Das neue deutsche Konzerninsolvenzrecht – Fluch oder Segen?
Mit dem “Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen” vom 13.4.2017, das am 21.4.2017 verkündet worden ist, schafft der deutsche Gesetzgeber – nach fast 4-jährigem Gesetzgebungsprozess – ein neues Konzerninsolvenzrecht, das am 21.4.2018 in Kraft treten wird. Anders als von Teilen der Literatur gefordert, setzt das neue Recht nicht auf eine materielle Konsolidierung der Vermögen der einzelnen Konzernunternehmen, sondern hält eisern am Grundsatz “ein Unternehmen – ein Insolvenzverfahren” fest. Das hat zur Folge, dass es auch zukünftig bei Konzernsachverhalten zu einer Vielzahl von Einzelinsolvenzverfahren kommen wird. Die bessere Koordination dieser Einzelverfahren hat das neue Recht zum Ziel.
Zur Erreichung dieses Ziels sieht das neue Recht zunächst die Möglichkeit eines sog. Gruppen-Gerichtsstands am Sitz eines der gruppenangehörigen Unternehmen vor. Damit soll ein Auseinanderfallen unterschiedlicher örtlicher Insolvenzgerichtszuständigkeiten vermieden werden. Als Unternehmensgruppe definiert das neue Recht dabei einen Verbund von Unternehmen, die den Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen im Inland haben und unmittelbar oder mittelbar miteinander verbunden sind durch (i) die Möglichkeit der Ausübung eines beherrschenden Einflusses oder (ii) eine Zusammenfassung unter einheitlicher Leitung. Auf Antrag eines gruppenangehörigen Unternehmens kann mithin zukünftig die Konzentration der verschiedenen Verfahren an einem Insolvenzgericht und bei einem Insolvenzrichter rechtssicher erfolgen. Gläubigern steht ein solches Antragsrecht dagegen nicht zu. Stellen mehrere gruppenangehörige Unternehmen unabhängig voneinander bei verschiedenen Gerichten einen Antrag auf Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands, so gilt der erste eingehende Antrag als maßgeblich (Prioritätsprinzip). Antragsberechtigt ist nur ein gruppenangehöriges Unternehmen, das gemessen an seiner Arbeitnehmerzahl, Bilanzsumme bzw. Umsatzerlösen nicht von untergeordneter Bedeutung innerhalb der Unternehmensgruppe ist. Ferner muss die Begründung des Gruppen-Gerichtsstands im gemeinsamen Interesse der Gläubiger liegen.
Die beschriebene örtliche Zuständigkeitskonzentration bei einem Insolvenzgericht soll insbesondere dazu dienen, sich schnell auf eine Person als Insolvenzverwalter in den verschiedenen Insolvenzverfahren zu einigen. Allerdings besteht für das Gericht keine Pflicht, die gleiche Person in allen Verfahren zum Verwalter zu bestellen. Werden unterschiedliche Personen zu Verwaltern bestellt, begründet das neue Recht Informations- und Kooperationspflichten zwischen ihnen, allerdings mit der zwingenden Grenze, dass hierdurch keine Masseschmälerung der jeweiligen Einzelverfahren erfolgen darf.
Ist ein Gruppen-Gerichtsstand einmal begründet und wird über das Vermögen eines gruppenangehörigen Unternehmens bei einem anderen Insolvenzgericht die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens beantragt, kann das angerufene Gericht das Verfahren an das Gericht des Gruppen-Gerichtsstands verweisen bzw. hat es zu verweisen, wenn der Eröffnungsantrag von einem Gläubiger gestellt wurde und der Schuldner unverzüglich nach Kenntniserlangung hiervon einen Antrag auf Verweisung stellt. Zudem kann das Gericht des Gruppen-Gerichtsstands einen vom Erstgericht bestellten Insolvenzverwalter entlassen.
Gelingt die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstands nicht, führt das neue Recht für die dann zuständigen unterschiedlichen Insolvenzgerichte neue Informations- und Kooperationspflichten ein.
Erstmalig wird schließlich ein von den Einzelverfahren entkoppeltes Koordinationsverfahren eingeführt. Dieses kann auf Antrag am Gruppen-Gerichtsstand eröffnet werden und soll der übergreifenden Steuerung und Koordinierung aller Verfahren dienen. Dazu soll ein unabhängiger Dritter als Verfahrenskoordinator eingesetzt werden, der im Interesse aller Konzerngläubiger die Gesamtmasse mehren und Koordinationsgewinne erreichen soll. Dem Verfahrenskoordinator stehen umfassende Informations- und Mitwirkungsrechte zu, wie z. B. das Recht zur Teilnahme an Gläubigerausschusssitzungen in den Einzelverfahren. Zum Zwecke der bestmöglichen Verfahrenskoordination soll der Verfahrenskoordinator einen Koordinationsplan erarbeiten, der im besten Falle die Gesamtsanierung der Gruppe sicherstellen soll. Rechtscharakter und Zuschnitt des Koordinationsplans stellen rechtliches Neuland dar, hat der Koordinationsplan doch, anders als ein Insolvenzplan, keinen gestaltenden Teil mit der Folge, dass er für sich allein keine Bindungswirkung in den Einzelverfahren entfaltet. Nur wenn der Koordinationsplan in einem Einzelverfahren gleichsam über einen dortigen Insolvenzplan übernommen wird, kann er für das dortige Verfahren eine Bindungswirkung erzielen.
Die vom deutschen Gesetzgeber beschlossene “kleine” Lösung ist gut gemeint, wird aber in der Praxis weder zu einer Beschleunigung noch zu einer Verschlankung von Insolvenzverfahren im Konzern führen. Im Gegenteil: Durch die Beibehaltung der Einzelverfahren und das zusätzliche übergeordnete Koordinationsverfahren steigt die Komplexität. Darüber hinaus kommt dem Verfahrenskoordinator eine an der Kumulation der Vermögensmassen der Einzelverfahren orientierte Vergütung zu, so dass eine zusätzliche Kostenbelastung der Gesamtmasse droht. Wenngleich die Schaffung des Gruppen-Gerichtsstands eine begrüßenswerte rechtssichere Verfahrenskoordination darstellt, so fällt doch die Bewertung des neuen Rechts aufgrund der genannten Schwächen durchaus kritisch aus. Ein reiner Segen ist es jedenfalls nicht.
Dr. Martin Jawansky (li.), RA, ist Counsel im Bereich Restrukturierung & Insolvenz im Frankfurter Büro der Kanzlei Clifford Chance Deutschland LLP. Er ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht und Autor zahlreicher Fachpublikationen zum Thema Restrukturierungs- und Insolvenzrecht.
Dr. Artur M. Swierczok (re.), LL.M. (UCL), MSt. (Oxford), RA, ist als Associate in der Kanzlei Clifford Chance Deutschland LLP in Frankfurt a. M. im Bereich Restrukturierung & Insolvenz tätig. Er ist Lehrbeauftragter für Unternehmensrecht an der Hochschule Mainz und Autor zahlreicher Fachpublikationen zum Thema Restrukturierungs- und Insolvenzrecht.