dominikanischen Republik gefälschten Unterschriften vorgenommen worden. Die Abhebungen im Zeitraum vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 seien mittels von Dritten angefertigten Dubletten der Debitkarte der Antragstellerin vorgenommen worden. Die Originalkarte und PIN seien sicher verwahrt gewesen. Es könne aber durch das Auslesen des Magnetstreifens einer Karte von Dritten eine Kartenkopie erstellt worden sein. Die Antragstellerin habe im Dezember 2018 nicht mangels vorhandenen Guthabens auf ihrem Konto keine Geldabhebung mit ihrer Zahlungskarte vornehmen können, sondern weil durch die unautorisierten Abhebungen das Tageslimit ausgereizt gewesen sei. In dem Gespräch im Dezember 2018 sei seitens der Antragsgegnerin mitgeteilt worden, dass mit der Karte alles seine Richtigkeit habe und dass auch mit dem Konto alles in Ordnung sei, ohne dass sie auf die Vielzahl der teils in schneller zeitlicher Folge erfolgten Geldabhebungen hingewiesen hätte. Die Antragstellerin habe auch keine sonstige Möglichkeit gehabt, sich über Bewegungen auf ihrem Konto zu informieren. Im streitgegenständlichen Zeitraum habe sie über keine aktuellen Kontoauszüge verfügt. Kontoauszüge habe sie generell nur mit erheblicher zeitlicher Verzögerung über den Postweg erhalten, wenn sie zunächst von der Antragsgegnerin an einen Bevollmächtigten der Antragstellerin in Deutschland versandt und sodann von diesem in die Dominikanische Republik weitergeleitet worden seien. Die Antragstellerin rügt zudem, dass es an substantiiertem Vortrag der Antragsgegnerin dazu fehle, wann und auf welche Weise sie Kontoauszüge für den relevanten Zeitraum an die Antragstellerin versandt haben will. Eine Nutzung des Zugangs zum Online-Banking sei für die Antragstellerin selbst mangels funktionsfähigen Computers nicht möglich gewesen.

Die Antragsgegnerin behauptet, die Abhebungen im Zeitraum vom 25.07.2016 bis zum 15.08.2016 seien als autorisierte Abhebungen unter Verwendung der Original-Kreditkarte vorgenommen worden und auch die Unterschriften auf den Belegen hätten keinen Zweifel an ihrer Echtheit zugelassen. Auch die Abhebungen im Zeitraum vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 seien unter Verwendung der Original-Zahlungskarte und PIN autorisiert worden. Die Herstellung einer Kopie der verwendeten Karten unter Auslesen von Magnetkarte und Chip sei nicht möglich. Sollte die Antragstellerin tatsächlich nicht die Abhebungen autorisiert haben, so hafte sie nach den anwendbaren Bedingungen für die Sparkassen Card (Debitkarte) jedenfalls für den durch nicht autorisierte Kartenverfügungen außerhalb des EWR entstandenen Schaden, den sie durch eine unterlassene Sperranzeige fahrlässig verursacht habe, nachdem sie im Dezember 2018 wegen der nicht möglichen Abhebung mit ihrer Zahlungskarte einen Verdacht der unautorisierten Kartennutzung hätte haben müssen. Zudem müsse die Antragsgegnerin gegen ihre Sorgfaltspflichten bei der Aufbewahrung ihrer Debitkarte verstoßen haben, da ansonsten eine über eine längere Zeit andauernde parallele autorisierte und nicht autorisierte Kartennutzung nicht denkbar sei. In dem Gespräch Ende Dezember 2018 sei lediglich nachgefragt worden, ob die Zahlungskarte der Antragstellerin gesperrt sei, was zutreffend verneint worden sei. Die Antragsgegnerin macht geltend, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Kontoauszüge der Antragstellerin nicht oder nicht rechtzeitig zugegangen seien und sie habe auch keinen entsprechen- den Hinweis gegeben. Mit Schriftsatz vom 01.03.2021 hat die Antragsgegnerin zu- nächst vorgetragen, monatlich Kontoauszüge der Antragsgegnerin an die inländische Wohnanschrift ihres Kontobevollmächtigten versandt zu haben. Mit Schriftsatz vom 09.04.2021 hat die Antragsgegnerin vorgetragen, ab November 2017 die Kontoauszüge für die Antragstellerin stattdessen in deren elektronisches Postfach im Online- Banking eingestellt zu haben.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 18.12.2020 den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Antragstellerin, nachdem sie mit ihrer Karte kein Geld habe abheben können, nach Nr. 7.4 Abs. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) wegen des Verdachts einer nicht autorisierten Nutzung der Karte eine Sperranzeige hätte vornehmen müssen. Die Antragstellerin hafte daher ab diesem Zeitpunkt nach Nr. 14.1 Abs. 3 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) für den durch den Einsatz der Zahlungskarte außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums entstehenden Schaden bereits bei einfacher Fahrlässigkeit hinsichtlich der Verletzung dieser Obliegenheit. Der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin vom 07.01.2021 hat das Landgericht mit Beschluss vom 19.01.2021 nicht abgeholfen.

II.

Auf die statthafte und fristgerecht eingereichte sofortige Beschwerde der Antragstellerin und Beschwerdeführerin vom 07.01.2021 gegen den Beschluss des Landgerichts Bremen vom 18.12.2020 war dieser Beschluss in der Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 19.01.2021 wie tenoriert abzuändern, da im Sinne des § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO hin- reichende Erfolgsaussichten für die Rechtsverfolgung der Antragstellerin, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, nicht zu verneinen sind. Dem liegen folgende Erwägungen zu Grunde:

1. Die Antragstellerin hat nach § 675u S. 2 BGB einen Anspruch gegen die Antragsgegnerin auf Erstattung des Betrags der streitgegenständlichen Abbuchungen vom beider Antragsgegnerin geführten Konto der Antragstellerin, wenn die zugrunde liegenden Zahlungsvorgänge nicht von der Antragstellerin autorisiert waren. Für die Behauptung der Antragsgegnerin, dass die Abhebungen durch die Antragstellerin selbst autorisiert i.S.v. § 675j Abs. 1 S. 1 BGB wurden, ist die Antragsgegnerin als Zahlungsdienstleisterin im Verhältnis zur Antragstellerin als Zahlerin nach § 675w S. 1 BGB darlegungs- und beweisbelastet (siehe OLG Frankfurt, Urteil vom 11.05.2017 – 1 U 224/15, juris Rn. 15, ZIP 2017, 1559; Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 16; Palandt-Sprau, 80. Aufl. 2021, § 675u BGB Rn. 8; Staudinger/Omlor, 2020, § 675w BGB Rn. 3; ebenso die Begründung des Regierungsentwurfs zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie, BT-Drucks. 18/11495, S. 167). Es sind im Hinblick auf die diesbezüglichen beiderseitigen Beweisangebote daher im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens insoweit hinreichende Erfolgsaussichten für die Rechtsverfolgung der Antragstellerin gegen die darlegungs- und beweisbelastete Antragsgegnerin nicht zu verneinen.

a. Aufgrund der wirksamen Rechtswahl in Nr. 6 Abs. 1 AGB-Sparkassen ist deutsches Recht auch auf die im Ausland getätigten Zahlungsvorgänge anzuwenden (siehe Art. 6 Abs. 2 S. 1 Rom I-VO); vorrangige zwingende Verbraucherschutzvorschriften des Rechts des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts der Antragstellerin (Art. 6 Abs. 2 S. 2 Rom I-VO) sind nicht ersichtlich.

b. Die Zahlungsvorgänge im Zeitraum vom 25.07.2016 bis zum 15.08.2016 über einen Gesamtbetrag von EUR 822,08 unter Vorlage einer Kreditkarte gegen Unterschrift eines Auszahlungsbelegs sind dann autorisiert im Sinne des § 675j Abs. 1 S. 1 BGB, wenn sie mit Zustimmung der Antragstellerin erfolgten, d.h. wenn die Unterschrift auf den Auszahlungsbelegen – wie von der Antragsgegnerin behauptet – von der Antragstellerin stammt. Die Antragstellerin bestreitet dies und behauptet, die Unterschriften seien von Mitarbeitern der Bank in der Dominikanischen Republik, bei der die Abhebungen erfolgten, gefälscht worden.

aa. Die Darlegungs- und Beweislast, dass die Unterschrift auf einem Zahlungsauftrag vom Zahler stammt, trägt der Zahlungsdienstleister, der damit auch das Risiko trägt, dass sich die Unterschrift als gefälscht erweist (siehe OLG Frankfurt, Urteil vom 11.05.2017 – 1 U 224/15, juris Rn. 15, ZIP 2017, 1559; Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675u BGB Rn. 39). Es findet damit hier der allgemeine Grundsatz Anwendung, dass derjenige, der sich auf eine privatschriftliche Urkunde beruft, entsprechend § 440 Abs. 1 ZPO die Echtheit der Unterschrift zu beweisen hat (siehe BGH, Urteil vom 22.03.1995 – VIII ZR 191/93, juris Rn. 24, NJW 1995, 1683; Urteil vom 13.07.2000 – I ZR 49/98, juris Rn. 23, WM 2000, 2170; MüKoZPO/Schreiber, 6. Aufl. 2020, § 440 ZPO Rn. 2), wobei für die Echtheit keine gesetzliche Vermutung greift (siehe BGH, a.a.O.). Es ist insoweit mangels Typizität des Geschehens auch im – hier ohnehin von der Antragstellerin bestrittenen – Fall des Einsatzes der Originalkarte kein Beweis des ersten Anscheins verfügbar (siehe MüKo/Zetzsche, 8. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 5; Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 81; Staudinger/Omlor, 2020, § 675w BGB Rn. 13). Die Antragsgegnerin hat zur Echtheit der Unterschriften Beweis durch Inaugenscheinnahme von Vergleichsunterschriften der Antragstellerin angeboten, diese wiederum gegenbeweislich Beweis durch Zeugenvernehmung sowie Einholung eines Sachverständigengutachtens, so dass im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens insoweit hinreichende Erfolgsaussichten für die Rechtsverfolgung der Antragstellerin gegen die beweisbelastete Antragsgegnerin nicht zu verneinen sind.

bb. Einer Haftung der Antragsgegnerin nach § 675u S. 2 BGB auf Rückerstattung der aufgrund dieser Abhebungen abgebuchten EUR 822,08 stünde nicht entgegen, dass – wie die Antragsgegnerin geltend macht – ihr eine Fälschung der Unterschriften nicht erkennbar gewesen sein sollte: Die Haftung nach § 675u S. 2 BGB setzt kein Verschul- den voraus und auf einen Haftungsausschluss nach § 676c Nr. 1 BGB könnte sich die Antragsgegnerin auch bei einer nicht erkennbaren Unterschriftenfälschung nicht berufen, weil es sich hierbei nicht um ein unvorhersehbares Ereignis handelte (siehe BGH, Urteil vom 17.11.2020 – XI ZR 294/19, juris Rn. 20, WM 2021, 174; OLG Celle, Beschluss vom 17.11.2020 – 3 U 122/20, juris Rn. 25, BKR 2021, 114; OLG Frankfurt, Urteil vom 11.05.2017 – 1 U 224/15, juris Rn. 16, ZIP 2017, 1559).

c. Die Autorisierung der weiteren streitgegenständlichen Zahlungsvorgänge im Zeit- raum vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 über einen Gesamtbetrag von EUR 15.720,27 unter Verwendung einer Debitkarte und der PIN setzt voraus, dass diese Abhebungen mit Zustimmung der Antragstellerin unter Verwendung der Originalkarte und PIN vorgenommen wurden. Die Antragstellerin bestreitet dies und behauptet, diese Abhebungen seien mittels von Dritten angefertigter Dubletten der Debitkarte der Antragstellerin vorgenommen worden.

In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist mehrfach grundsätzlich ausgesprochen worden, dass dann, wenn bei Abhebungen mit einer Zahlungskarte an einem Automaten die Originalkarte und PIN verwendet wurden, ein Beweis des ersten Anscheins gegeben ist, dass die Zahlung entweder vom berechtigten Karteninhaber selbst vorgenommen wurde oder – dazu sogleich unter 2.a.cc – dass er, wenn die Karte von einem Dritten unberechtigt genutzt wurde, diesem pflichtwidrig eine Kenntniserlangung von der PIN ermöglicht hat, insbesondere durch eine grob fahrlässig erfolgende gemein- same Aufbewahrung der Karte mit einer Notiz der PIN (siehe BGH Urteil vom 05.10.2004 – XI ZR 210/03, juris Rn. 27 ff., BGHZ 160, 308; Urteil vom 14.11.2006 – XI ZR 294/05, juris Rn. 31, BGHZ 170, 18; Beschluss vom 06.07.2010 – XI ZR 224/09, juris Rn. 10, WM 2011, 924; Urteil vom 29.11.2011 – XI ZR 370/10, juris Rn. 16, WM 2012, 164). Diese Rechtsprechung ist vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandet worden (siehe BVerfG, Beschluss vom 08.12.2009 – 1 BvR 2733/06, juris Rn. 16, WM 2010, 208) und ihr ist auch in der jüngeren Rechtsprechung der Zivilgerichte weiter gefolgt worden (siehe die Nachweise bei Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 41). Grund- lage dieses Anscheinsbeweises ist der anerkannte technische Befund, dass es Unbefugten praktisch nicht möglich ist, die Sicherheitsvorkehrungen im Bereich der Kartenzahlvorgänge mit PIN unter Einsatz der Originalkarte zu überwinden (so BGH, Urteil vom 05.10.2004 – XI ZR 210/03, juris Rn. 28, BGHZ 160, 308; siehe auch Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 51 m.w.Nachw.). An dieser Rechtsprechung ist insbesondere auch nach der Einführung des § 675w S. 3 BGB mit Wirkung zum 01.11.2009 in Umsetzung der Ersten Zahlungsdiensterichtlinie (Richtlinie 2007/64/EG vom 13.11.2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und

2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG, ABl. L 319 vom 05.12.2007, S. 1) festzuhalten (so BGH, Urteil vom 26.01.2016 – XI ZR 91/14, juris Rn. 23, BGHZ

208, 331; siehe auch Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 33 ff. m.w. Nachw.). Soweit § 675w S. 3 BGB bestimmt, dass die Aufzeichnung der Nutzung des Zahlungsinstruments einschließlich der Authentifizierung durch den Zahlungsdienstleister allein nicht notwendigerweise ausreichen soll, um nachzuweisen, dass der Zahler den Zahlungsvorgang autorisiert (bzw. nach den Nr. 2 bis 4 pflichtwidrig gehandelt) hat, wird diesen zusätzlichen Nachweisanforderungen durch die Konstruktion des Anscheinsbeweises Genüge getan: In-

dem der Anscheinsbeweis weder eine zwingende Beweisregel noch eine Beweislastumkehr beinhaltet, bleibt vielmehr eine Berücksichtigung der Umstände des Einzel- falls möglich (siehe BGH, a.a.O., juris Rn. 27 ff.).

Dieser Beweis des ersten Anscheins bei Kartenzahlungsvorgängen mit PIN setzt die Verwendung der Original-Zahlungskarte voraus, denn bei Verwendung einer Dublette kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Daten des Zahlers bei einem früheren Karteneinsatz unberechtigt und für den Zahler unbemerkt ausgelesen und sodann für die Auslösung des nicht autorisierten Zahlungsvorgangs verwendet wurden (siehe BGH, Urteil vom 05.10.2004 – XI ZR 210/03, juris Rn. 28, BGHZ 160, 308; Urteil vom 29.11.2011 – XI ZR 370/10, juris Rn. 16, WM 2012, 164). Für diese Verwendung der Originalkarte, die vorliegend von der Antragstellerin bestritten wurde, ist der Zahlungsdienstleister, hier also die Antragsgegnerin, darlegungs- und beweisbelastet (siehe BGH, a.a.O., juris Rn. 18), wozu es der Einholung des von der Antragsgegnerin hierzu angebotenen Beweises bedarf. Auch wenn der Nachweis der Verwendung der Originalkarte zu führen sein sollte, ist sodann nach allgemeinen Grundsätzen eine Erschütterung des Anscheinsbeweises durch die konkrete Darlegung und gegebenenfalls den Nachweis einer ernsthaft und nicht lediglich theoretisch in Betracht kommenden Möglichkeit eines atypischen Geschehensablaufs möglich oder auch der konkrete Nachweis des Gegenteils (siehe BVerfG, Beschluss vom 08.12.2009 – 1 BvR 2733/06, juris Rn. 16, WM 2010, 208; BGH, Urteil vom 05.10.2004 – XI ZR 210/03, juris Rn. 35 f., BGHZ 160, 308; Beschluss vom 06.07.2010 – XI ZR 224/09, juris Rn. 10, WM 2011,

924; Urteil vom 26.01.2016 – XI ZR 91/14, juris Rn. 28 f., BGHZ 208, 331): Allgemeine und unsubstantiierte Zweifel an der Unüberwindlichkeit der verwendeten Technik, wie sie vorliegend von der Antragstellerin vorgetragen werden, genügen hierfür allerdings nicht, zumal sich das Vorbringen der Antragstellerin allein auf Möglichkeiten des Anfertigens einer Kartenkopie bezieht, während für den Anscheinsbeweis ohnehin der Nachweis der Verwendung der Originalkarte vorausgesetzt wird. Abhebungen an für den Karteninhaber ungewöhnlichen Orten oder an zu ungewöhnlichen Zeiten oder mit geringen Zeitabständen – so wie vorliegend in Betracht kommend – können den Anscheinsbeweis einer Autorisierung erschüttern (siehe OLG Frankfurt, Urteil vom 08.12.2014 – 23 U 291/13, juris Rn. 42 f., ITRB 2015, 160); gleichzeitig kann es aber, wenn der Karteninhaber vor und nach der angeblich nicht autorisierten, aber – wie hier zu unterstellen – nachweislich mit der Originalkarte durchgeführten Abhebung auch nicht beanstandete eigene Zahlungsvorgänge mit der in seinem Besitz befindlichen Karte vornimmt, nach der Lebenserfahrung dafür sprechen, dass er die Karte auch beim streitgegenständlichen Zahlungsvorgang in Besitz hatte, dieser tatsächlich also autorisiert erfolgte (vgl. LG Darmstadt, Urteil vom 18.09.2013 – 7 S 182/12, juris Rn. 6, WM 2014, 1282; Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht,

3. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 45). Zu berücksichtigen bliebe ferner auch hier der von der Antragstellerin gegenbeweislich angebotene Zeugenbeweis.

d. Fragen eines Einwendungsausschlusses nach Zugang eines Rechnungsabschlusses (siehe Nr. 7 Abs. 3 AGB-Sparkassen), der zu einer Genehmigung zwar nicht der einzelnen Buchungen, wohl aber des jeweiligen Saldos und damit im Ergebnis zu einer Beweislastumkehr bei der Geltendmachung von dessen Unrichtigkeit führen könnte (siehe BGH, Urteil vom 18.10.1994 – XI ZR 194/93, juris Rn. 13, NJW 1995, 320; Urteil vom 28.01.2014 – XI ZR 424/12, juris Rn. 21, NJW 2014, 1441; Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 676b BGB Rn. 20; Bunte, in: Bunte/Zahrte, AGB-Banken, AGB-Sparkassen, Sonderbedingungen, 5. Aufl. 2019, 3. Teil, AGB-Sparkassen Rn. 32), stellen sich vorliegend nicht. Es ist bereits von der Antragsgegnerin nicht substantiiert vorgetragen, dass und wie sie im streitgegenständlichen Zeitraum Kontoauszüge mit Rechnungsabschlüssen an die Antragstellerin übersandt haben will und wie diese der Antragstellerin zugegangen sein sollen. Hinsichtlich des Zeitraums vom 25.07.2016 bis zum 15.08.2016 ist schon der Inhalt von solchen Abschlüssen nicht vorgetragen, hinsichtlich des Zeitraums vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 hat die Antragsgegnerin ihren ursprünglichen Vortrag nicht mehr auf- rechterhalten, diese Abschlüsse in Papierform an die Antragsgegnerin versandt zu ha- ben, und die von der Antragsgegnerin behauptete Versendung als elektronisches Dokument an das Postfach im Online-Banking war aber zwischen den Parteien nicht vereinbart. Die Antragstellerin musste sich auf diese Übersendungsform daher nicht ein- stellen. Ein anderes ergibt sich vorliegend auch nicht daraus, dass die Antragstellerin, wie von der Antragsgegnerin geltend gemacht, nicht darauf hingewiesen hat, Kontoauszüge und Rechnungsabschlüsse nicht erhalten zu haben. Ein solcher geltend gemachter Verstoß gegen die Hinweispflicht nach Nr. 20 Abs. 1 Buchst. g S. 2 AGB-Sparkassen führt generell nicht zu einer Genehmigungswirkung, sondern allenfalls zu einem Gegenanspruch gegen den Kunden auf Zahlung von Schadensersatz nach Nr. 20 Abs. 2 AGB-Sparkassen (dazu unten 2.a.dd).

2. Dem Erstattungsanspruch der Antragstellerin, so er denn bestehen sollte, was ins- besondere für den Fall eines fehlenden Nachweises der Echtheit der Unterschriften bei den Abhebungen im Zeitraum vom 25.07.2016 bis zum 15.08.2016 und der Verwendung der Originalkarte bei den Abhebungen im Zeitraum vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 anzunehmen ist, hält die Antragsgegnerin ihrerseits Einwendungen entgegen. Diese Einwendungen sind teilweise erheblich, aber ebenfalls eines Beweises durch die beweisbelastete Antragsgegnerin bedürftig und lassen damit für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe genügende Erfolgsaussichten für die Rechtsverfolgung der Antragstellerin nicht entfallen.

a. Hinsichtlich der Abhebungen im Zeitraum vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 macht die Antragsgegnerin Schadensersatzansprüche aufgrund der Haftungsregelung nach Nr. 14.1 Abs. 3 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) geltend, wonach beim hier vorliegenden Karteneinsatz außerhalb des EWR der Kontoinhaber den aufgrund nicht autorisierter Kartenverfügungen entstehenden Schaden trägt, wenn er die nach diesen Bedingungen ihm obliegenden Pflichten verletzt. Nach dieser Regelung haftet mithin der Zahlungsdienstnutzer bereits für eine einfache Fahrlässigkeit hinsichtlich der Ermöglichung eines nicht autorisierten Karteneinsatzes, während nach § 675v Abs. 3 BGB eine Haftung des Zahlungsdienstnutzers für den gesamten infolge eines nicht autorisierten Zahlungsvorgangs entstandenen Schaden nur für den Fall betrügerischen Handelns bzw. einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Zahlungsdienstnutzers vorgesehen ist. Diese Abweichung von der gesetzlichen Regelung des § 675v Abs. 3 BGB ist nach § 675e Abs. 2 Nr. 2 BGB auch im Verbrauchergeschäft bei einem Zahlungsvorgang in einem – hier vorliegenden – Drittstaatensachverhalt nach § 675d Abs. 6 S. 1 Nr. 1 Buchst. b BGB zulässig (siehe MüKoBGB/Casper, 8. Aufl. 2020, § 675e BGB Rn. 10).

aa. Als haftungsbegründende Pflichtverletzung der Antragstellerin macht die Antragsgegnerin geltend, dass die Antragstellerin gegen die Pflicht zur Abgabe einer Sperranzeige nach Nr. 7.4 Abs. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) ver- stoßen habe, wonach der Karteninhaber zur Sperranzeige verpflichtet ist, wenn er den Verdacht hat, dass eine nicht autorisierte Nutzung von Debitkarte oder PIN vorliegt. Diese Regelung in den AGB-Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) ist aber nach Auffassung des Senats unwirksam, da sie unzulässigerweise zu Lasten des Zahlungsdienstnutzers von der gesetzlichen Regel des § 675l Abs. 1 S. 2 BGB abweicht, wonach eine Verpflichtung des Zahlungsdienstnutzers zur unverzüglichen Anzeige der nicht autorisierten Nutzung eines Zahlungsinstruments gegenüber dem Zahlungsdienstleister oder einer von diesem benannten Stelle nur für den Fall vorgesehen ist, dass der Zahlungsdienstnutzer hiervon ausdrücklich Kenntnis erlangt hat.

In der Rechtsliteratur wird überwiegend angenommen, dass ungeachtet der Beschränkung der Anzeigepflicht des Zahlungsdienstnutzers nach § 675l Abs. 1 S. 2 BGB auf den Fall positiver Kenntnis von der nicht autorisierten Nutzung (ein bloßer Verdacht genügt hier nicht, siehe statt aller Palandt/Sprau, 80. Aufl., § 675l BGB Rn. 7) die Erstreckung der Sperranzeigepflicht auf Verdachtsfälle nach Nr. 7.4 Abs. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) zulässig sei. Gestützt wird dies darauf, dass es sich hierbei um eine nach § 675l Abs. 2 BGB zulässige Konkretisierung der Sorgfaltspflichten des Zahlungsdienstnutzers durch die Vereinbarung der Einhaltung sachlicher, verhältnismäßiger und nicht benachteiligender Bedingungen für die Ausgabe und Nutzung eines Zahlungsinstruments handele (siehe Zahrte, in: Bunte/Zahrte, AGB-Banken, AGB-Sparkassen, Sonderbedingungen, 5. Aufl. 2019, Teil II. Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte), Rn. 77; Maihold, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bank- rechtshandbuch, 5. Aufl. 2017, § 54 Rn. 89), wobei teilweise eine einschränkende Auslegung dieser Regelung dahingehend befürwortet wird, wonach von einem relevanten Verdacht lediglich bei Vorliegen konkreter Verdachtsmomente zu sprechen sein soll (siehe BeckOGK/Hofmann, 15.03.2021, § 675l BGB Rn. 121; Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675v BGB Rn. 76; Staudinger/Omlor, 2020, § 675l BGB Rn. 22). Einzelne Stimmen in der Literatur haben allerdings Zweifel hinsichtlich einer hieraus erwachsenden Belastung des Zahlungsdienstnutzers geäußert (siehe Erman/von Westphalen, 16. Aufl. 2020, § 675l BGB Rn. 15 (einschränkend wiederum Rn. 18)).

Nach Auffassung des Senats ist die Verschärfung der Anzeigepflicht des Zahlungsdienstnutzers durch die Regelung in Nr. 7.4 Abs. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) nicht durch die Zulassung der Vereinbarung von Bedingungen nach § 675l Abs. 2 BGB gedeckt: Es handelt sich insoweit nicht um die Vereinbarung von Bedingungen für durch das Gesetz nicht geregelte Fragen bzw. um deren Konkretisierung, sondern lediglich um eine Abweichung zu Lasten des Zahlungsdienstnutzers. Die Zulässigkeit abweichender Vereinbarungen wäre nach der Systematik der §§ 675c ff. BGB aber in § 675e BGB selbst zu regeln gewesen. Dies wird auch durch die Gesetzgebungsgeschichte gestützt: § 675l Abs. 2 BGB wurde eingeführt in Umsetzung von Art. 69 Abs. 1 Buchst. a der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie (Richtlinie 2015/2366 vom 25.11.2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtline 2007/64/EG, ABl. L 337 vom 23.12.2015, S. 35). Nach der Gesetzesbegründung sollten durch diese Regelung sachliche Vorgaben für die Vereinbarung von Nutzungsbedingungen festgelegt werden (siehe die Begründung des Regierungsentwurfs zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie, BT-Drucks. 18/11495, S. 157), während eine Absicht des Gesetzgebers, hinsichtlich der Regelungen des § 675l BGB durch die Hinzufügung des § 675l Abs. 2 BGB n.F. eine Abdingbarkeit vorzusehen, den Gesetzesmaterialien nicht zu entnehmen ist. Auch die Möglichkeit einer einschränkenden Auslegung der Regelung in Nr. 7.4 Abs. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) kann der Unzulässigkeit der Regelung nicht entgegenstehen, da für die Prüfung der Unwirksamkeit einer AGB grundsätzlich von der kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen ist (siehe BGH, Urteil vom 07.12.2010 – XI ZR 3/10, juris Rn. 35, BGHZ 187, 360; Urteil vom 20.10.2015 – XI ZR 166/14, juris Rn. 19, BGHZ 207, 176).

Die Regelung in Nr. 7.4 Abs. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) ist daher wegen der Abweichung von § 675l Abs. 1 S. 2 BGB zu Lasten des Zahlungsdienstnutzers unwirksam, da § 675e BGB Abweichungen von § 675l BGB weder gegenüber Verbrauchern noch Nicht-Verbrauchern gestattet. Darauf, dass vorliegend ein Drittstaatensachverhalt vorliegt und § 675e Abs. 2 Nr. 2 BGB in diesem Bereich Abweichungen zulasten des Zahlungsdienstnutzers zuließe, kommt es nicht an, da die Regelung in Nr. 7.4 Abs. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) insoweit keine Differenzierungen enthält und eine geltungserhaltende Reduktion dieser nicht weiter teilbaren Bestimmung auf den Anwendungsbereich einer zulässigen Abweichung von der gesetzlichen Regelung nicht stattfindet (st. Rspr. des Bundesgerichtshofs seit BGH, Urteil vom 17.05.1982 – VII ZR 316/81, juris Rn. 20 ff., BGHZ 84, 109).

bb. Eine haftungsbegründende Pflichtverletzung der Antragstellerin im Hinblick auf die unterlassene Sperranzeige nach dem Maßstab des § 675l Abs. 1 Abs. 3 BGB ist bereits dem Vortrag der Antragsgegnerin nicht zu entnehmen, da auch die Antragsgegnerin nicht vorträgt, dass die Antragstellerin von der nicht autorisierten Nutzung ihrer Zahlungskarte ausdrücklich Kenntnis erlangt hatte.

cc. Die Antragsgegnerin macht das Vorliegen einer weiteren haftungsbegründenden Pflichtverletzung der Antragstellerin dergestalt geltend, dass diese gegen ihre Obliegenheiten nach § 675l Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. Nr. 7 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) zur sicheren Verwahrung von Karte und PIN verstoßen haben

könnte.

(1) Im Hinblick auf die Zahlungsvorgänge im Zeitraum vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 unter Einsatz der Debitkarte kommt auf der Grundlage der oben dargelegten Erwägungen zur praktischen Unüberwindbarkeit der Sicherheitsmerkmale von Zahlungskarten ein Anscheinsbeweis für das Vorliegen eines Verstoßes der Antragstellerin gegen ihre Obliegenheiten nach § 675l Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht, wobei aber auch hier vorauszusetzen ist, dass die Antragsgegnerin die Verwendung der Originalkarte nachweisen kann. An den Grundsätzen zur Verfügbarkeit dieses Anscheinsbeweises für eine Obliegenheitsverletzung ist auch nach der Einführung des § 675w S. 4 BGB in Umsetzung von Art. 72 Abs. 2 S. 2 der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie festzuhalten, wonach der Zahlungsdienstleister unterstützende Beweismittel vorlegen muss, um Be- trug, Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Zahlungsdienstnutzers nachzuweisen (so auch Palandt-Sprau, 80. Aufl., § 675w BGB Rn. 4; BeckOGK/Hofmann, 15.1.2021, § 675w BGB Rn. 72 f.; Linardatos, NJW 2017, 2145, 2149; MüKoBGB/Zetzsche, 8. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 26 f.; Staudinger/Omlor, 2020, § 675w BGB Rn. 10; Zahrte, NJW 2018, 337, 340; einschränkend dagegen Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 55 f. (An- scheinsbeweis auf alternativer Grundlage denkbar)). Die unterstützenden Beweismittel im Sinne dieser Vorschrift können auch im Nachweis der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises bestehen, d.h. in der Darlegung der praktischen Unüberwindbarkeit der Sicherheitsmerkmale von Zahlungskarten (so auch MüKoBGB/Zetzsche, 8. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 27). Gelingt der Antragsgegnerin der Nachweis, dass bei den streitgegenständlichen Zahlungsvorgängen im Zeitraum vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 die Originalkarte verwendet wurde, würde über- dies auch der Umstand, dass damit über einen längeren Zeitraum mit dieser Karte parallel sowohl autorisierte wie auch nicht autorisierte Abhebungen vorgenommen wurden, einen weiteren eigenständigen Anschein dafür begründen, dass die Antragstellerin ihren Obliegenheiten hinsichtlich der Aufbewahrung dieser Karte nicht nachgekommen ist. Der Antragstellerin stünde aber auch hier die Möglichkeit der Führung eines Gegenbeweises offen, insbesondere auch durch Zeugenbeweis dazu, dass sie ihre Obliegenheiten hinsichtlich der Aufbewahrung ihrer Zahlungskarte nicht verletzt hat (hierzu BGH, Beschluss vom 06.07.2010 – XI ZR 224/09, juris Rn. 11, WM 2011, 924; Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 58; BeckOGK/Hofmann, 15.01.2021, § 675w BGB Rn. 46).

(2) Allerdings kann dem Anspruch des Zahlungsdienstleisters auf Schadensersatz wegen einer zumindest grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheiten des Zahlungsdienstnutzers zur sicheren Aufbewahrung seiner Zahlungskarte nach § 254 BGB ein etwaiges Mitverschulden des Zahlungsdienstleisters anspruchskürzend entgegengehalten werden (hier gesondert geregelt in Nr. 14.1 Abs. 3 S. 2 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte); siehe allgemein Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675v BGB Rn. 107; MüKo/Zetzsche, 8. Aufl. 2020, § 675v BGB Rn. 59; BeckOKBGB/Schmalenbach, 57. Ed. 1.2.2021, § 675v BGB Rn. 14): Die Antragstellerin hat in der Beschwerde behauptet, dass ihrem Kontobevollmächtigten in Deutschland seitens der Antragsgegnerin mitgeteilt worden sei, dass mit dem Konto alles in Ordnung sei, und sie hat für diese von der Antragsgegnerin bestrittene Behauptung Zeugenbeweis angeboten. Mit einer solchen Behauptung wäre die Antragstellerin jedenfalls zunächst aufgrund eines über- wiegenden Verschuldens auf Seiten der Antragsgegnerin von einer weiteren Haftung für einen Verstoß gegen Obliegenheitspflichten hinsichtlich der Aufbewahrung ihrer Zahlungskarte frei geworden. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass im Übrigen auch dann, sofern sich die vorgenannte Behauptung der Antragstellerin zum Inhalt des Gesprächs mit dem Mitarbeiter der Antragsgegnerin im Dezember 2018 nicht bestätigen sollte, jedenfalls von einem zumindest hälftigen Mitverschulden der Antragsgegnerin auszugehen sein dürfte, wenn diese ungeachtet der auffälligen Abhebungen im Minutentakt im Zeitraum Ende Dezember 2018 und einer als solchen unstreitig gestellten Anfrage, ob die Karte gesperrt sei, nicht von sich aus eine Prüfung bzw. Rückfrage vornimmt, ob diese Abhebungen der Antragstellerin bekannt sind. Gerade wegen der erfolgten Nachfrage der Antragstellerin durfte die Antragsgegnerin nicht davon ausgehen, dass die Antragstellerin über die Vorgänge auf ihrem Konto bereits informiert war.

dd. Soweit sich die Antragsgegnerin ferner darauf beruft, dass die Antragstellerin ihr entgegen Nr. 20 Abs. 1 Buchst. g S. 2 AGB-Sparkassen nicht angezeigt habe, die Kontoauszüge nicht erhalten zu haben, aus denen die Antragstellerin die Zugriffe auf ihr Konto hätte ersehen können, so dass sie die Antragsgegnerin hätte vor den weiteren streitgegenständlichen Abbuchungen im Zeitraum vom 08.12.2018 bis zum 15.04.2019 informieren können, vermag dies nicht zu einer hier dem Erstattungsanspruch der Antragstellerin entgegenzuhaltenden Schadensersatzhaftung der Antragstellerin zu führen. Die Haftungsregelung nach Nr. 14.1 Abs. 3 der Bedingungen für die Sparkassen- Card (Debitkarte) zur Haftung bei lediglich einfacher Fahrlässigkeit in Drittstaatensachverhalten setzt eine Verletzung der dem Kunden nach diesen Bedingungen obliegen- den Pflichten voraus, erfasst daher nicht auch eine Haftung wegen der Verletzung von Obliegenheiten nach den AGB-Sparkassen, für die vielmehr die Schadensersatzhaftung des Kunden nach Nr. 20 Abs. 2 AGB-Sparkassen gilt. Würde diese generell bereits in Fällen einfacher Fahrlässigkeit hinsichtlich einer Verletzung der Obliegenheiten des Kunden nach Nr. 20 Abs. 1 AGB-Sparkassen zur Anwendung kommende Haftungsregelung auch einen Schadensersatz wegen einer lediglich einfach fahrlässigen Ermöglichung nicht autorisierter Zahlungsvorgänge begründen können, so würde dies der Beschränkung der entsprechenden Haftung des Kunden nach § 675v Abs. 3 BGB auf Fälle betrügerischen Handelns bzw. einer vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Pflichtverletzung des Zahlungsdienstnutzers entgegenstehen. Zwar könnte diese Beschränkung für den vorliegenden Fall eines Drittstaatensachverhalts nach § 675e Abs. 2 Nr. 2 BGB wirksam abbedungen werden; da sich aber eine entsprechende Beschränkung der Klauseln in Nr. 20 Abs. 1 Buchst. g S. 2 und Abs. 2 AGB-Sparkassen nicht findet, wären diese Klauseln, wenn sie auch auf einen derartigen Schadensersatzanspruch bezogen zu verstehen wären, insoweit als unwirksam anzusehen.

b. Hinsichtlich der Abhebungen im Zeitraum vom 25.07.2016 bis zum 15.08.2016 findet die Regelung in Nr. 14.1 Abs. 3 der Bedingungen für die Sparkassen-Card (Debitkarte) keine Anwendung, da diese Abhebungen im Präsenzgeschäft unter Verwendung der Kreditkarte der Antragstellerin erfolgten; ein über die Begrenzung auf EUR 50,- nach § 675v Abs. 1 BGB hinausgehender Schadensersatzanspruch der Antragsgegnerin wegen der Verletzung von Obliegenheitspflichten der Antragstellerin hinsichtlich der Aufbewahrung der Kreditkarte besteht daher nur unter den Voraussetzungen des § 675v Abs. 3 BGB bzw. Nr. 12.1.5 der Bedingungen für die Mastercard/Visa Card (Kreditkarte), d. h. bei Vorliegen betrügerischen bzw. vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Handelns des Kunden. Zu beachten ist, dass sich im Hinblick auf diese Abhebungen die Antragsgegnerin auch bei erwiesener Verwendung der Originalkarte nicht auf einen Anscheinsbeweis für eine Obliegenheitsverletzung der Antragstellerin nach den oben dargelegten Grundsätzen berufen kann. Die Grundsätze zur Verfügbarkeit eines Anscheinsbeweises für das Vorliegen eines Obliegenheitsverstoßes des Zahlungsdienstnutzers bei unautorisierter Nutzung von Zahlungskarten finden keine Anwendung beim Einsatz von Kreditkarten im Präsenzgeschäft ohne Verwendung einer PIN (siehe Nobbe, in: Ellenberger/Findeisen/Nobbe/Böger, Zahlungsverkehrsrecht, 3. Aufl. 2020, § 675w BGB Rn. 81; Böger, in: Baas/Buck-Heeb/Werner, Anlegerschutzgesetze, 2019, § 675w BGB Rn. 27), da eine im Präsenzgeschäft vorgelegte Kreditkarte und die Unterschrift auf dem Leistungsbeleg keine dem Einsatz einer Zahlungskarte mit PIN vergleichbare Sicherheit bieten.

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