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BB 2018, I
zu Dohna-Jaeger 

Arbeitsrecht im neuen Koalitionsvertrag aus Gewerkschaftssicht

Abbildung 1

Die vierte große Koalition in der Geschichte der Bundesrepublik aus CDU, CSU und SPD hat ihre Arbeit aufgenommen. Es war ein mühsamer Weg bis zur Regierungsbildung. Nach all den Unwägbarkeiten der letzten Monate scheint jetzt der Zeitpunkt gekommen, die Inhalte des Koalitionsvertrages einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Die Herausforderungen sind groß, wie sich am Beispiel der immensen Veränderungen des Arbeitslebens infolge der Digitalisierung illustrieren lässt. Als wesentlichen Schlüsselfaktor benennt der Koalitionsvertrag in diesem Zusammenhang zu Recht die Notwendigkeit verstärkter Anstrengungen auf dem Gebiet der Aus- und Weiterbildung. Grundsätzlich zu begrüßen ist dabei eine Stärkung der Rechte des Betriebsrats. Ratlosigkeit erzeugt jedoch die Möglichkeit für Arbeitgeber und Betriebsrat, einen Moderator hinzuziehen bei gleichzeitig nicht bestehendem Einigungszwang. Weder erschließt sich das Verhältnis einer solchen Regelung zu den bestehenden Rechten des Betriebsrats bei Maßnahmen der Berufsbildung, noch vermag die Moderationslösung zu überzeugen. Demgegenüber wäre ein die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats flankierender Anspruch der Beschäftigten auf Weiterbildung ein deutlich ambitionierteres Signal gewesen.

Im ArbZG sollen laut Koalitionsvertrag sog. Experimentierräume geschaffen werden, die es tarifgebundenen Unternehmen ermöglichen, auf Grundlage von Tarifverträgen und auf diesen beruhenden Betriebsvereinbarungen beispielsweise die wöchentliche Höchstarbeitszeit flexibler zu regeln. Das Problem des abnehmenden Geltungsbereichs von Tarifverträgen wurde bereits von der letzten Regierung gesehen. In die Irre führt allerdings die Annahme, die Tarifbindung könne (allein) mit dispositivem Gesetzesrecht gestärkt werden. Unabhängig vom besonders sensiblen Thema Arbeitszeit – das ArbZG, welches zugleich Arbeitsschutzrecht ist, eignet sich nicht für Experimente – nimmt die Tarifautonomie auf lange Sicht Schaden, wenn den Tarifvertragsparteien die Aufgabe zugeschrieben wird, gesetzliche Mindestbedingungen zu unterschreiten. Umgekehrt sind Tarifverträge in der Vergangenheit häufig Vorläufer für gesetzliche Regelungen gewesen. Und auch mit den in diesem Jahr abgeschlossenen Tarifverträgen für die Metall- und Elektroindustrie ist es gelungen, arbeitszeitpolitische Akzente hin zu mehr Selbstbestimmung zu setzen, die in ihrer Bedeutung weit über den Geltungsbereich des jeweiligen Tarifvertrages hinausgehen. Teilweise in eine ähnliche Richtung geht das Vorhaben der Koalitionäre, unter bestimmten Voraussetzungen ein Recht auf befristete Teilzeit einzuführen. Nachdem in der letzten Legislaturperiode das angekündigte Rückkehrrecht von Teilzeit auf Vollzeit nicht umgesetzt wurde, fordert die IG Metall umso dringlicher die unverzügliche Umsetzung dieser wichtigen Gesetzesvorhaben ein.

Dringend erforderlich ist auch die beabsichtigte Erleichterung der Gründung und Wahl von Betriebsräten, denn die Wertung des Gesetzgebers steht in eklatantem Widerspruch zur betrieblichen Realität. Letztere ist zunehmend durch das Bestreben von Arbeitgebern geprägt, Betriebsratswahlen zu verhindern. Daher bedarf es nicht nur einer Vereinfachung des Wahlverfahrens selbst, sondern der Schutz der Wahlinitiatoren muss ebenfalls verbessert werden.

Die Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens ist ein Schritt in die richtige Richtung, um Betriebsratsgründungen zu erleichtern, aber für sich genommen nicht ausreichend, um die Erosion der betrieblichen Mitbestimmung zu stoppen. Hinzu kommt, dass das vereinfachte Wahlverfahren nicht per se einfach ist. D. h. hier gilt es eine Reihe von Regelungen einer Überprüfung zu unterziehen, um dem BetrVG zu größtmöglicher Wirksamkeit und Anwendungsbreite zu verhelfen.

Was die Unternehmensmitbestimmung betrifft, so ist die Ankündigung, die nationalen Vorschriften über die Mitbestimmung auch bei grenzüberschreitenden Sitzverlagerungen von Gesellschaften sichern zu wollen, ein wichtiger Aspekt im Hinblick auf das von der EU-Kommission angekündigte “Company Law Package”. Konkret verbinden ließe sich damit neben Bestandsschutzregelungen die Festschreibung des Grundsatzes der Einheit von Verwaltungs- und Satzungssitz juristischer Personen. Was dagegen fehlt, sind Perspektiven zur Weiterentwicklung von Mitbestimmung in Deutschland und Europa.

Besonders umstritten bei den Koalitionsverhandlungen war das Thema Befristung. Insbesondere die sachgrundlose Befristung wird zur Umgehung des Kündigungsschutzes und zur Verlagerung des Beschäftigungsrisikos auf den Arbeitnehmer genutzt. Betroffen sind vor allem junge Menschen, denen auf diese Weise die Zukunftsplanung erheblich erschwert wird. Die quotale Begrenzung der sachgrundlosen Befristung in Betrieben mit mehr als 75 Beschäftigten und die Verkürzung der Gesamtdauer einer sachgrundlosen Befristung auf 18 statt bislang 24 Monate werden an diesem Befund nichts ändern, könnten aber zumindest einer weiteren Zunahme befristeter Beschäftigung entgegenwirken. Dies gilt ebenso für die avisierte Begrenzung der Gesamtdauer von Kettenbefristungen auf längstens 5 Jahre.

Dem Koalitionsvertrag kommt keine rechtliche Bindungswirkung zu.

Die wichtigste Währung in der Politik ist Glaubwürdigkeit. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die sie vertretenden Gewerkschaften werden genau hinsehen, ob und wie der im Koalitionsvertrag formulierte Anspruch, gute Arbeit und soziale Teilhabe zu sichern, umgesetzt wird.

Verena zu Dohna-Jaeger, RAin, ist Leiterin des Ressorts Betriebsverfassung und Mitbestimmungspolitik beim Vorstand der IG Metall.

 
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