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BB 2017, I
Duttiné 

BVerfG bremst willkürliche Steuergesetze – Beschränkung der Verlustverrechnung verfassungswidrig

Abbildung 1

Die seit fast zehn Jahren geltende Regelung zum Untergang steuerlicher Verlustvorträge ist teilweise verfassungswidrig. Denn die Ausgestaltung der Regelung war schlichtweg willkürlich. Mit diesem Paukenschlag hat das BVerfG mit Beschluss vom 29.3.2017 den Gesetzgeber zur Ordnung gerufen (Az.: 2 BvL 6/11). Immerhin geht es bei § 8c KStG um eine Kernregelung der Unternehmensbesteuerung. Wohl daher sah das Gericht von einer rückwirkenden Nichtigkeit ab. Aber nur, wenn der Gesetzgeber bis zum 31.12.2018 eine verfassungskonforme Neuregelung schafft.

Die Nutzbarkeit von Verlustvorträgen, insbesondere in Kombination mit einem Wechsel im Bestand der Anteilseigner, ist ein Dauerbrenner. Im Kern geht es stets um Missbrauchsbekämpfung. Der unerwünschte Handel mit Verlustmänteln, also Gesellschaften mit Verlustvorträgen ohne Aktivität, sollte unterbunden werden. Ein Wechsel des Gesellschafterbestandes wurde typisiert als missbräuchliche Maßnahme eingestuft.

Seit Wirksamwerden der Vorgängerregelung (§ 8 Abs. 4 KStG) konnte kaum einmal von Stillstand der Rechtssetzung in diesem Bereich gesprochen werden. Die fortwährenden Änderungen durch den Gesetzgeber wirkten wie die panische Reaktion auf die Tatsache, dass man vermeintlich erkanntem Missbrauch nicht Herr wurde. Erhebliche praktische Anwendungsprobleme waren die Folge. Als Lösung wurde der § 8c KStG geschaffen; der Gesetzgeber schuf nach eigenem Bekunden eine “einfachere und zielgenauere Regelung”.

Die Nutzbarkeit von Verlustvorträgen einer Kapitalgesellschaft wird seit dem 1.1.2008 ausschließlich am Kriterium eines “schädlichen Anteilseignerwechsels” gemessen. Verlustvorträge einer Gesellschaft gehen anteilig unter, wenn deren Anteile zu mehr als 25 % und bis zu 50 % auf einen neuen Gesellschafter übertragen werden. Werden mehr als die Hälfte der Anteile ebenso übertragen, gehen die Verlustvorträge vollständig unter. Zumindest die Regelung zum anteiligen Untergang der Verlustvorträge ist verfassungswidrig.

Das BVerfG erkennt den Versuch, missbräuchliche Gestaltungen zu verhindern. Es stuft die vorgenommene Typisierung allerdings als ungeeignet und willkürlich (!) ein. Den Verlustabzug bestimmter Gesellschaften zu ermöglichen, anderer jedoch nicht, stellt eine ungleiche Belastung von Steuerpflichtigen dar. Hier wäre ein besonderer sachlicher Grund erforderlich, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag. Die Übertragung einer Beteiligung, insbesondere einer Minderheitsbeteiligung, kann jedoch viele Gründe jenseits der Nutzung von Verlusten haben. Somit hat der Gesetzgeber nicht einmal einen typischen Missbrauchsfall als Ausgangspunkt für eine generalisierende Regelung gewählt.

Der Beschluss des BVerfG trifft allerdings keine Aussage zum vollständigen Untergang von Verlusten beim Übergang von mehr als 50 % der Anteile. Insoweit bleibt die verfassungsrechtliche Beurteilung der Vorschrift offen. Auch die neue Rechtslage seit 2016 ist ausdrücklich nicht Gegenstand der Entscheidung. Sie sieht vor, dass ein Verlustvortrag trotz eines schädlichen Anteilseignerwechsels nutzbar bleibt, wenn das betreffende Unternehmen drei Jahre vor dem Anteilseignerwechsel ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhält und fortführt. Diese Neuregelung bedarf laut BVerfG “gesonderter Betrachtung”.

Das BVerfG hat dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31.12.2018 den festgestellten Verfassungsverstoß für die Jahre vom 1.1.2008 bis zum 31.12.2015 zu beseitigen. Eine naheliegende Lösung könnte sein, dass die im vergangenen Jahr eingeführte Regelung des § 8d KStG auf Altjahre ab dem 1.1.2008 ausgedehnt wird. Sie erlaubt die Nutzung steuerlicher Verlustvorträge trotz eines schädlichen Anteilseignerwechsels, wenn der Geschäftsbetrieb des Unternehmens innerhalb bestimmter Perioden vor und nach dem Anteilseignerwechsel fortgeführt wird.

Die Regelung erinnert inhaltlich an den vergangenen § 8 Abs. 4 KStG, was nicht ausschließlich als gutes Zeichen zu werten ist. Für Organträger und Gesellschafter an Mitunternehmerschaften ist sie nicht anwendbar. Außerdem birgt sie erhebliche Unsicherheiten in ihrem Anwendungsbereich, u. a. ist der Begriff des “Geschäftsbetriebs” zwar definiert, er bleibt aber unscharf. Es ist offen, ob das vorgeschriebene Antragserfordernis und die diskutierte Unwiderruflichkeit dieses Antrags mit dem verfassungsrechtlichen Willkürverbot vereinbar sind – mit missbräuchlichen Handlungen scheinen sie schwer in Verbindung zu bringen zu sein.

Außerdem stellt sich auch die Frage, ob der Gesetzgeber den § 8d KStG nur auf den anteiligen Gesellschafterwechsel (bis 50 %) oder sogleich auch auf den mehr als 50 % umfassenden Gesellschafterwechsel rückwirkend ab 1.1.2008 für anwendbar erklärt.

Wie viele Unternehmen auf Steuerrückzahlungen hoffen können, bleibt offen. Steuerbescheide mit § 8c KStG Themen sollten vorsorglich offengehalten werden, bis der Gesetzgeber reagiert hat. Dem Fiskus dürften allerdings erhebliche Rückforderungen ins Haus stehen. So langsam müsste in Berlin die Einsicht reifen, dass man mit Hinweis auf angebliche Missbrauchsfälle nicht ständig ehrliche Unternehmen willkürlich belasten kann.

Tino Duttiné, StB, ist Partner in der Steuerrechtspraxis im Frankfurter Büro von Norton Rose Fulbright. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Beratung von Unternehmen in allen Fragen des deutschen und internationalen Steuerrechts. Sein besonderer Fokus liegt dabei auf projektorientierter Steuerplanung, Beratung bei M&A-Transaktionen, der Optimierung von Konzernsteuern sowie bei strukturierten Finanzierungen und Immobilienakquisitionen.

 
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