Die glückselige Insel – Sustainable Products Initiative
Die SPI – im Gesamtbild ein weiterer Beitrag des europäischen Gesetzgebers hin zu Ineffizienz und insbesondere menschlicher Ressourcenbindung ohne entsprechenden gesamtheitlichen Mehrwert.
Die Europäische Kommission hat bereits im März 2020 den Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft (CEAP) verabschiedet; er ist einer der wichtigsten Bausteine des Europäischen Green Deals. Er ist möglicherweise die entscheidende Voraussetzung, um das EU-Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen. Integraler Bestandteil des CEAP ist die Sustainable Products Initiative (SPI), die ebenfalls 2020 angestoßen wurde und sich bis Juni dieses Jahres in der Rückmeldefrist nach Annahme durch die Kommission befindet.
Der Kern dieser Gesetzesinitiative wird darin bestehen, die Ökodesign-Richtlinie über energieverbrauchsrelevante Produkte hinaus auszuweiten, damit der Ökodesign-Rahmen auf eine möglichst breite Palette von Produkten Anwendung findet. Hierzu bedient sich die Kommission wie so oft in der jüngeren Vergangenheit einer Verordnung, die im Gegensatz zu einer Richtlinie ohne entsprechende nationale Umsetzung direkt Geltung erlangen wird.
Als Teil dieser Gesetzgebungsinitiative schlägt die Kommission einen breiten Strauß von Nachhaltigkeitsgrundsätzen und andere Möglichkeiten zur Regelung einer bisher in dieser Ausprägung nicht gekannten Produktbeschaffenheit im Mindestmaß vor:
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Verbesserung der Haltbarkeit, Wiederverwendbarkeit, Aufrüstbarkeit und Reparierbarkeit von Produkten, Verringerung des Gehalts an gefährlichen Chemikalien in Produkten und Erhöhung ihrer Energie- und Ressourceneffizienz;
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Erhöhung des Recyclinganteils in Produkten bei gleichzeitiger Gewährleistung ihrer Leistung und Sicherheit;
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Ermöglichung von Wiederaufarbeitung und hochwertigem Recycling;
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Verringerung des Kohlenstoff- und des ökologischen Fußabdrucks;
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Einschränkung des Einweggebrauchs und Bekämpfung der vorzeitigen Veralterung;
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Einführung eines Verbots der Vernichtung von unverkauften langlebigen Gütern;
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Förderung von “Product-as-a-Service” – oder anderen Modellen, bei denen die Hersteller das Eigentum an dem Produkt oder die Verantwortung für seine Leistung während seines gesamten Lebenszyklus behalten;
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Mobilisierung des Potenzials der Digitalisierung von Produktinformationen, einschließlich Lösungen wie digitale Pässe, Kennzeichnung und Wasserzeichen.
Vorrangig werden Produktgruppen behandelt, die im Zusammenhang mit den in diesem Aktionsplan behandelten Wertschöpfungsketten identifiziert wurden, wie Elektronik, IKT und Textilien, aber auch Möbel und besonders umweltschädliche Zwischenprodukte wie Stahl, Zement und Chemikalien. Weitere Produktgruppen werden auf der Grundlage ihrer Umweltauswirkungen und ihres Kreislaufwirtschaftspotenzials ermittelt und gegebenenfalls durch die schon bekannten Werkzeuge der delegierten Verordnungen präzisiert werden.
Um die effektive und effiziente Anwendung des neuen Rahmens für nachhaltige Produkte zu unterstützen, will die Kommission zudem einen gemeinsamen europäischen Datenraum über Wertschöpfungsketten und Produktinformationen einrichten.
Die Zielsetzung ist sakrosankt, die Herangehensweise eine Fortführung des schon in der Ökodesign-Richtlinie vorgenommenen Ansatzes. Nachhaltig und integral ist die Sustainable Products Initiative dagegen nur bedingt. Hierzu muss man einen etwas weiteren Blick über die Gesetzgebungsvorhaben der EU nutzen. In Überarbeitung sind nämlich auch die folgenden Richtlinien: RoHS (Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten), WEEE (Elektro- und Elektronikaltgeräte), Maschinen, REACH, Batterie und Verpackung – von Vorhaben wie GAIA-X, einem Projekt zum Aufbau einer leistungs- und wettbewerbsfähigen, sicheren und vertrauenswürdigen Dateninfrastruktur für Europa, sowie der EPREL-Datenbank im Rahmen der Energieverbrauchskennzeichnung ebenso wenig abzusehen wie der Novellierung der Produktsicherheitsrichtlinie und der Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG. Die Lieferkettengesetzgebung kommt noch hinzu.
Die Vorgaben sind weder konsistent aufeinander abgestimmt noch nutzen sie eine digitale Infrastruktur, die tatsächlich einen Mehrwert für die Wirtschaftsakteure und die Verbraucher böten. Der in der SPI angedachte Digitale Produkt Pass (DPP) ist naheliegend, sinnvoll und wünschenswert. Er erfasst aber nur die Informationen im Rahmen der SPI, einen Bezug zu etwa den Angaben aus dem New Legislative Framework – also Konformitätserklärung oder Herstellerangaben bis hin zur Gebrauchsanleitung – gibt es derzeit nicht und könnte es auch nicht geben, weil die weit über 70 Richtlinien und Verordnungen über die Anforderungen an Produkte in der EU nicht einheitlich digitale Angaben zu Konformität und Gebrauch zulassen. Wie man hört, will das BMWi in den Verhandlungen über die Novellierung der Produktsicherheitsrichtlinie zwingend weiter analoge Gebrauchshinweise vorschreiben, aus Gründen des Schutzes etwa älterer VerbraucherInnen. Eine einheitliche Datenbank für alle Produktinformationen – gar auf Basis des GAIA-X Ansatzes – gibt es ebenso wenig wie eine Logik, wie bestehenden Datenbanken mit Produktbezug produktbezogen zentralisiert werden. Die bisherigen Datenbanken sind weder informationell noch technologisch vereinheitlicht, der Effizienzgewinn also nicht einfach zu erheben.
Ohne diese dringend notwendige Konsolidierung gesetzgeberischer Vorhaben der EU mit der Zielsetzung einer effizienten Lösung für Verbraucher, Wirtschaftsakteure und Verwaltung ist die SPI in sich zwar geeignet, einen Beitrag zu nachhaltigerer Wirtschaft zu geben. Im Gesamtbild ist es aber ein – leider weiterer – Beitrag des europäischen Gesetzgebers hin zu Ineffizienz und insbesondere menschlicher Ressourcenbindung ohne entsprechenden gesamtheitlichen Mehrwert.
Philipp Reusch, RA, ist Gründer und Partner bei Reusch Rechtsanwälte in Berlin. Er berät nationale und internationale Unternehmen in haftungsrechtlichen Fragen und im Produktsicherheitsrecht. Sein ursprünglicher Branchenfokus auf Unternehmen der Maschinenbau- und Automobilzuliefererindustrie hat sich mittlerweile auf Unternehmen der Konsumgüterindustrie sowie Hersteller von Medizin- und Kosmetikprodukten erweitert und auf Fragen haftungsrechtlicher Exposition in digitalisierten Produkten und Geschäftsmodellen ergänzt.