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RdZ-News
27.10.2022
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AG Gießen: Vertragslücke durch unwirksame Preisanpassungsklausel ist durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen

AG Gießen, Urteil vom 7.4.2022 – 38 C 337/21

ECLI:DE:AGGIESS:2022:0407.38C337.21.00

Volltext des Urteils: RdZL2022-208-2

Leitsatz

Die durch eine nach § 307 BGB unwirksame Preisanpassungsklausel bei langfristigen Versorgungsverträgen entstehende Vertragslücke ist im Wege der ergänzenden Ver-tragsauslegung zu schließen.

Sachverhalt

Eines Tatbestands bedarf es nicht, §§ 313a Abs. 1, 495a, 511 ZPO.

Aus den Gründen

I. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

1. Der Kläger ist prozessführungsbefugt. Die Prozessführungsbefugnis resultiert aus § 2039 S. 1 BGB. Diese Vorschrift berechtigt, in gesetzlicher Prozessstandschaft für die Erbengemeinschaft zum Nachlass gehörende Ansprüche ohne deren Mitwirkung auch klageweise geltend zu machen (einhellige Auffassung, vgl. etwa BGHZ 44, 367 = NJW 1966, 773; BGH NJW 2006, 1969).

2. Der Erbengemeinschaft nach dem Erblasser „…“ steht jedoch kein Anspruch gegenüber der Beklagten auf Rückzahlung von Kontoführungsgebühren in Höhe von 285,43 Euro nebst Zinsen für den Zeitraum Januar 2018 bis Juni 2021 zu.

a) Ein dahingehender Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB, da die Zahlung von Kontoführungsgebühren in Höhe von 6,90 Euro monatlich mit Rechtsgrund erfolgte.

Zwar hat der Bundesgerichtshof mit Urteil vom 27.04.2021 (XI ZR 26/20, NJW 2021, 2273) festgestellt, dass Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Banken und Sparkassen, die ohne inhaltliche Einschränkung die Zustimmung des Kunden zu Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Sonderbedingungen fingieren, unwirksam sind. Mit der Unwirksamkeit der Fiktionsklausel ist jedoch nicht pauschal eine Unwirksamkeit sämtlicher Vertragsänderungen verbunden, die auf diese AGB-Grundlage gestützt wurden. Vielmehr ergibt eine ergänzende Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB, dass der Erblasser der Beklagten eine monatliche Kontoführungsgebühr von 6,90 Euro schuldete.

Nach st. Rspr. des BGH (vgl. nur BGHZ 192, 372 = NJW 2012, 1865; BGH ZMR 2012, 611; BGH NJW 2013, 991 BGH NJW 2015, 2566) hinterlässt eine nach § 307 BGB unwirksame Preisanpassungsklausel in Energieversorgungsunternehmen eine nach §§ 133, 157 BGB zu schließende Vertragslücke. Macht der Kunde nicht innerhalb von drei Jahren nach Zugang der erstmaligen Abrechnung mit auf Grundlage der unwirksamen Klausel erhöhten Entgelten deren Unwirksamkeit geltend, tritt der neue Preis endgültig an die Stelle des zuvor vereinbarten Preises (vgl. nur BGHZ 205, 43 = NJW 2015, 2566). Begründet wird dies u. a. damit, dass bei langfristigen Versorgungsverträgen das subjektive Äquivalenzverhältnis im beiderseitigen Interesse zu wahren sei. Es solle vermieden werden, dass der Energieversorger trotz Schwankungen bei seinen Bezugskosten seine Endkundenpreise unverändert lassen muss und somit dem Kunden ein „unverhoffte(r) und ungerechtfertigte(r) Gewinn“ entstünde (BGHZ 192, 372 = NJW 2012, 1865).

Diese Rspr. ist auch auf Bankverträge wie den streitgegenständlichen anwendbar (so Omlor, NJW 2021, 2243, 2247; wohl auch AG Bergisch Gladbach BeckRS 2021, 43083). Zahlungsdienstrahmenverträge haben wie Versorgungsverträge im Energiebereich einen langfristigen Charakter und werden im Massengeschäft getätigt. Auch hat das Bankrecht wie das Energiewirtschaftsrecht das Ziel, eine Versorgungssicherheit zu gewährleisten (so Omlor, NJW 2021, 2243, 2247).

Die durch die vom BGH angenommene Unwirksamkeit der Vertragsanpassung entstandene Vertragslücke lässt sich nach §§ 133, 157 BGB insofern schließen, als drei Jahre nach Zugang der letzten Abrechnung mit angepassten Konditionen und ohne Widerspruch des Erblassers als Kunden eine Vertragsänderung eintrat. Nachdem das Konto des Erblassers ab Januar 2017 mit einer Kontoführungsgebühr in Höhe von 6,90 Euro pro Monat belastet wurde, waren im Zeitpunkt der Kontoauflösung im Juni 2021 bereits mehr als vier Jahre verstrichen. Für den klägerseits geltend gemachten Anspruch auf Erstattung von Kontoführungsgebühren ab Januar 2018 besteht daher keine Grundlage.

b) Andere Anspruchsgrundlagen, die die klägerische Forderung erfolgreich stützen könnten, sind nicht ersichtlich.

c) Mangels Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch auf Zinsen.

II. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711, 713 ZPO.

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