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BB 2023, I
Paul 

EU-Pläne zur Bankenabwicklung: Bitte abwickeln!

Abbildung 1

Statt Regulierungspatchwork wäre eine grundsätzliche Regulierungswende notwendig.

Noch immer sind die Folgen des “Bankenbebens” zu spüren, das vor zwei Monaten die internationalen Finanzmärkte erschüttert hat (vgl. ausführlich Paul, in: Paul [Hrsg.], wissen und handeln, 2023, S. 3–37, im Erscheinen). Mit der Silicon Valley Bank (SVB) musste eine “Ikone” der Tech-Szene durch den amerikanischen Staat gerettet werden, und in der Schweiz wurde das Schicksal der 167-jährigen Credit Suisse (CS), die zu den 30 global systemrelevanten Banken gehörte, durch eine Zwangsfusion mit der UBS besiegelt. In beiden Fällen lösten Einlagenabzüge in zuvor ungeahnter Geschwindigkeit die akute Krise aus. Die Verbreitung von Fakten, aber auch Gerüchten über Social Media sowie die Möglichkeit, Geld sekundenschnell von jedem beliebigen Ort aus per Online Banking abzuziehen, haben den Bank-Run zu einem noch sehr viel kurzfristigeren Phänomen gemacht, als er es in der Vergangenheit bereits war.

Die Ursachen für den sich darin spiegelnden Vertrauensverlust der Einleger sind jedoch unterschiedlich gelagert: Wurden bei der SVB in dramatischer Weise Konzentrations-, Zinsänderungs- und Liquiditätsrisiken unterschätzt, weisen die “Skandale” der CS (von der Beihilfe zur Steuerhinterziehung über unerlaubte Mitarbeiterbeschattungen bis zum Vertrieb unseriöser Fondsprodukte) auf schwerwiegende Mängel in Corporate Governance, Risikomanagement und Unternehmenskultur hin. Letztere zeigen sich besonders plastisch darin, dass in den letzten zehn Jahren Bonuszahlungen von rd. 33 Mrd. Schweizer Franken ein Verlust von per Saldo 3,3 Mrd. Schweizer Franken gegenüberstand!

Muss der Staat aus diesen Krisenfällen Konsequenzen ziehen? Plakativ gefordert werden zum einen weitere wesentliche Erhöhungen der Eigenkapitalausstattung der Banken, die seit der letzten Finanzkrise bereits deutlich angestiegen ist. Natürlich sind Risikopuffer in Krisenzeiten von Vorteil, doch angesichts der Liquiditätsprobleme der SVB sowie der mangelhaften Governance der CS ist es sehr fraglich, ob mehr Eigenkapital einen Run verhindert hätte.

Zum anderen werden Veränderungen in der Einlagensicherung und der Abwicklung von Banken angemahnt. Die EU-Kommission unterzieht die in diesen beiden Bereichen bestehenden Institutionen schon seit längerer Zeit einer intensiven Analyse, als deren Resultat sie am 18.4.2023 den Entwurf für ein sehr weitreichendes Gesetzespaket vorgelegt hat (abrufbar unter https://finance.ec.europa.eu/publications/reform-bank-crisis-management-and-deposit-insurance-framework_
en, Abruf: 11.5.2023). Ziel sei die Schließung von “Schlupflöchern”, um den Einsatz von Steuergeldern bei der Abwicklung von Banken zu verhindern. Zu diesem Zweck sollen die bestehenden Ausnahmeregelungen in den nationalen Sicherungssystemen – in Deutschland die Institutssicherung im öffentlich-rechtlichen Verbund sowie dem der Genossenschaftsbanken – beseitigt werden. Der erst 2015 neu geschaffene Single Resolution Board (SRB) soll nicht nur für die “bedeutenden” – derzeit 111 – Kreditinstitute in Europa, sondern auch für die Abwicklung kleiner und mittelgroßer Banken zuständig sein. Größer zieht die EU-Kommission zudem den Kreis der Beitragszahler für den Ende 2023 mit geplant 80 Mrd. Euro dotierten Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund, SRF), dem man auch den Zugriff auf die Töpfe der nationalen Einlagensicherungen ermöglichen will.

Dieser Vorschlag ignoriert nicht nur die jeweiligen Ausgestaltungsmängel in zwei Kernelementen der Bankenunion, sondern verschärft sie sogar noch: Erstens würden der geplanten “Harmonisierung” aus Sicht der Einleger bewährte Schutzinstitutionen zum Opfer fallen, ohne dass dafür die bislang gescheiterte gemeinsame europäische Einlagensicherung näher rückte. Nicht zuletzt aufgrund des Widerstands der deutschen Kreditwirtschaft, den sich unterschiedlich zusammengesetzte Bundesregierungen stets zu eigen gemacht haben, war in den letzten Jahren keine politische Einigung über die Vernetzung der nationalen Sicherungseinrichtungen möglich. Trotz der auf politischer Seite mehrfach modifizierten Stufenpläne und zahlreicher Ausgestaltungsvorschläge aus der Wissenschaft wurde noch kein tragfähiger Kompromiss gefunden.

Zweitens konnte die Ausgestaltung des Abwicklungsmechanismus bisher nicht verhindern, dass es bei Bankkrisen doch zu Bail-outs durch den Steuerzahler kam: So hat speziell die italienische Regierung im Laufe der letzten Jahre in mehreren Fällen von Ausnahmeregelungen Gebrauch gemacht und allein für die Banca Monte dei Paschi insgesamt 7 Mrd. Euro mit dem Verweis auf besonders schützenswerte Privatanleger bereitgestellt. Auch in der Schweiz mit einem ähnlichen Abwicklungssystem war der Staat der Treiber und Garant der “Rettungsfusion”. Es bleibt daher fraglich, ob Politiker mit Wiederwahlabsicht eine kriselnde systemrelevante (!) Bank “tatenlos” dem EU-Abwicklungsregime überlassen würden. Diesen insoweit mit einem ernstzunehmenden Glaubwürdigkeitsproblem behafteten Mechanismus sogar auf nahezu alle Banken in Europa ausweiten und hierfür Mittel der noch nicht integrierten Einlagensicherungen heranzuziehen zu wollen, “zäumt das Pferd von hinten auf”.

Statt unausgereifter, wenig kohärenter Vorschläge (Regulierungspatchwork) wäre eine grundsätzliche “Regulierungswende” notwendig, um die Resilienz des Bankensektors gegenüber künftigen krisenhaften Entwicklungen weiter oder wieder zu stärken. Die Überarbeitung der Regeln in immer kürzeren Zyklen ohne klaren Kompass kann sich anderenfalls zu einem eigenen “regulatorischen Risiko” ausweiten und die Systemstabilität gefährden. Basis hierfür muss eine theoretisch und empirisch fundierte Konzeption für die Ausgestaltung der Normen sein. Im Umfang entschlackte und auf ihren Kern konzentrierte, langfristig angelegte und prinzipienbasierte Regelsysteme haben die größte Chance, auch in der Bankenregulierung für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen.

Prof. Dr. Stephan Paul ist Inhaber des Lehrstuhls für Finanzierung und Kreditwirtschaft an der Ruhr-Universität Bochum, leitet den Arbeitskreis “Finanzierung” der Schmalenbach-Gesellschaft für Betriebswirtschaft e. V. und forscht u. a. zur Bankenregulierung.

 
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