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BB 2020, I
Otte-Gräbener 

“Abgasskandal”-Entscheidungen des BGH: Meilensteine in der Aufarbeitung, aber im Ergebnis wenig Hoffnung für die geschädigten Käufer

Abbildung 1

Mit seinem wegweisenden ersten Grundsatzurteil vom 25.5.2020 (VI ZR 252/19, BB 2020, 1869) hat der BGH diverse streitige Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Abgasskandal geklärt. Angesichts der kurzen Verjährung von Ansprüchen gegen den Verkäufer (§ 438 Abs. 1 Nr. 3 BGB) machen die geschädigten Käufer regelmäßig nur deliktische Ansprüche gegen den Hersteller (v.a. aus § 826 BGB, aber auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 263 StGB bzw. i.V. m. §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV) geltend.

Nach Auffassung des BGH erfüllt das Inverkehrbringen eines Kfz mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach seinem Gesamtcharakter die Voraussetzungen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung gem. § 826 BGB. Der nach § 826 BGB zu ersetzende Schaden besteht darin, dass der Käufer des Kfz einen im Ergebnis ungewollten Kaufvertrag über eine Leistung abgeschlossen hat, die für seine Zwecke – angesichts der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung – nicht voll brauchbar war. Ein solcher Schaden entfällt auch nicht später durch ein Software-Update. Der Anspruch gegen den Hersteller aus § 826 BGB ist unabhängig davon, ob der Geschädigte das Kfz direkt von dem Hersteller oder etwa von einem Zwischenhändler erworben und ob er einen Neu- oder einen Gebrauchtwagen gekauft hat.

Allerdings muss sich der Geschädigte die von ihm gezogenen Nutzungen im Wege der Vorteilsausgleichung ohne Einschränkung auf seinen Ersatzanspruch anrechnen lassen. Dies überzeugt nicht, da ein solcher Vorteilsausgleich zu einer unbilligen Entlastung des arglistig täuschenden Schädigers führt. Den Nutzungsausgleich berechnet der BGH nach der anerkannten Formel, nach der der Bruttokaufpreis mit den von dem Geschädigten zurückgelegten Kilometern multipliziert und durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt dividiert wird. Die Anrechnung gezogener Nutzungen führt dazu, dass der Schadensersatzanspruch des geschädigten Käufers sogar vollständig aufgezehrt sein kann, wenn die Gesamtlaufleistungserwartung des Kfz bereits überschritten ist. Die Gesamtlaufleistung wurde in einem weiteren vom BGH im Abgasskandal entschiedenen Fall eines VW Passats mit 250.000 km angesetzt (BGH v. 30.7.2020 – VI ZR 354/19, BeckRS 2020, 19274). Ansonsten geht die überwiegende instanzgerichtliche Rechtsprechung von einer durchschnittlichen Gesamtfahrleistung von 300.000 km aus. Sofern es sich bei dem Geschädigten also um einen Vielfahrer handelt, dürfte sich die Geltendmachung des Anspruchs nicht lohnen, da in einem solchen Fall nach Anrechnung der Nutzung allenfalls ein geringer Schadensersatzanspruch – gegen Rückgabe eines nunmehr mangelfreien Kfz – oder schlimmstenfalls gar kein Anspruch zu erzielen ist (vgl. auch Lorenz, NJW 2020, 1924, 1927).

Darüber hinaus steht dem geschädigten Käufer auch kein Zinsanspruch gem. § 849 BGB zu, da die tatsächliche Möglichkeit, das Fahrzeug zu nutzen, nach Auffassung des BGH den Verlust der Nutzungsmöglichkeit des Geldes kompensiert und eine Verzinsung nach § 849 BGB zu einer nach allgemeinen schadensrechtlichen Grundsätzen nicht gerechtfertigten Überkompensation führen würde.

Ein Anspruch des Käufers gegen den Hersteller aus § 826 BGB kommt von vornherein nicht in Betracht, wenn der Käufer das vom Abgasskandal betroffene Kfz erst nach Information der Öffentlichkeit durch den entsprechenden Hersteller über den Abgasskandal (in den VW-Fällen durch die Ad-hoc-Mitteilung vom 22.9.2015) erworben hat (BGH v. 30.7.2020 – VI ZR 5/20, BeckRS 2020, 19146). In einem solchen Fall fehlt es bereits an einer sittenwidrigen Schädigung durch den Hersteller des Kfz, da die Ad-hoc-Mitteilung objektiv geeignet war, das Vertrauen potentieller Käufer (jedenfalls von Gebrauchtwagen mit VW-Dieselmotoren) in eine vorschriftsgemäße Abgastechnik zu zerstören, und diese Käufer damit nicht durch Täuschung zum Vertragsschluss verleitet wurden.

Bislang hat der BGH offen gelassen, wann ein deliktischer Anspruch des Käufers eines Kfz mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung verjährt. Da ein Erwerber jedenfalls ohne grobe Fahrlässigkeit nach der Information der Öffentlichkeit durch VW im Herbst 2015 über den Abgasskandal gem. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen und der Person des Schuldners hätte haben müssen, dürfte ein solcher Anspruch nach zutreffender Auffassung inzwischen verjährt sein. Der BGH wird demnächst Gelegenheit haben, diese streitige Rechtsfrage zu entscheiden (VI ZR 290/20).

Im Ergebnis sind die BGH-Urteile zum Abgasskandal ein Meilenstein in der juristischen Aufarbeitung des Abgasskandals und schaffen durch ihre Klärung diverser streitiger Rechtsfragen Rechtssicherheit für die zahlreichen noch anhängigen Einzelklagen auch nach dem Vergleich in dem Musterfeststellungsverfahren vor dem OLG Braunschweig. Auch diejenigen, die dem Vergleich in dem Musterfeststellungsverfahren nicht zugestimmt haben, können nunmehr individuell gegen VW vorgehen. Angesichts der Anrechnung gezogener Nutzungen im Wege der Vorteilsausgleichung muss jedoch im Einzelfall genau geprüft werden, ob sich eine weitere Anspruchsverfolgung überhaupt lohnt. Die geschädigten Käufer, insbesondere Vielfahrer, sollten auf Vergleichsverhandlungen mit dem Hersteller eingehen und jedenfalls vernünftige Vergleichsvorschläge annehmen (so auch Lorenz, NJW 2020, 1924, 1927).

Prof. Dr. Sabine Otte-Gräbener, LL.M. (Bristol), ist seit 2015 Professorin für Zivil-, Handels- und Gesellschaftsrecht an der Hochschule Düsseldorf. Zuvor war sie Rechtsanwältin in international tätigen großen Wirtschaftskanzleien.

 
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