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BB 2018, I
Wernicke 

Das geplante “Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs” – zwischen Abmahnmissbrauch, Datenschutz und Marktintegrität

Abbildung 1

Die Diskussion um effektive Rechtsdurchsetzung ist rechtspolitisch neu entflammt: Vermehrt werden echte oder vermeintliche Rechtsschutzdefizite identifiziert und Verfahrensregeln testweise modifiziert. Im Verbraucherschutz werden mit der Musterfeststellungsklage neuartige kollektive Modelle in die ZPO eingeführt. Die EU-Kommission plant private Sammelklagen auf Schadensersatz auch im Lauterkeitsrecht. Das Datenschutzrecht hat neue Unsicherheiten geschaffen und das Bundeskartellamt beansprucht Befugnisse, die es zu einer “Datenschutz- und UWG-Behörde” umgestalten würden. Das Professorengutachten für das BMWi hat zuletzt auf mögliche Risiken von Over-Enforcement, “Durchsetzungschaos” und Überanspruchung der Unternehmen aufmerksam gemacht (GRUR 2018, 1004).

Im Kern geht es um die Frage nach der Aktivlegitimation und den Ausschluss möglichen Missbrauchs: Soll Rechtsschutz behördlich erfolgen? Reichen privatrechtliche Modelle über Verbände oder soll jeder “Betroffene” Ansprüche einklagen dürfen? In Deutschland liegt die Rechtsdurchsetzung im Lauterkeitsrecht in privater Hand. Wettbewerber, Verbraucherverbände und die von Kammern und Unternehmen getragene Wettbewerbszentrale handeln seit Jahrzehnten erfolgreich. Die vorgerichtliche Abmahnung ist als Element außergerichtlicher Streitbeilegung sinnvoll – richtig eingesetzt dient sie der schnellen und effektiven Beendigung von Wettbewerbsverstößen und sichert die Marktintegrität. Die Abmahnung ist gleichwohl durch Kooperationen zwischen angeblichen Mitbewerbern und Abmahnanwälten in Verruf geraten. Vor allem kleine Online-Händler leiden darunter, aber auch viele andere Branchen sind betroffen. Von den tatsächlichen Problemen vieler Unternehmer zeugt nicht zuletzt der große Erfolg der Online-Petition an den Bundestag im Frühjahr 2018.

Vor diesem Hintergrund hatten bereits 2017 zehn Wirtschaftsverbände unter Federführung des DIHK konkrete Lösungsvorschläge unterbreitet (https://www.dihk.de/themenfelder/recht-steuern/wettbewerbsrecht-immaterialgueterrecht/wettbewerbsrecht-uwg/uwg/abmahnmissbrauch, Abruf: 29.10.2018); auch der Koalitionsvertrag nahm das Thema auf. Nachdem im Sommer ein erster Anlauf der Koalition im Streit um die Musterfeststellungsklage steckenblieb, war der nun vorlegte Referentenentwurf für ein “Gesetz zur Stärkung des fairen Wettbewerbs” überfällig (https://www.bmjv.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/Dokumente/RefE_fairerWettbewerb.html, Abruf: 29.10.2018). Seine Lösungsansätze sind zu begrüßen, obgleich neue unbestimmte Rechtsbegriffe eingeführt werden wie der Wegfall des Aufwendungsersatzes bei “unerheblichen” Beeinträchtigungen. Dieser richtige Ansatz greift noch zu kurz, weil Verstöße gegen EU-Informationsanforderungen als “wesentlich” gelten (Art. 7 Abs. 5 UCP-Richtlinie). Entscheidend ist daher, die finanziellen Anreize für Abmahnungen generell zu beschränken: Die Erzielung von Einnahmen ist kein Gesetzeszweck des UWG oder des UKlaG. Daher wäre an das gänzliche Entfallen der Abmahnbefugnis für Mitbewerber im Online-Bereich zu denken: Fehler bei der Umsetzung hypertropher Informationspflichten dürfen nicht existenzbedrohend werden. Neue Missbrauchsvermutungen sind hilfreich, sie dürfen die Darlegungslast aber nicht allein den Abgemahnten auferlegen. Verfahrensrechtlich ist es richtig, dass auch Wettbewerbsvereine einer Vorabkontrolle durch das Bundesamt für Justiz und der Eintragung in einer Liste bedürfen.

Weiterhin ist es konsequent, den fliegenden Gerichtsstand abzuschaffen und ihn – wie auch im neuen § 32c ZPO – auf den allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten zu beschränken. Dies gilt umso mehr, als schon bisher weder Verbraucher- noch Wettbewerbsvereine den fliegenden Gerichtsstand nutzen konnten. Gleichzeitig wird eine Zuständigkeitskonzentration ermöglicht, was sich gut in die anstehende zukunftsweisende Debatte um spezialisierte Gerichte und die Reform der Kammern für Handelssachen einfügt. Die heftige Kritik der Anwaltschaft, begründet gar mit Zweifeln an der inhaltlichen Kompetenz der Gerichte, befremdet und blendet den realen Missbrauch aus. Dem Rechts- und Wirtschaftsstandort und der Entwicklung des E-Commerce schaden die anwaltlichen Geschäftsmodelle, nicht die Abschaffung des fliegenden Gerichtsstands.

Zudem droht eine zusätzliche Gefährdung durch die DSGVO. Auch wenn es nicht zur befürchteten Abmahnwelle gekommen ist, wäre eine Entwarnung verfrüht. Die Landgerichte, zuletzt in Würzburg (13.9.2018 – 11 O 1741/18, n. v.) und Bochum (7.8.2018 – I-12 O 85/18, BB 2018, 2580), sind zerstritten in Bezug auf die Frage, ob die DSGVO Marktverhaltensregeln gemäß § 3a UWG aufstellt. Angesichts der Überdehnung der Mitbewerbereigenschaft durch die Rechtsprechung verstärkt dies die ohnehin bestehende Unsicherheit im Datenschutz. Hier bedarf es einer raschen klarstellenden Regelung, wonach die DSGVO mit ihren Regelungen zur Rechtsdurchsetzung abschließend ist.

Die private Rechtsdurchsetzung im UWG ist ein Erfolgsmodell. Zugleich sind im Verbraucherschutz sowie dem Datenschutz flankierende behördliche Befugnisse absehbar. Die Umsetzung der neugefassten CPC-Verordnung 2017/2394 zur behördlichen Zusammenarbeit wird ab 2020 im Verbraucherschutz ohnehin in allen grenzüberschreitenden Fällen zu stärkerer behördlicher Rechtsdurchsetzung führen. Das muss keinen Systembruch bedeuten und könnte etwa neue Ombudsmodelle befördern. Es ist aber angezeigt, zuvor das deutsche System der privaten Rechtsdurchsetzung robust auszugestalten und missbräuchliche Geschäftsmodelle endlich zu unterbinden.

Prof. Dr. Stephan Wernicke ist Chefjustitiar des Deutschen Industrie- und Handelskammertages DIHK e. V. und Honorarprofessor für Europarecht, Europäisches Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht an der Juristischen Fakultät der Humboldt Universität zu Berlin.

 
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