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RdZ-News
27.06.2024
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BGH : Eingehungsbetrug bei vertragswidriger Nutzung eines Point-of-Sale-Termin zur „Lastschriftreiterei“

BGH, Urteil vom 4.10.2023 – 6 StR 258/23

ECLI:DE:BGH:2023:041023B6STR258.23.0

Volltext des Urteils: RdZL2024-129-1

Leitsatz

Trägt der Zahlungsdienstleister das Ausfallsrisiko für im elektronischen Lastschriftverfahren entstehende Rücklastschriften, dann ist bereits mit Abschluss des Vertrages über die Nutzung des Point-of-Sale-Terminals ein Eingehungsbetrug zum Nachteil des Zahlungsdienstleisters vollendet, wenn der Kunde bei den Vertragsverhandlungen verschwiegen hat, dass er das Terminal vertragswidrig für eine Lastschriftreiterei nutzen werde. (Rn.8) (Rn.11)

Aus den Gründen

1 Das Landgericht hat den Angeklagten unter Einbeziehung der durch einen Strafbefehl des Amtsgerichts Winsen vom 14. Juni 2021 verhängten Strafen wegen Betruges in 78 tateinheitlich zusammentreffenden Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Außerdem hat es gegen ihn die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 366.987,34 Euro angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2 I. Nach den Feststellungen war der Angeklagte im Tatzeitraum alleiniger Geschäftsführer und Gesellschafter einer GmbH, die keinen Geschäftsbetrieb ausübte. Der Angeklagte nutzte die Gesellschaft ausschließlich zur Begehung von Straftaten. Am 15. Juli 2020 schloss er in seiner Funktion als Geschäftsführer mit der Geschädigten – der P.– einen Vertrag über die Nutzung eines mobilen Po.s (im Folgenden: Po.). Die P. stellt ihren Kunden – insbesondere Unternehmen und Händlern – gegen ein monatliches Entgelt und eine Beteiligung pro Transaktion für die Abwicklung ihrer jeweiligen Bezahlvorgänge ein mobiles Po. zur Verfügung. Die für unterschiedliche elektronische Zahlungssysteme kompatiblen Po. s werden üblicherweise vom Endkunden genutzt, um mittels EC- oder Kreditkarte am Verkaufsort beim Händler Zahlungen zu leisten. Nach Eingabe der PIN oder einer Unterschrift wird die Transaktion nach dem jeweils zuvor vom Händler festgelegten Zahlungssystem durchgeführt. Das dem Angeklagten nach Vertragsschluss am 29. Juli 2020 an seine Privatadresse übersandte Po. war auch geeignet, Transaktionen im sogenannten elektronischen Last- schriftverfahren durchzuführen. Bei diesem elektronischen Zahlungssystem zieht der Zahlungsdienstleister die einzelnen Zahlungen der Kunden von deren Konto ein. Er sammelt die Transaktionen für den Händler und überweist die gesammelten Zahlungen eines bestimmten Zeitabschnitts als sogenannten Kassenschnitt an den Händler. Weist das Konto des Kunden des Händlers keine ausreichende Deckung auf, kommt es durch einen Widerruf der Lastschrift zu einer Rückbuchung über eine Rücklastschrift.

3 Um solche Rückbuchungen zu vermeiden, vereinbarte der Angeklagte mit der Geschädigten einen sogenannten Clearing-Service. So wollte er – was er bei den Vertragsverhandlungen verschwieg – das Po. ausschließlich vertragswidrig zur Generierung von Lastschriften zugunsten der GmbH nutzen. Dies war nur aufgrund des von der Geschädigten zugesicherten Clearing-Service möglich, der darin bestand, dass dem Konto der GmbH bereits vor Abschluss des „Clearings“ der jeweils kartenausstellenden Bank die Gutschriften der durch das Po. abgewickelten Bezahlvorgänge gutgeschrieben wurden. Das Risiko eines Zahlungsausfalls durch spätere Rücklastschriften trug somit die Ge- schädigte. Dem Angeklagten ermöglichte die Vorleistung der Geschädigten hin- gegen, dass er vor etwaigen Rückbuchungen auf die dem Konto der GmbH gutgeschriebenen Geldbeträge zugreifen konnte.

4 Im August und September 2020 gelang es dem Angeklagten, über das Po. insgesamt 78 Bezahlvorgänge im elektronischen Lastschriftverfahren (ELV) in einem Wert von insgesamt 346.987,34 Euro abzuwickeln. Entweder verwendete er hierbei seine eigene Bankkarte, diejenige der GmbH oder diejenige seines Bruders. Die ausgelösten Lastschriften wurden – was der Angeklagte wusste – jeweils mangels Deckung widerrufen; die Rücklastschriften gingen entsprechend dem vereinbarten Clearing-Service zu Lasten der Geschädigten. Bei den Zahlungsvorgängen gab der Angeklagte nicht die PIN der jeweiligen Bankkarten ein, sondern leistete jeweils eine Unterschrift. Die im Tatzeitraum insgesamt dem Konto der GmbH von der Geschädigten gutgeschriebenen 346.987,34 Euro hob der Angeklagte jeweils zeitnah ab, um das Geld für private Zwecke zu nutzten.

5 II. 1. Die Verurteilung wegen Betruges weist keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.

6 a) Der Betrug war mit Vertragsschluss und der anschließenden Übersendung des Po. s vollendet, da hierdurch eine schadensgleiche Vermögensgefährdung eintrat.

7 aa) Der Vertragsschluss beruhte kausal auf einer Täuschung des Ange- klagten. Indem dieser bei den Vertragsverhandlungen konkludent erklärte, er werde das Po. mitsamt dem vereinbarten Clearing-Service vertrags- gemäß nutzen, rief er bei der Geschädigten eine für den Vertragsschluss ursächliche Fehlvorstellung über das von ihr aufgrund des Clearing-Services im Rahmen der Vertragsdurchführung tatsächlich zu tragende Zahlungsausfallrisiko her- vor. Denn anders als bei einer vertragsgemäßen Nutzung liegt bei der in Wahrheit von dem Angeklagten beabsichtigten Verwendung des Po. s für eine Lastschriftreiterei jeder einzelnen Lastschrift ein massiv erhöhtes Risiko des Widerrufs zugrunde (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juni 2005 – 2 StR 30/05, BGHSt 50, 147, 155).

8 bb) Bereits mit dem Vertragsschluss und der Übersendung des Po. s verfügte der betreffende Mitarbeiter irrtumsbedingt über das Vermögen der P.        , die einen Vermögensschaden in Form einer schadensgleichen Vermögensgefährdung zur Folge hatte. Diese Konstellation ist mit Fällen des sogenannten Kontoeröffnungsbetruges vergleichbar. Eröffnet der Täter unter Vorlage eines gefälschten Personalausweises und Täuschung über seine Zahlungswilligkeit bei einer Bank ein Konto und wird ihm eine EC-Karte oder Kreditkarte ausgehändigt, dann liegt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein vollendeter Betrug vor, wenn dem Täter ein Überziehungskredit eingeräumt oder ihm Kreditkarten bzw. EC-Karten mit einer Einlösungsgarantie ausgehändigt wurden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2019 – 2 StR 83/19, NStZ-RR 2020, 44; vom 14. Oktober 2010 – 2 StR 447/10, NStZ 2011, 160; vom 21. November 2001 – 2 StR 260/01, BGHSt 47, 160;  Urteil  vom 13. Juni 1985 – 4 StR 213/85, BGHSt 33, 244, 245). Während beim Kontoeröffnungsbetrug dem Täter durch die Überlassung der Geldkarte mitsamt PIN ein unmittelbarer vermögensgefährdender Zugang zum Vermögen der kontoführen- den Bank gewährt wird, konnte der Angeklagte spätestens mit der Übersendung des Po. s direkt über Teile des Vermögens der Geschädigten disponieren, da er Lastschriften generieren konnte, für die die Geschädigte aufgrund des vereinbarten Clearing-Services das Ausfallrisiko trug.

9 b) Es stößt auf keine durchgreifenden rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht zur Bezifferung des Vermögensschadens auf die dem Konto der GmbH durch die 78 Zahlungsvorgänge gutgeschriebenen 346.987,34 Euro abgestellt hat.

10 Grundsätzlich wird bei einem Eingehungsbetrug durch einen Vergleich der Vermögenslage vor und nach dem Vertragsabschluss bestimmt, ob ein Vermögensschaden eingetreten ist. Gegenstand des Vergleichs ist der Wert der beider- seitigen Vertragsverpflichtungen. Der Getäuschte ist geschädigt, wenn der Ver- gleich des Geldwertes des gegen den Täuschenden erworbenen Anspruchs mit dem Geldwert der von ihm eingegangenen Verpflichtung einen Negativsaldo zu seinem Nachteil ergibt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 20. März 2013 – 5 StR 344/12, NJW 2013, 460; vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 55/12, BGHSt 58, 102, 111; vom 14. August 2009 – 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 122; Beschluss vom 14. April 2011 – 2 StR 616/10, NStZ 2011, 638, 639).

Danach wären hier einerseits der wirtschaftliche Wert des Anspruchs der Geschädigten auf Zahlung des Entgelts und andererseits der wirtschaftliche Wert der von der Geschädigten geschuldeten Zahlungsdienstleistung einschließlich des durch den Clearing-Service übernommenen Zahlungsausfallsrisikos zu bewerten gewesen. Für die Wertbestimmung wären dabei insbesondere die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Ausführung des Tatplans sowie die zu einer Sperrung des Terminals führenden Sicherungsmechanismen seitens des Zahlungsdienstleisters von Bedeutung gewesen (vgl. zum Abschluss von Versicherungsverträgen BGH, Urteil vom 8. Dezember 2021 − 5 StR 236/21, NStZ 2022, 409, 411; BVerfGE 130, 1, 48; krit. Schladitz wistra 2022, 108, 110 f.; Kraatz JR 2012, 329, 330 f.).

11 Dennoch stellt es keinen durchgreifenden Rechtsfehler dar, dass das Landgericht im Rahmen der Schadensbestimmung diese Maßstäbe nicht beachtet und stattdessen auf die durch den Angeklagten nach Vertragsschluss mithilfe des Terminals ausgelösten 78 Zahlungsvorgänge und der dadurch dem Konto der GmbH gutgeschriebenen Beträge von 346.987,34 Euro abgestellt hat. Denn der dem Angeklagten zur Last fallende Eingehungsbetrug erschöpfte sich nicht in dem Abschluss des Vertrages, und auch die sich anschließende Erfüllungsphase beschränkte sich – anders als etwa bei einem Kaufvertrag – nicht auf einen mit dem Verpflichtungsgeschäft zusammenfallenden singulären Übertragungs- akt. Vielmehr stellte der Vertragsschluss lediglich ein in ein Dauerschuldverhältnis mündendes Durchgangsstadium dar, und der Tatplan des Angeklagten sah vor, dass die endgültigen vermögensschädigenden Handlungen erst sukzessive im Rahmen der Erfüllungsphase vorgenommen werden. Es ist anerkannt, dass in solchen Fallkonstellationen auf den in der Erfüllungsphase eintretenden end- gültigen Vermögensnachteil abgestellt werden kann, da die Vertragsdurchführung auf der für den Vertragsschluss ursächlichen Täuschung beruht (vgl. BGH, Urteil vom 29. Januar 1997 – 2 StR 633/96, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Konkurrenzen 9). Der für den Eingehungsbetrug geltende Grundsatz, dass es für die Schadensbestimmung gleichgültig ist, wie sich „die Dinge später entwickeln“ (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2016 − 1 StR 456/15, NStZ 2016, 674; Beschluss vom 23. Februar 1982 – 5 StR 685/81, BGHSt 30, 388, 389), gilt aufgrund einer Einheitsbetrachtung von Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft somit erst nach Abschluss der irrtumsbedingt vollzogenen Erfüllungsphase (vgl. Klein, Das Verhältnis von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug, 2003, S. 167 f.; Rengier JuS 2000, 644, 645; Matt/Renzikowski/Saliger, StGB, 2. Aufl., § 263 Rn. 244; AnwK-StGB/Gaede, 3. Aufl., § 263 Rn. 110; Kölbel in Achenbach/Ransiek/Rönnau, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl., 5. Teil Rn. 128). Es besteht auch kein Anhaltspunkt dafür, dass ein atypischer Schadensverlauf einen den Eingehungs- schaden nicht mehr repräsentierenden überschießenden Erfüllungsschaden verursacht haben könnte. Vielmehr hatten die in der Erfüllungsphase wirkenden schadensbestimmenden Faktoren allesamt ihren Ursprung in dem irrtumsbedingten Vertragsschluss. Der durch diesen ausgelöste Vermögensnachteil war vor- liegend deshalb vollständig in dem durch die Vertragserfüllung herbeigeführten Vermögensschaden enthalten (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 55/12, aaO S. 109; Beschluss vom 28. April 2016 − 4 StR 317/15, NStZ 2016, 539).

12 2. Der Schuldspruch stößt indes insoweit auf durchgreifende rechtliche Bedenken, als das Landgericht von 78 tateinheitlich zusammentreffenden Betrugsfällen ausgegangen ist. Reicht die im Rahmen des Verpflichtungsgeschäfts vorgenommene Täuschungshandlung – wie hier – bis in die Erfüllungsphase, dann liegt beim Zusammentreffen von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug eine einheitliche Betrugstat vor (vgl. BGH, Beschlüsse vom 21. November 2001 – 2 StR 260/01, aaO; vom 1. Februar 2007 – 5 StR 467/06, NStZ 2007, 578, 579;

Urteile vom 29. Januar 1997 – 2 StR 633/96, aaO; vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 55/12, aaO S. 109). Der Senat ändert den Schuldspruch daher in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO.

13 3. Der Strafausspruch bleibt davon unberührt. Der Senat schließt aus, dass das Landgericht bei rechtsfehlerfreier konkurrenzrechtlicher Beurteilung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte, zumal es die tateinheitliche Verwirklichung nicht strafschärfend berücksichtigt hat.

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