Das Jahressteuergesetz 2020 – Bewegung im steuerpolitischen Stillstand?
Mit der Veröffentlichung des Jahressteuergesetzes 2020 (JStG 2020) am 28.12.2020 hat der Steuergesetzgeber den Rechtsanwender mit einem Artikelgesetz par excellence in das neue Jahr 2021 verabschiedet. Nicht weniger als 33 Einzelgesetze erfahren durch das JStG 2020 Änderungen und bescheren Neuerungen und Anpassungen in nahezu allen Steuergebieten.
Genannt werden können hier – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – beispielsweise die zahlreichen Änderungen im Bereich der Arbeitnehmerbesteuerung, die unter anderem die Einführung einer Home-Office-Pauschale, die Anhebung der 44 Euro Freigrenze auf 50 Euro ab dem Jahr 2022 oder das Zusätzlichkeitserfordernis bei der Gewährung von Sachbezügen oder Zuschüssen betreffen. Umfangreiche Änderungen im Umsatzsteuerrecht ergeben sich insbesondere durch die Umsetzung des Mehrwertsteuer-Digitalpakets mit Auswirkungen auf die Lieferung über sog. elektronische Schnittstellen durch Anbieter, die außerhalb der EU ansässig sind und den Ort der Lieferung und sonstigen Leistungen bei Fernverkäufen.
Viele dieser Änderungen stellen Reaktionen auf exogene Vorgaben dar und betreffen beispielsweise die Anpassung von Freibeträgen an das allgemeine Preisniveau. Darüber hinaus spiegeln sich neben Rechtsprechungsänderungen insbesondere die Corona-Krise, EU-Richtlinien und der Brexit in dem Gesetz wider.
Im Zeichen der Corona-Krise steht neben der Einführung der Home-Office-Pauschale auch die Verlängerung der Zahlungsfrist für die Steuerbefreiung von Corona-bedingten Beihilfen und Unterstützungen nach § 3 Nr. 11a EStG bis zum 30.6.2021. Mit der Corona-Krise wird auch eine Änderung begründet, die sich längerfristig auf viele kleine und mittelgroße Unternehmen auswirken sollte: Der Investitionsabzugsbetrag gem. § 7g EStG und die hiermit verbundene Sonderabschreibung werden reformiert und sind zukünftig auch auf Wirtschaftsgüter anwendbar, die im Jahr der Investition und im Folgejahr vermietet werden. Ferner werden die nach § 7g Abs. 1 S. 1 EStG begünstigten Investitionskosten von 40 auf 50 Prozent angehoben. Eingeschränkt wird die Möglichkeit im Rahmen von Betriebsprüfungen festgestellte Mehrergebnisse durch die Inanspruchnahme des § 7g EStG für ein bereits angeschafftes Wirtschaftsgut zu kompensieren. Die Inanspruchnahme wird nunmehr nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der erstmaligen Steuerfestsetzung davon abhängig gemacht, dass das Wirtschaftsgut zum Zeitpunkt dieser späteren Wahlrechtsausübung noch nicht angeschafft worden ist. Unter Berücksichtigung des Zwecks der Vorschrift, Investitionsanreize für KMU zu setzen, erscheint diese Änderung folgerichtig bzw. im Hinblick auf eine zielgenaue Ausgestaltung sachgerecht.
Schließlich sei noch auf die Änderungen im Gemeinnützigkeitsrecht hingewiesen, die unter anderem vorsehen “Klimaschutz” und “Ortverschönerung” in den Zweckkatalog des § 52 Abs. 2 S. 1 AO aufzunehmen. Neben diesen eher punktuellen und möglicherweise deklaratorischen Ergänzungen führen weitere Änderungen zur Mittelweitergabe und zum planmäßigen Zusammenwirken mit anderen Körperschaften zu deutlichen Erleichterungen und tragen dem Erfordernis nach arbeitsteiliger Organisation innerhalb und außerhalb gemeinnütziger Gruppenstrukturen Rechnung. Keine Auswirkungen ergeben sich im Hinblick auf das viel beachtete Urteil des BFH vom 10.1.2019 (V R 60/17, “Attac-Urteil”, BB 2019, 738 m. BB-Komm. Riegel/Freund), wonach die Verfolgung politischer Zwecke im Steuerrecht nicht gemeinnützig ist.
Die weiteren Änderungen sind vielzählig und sollen an dieser Stelle der themenspezifischen Kommentierung überlassen bleiben. Die Anzahl der Änderungen könnte den Eindruck erwecken, es käme Bewegung in den steuerpolitischen Reformstau der vergangenen Jahre. Doch bei genauerem Hinsehen ist das nicht oder nur in sehr geringem Umfang der Fall. Nicht nur, dass strukturelle Probleme des deutschen Steuerrechts nicht angegangen wurden, auch sehr konkrete Reformerfordernisse wie die Reform der Hinzurechnungsbesteuerung oder die unklare Rechtslage bei der beschränkten Steuerpflicht von im Inland registrierten Rechten blieben unberücksichtigt. Die Corona-Krise kann hierfür nicht als Rechtfertigung herhalten, sondern lässt allseits bekannte Probleme wie die Finanzierung der Kommunen im Rahmen der Gewerbesteuer oder unzureichende Verlustverrechnungsmöglichkeiten offener zu Tage treten denn je. Der schleichende Übergang in den Bundestagswahlkampf macht es überdies wenig wahrscheinlich, dass in der laufenden Legislaturperiode noch wichtige Reformvorhaben umgesetzt werden. Es lässt sich der Eindruck gewinnen, dass Steuerreformen zunehmend durch die EU initiiert werden und der deutsche Steuergesetzgeber mit der Umsetzung von Richtlinien und beihilferechtlichen Vorgaben weitgehend “ausgelastet” ist. Das wäre nicht weiter bedauerlich, wenn dieses Verhältnis dem tatsächlichen Stand der europäischen Integration entsprechen würde. Doch das ist mitnichten der Fall. Die Gesetzgebungskompetenz für das Ertragsteuerrecht liegt unverändert bei den Mitgliedsstaaten und die europäische Kommission wird es dem deutschen Gesetzgeber nicht abnehmen eigene umfangreiche Steuerreformen umzusetzen.
Es wäre dringend erforderlich, dass die nächste Bundesregierung steuerpolitische Reformen angeht und das Steuerrecht als ein maßgebliches Standortkriterium begreift, das sich nicht in Steuersatz- und Bierdeckel-Diskussionen erschöpft. Auch wenn sich Themen wie Anrechnungsüberhänge durch ausländische Quellensteuern oder die Substanzbesteuerung in der Gewerbesteuer nicht als attraktive Wahlkampfthemen anbieten, sind sie nicht minder wichtig und dürfen nicht mehr länger ignoriert werden.
Falk Thörmer, LL.M., StB, ist Manager der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft im Bereich International Tax and Transaction Services am Standort Düsseldorf. Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Autors wieder.