Der “Coronavirus Drive-In Test” oder wie sich mit dem richtigen Maß an Kreativität eine Insolvenz in Eigenverwaltung erfolgreich bewältigen lässt
Die deutsche Wirtschaft ächzt unter Corona. Für einige wenige (Krisen-) Branchen ist das Virus allerdings eine Chance, sich zu bewähren, Verantwortung zu zeigen und ihre Existenzberechtigung unter Beweis zu stellen. Dazu gehören bundesweit kleine und mittelgroße Krankenhäuser, die in der politischen Betrachtung häufig als überflüssig eingestuft und plötzlich wieder für breite Bevölkerungsschichten Ansprechpartner vor Ort werden. Auf ihnen ruhen Teile der Hoffnung der Bevölkerung, ihnen vertrauen sich die Menschen an. Bundesweit zeitweise in den vergangenen Wochen im Fokus: die Kreisklinik Groß-Gerau, die Deutschlands ersten “Corona Drive-In” eröffnete. In einem solchen können sich Personen, bei denen ein Virus-Verdacht vorliegt, mit ihrem PKW quasi in einer eigenen Mini-Quarantänestation testen lassen. Ein von der Presse als innovativ bezeichneter Ansatz – insbesondere, weil sich das Krankenhaus derzeit in einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung befindet. Groß-Gerau zeigt: Gerade wer sich in der Krise einfallsreich und unkompliziert gibt sowie das Vertrauen des eigenen Umfelds gewinnt, kann seinen Sanierungsprozess stützen und fördern.
Allein ist die Kreisklinik mit einer solchen kritischen Situation nicht. Bundesweit kämpfen viele Krankenhäuser mit ähnlichen Herausforderungen. Eine erhebliche Anzahl von Kliniken schreibt rote Zahlen. Das Handelsblatt titelte im Mai 2019: “2025 droht die Krise: Fast jede fünfte deutsche Klinik insolvenzgefährdet.” Die Gründe sind vielfältig: Eine Rolle spielen die Digitalisierung der Gesundheitsbranche (sprich Online-Beratungen), der demografische Wandel und sinkende stationäre Behandlungen. Darüber hinaus fallen Überkapazitäten am Markt, zu geringe Investitionen seitens der Länder, mangelnde Spezialisierungen der Kliniken sowie Preisdruck und Personalmangel ins Gewicht.
Trotz Unternehmenskrise und laufendem Insolvenzverfahren ist die Versorgung der Patienten in den Krankenhäusern sichergestellt. Not macht dabei im besten Fall erfinderisch und so ist die Kreisklinik u. a. mit ihrem “Corona Drive-In” in den ersten Tagen der Krise deutschlandweit zum Vorbild in der Betreuung möglicher Infizierter geworden. Und das Medienecho reicht bis hin zur “New York Post”. Ein nicht unwesentlicher Grund hierfür liegt auch in der Eigenverwaltung. Das Klinikum verwaltet sich hier weiter selbst und trifft seine Entscheidungen in Abstimmung mit der vom Amtsgericht Darmstadt eingesetzten Sachwalterin. Den klassischen, häufig hart durchregierenden Insolvenzverwalter gibt es vor Ort nicht. Die Eigenverwaltung bietet diverse Vorteile für ein Unternehmen, welches in die Insolvenz “rutscht”. Die inneren Strukturen bleiben bestehen und das Alltagsgeschäft läuft weiter wie bisher. Das heißt für ein Krankenhaus: Es kann nach wie vor seiner obersten Aufgabe, der Versorgung seiner Patienten, gerecht werden. Ganz wesentlich ist zudem, dass die Eigenverwaltung deutlich mildere Imageschäden nach sich zieht, als ein reguläres Insolvenzfahren. Im Fall der Kreisklinik Groß-Gerau war die Geschäftsführung Dank der so flexibel gehaltenen Strukturen in der Lage, unmittelbar zu reagieren und neue Wege im Sinne der betroffenen Menschen vor Ort zu beschreiten.
Damit diese Vorteile aber auch tatsächlich zum Tragen kommen, gibt es eine Reihe von Faktoren, die für eine erfolgreiche Eigenverwaltung von Bedeutung sind. Zuallererst ist wichtig, dass das Team bestehend aus der Geschäftsführung, deren Fachberatern sowie der Sachwaltung umfassendes Branchen-Know-how mitbringen. Bei Krankenhaussanierungen sollten also die involvierten Personen Medizin-(Controlling)Know-how besitzen. Ganz wichtig für den Erfolg der Eigenverwaltung ist auch eine extrem kurze Verfahrensdauer und somit eine hohe Umsetzungsgeschwindigkeit. Auf Krankenhäuser bezogen, ist dies zwingend erforderlich, um Ärzte, Fachkräfte, Zuweiser und Patienten zu binden. Ohne eine schnelle Sanierungsperspektive ist dieses im Markt stark umworbene Fachpersonal ansonsten vakant und die Sanierung gefährdet.
Aber: Nicht jedes Insolvenzfahren kann in der Eigenverwaltung abgewickelt werden. Am Anfang steht ein komplexes Antragsverfahren. Das Gericht gewährt die Eigenverwaltung nur dann, wenn eine Aussicht auf Sanierung besteht. Konkret: also die Markt- und Wettbewerbsfähigkeit wiederhergestellt werden kann. Aus unserer Erfahrung aus der Sanierung von Krankenhäusern kann ich sagen: Die Hürden sind nicht zu unterschätzen.
Bei all diesen Fällen gilt, was grundsätzlich für Krisen gilt: ein angemessenes Maß an Kreativität und seriösem Improvisationsvermögen ist stets hilfreich. Das Nutzen der bereits vorhandenen Ressourcen kann dabei eine elementare Chance sein, die Krise zu verkleinern und am Ende sogar den Weg hin zu einer gesunden Sanierung zu finden. Die Kreisklinik Groß-Gerau zeigt durch vielzählige Maßnahmen, nicht nur in Bezug auf Corona, dass sie nach wie vor geöffnet, aktiv und handlungsfähig für die betroffenen Menschen in der Region ist. Nicht zuletzt das Medien-Echo hat das Haus als lebendiges Unternehmen in der öffentlichen Wahrnehmung platziert – und das trotz Insolvenz. Mit Einfallsreichtum, etwas Mut und einer durchdachten Vorbereitung gepaart mit entsprechender Fachexpertise kann aus mancher Krise auch eine Chance werden.
Dr. Mark Boddenberg, RA/FAInsR, ist Partner der Kanzlei ECKERT Rechtsanwälte und als Insolvenzverwalter u. a. an den Insolvenzgerichten in Köln, Bonn und Aachen tätig. Weiterer Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die bundesweite Beratung von Unternehmen in der Krise und dabei deren Sanierung über die Erstellung von Insolvenzplänen. In den letzten Jahren hat er zahlreiche Unternehmen und insbesondere Krankenhäuser bei deren (Ver)kauf aus einer Krisensituation bzw. aus der Insolvenz beraten. Derzeit amtiert Herr Dr. Boddenberg als Berater im Eigenverwaltungsverfahren der Kreisklinik Groß-Gerau GmbH.