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BB 2020, I
Frank-Fahle/Falder 

Coronavirus-Epidemie – Rückholpflicht der Bundesregierung und deutscher Arbeitgeber?

Abbildung 1

Abbildung 2

Die chinesische Stadt Wuhan ist aufgrund des Coronavirus von der Außenwelt abgeschnitten. Insgesamt 56 Millionen Menschen in der Region wurden unter Quarantäne gestellt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft das Gesundheitsrisiko vor Ort als sehr hoch ein. Insbesondere ältere Menschen sind von dem von Mensch zu Mensch übertragbaren Erreger betroffen; die Todesfälle gehen bereits jetzt in die Hunderte. Die Bundesregierung hat derweil eine Evakuierung deutscher Staatsbürger aus der Region vorgenommen. Grundsätzlich steht der Regierung insoweit ein weiter Ermessensspielraum zu. Fraglich ist jedoch, ab wann die Krisenzustände sich zu einer konkreten Handlungsverpflichtung verdichten. Eine entsprechende Rückholpflicht ist darüber hinaus für Arbeitgeber denkbar, die Arbeitnehmer in die Region entsandt haben. Zuletzt stellt sich die Frage, inwieweit Staat und Arbeitgeber im Rahmen der Abschottung ganzer Städte zusammenwirken müssen.

Quelle einer staatlichen Verpflichtung zur Rückholung deutscher Staatsbürger können neben einfachgesetzlichen Normen wie dem Konsulargesetz und dem Gesetz über den Auswärtigen Dienst insbesondere die Grundrechte sein. Über eine bloße Abwehrfunktion hinaus lassen sich im Einzelfall aus diesen Schutzpflichten des Staates herleiten. Anerkannt ist eine solche verfassungsunmittelbare Pflicht insbesondere im Rahmen von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, der jedermann das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit garantiert und den Staat verpflichtet, sich schützend und fördernd vor die genannten Rechtsgüter zu stellen. Diese Verpflichtung war bspw. in der Paulskirchenverfassung, der Bismarck'schen Reichsverfassung sowie der Weimarer Verfassung in Form eines besonderen Anspruchs der im Ausland befindlichen Deutschen auf staatlichen Schutz ausdrücklich erwähnt.

Angesichts der insoweit allgemein gehaltenen Formulierung stellen individuelle Handlungspflichten aus dem Grundgesetz jedoch die Ausnahme dar. Der Exekutive steht bei der Erfüllung der Schutzpflicht ein weiter Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zu. Gleichwohl hat das OVG Berlin-Brandenburg (Beschl. v. 6.11.2019 – 10 S 43.19) gestützt auf diese Schutzpflicht angesichts drohender Gefahren für Leib und Leben kürzlich die Verpflichtung der Bundesregierung ausgesprochen, eine deutsche Familie aus einem kurdischen Flüchtlingslager zurück in die Bundesrepublik zu holen.

Vor dem Hintergrund der Krisensituation in der Region Wuhan und weiterhin bestehenden Unwägbarkeiten in Bezug auf Ausbreitung und Wirkungsweise des Virus erscheint es derzeit naheliegend, eine Reduzierung des Ermessensspielraums der Bundesregierung im Sinne einer umfassenden Rückholaktion deutscher Staatsbürger anzunehmen.

Ausgangspunkt für arbeitsrechtliche Überlegungen ist die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Dieser ist verpflichtet, soweit möglich und zumutbar, die Rechtsgüter des Arbeitnehmers (im Entsendungsfall oft auch seiner Familienangehörigen) zu schützen. Die Möglichkeiten aus Deutschland heraus sind naturgemäß beschränkt. Wenn allerdings Transportmöglichkeiten bestehen, dürfte bei einem dahingehenden Wunsch des Mitarbeiters die Verpflichtung bestehen, seine Ausreise zu unterstützen, etwa durch eine Flugbuchung oder Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung (zunächst unter Verwendung von Urlaub und anderen Freizeitausgleichansprüchen). Dies gilt jedenfalls dann, wenn es – wie jetzt für die Provinz Hubei – offizielle Reise- bzw. Gesundheitswarnungen etwa des Auswärtigen Amtes, der WHO oder des Robert Koch Instituts gibt.

Dabei muss es sich nicht um eine Heimreise nach Deutschland handeln, viele Unternehmen sehen in ihren Richtlinien zunächst eine Ausreise in das nächstgelegene sichere Ausland vor. Dieses ist vielleicht nicht per Flug, aber per Bahn, Schiff, Bus oder Auto erreichbar. In jedem Fall muss der Arbeitgeber auch das Thema temporäre Unterbringung und Beschäftigung (soweit es nicht nur um einen kurzen Aufenthalt geht) bedenken.

Alternativ ist bei einem Verbleib vor Ort an die Anordnung von Homeoffice-Tätigkeit oder die Organisation lokaler Transportmöglichkeiten (Wohnort zu Arbeitsort und zurück) sowie Schutzmaßnahmen am Arbeitsort (z. B. Schutzkleidung; Einschränkung des Publikumsverkehrs) zu denken, um einen Basisbetrieb aufrechtzuerhalten.

In beiden Varianten (Verbleib und Ausreise) muss den entsandten Mitarbeitern ein jederzeit erreichbarer, kompetenter Ansprechpartner zur Seite gestellt werden. Dabei sind Unternehmen im Vorteil, die bereits über einen ausgefeilten Notfallplan im Rahmen einer Entsenderichtlinie verfügen.

Im Ergebnis sind sowohl staatliche Stellen als auch private Arbeitgeber verpflichtet, für einen umfassenden Schutz der noch in Wuhan befindlichen Deutschen zu sorgen. Davon ungeachtet wird kein Arbeitgeber gut beraten sein, Arbeitnehmer zum Verbleib zu zwingen bzw. eine eigenmächtige Rückkehr arbeitsrechtlich zu sanktionieren. Besondere Herausforderungen stellen sich im Hinblick auf den Quarantänestatus der Stadt. Stoßen die Handlungsoptionen der Arbeitgeber insoweit auf faktische Grenzen, wird eine enge Kooperation mit der Bundesregierung erforderlich sein, um ggf. auch über diplomatische Kanäle eine schnelle Rückkehr der deutschen Staatsbürger zu ermöglichen.

Dr. Constantin Frank-Fahle, LL.M., (li.), ist Rechtsanwalt und Legal Consultant in der Kanzlei SCHLÜTER GRAF Legal Consultants, Dubai (VAE). Er ist u. a. auf die Strukturierung von Investitionen im Nahen und Mittleren Osten spezialisiert.

Roland Falder, (re.), ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Kanzlei Emplawyers in München. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Beratung deutscher Unternehmen bei Entsendungen nach China sowie im chinesischen Arbeitsrecht.

 
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