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BB 2019, I
zu Dohna-Jaeger 

Der EuGH und die Arbeitszeiterfassung – Weshalb die Vogel-Strauß-Taktik verfehlt ist

Abbildung 1

Manchmal bedarf es auch für das eigentlich Offensichtliche einer Gerichtsentscheidung, ja sogar einer Entscheidung des EuGH. Dieser hat in einem Vorabentscheidungsverfahren (Rechtssache Comisiones Obreras) auf Vorlage des Nationalen Gerichtshofs in Spanien entschieden, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, sämtliche Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten aufzuzeichnen.

Die Reaktionen auf die Entscheidung verwundern sowohl in ihrer Aufgeregtheit als auch in den Erscheinungsformen des Negierens und Ignorierens. Arbeitszeiten müssen erfasst werden und es besteht sowohl Handlungsbedarf für Arbeitgeber, die das bislang nicht tun, als auch für den Gesetzgeber. Den Kopf in den Sand zu stecken und nicht zu handeln, erscheint als die für alle Beteiligten denkbar schlechteste Lösung.

Nur zur Erinnerung: Europa ist eine Rechtsgemeinschaft. Es liegt in der Natur der Sache, dass die Rechtsprechung des EuGHs in den jeweiligen Mitgliedstaaten nicht immer mit Wohlwollen aufgenommen wird, am Geltungsanspruch und der Notwendigkeit des Anwendens und Umsetzens ändert dies nichts. Entsprechend gut beraten sind Arbeitgeber, wenn sie dabei nicht auf den Gesetzgeber warten. Denn es besteht die Verpflichtung der nationalen Gerichte zur europarechtskonformen Auslegung und gegebenenfalls zur Abänderung einer gefestigten Rechtsprechung, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie unvereinbar ist. Und der EuGH hat ausdrücklich festgestellt, dass die fehlende Verpflichtung von Arbeitgebern zur Einrichtung eines Zeiterfassungssystems, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann, weder mit der Arbeitszeitrichtlinie noch mit der Rahmenrichtlinie zur Verbesserung des Sicherheits- und Gesundheitsschutzes vereinbar ist.

Zudem stellt sich die Frage einer ausnahmsweisen direkten Wirkung der Arbeitszeitrichtlinie zwischen Privaten. Hierbei spielt sowohl die abgelaufene Umsetzungsfrist, als auch die Normierung des Arbeitszeitschutzes als europäisches Grundrecht in Art. 31 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta eine Rolle. Damit wird die rechtliche Bedeutung der sozialen Grundrechte gestärkt. Der EuGH weist zu Recht darauf hin, dass der Arbeitnehmer als die schwächere Partei des Arbeitsvertrags anzusehen ist und eine Aushöhlung der ihm zustehenden Rechte verhindert werden muss. Um die praktische Wirksamkeit der Arbeitszeitrichtlinie und des genannten Grundrechts zu gewährleisten, müssen die Mitgliedstaaten die Arbeitgeber verpflichten, ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von jedem Arbeitnehmer geleistete Arbeitszeit gemessen werden kann. In Rede steht also lediglich das “Wie” und nicht das “Ob” der Zeiterfassung. Der Gesetzgeber ist nunmehr gefragt, Rechtssicherheit herzustellen. Orientierung benötigen insoweit auch die Tarif- und Betriebsparteien. Bei der Festlegung der konkreten Modalitäten zur Umsetzung besteht ein gewisser Spielraum. Um den sozialen Schutzgedanken, der in der Entscheidung zum Ausdruck kommt, nicht gleich wieder einzuschränken, aber auch um gleiche Ausgangsbedingungen für Arbeitgeber herzustellen und die Kontrolle durch die Aufsichtsbehörden zu erleichtern, sollten möglichst wenig Differenzierungen erfolgen. Dafür spricht auch, dass ca. 80 % der Unternehmen bereits die Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen und dies im Zeitalter der Digitalisierung keine unlösbare Aufgabe darstellt. Die weit verbreitete Praxis AT- Angestellte oder Arbeitnehmer mit Vertrauensarbeitszeit von der Zeiterfassung auszunehmen, steht mit der Entscheidung nicht im Einklang und stellt bereits nach bisheriger Rechtslage einen Verstoß gegen Organisationspflichten des Arbeitgebers dar. Die eigentliche Herausforderung liegt in der Konkretisierung der Kriterien “objektiv, verlässlich und zugänglich”. In diesem Zusammenhang erscheint insbesondere die Verlagerung der bestehenden Pflichten auf den Arbeitnehmer problematisch.

Betriebsräte können über § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, der ihnen die allgemeine Aufgabe zuweist, darüber zu wachen, dass die zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Rechtsnormen durchgeführt werden, aktiv werden. Und aus § 80 Abs. 2 BetrVG ergeben sich Unterrichtungspflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Betriebsrat, die sich insbesondere auf die Arbeitszeit der Beschäftigten beziehen. Umstritten war bislang, ob dem Betriebsrat im Rahmen des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ein Initiativrecht in Bezug auf die Einführung eines Zeiterfassungssystems zusteht. Hier zeichnet sich ein Rechtsprechungswandel zugunsten eines solchen Initiativrechts ab, der durch die Entscheidung des EuGH noch wahrscheinlicher geworden ist.

Ein weit verbreitetes Missverständnis besteht in der Befürchtung, dass flexible Arbeitszeitmodelle aufgrund der EuGH-Entscheidung nicht mehr möglich seien. Diese Sorge ist unbegründet. Flexibles Arbeiten ist im Rahmen des ArbZG und ArbSchG weiterhin möglich, lediglich die Arbeitszeit ist jetzt entsprechend den EuGH-Vorgaben zu erfassen. Erschwert wird dagegen die Umgehung der Bestimmungen des MiloG sowie die Entgegennahme unbezahlter Mehrarbeit und deren Einpreisung ins eigene Geschäftsmodell, denn durch eine vollständige Arbeitszeiterfassung verbessert sich die Transparenz einschließlich der Möglichkeiten des Arbeitnehmers Mehrarbeit nachzuweisen.

Verena zu Dohna-Jaeger, RAin, ist Leiterin des Ressorts Betriebsverfassung und Mitbestimmungspolitik beim Vorstand der IG Metall.

 
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