EuGH: Entgegennahme von Geldbeträgen auf Zahlungskonto keine Ausgabe von E-Geld, sondern Zahlungsdienst
EuGH, Urteil vom 22.2.2024 – C-661/22, ABC Projektai
ECLI:EU:C:2024:148
Volltext des Urteils: RdZL2024-127-1
Tenor
Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG sowie Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E‑Geld‑Instituten, zur Änderung der Richtlinien 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2000/46/EG sind dahin auszulegen, dass die Tätigkeit eines Zahlungsinstituts, die darin besteht, von einem Zahlungsdienstnutzer Geldbeträge entgegenzunehmen, ohne dass diesen Geldbeträgen sofort ein Zahlungsauftrag beigefügt ist, so dass sie auf einem von diesem Institut geführten Zahlungskonto im Sinne von Art. 4 Nr. 12 der Richtlinie 2015/2366 verfügbar bleiben, einen von dem Zahlungsinstitut erbrachten Zahlungsdienst im Sinne von Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2015/2366 und keinen Vorgang der Ausgabe von E‑Geld im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110 darstellt.
Aus den Gründen
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie (EU) 2015/2366 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 2002/65/EG, 2009/110/EG und 2013/36/EU und der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2007/64/EG (ABl. 2015, L 337, S. 35) sowie von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Aufnahme, Ausübung und Beaufsichtigung der Tätigkeit von E‑Geld‑Instituten, zur Änderung der Richtlinien 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 2000/46/EG (ABl. 2009, L 267, S. 7).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der „ABC Projektai“ UAB, vormals die „Bruc Bond“ UAB, und der Lietuvos bankas (Bank von Litauen) wegen des Entzugs der ABC Projektai zuvor erteilten Zulassung als Zahlungsinstitut.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2009/110
3 Der siebte Erwägungsgrund der Richtlinie 2009/110 lautet:
„Der Begriff ‚E‑Geld‘ sollte eindeutig definiert werden, damit er technisch neutral ist. Diese Definition sollte alle Fälle abdecken, in denen ein Zahlungsdienstleister geldwerte Einheiten gegen Vorauszahlung bereitstellt, die für Zahlungen verwendet werden können, weil sie von Dritten als Zahlung akzeptiert werden.“
4 Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2009/110 bestimmt:
„Diese Richtlinie legt Vorschriften für die Ausübung der Tätigkeit der Ausgabe von E‑Geld fest, wobei die Mitgliedstaaten die folgenden Kategorien von E‑Geld-Emittenten anerkennen:
a) Kreditinstitute gemäß Artikel 4 Nummer 1 der Richtlinie 2006/48/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (ABl. 2006, L 177, S. 1)] …;
b) E‑Geld‑Institute gemäß Artikel 2 Nummer 1 dieser Richtlinie …;
c) Postscheckämter …;
d) die Europäische Zentralbank und die nationalen Zentralbanken …;
e) die Mitgliedstaaten oder ihre regionalen beziehungsweise lokalen Gebietskörperschaften …“.
5 Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) der Richtlinie 2009/110 bestimmt:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
1. ‚E‑Geld‑Institut‘ eine juristische Person, die nach Titel II eine Zulassung für die Ausgabe von E‑Geld erhalten hat;
2. ‚E‑Geld‘ jeden elektronisch – darunter auch magnetisch – gespeicherten monetären Wert in Form einer Forderung gegenüber dem Emittenten, der gegen Zahlung eines Geldbetrags ausgestellt wird, um damit Zahlungsvorgänge im Sinne des Artikels 4 Nummer 5 der Richtlinie 2007/64/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über Zahlungsdienste im Binnenmarkt, zur Änderung der Richtlinien 97/7/EG, 2002/65/EG, 2005/60/EG und 2006/48/EG sowie zur Aufhebung der Richtlinie 97/5/EG (ABl. 2007, L 319, S. 1)] durchzuführen, und der auch von anderen natürlichen oder juristischen Personen als dem E‑Geld-Emittenten angenommen wird;
…“
6 Art. 10 („Verbot der Ausgabe von E‑Geld“) der Richtlinie 2009/110 lautet:
„Unbeschadet von Artikel 18 untersagen die Mitgliedstaaten natürlichen oder juristischen Personen, die keine E‑Geld-Emittenten sind, die Ausgabe von E‑Geld.“
Richtlinie 2013/36/EU
7 Art. 9 („Verbot der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums durch Personen oder Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind“) Abs. 1 der Richtlinie 2013/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über den Zugang zur Tätigkeit von Kreditinstituten und die Beaufsichtigung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, zur Änderung der Richtlinie 2002/87/EG und zur Aufhebung der Richtlinien 2006/48/EG und 2006/49/EG (ABl. 2013, L 176, S. 338) sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten untersagen Personen oder Unternehmen, die keine Kreditinstitute sind, die Tätigkeit der Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern des Publikums gewerbsmäßig zu betreiben.“
Richtlinie 2015/2366
8 Art. 1 („Gegenstand“) Abs. 1 der Richtlinie 2015/2366 bestimmt:
„In dieser Richtlinie werden die Regeln festgelegt, nach denen die Mitgliedstaaten die folgenden Kategorien von Zahlungsdienstleistern unterscheiden:
…
b) E‑Geld‑Institute im Sinne des Artikels 2 Nummer 1 der Richtlinie 2009/110/EG, einschließlich deren Zweigniederlassungen gemäß Artikel 8 der genannten Richtlinie und dem nationalen Recht, sofern sich die Zweigniederlassungen innerhalb der [Europäischen] Union befinden und die Hauptverwaltung des E‑Geld‑Instituts, dem sie angehören, sich außerhalb der Union befindet und nur insofern, als die von diesen Zweigniederlassungen erbrachten Zahlungsdienste mit der Ausgabe von E‑Geld in Zusammenhang stehen;
…
d) Zahlungsinstitute;
…“
9 Art. 4 („Begriffsbestimmungen“) Nrn. 3, 4, 5, 12 und 23 der Richtlinie 2015/2366 bestimmt:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck:
…
3. ‚Zahlungsdienst‘ eine oder mehrere der in Anhang I aufgeführten gewerblichen Tätigkeiten;
4. ‚Zahlungsinstitut‘ eine juristische Person, der nach Artikel 11 eine Zulassung für die unionsweite Erbringung und Ausführung von Zahlungsdiensten erteilt wurde;
5. ‚Zahlungsvorgang‘ die bzw. den vom Zahler, im Namen des Zahlers oder vom Zahlungsempfänger ausgelöste(n) Bereitstellung, Transfer oder Abhebung eines Geldbetrags, unabhängig von etwaigen zugrunde liegenden Verpflichtungen im Verhältnis zwischen Zahler und Zahlungsempfänger;
…
12. ‚Zahlungskonto‘ ein auf den Namen eines oder mehrerer Zahlungsdienstnutzer(s) lautendes Konto, das für die Ausführung von Zahlungsvorgängen genutzt wird;
…
23. ‚Lastschrift‘ einen Zahlungsdienst zur Belastung des Zahlungskontos des Zahlers, wenn ein Zahlungsvorgang vom Zahlungsempfänger aufgrund der Zustimmung des Zahlers gegenüber dem Zahlungsempfänger, dessen Zahlungsdienstleister oder seinem eigenen Zahlungsdienstleister ausgelöst wird“.
10 In Art. 10 („Sicherungsanforderungen“) der Richtlinie 2015/2366 heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten oder die zuständigen Behörden schreiben Zahlungsinstituten, die die in Anhang I Nummern 1 bis 6 genannten Zahlungsdienste erbringen, vor, alle Geldbeträge, die sie von den Zahlungsdienstnutzern oder über einen anderen Zahlungsdienstleister für die Ausführung von Zahlungsvorgängen entgegengenommen haben, nach einer der beiden folgenden Vorgehensweisen zu sichern:
a) Geldbeträge dürfen zu keinem Zeitpunkt mit den Geldbeträgen anderer natürlicher oder juristischer Personen als der Zahlungsdienstnutzer, für die sie gehalten werden, vermischt werden und müssen, wenn sie sich am Ende des auf den Tag ihres Eingangs folgenden Geschäftstags noch in Händen des Zahlungsinstituts befinden und noch nicht dem Zahlungsempfänger übergeben oder an einen anderen Zahlungsdienstleister transferiert wurden, auf einem gesonderten Konto bei einem Kreditinstitut hinterlegt oder in von den zuständigen Behörden des Herkunftsmitgliedstaats als solche definierte sichere liquide Aktiva mit niedrigem Risiko investiert werden; sie sind gemäß dem nationalen Recht im Interesse dieser Zahlungsdienstnutzer gegen Ansprüche anderer Gläubiger des Zahlungsinstituts, insbesondere im Falle einer Insolvenz zu schützen;
b) Geldbeträge müssen durch eine Versicherungspolice oder eine andere vergleichbare Garantie einer Versicherungsgesellschaft oder eines Kreditinstituts, die bzw. das nicht zur selben Gruppe gehört wie das Zahlungsinstitut selbst, in Höhe eines Betrags abgesichert werden, der demjenigen entspricht, der ohne die Versicherungspolice oder andere vergleichbare Garantie getrennt gehalten werden müsste und im Falle der Zahlungsunfähigkeit des Zahlungsinstituts auszuzahlen wäre.
(2) Muss ein Zahlungsinstitut Geldbeträge nach Absatz 1 absichern und ist ein Teil dieser Geldbeträge für zukünftige Zahlungsvorgänge zu verwenden, während der verbleibende Teil für Nicht-Zahlungsdienste verwendet werden muss, so gelten die Auflagen des Absatzes 1 auch für diesen Anteil der für zukünftige Zahlungsvorgänge zu verwendenden Geldbeträge. Ist dieser Anteil variabel oder nicht im Voraus bekannt, so gestatten die Mitgliedstaaten Zahlungsinstituten, den vorliegenden Absatz unter Zugrundelegung eines repräsentativen Anteils anzuwenden, der typischerweise für Zahlungsdienste verwendet wird, sofern sich dieser repräsentative Anteil auf der Grundlage historischer Daten nach Überzeugung der zuständigen Behörden mit hinreichender Sicherheit schätzen lässt.“
11 In Art. 11 („Erteilung der Zulassung“) Abs. 1 der Richtlinie 2015/2366 heißt es:
„Die Mitgliedstaaten schreiben vor, dass andere Unternehmen als Unternehmen im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Buchstaben a, b, c, e und f sowie andere als die unter die Ausnahmen der Artikel 32 oder 33 fallende natürliche oder juristische Personen, die Zahlungsdienste zu erbringen beabsichtigen, vor dem Beginn der Erbringung von Zahlungsdiensten die Zulassung als Zahlungsinstitut erlangen müssen. …“
12 Art. 18 („Tätigkeiten“) Abs. 1 bis 5 der Richtlinie 2015/2366 sieht vor:
„(1) Über die Erbringung von Zahlungsdiensten hinaus dürfen Zahlungsinstitute folgende Tätigkeiten ausüben:
a) Erbringen betrieblicher und eng verbundener Nebendienstleistungen, wie die Sicherstellung der Ausführung von Zahlungsvorgängen, Devisengeschäfte, Verwahrleistungen, sowie Datenspeicherung und ‑verarbeitung;
b) Betrieb von Zahlungssystemen, unbeschadet des Artikels 35;
c) andere gewerbliche Tätigkeiten als das Erbringen von Zahlungsdiensten, unter Einhaltung der geltenden Vorschriften des Unionsrechts und des nationalen Rechts.
(2) Bei der Erbringung eines oder mehrerer Zahlungsdienste dürfen Zahlungsinstitute nur Zahlungskonten führen, die ausschließlich für Zahlungsvorgänge genutzt werden.
(3) Geldbeträge, die Zahlungsinstitute von Zahlungsdienstnutzern für die Erbringung von Zahlungsdiensten erhalten, gelten nicht als Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder im Sinne des Artikels 9 der Richtlinie 2013/36/EU oder als E‑Geld im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Richtlinie 2009/110/EG.
(4) Zahlungsinstitute dürfen Kredite im Zusammenhang mit den in Anhang I Nummer 4 oder Nummer 5 genannten Zahlungsdiensten nur gewähren, wenn alle folgenden Anforderungen erfüllt sind:
a) Die Kreditgewährung ist eine Nebentätigkeit und erfolgt ausschließlich im Zusammenhang mit der Ausführung eines Zahlungsvorgangs;
b) ungeachtet der nationalen Vorschriften über die Kreditgewährung mittels Kreditkarten wird der im Zusammenhang mit einer Zahlung gewährte und gemäß Artikel 11 Absatz 9 und Artikel 28 vergebene Kredit innerhalb einer kurzen Frist zurückgezahlt, die zwölf Monate in keinem Fall überschreiten darf;
c) der Kredit wird nicht aus den zur Ausführung eines Zahlungsvorgangs entgegengenommenen oder gehaltenen Geldbeträgen gewährt;
d) die Eigenmittel des Zahlungsinstituts stehen nach Auffassung der Aufsichtsbehörden jederzeit in einem angemessenen Verhältnis zum Gesamtbetrag der gewährten Kredite.
(5) Zahlungsinstitute dürfen die Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern im Sinne des Artikels 9 der Richtlinie 2013/36/EU nicht gewerbsmäßig betreiben.“
13 Art. 78 („Eingang von Zahlungsaufträgen“) der Richtlinie 2015/2366 lautet wie folgt:
„(1) Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass als Zeitpunkt des Eingangs der Zeitpunkt gilt, an dem der Zahlungsauftrag beim Zahlungsdienstleister des Zahlers eingeht.
Das Konto des Zahlers darf nicht vor dem Eingang des Zahlungsauftrags belastet werden. Fällt der Zeitpunkt des Eingangs nicht auf einen Geschäftstag des Zahlungsdienstleisters des Zahlers, so gilt der Zahlungsauftrag als am darauf folgenden Geschäftstag eingegangen. Der Zahlungsdienstleister kann festlegen, dass Zahlungsaufträge die nach einem bestimmten Zeitpunkt nahe dem Ende des Geschäftstages eingehen, als am darauf folgenden Geschäftstag eingegangen gelten.
(2) Vereinbaren der Zahlungsdienstnutzer, der einen Zahlungsauftrag auslöst, und der Zahlungsdienstleister, dass die Ausführung des Zahlungsauftrags zu einem bestimmten Tag oder am Ende eines bestimmten Zeitraums oder an dem Tag, an dem der Zahler dem Zahlungsdienstleister den Geldbetrag zur Verfügung gestellt hat, beginnen soll, so gilt der vereinbarte Termin für die Zwecke des Artikels 83 als Zeitpunkt des Eingangs. Fällt der vereinbarte Termin nicht auf einen Geschäftstag des Zahlungsdienstleisters, so gilt der eingegangene Zahlungsauftrag als am darauf folgenden Geschäftstag eingegangen.“
14 Art. 83 („Zahlungsvorgänge mit Übertragung auf ein Zahlungskonto“) Abs. 1 der Richtlinie 2015/2366 sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten schreiben dem Zahlungsdienstleister des Zahlers vor, sicherzustellen, dass nach Eingang im Sinne des Artikels 78 der Betrag des Zahlungsvorgangs bis Ende des folgenden Geschäftstags dem Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wird. Diese Frist kann für in Papierform ausgelöste Zahlungsvorgänge um einen weiteren Geschäftstag verlängert werden.“
15 Art. 87 („Wertstellungsdatum und Verfügbarkeit von Geldbeträgen“) Abs. 1 der Richtlinie 2015/2366 bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Datum der Wertstellung einer Gutschrift auf dem Zahlungskonto des Zahlungsempfängers spätestens der Geschäftstag ist, an dem der Betrag des [Zahlungsvorgangs dem] Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wird.“
16 In Anhang I („Zahlungsdienste [gemäß Artikel 4 Nummer 3]“) der Richtlinie 2015/2366 ist die Liste der als solche angesehenen Tätigkeiten aufgeführt:
„(1) Dienste, mit denen Bareinzahlungen auf ein Zahlungskonto ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge[.]
(2) Dienste, mit denen Barabhebungen von einem Zahlungskonto ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge[.]
(3) Ausführung von Zahlungsvorgängen einschließlich des Transfers von Geldbeträgen auf ein Zahlungskonto beim Zahlungsdienstleister des Nutzers oder bei einem anderen Zahlungsdienstleister:
a) Ausführung von Lastschriften einschließlich einmaliger Lastschriften;
b) Ausführung von Zahlungsvorgängen mittels einer Zahlungskarte oder eines ähnlichen Instruments;
c) Ausführung von Überweisungen einschließlich Daueraufträgen.
(4) Ausführung von Zahlungsvorgängen, wenn die Beträge durch einen Kreditrahmen für einen Zahlungsdienstnutzer gedeckt sind:
a) Ausführung von Lastschriften einschließlich einmaliger Lastschriften;
b) Ausführung von Zahlungsvorgängen mittels einer Zahlungskarte oder eines ähnlichen Instruments;
c) Ausführung von Überweisungen einschließlich Daueraufträgen.
(5) Ausgabe von Zahlungsinstrumenten und/oder Annahme und Abrechnung (‚Acquiring‘) von Zahlungsvorgängen.
(6) Finanztransfer[s].
(7) Zahlungsauslösedienste[.]
(8) Kontoinformationsdienste[.]“
Litauisches Recht
17 Die Richtlinie 2015/2366 wurde durch das Lietuvos Respublikos mokėjimų įstatymas (Gesetz der Republik Litauen über den Zahlungsverkehr) in der durch das Gesetz Nr. XIII‑1092 vom 17. April 2018 (TAR 2018, Nr. 2018-6727) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz über den Zahlungsverkehr) und das Lietuvos Respublikos mokėjimo įstaigų įstatymas (Gesetz der Republik Litauen über Zahlungsinstitute) in der durch das Gesetz Nr. XI‑549 vom 17. April 2018 (TAR 2018, Nr. 2018-6729) geänderten Fassung in litauisches Recht umgesetzt.
18 Art. 46 Abs. 1 des Gesetzes über den Zahlungsverkehr sieht vor, dass der Zahlungsdienstleister des Zahlers sicherstellt, dass mit Ausnahme des in Art. 46 Abs. 3 vorgesehenen Falles der Betrag eines in Litauen ausgeführten und für einen anderen Mitgliedstaat bestimmten Zahlungsvorgangs in Euro bis Ende des folgenden Geschäftstags dem Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wird. Diese Frist kann um einen weiteren Geschäftstag verlängert werden, wenn der Zahlungsvorgang in Papierform ausgelöst wird.
19 Die Richtlinie 2009/110 wurde durch das Lietuvos Respublikos elektroninių pinigų ir elektroninių pinigų įstaigų įstatymas (Gesetz der Republik Litauen über E‑Geld und E‑Geld‑Institute) in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren, am 1. August 2018 in Kraft getretenen Fassung (TAR 2018, Nr. 2018-6730) in litauisches Recht umgesetzt.
20 Nach Art. 5 dieses Gesetzes ist natürlichen oder juristischen Personen, die keine E‑Geld-Emittenten sind, die Ausgabe von E‑Geld untersagt.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage
21 ABC Projektai, die Rechtsnachfolgerin von Bruc Bond, erhielt am 13. Oktober 2016 von der Lietuvos bankas (Bank von Litauen) eine Zulassung zur Erbringung von Zahlungsdiensten.
22 Somit war sie zur Erbringung folgender Zahlungsdienste befugt: Zahlungsvorgänge einschließlich Transfers von Geldbeträgen auf ein Zahlungskonto beim Zahlungsdienstleister des Nutzers oder bei einem anderen Zahlungsdienstleister; Lastschriften einschließlich einmaliger Lastschriften und Zahlungsvorgänge mittels einer Zahlungskarte oder eines ähnlichen Instruments und/oder Überweisungen einschließlich Daueraufträge und Finanztransfers.
23 Am 16. April 2020 entzog die Bank von Litauen diese Zulassung aus zehn Gründen, von denen nur einer das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft, nämlich dass ABC Projektai E‑Geld ausgegeben habe, ohne E‑Geld-Emittent zu sein, und daher gegen Art. 5 des Gesetzes der Republik Litauen über E‑Geld und E‑Geld‑Institute in seiner auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung verstoßen habe.
24 Die Bank von Litauen macht geltend, ABC Projektai habe die Geldbeträge der Kunden über die für die Ausführung der Zahlungsvorgänge erforderliche Zeit hinaus einbehalten. Der Umstand, dass von Kunden erhaltene Geldbeträge ohne konkreten Verwendungszweck den für Zahlungseingänge bestimmten Konten gutgeschrieben und mehrere Tage lang – manchmal sogar mehrere Monate lang – aufbewahrt worden seien, ohne dass diese Geldbeträge auf die Konten der Empfänger dieser Zahlungen transferiert worden seien, stelle de facto eine Ausgabe von E‑Geld dar.
25 Insoweit stützte sich die Bank von Litauen auf die Lietuvos banko Priežiūros tarnybos pozicija dėl mokėjimo sąskaitose laikomų lėšų (Standpunkt des Aufsichtsgremiums der Bank von Litauen zu auf Zahlungskonten gehaltenen Geldbeträgen) in der durch den Lietuvos banko Priežiūros tarnybos direktoriaus 2016 m. vasario 29 d. sprendimas Nr. 241-53 (Beschluss Nr. 241‑53 vom 29. Februar 2016 des Direktors des Aufsichtsgremiums der Bank von Litauen) genehmigten Fassung. Aus diesem Standpunkt, der nach Angaben der Bank von Litauen in Absprache mit der Europäischen Kommission festgelegt worden ist, ergibt sich, dass ein Zahlungsinstitut Geldbeträge auf ein von ihm eröffnetes Zahlungskonto nur in Verbindung mit einem Zahlungsauftrag annehmen darf, der innerhalb der im Gesetz über den Zahlungsverkehr vorgesehenen Frist auszuführen ist, und das Zahlungsinstitut hinreichende Maßnahmen ergreifen muss, um sicherzustellen, dass die Geldbeträge, die Dritte auf das Zahlungskonto eines Kunden einzahlen, nicht länger als für die Ausführung der Zahlungen erforderlich gehalten werden. Werden diese Anforderungen nicht erfüllt, sind die auf einem Zahlungskonto des Zahlungsinstituts befindlichen Geldbeträge als Einlagen, als andere rückzahlbare Gelder oder als E‑Geld anzusehen.
26 ABC Projektai focht die Entscheidung, mit der ihre Zulassung als Zahlungsinstitut entzogen wurde, vor dem Vilniaus apygardos administracinis teismas (Regionales Verwaltungsgericht Vilnius, Litauen) an. Da dieses Gericht die Klage abwies, hat ABC Projektai beim Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens), dem vorlegenden Gericht, Kassationsbeschwerde eingelegt.
27 ABC Projektai trägt vor, das erstinstanzliche Gericht habe die Voraussetzungen für die Ausgabe von E‑Geld rechtsfehlerhaft ausgelegt und daher die Erkenntnisse aus dem Urteil vom 16. Januar 2019, Paysera LT (C‑389/17, EU:C:2019:25), nicht befolgt. Aus dem Urteil ergebe sich, dass der Zahlungsdienst dann nicht als mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Tätigkeit angesehen werden könne, wenn er nicht durch ein E‑Geld‑Institut erbracht werde und der Zweck seiner Erbringung nicht die Ausgabe oder der Rücktausch zum Nennwert elektronischer Dienste sei.
28 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass aus Rn. 29 des genannten Urteils hervorgehe, dass die Ausgabe von E‑Geld keine „spontane“ Tätigkeit sei, sondern vielmehr zu dem Zweck erfolge, den Rücktausch des Nennwerts des E‑Geldes zu ermöglichen. Im vorliegenden Fall habe ABC Projektai nicht beabsichtigt, E‑Geld auszugeben. Da einige Kunden jedoch nicht den Verwendungszweck der von ihnen gewünschten Zahlungen angegeben hätten, seien die für deren Ausführung erforderlichen Geldbeträge über den für die Ausführung der Zahlungsvorgänge erforderlichen Zeitraum hinaus aufbewahrt und den Kunden erst nach einiger Zeit zurückerstattet worden.
29 Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass sich der Gerichtshof in dem genannten Urteil zu der Frage geäußert habe, ob die von einem Erbringer elektronischer Dienste erbrachten Zahlungsdienste als mit der Ausgabe von E‑Geld in Verbindung stehende Dienste anzusehen seien, ohne jedoch zu prüfen, was die Tätigkeit der Zahlungsinstitute von der Tätigkeit der E‑Geld‑Institute unterscheide.
30 Unter diesen Umständen hat der Lietuvos vyriausiasis administracinis teismas (Oberstes Verwaltungsgericht Litauens) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Sind unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens, in denen ein Zahlungsinstitut Geldbeträge ohne konkreten Zahlungsauftrag entgegennimmt, um sie an demselben oder am folgenden Geschäftstag zu transferieren, und die Geldbeträge über die in der Regelung vorgesehene Frist hinaus auf dem für die Ausführung von Zahlungsdiensten bestimmten Konto des Zahlungsinstituts verbleiben, die Handlungen des Zahlungsdienstes anzusehen als:
a) ein Teil eines Zahlungsdienstes oder eines Zahlungsvorgangs im Sinne von Art. 4 Nrn. 3 und 5 der Richtlinie 2015/2366, der von dem Zahlungsinstitut erbracht wird, oder
b) die Ausgabe von E‑Geld im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110?
Zur Vorlagefrage
31 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2015/2366 und Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110 dahin auszulegen sind, dass die Tätigkeit eines Zahlungsinstituts, die darin besteht, von einem Zahlungsdienstnutzer Geldbeträge entgegenzunehmen, ohne dass diesen Geldbeträgen sofort ein Zahlungsauftrag beigefügt ist, so dass sie auf einem von diesem Institut geführten Zahlungskonto im Sinne von Art. 4 Nr. 12 der Richtlinie 2015/2366 verfügbar bleiben, einen von dem Zahlungsinstitut erbrachten Zahlungsdienst im Sinne von Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2015/2366 oder einen Vorgang der Ausgabe von E‑Geld im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110 darstellt.
32 Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2015/2366 definiert den Begriff „Zahlungsdienst“ als eine oder mehrere der in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten gewerblichen Tätigkeiten. Nach diesem Anhang umfassen diese Tätigkeiten u. a. Dienste, mit denen Bareinzahlungen auf ein Zahlungskonto und Barabhebungen ermöglicht werden, sowie alle für die Führung eines Zahlungskontos erforderlichen Vorgänge, die Ausführung von Zahlungsvorgängen einschließlich Zahlungsvorgängen, wenn die Beträge durch einen Kreditrahmen für einen Zahlungsdienstnutzer gedeckt sind, insbesondere die Ausführung von Lastschriften einschließlich einmaliger Lastschriften, die Ausführung von Zahlungsvorgängen mittels einer Zahlungskarte oder eines ähnlichen Instruments und die Ausführung von Überweisungen einschließlich Daueraufträgen.
33 Gemäß Art. 4 Nr. 5 der Richtlinie 2015/2366 bezeichnet der Begriff „Zahlungsvorgang“ die bzw. den vom Zahler, im Namen des Zahlers oder vom Zahlungsempfänger ausgelöste(n) Bereitstellung, Transfer oder Abhebung eines Geldbetrags, unabhängig von etwaigen zugrunde liegenden Verpflichtungen im Verhältnis zwischen Zahler und Zahlungsempfänger.
34 Wenn ein Zahlungsdienstnutzer einem Zahlungsinstitut Geldbeträge zur Verfügung stellt und diese Geldbeträge einem Zahlungskonto gutgeschrieben werden, das bei diesem Zahlungsinstitut auf den Namen dieses Nutzers geführt wird, sind diese Vorgänge deshalb grundsätzlich als mit der Führung eines Zahlungskontos im Sinne von Art. 4 Nr. 12 der Richtlinie 2015/2366 verbundener Vorgang und somit als Teil eines Zahlungsdienstes im Sinne von Art. 4 Nr. 3 dieser Richtlinie anzusehen.
35 Diese Vorgänge können diese Einstufung aber nicht allein deshalb verlieren, weil den auf diesem Zahlungskonto eingegangenen Geldbeträgen nicht am selben Tag oder am folgenden Geschäftstag ein Zahlungsauftrag beigefügt ist.
36 Zwar erlegt die Richtlinie 2015/2366 Zahlungsdienstleistern verschiedene Verpflichtungen auf, u. a. in Bezug auf die Ausführungsfrist für Zahlungsaufträge oder die zu verwendenden Bezugszeitpunkte. Insbesondere sieht Art. 83 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2366 vor, dass die Mitgliedstaaten dem Zahlungsdienstleister des Zahlers vorschreiben, sicherzustellen, dass der Betrag des Zahlungsvorgangs nach Eingang des Zahlungsauftrags, der unter den in Art. 78 der Richtlinie festgelegten Bedingungen erfolgt, bis Ende des folgenden Geschäftstags dem Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wird, wobei diese Frist für in Papierform ausgelöste Zahlungsvorgänge um einen weiteren Geschäftstag verlängert werden kann. In Bezug auf das Wertstellungsdatum, zu dem der Betrag des Zahlungsvorgangs dem Konto des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wird, schreibt Art. 87 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2366 vor, dass dieses Datum spätestens der Geschäftstag ist, an dem der Betrag des Zahlungsvorgangs dem Konto des Zahlungsdienstleisters des Zahlungsempfängers gutgeschrieben wird.
37 Dagegen enthält die Richtlinie 2015/2366 keine Bestimmung, die ausschließt, dass Geldbeträge einem Zahlungskonto im Voraus gutgeschrieben werden, um künftige Zahlungsaufträge – einschließlich noch nicht konkretisierter Zahlungsaufträge – auszuführen, oder die eine Frist festlegt, innerhalb deren nach der Gutschrift eines bestimmten Betrags auf einem solchen Konto dieser Betrag für einen Zahlungsvorgang zu verwenden ist.
38 Vielmehr betrifft die Richtlinie 2015/2366 – wie der Generalanwalt in Nr. 55 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat – Fälle von Zahlungsdiensten, für deren ordnungsgemäße Ausführung erforderlich ist, dass Geldbeträge einem Zahlungskonto im Voraus gutgeschrieben werden, ohne dass ihnen ein Zahlungsauftrag beigefügt ist.
39 Art. 4 Nr. 23 der Richtlinie 2015/2366 sieht nämlich ausdrücklich die Ausführung von Lastschriften von einem Zahlungskonto vor, die vom Zahlungsempfänger aufgrund der Zustimmung des Zahlers gegenüber dem Zahlungsempfänger ausgelöst werden. Die ordnungsgemäße Ausführung eines solchen Zahlungsvorgangs setzt jedoch voraus, dass der für diesen Vorgang erforderliche Geldbetrag im Voraus auf dem Zahlungskonto des Zahlers zur Verfügung steht.
40 Außerdem verpflichtet Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2366 Zahlungsinstitute dazu, alle Geldbeträge, die sie von den Zahlungsdienstnutzern oder über einen anderen Zahlungsdienstleister für die Ausführung von Zahlungsvorgängen entgegengenommen haben, nach einer der in Art. 10 Abs. 1 Buchst. a und b vorgesehenen Modalitäten zu sichern. Die in Art. 10 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie vorgesehenen Schutzmodalitäten betreffen jedoch ausdrücklich den Fall, dass sich diese Geldbeträge am Ende des auf den Tag ihres Eingangs folgenden Geschäftstags noch in Händen des Zahlungsinstituts befinden und noch nicht dem Zahlungsempfänger übergeben oder an einen anderen Zahlungsdienstleister transferiert wurden.
41 Diese Auslegung wird auch durch Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2366 bestätigt. Diese Bestimmung betrifft nämlich ausdrücklich den Fall, dass bestimmte Geldbeträge des Nutzers für zukünftige Zahlungsvorgänge zu verwenden sind, einschließlich des Falles, dass der Betrag dieser Geldbeträge variabel oder nicht im Voraus bekannt ist.
42 Außerdem ließe sich der Umstand, dass Art. 18 Abs. 4 der Richtlinie 2015/2366 Zahlungsinstituten unter bestimmten Voraussetzungen die Kreditgewährung als Nebentätigkeit erlaubt, schwer mit einer strikten Verpflichtung vereinbaren, dass jeder Zahlungsauftrag mit einem Transfer der entsprechenden Beträge auf das Konto zu verbinden ist, von dem aus der betreffende Zahlungsauftrag ausgeführt wird.
43 Dies vorausgeschickt, ist darauf hinzuweisen, dass der Transfer von Geldbeträgen auf ein Zahlungskonto stets zu dem Zweck der Ausführung von Zahlungsaufträgen erfolgen muss, unabhängig davon, ob diese Aufträge bereits konkretisiert sind. Nach Art. 18 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2366 dürfen Zahlungsinstitute bei der Erbringung eines oder mehrerer Zahlungsdienste nämlich nur Zahlungskonten führen, die ausschließlich für Zahlungsvorgänge genutzt werden.
44 Zudem sieht Art. 18 Abs. 3 der Richtlinie 2015/2366 vor, dass Geldbeträge, die Zahlungsinstitute von Zahlungsdienstnutzern für die Erbringung von Zahlungsdiensten erhalten, nicht als Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder im Sinne des Art. 9 der Richtlinie 2013/36 oder als E‑Geld im Sinne des Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110 gelten. Desgleichen sieht Art. 18 Abs. 5 der Richtlinie 2015/2366 vor, dass Zahlungsinstitute die Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern nicht gewerbsmäßig betreiben dürfen.
45 Daraus folgt, dass zur Vermeidung einer Umqualifizierung von Handlungen der Entgegennahme von Geldern in eine Entgegennahme von Einlagen oder anderen rückzahlbaren Geldern die Konten, auf denen diese Gelder gutgeschrieben werden, gemäß Art. 4 Nr. 12 der Richtlinie 2015/2366 ausschließlich für die Ausführung von Zahlungsvorgängen genutzt werden dürfen.
46 Was eine etwaige Umqualifizierung von Vorgängen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in die Ausgabe von E‑Geld im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110 anbelangt, wie dies vom vorlegenden Gericht in Betracht gezogen und von der litauischen Regierung befürwortet wird, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Begriff „E‑Geld“ im Sinne dieser Bestimmung definiert wird als jeder elektronisch – darunter auch magnetisch – gespeicherte monetäre Wert in Form einer Forderung gegenüber dem Emittenten, der gegen Zahlung eines Geldbetrags ausgestellt wird, um damit Zahlungsvorgänge durchzuführen, und der auch von anderen natürlichen oder juristischen Personen als dem E‑Geld-Emittenten angenommen wird. Zudem sind Zahlungsinstitute in Anbetracht des entsprechenden allgemeinen Verbots in Art. 10 der Richtlinie 2009/110 nicht zur Ausgabe von E‑Geld befugt.
47 Zwar stellt auch eine Buchung auf einem Zahlungskonto eine als monetärer Wert ausgedrückte Forderung gegenüber dem betreffenden Institut dar, der in Bezug auf einen Nutzer seiner Dienste gegen Zahlung eines Geldbetrags ausgestellt wird, doch ist aus dieser in Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110 angegebenen Definition von E‑Geld abzuleiten, dass sich die Ausgabe von E‑Geld von der bloßen Buchung auf einem Zahlungskonto insbesondere dadurch unterscheidet, dass E‑Geld vor seiner für die Zwecke dieser Zahlung vorgenommenen Verwendung in elektronischer Form „gespeichert“ werden muss, was bedeutet, dass es zuvor emittiert wurde, d. h. in einen von den gezahlten Geldbeträgen zu unterscheidenden monetären Aktivposten umgewandelt worden ist, und dass seine Verwendung als Zahlungsmittel von einer anderen natürlichen oder juristischen Person als dem E‑Geld-Emittenten akzeptiert wird.
48 Damit eine Tätigkeit unter die Ausgabe von „E‑Geld“ im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110 fällt, ist – wie der Generalanwalt in den Nrn. 66 bis 69 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat – zumindest erforderlich, dass zwischen dem Nutzer und dem E‑Geld-Emittenten eine vertragliche Vereinbarung besteht, wonach diese Parteien ausdrücklich vereinbaren, dass dieser Emittent einen gesonderten monetären Aktivposten in Höhe des monetären Wertes der von dem Nutzer gezahlten Gelder emittiert. Der Transfer von Geldbeträgen auf ein Zahlungskonto und das Halten dieser Geldbeträge auf dem Konto, ohne dass sofort für Zahlungsvorgänge in Höhe des Wertes dieser Geldbeträge Aufträge erteilt werden, bedeutet jedoch nicht, dass der Zahlungsdienstnutzer der Ausgabe von E‑Geld ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hätte.
49 Aus der Akte geht nicht hervor, dass ABC Projektai bestimmte der erhaltenen Geldbeträge in elektronisch – darunter auch magnetisch – gespeichertes Geld umgewandelt hat, das von einem Kundennetz, das dieses Geld bereitwillig akzeptiert, verwendet werden könnte. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass es sich um Geldbeträge handelte, die auf Zahlungskonten hinterlegt wurden und nur zur Ausführung von Zahlungsaufträgen der betreffenden Nutzer verwendet werden konnten.
50 Sodann ist darauf hinzuweisen, dass das in der Vorlageentscheidung angeführte Urteil vom 16. Januar 2019, Paysera LT (C‑389/17, EU:C:2019:25), in diesem Kontext nicht unmittelbar einschlägig ist. Denn in der Rechtssache, die diesem Urteil zugrunde lag, war die Klägerin des Ausgangsverfahrens ein E‑Geld‑Institut, und der Ausgangsrechtsstreit betraf die Regeln für die Berechnung der Eigenmittel von E‑Geld‑Instituten. In der vorliegenden Rechtssache hat die Klägerin des Ausgangsverfahrens diese Eigenschaft nicht und sie scheint die Ausgabe von E‑Geld nie beabsichtigt zu haben.
51 Schließlich ist jedenfalls festzustellen, dass selbst dann, wenn ABC Projektai gegen einige der im Rahmen der Ausführung von Zahlungsaufträgen geltenden regulatorischen Vorgaben oder gegen die auf die Führung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zahlungskontos anwendbaren vertraglichen Bestimmungen verstoßen hätte, dies aus den von diesem Zahlungsdienstleister durchgeführten Vorgängen nicht zwangsläufig eine Ausgabe von E‑Geld im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110 machen würde. Denn der Verstoß des Zahlungsdienstleisters gegen bestimmte regulatorische oder vertragliche Vorgaben könnte – vorbehaltlich einer Umqualifizierung des Vorgangs aus den in den Rn. 44 und 47 des vorliegenden Urteils genannten Gründen – zwar dessen Haftung auslösen, doch hätten solche Regelverstöße für sich genommen nicht zur Folge, dass der fragliche Vorgang dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2015/2366 entzogen wäre.
52 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2015/2366 und Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110 dahin auszulegen sind, dass die Tätigkeit eines Zahlungsinstituts, die darin besteht, von einem Zahlungsdienstnutzer Geldbeträge entgegenzunehmen, ohne dass diesen Geldbeträgen sofort ein Zahlungsauftrag beigefügt ist, so dass sie auf einem von diesem Institut geführten Zahlungskonto im Sinne von Art. 4 Nr. 12 der Richtlinie 2015/2366 verfügbar bleiben, einen von dem Zahlungsinstitut erbrachten Zahlungsdienst im Sinne von Art. 4 Nr. 3 der Richtlinie 2015/2366 und keinen Vorgang der Ausgabe von E‑Geld im Sinne von Art. 2 Nr. 2 der Richtlinie 2009/110 darstellt.