Ein neues Jahrzehnt – ein neues anwaltliches Berufsrecht
Trotz der zu Beginn dieses Jahres nicht vorhersehbaren Anforderungen an die wegen der Corona-Pandemie enorm gestiegenen Gesetzgebungsvorhaben hat das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) Wort gehalten, das anwaltliche Berufsrecht zu reformieren.
Die Vielzahl von kleinen und großen Brüchen am bisherigen System der BRAO, die auf den Einzelanwalt ausgerichtet ist, erhöhte seit Jahren den Druck auf eine Anpassung der gesetzlichen Regelung. Mit seiner Entscheidung zur Außenrechtsfähigkeit einer am Rechtsverkehr teilnehmenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts vom 29.1.2001 (II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, BB 2001, 374) vollzog der Bundesgerichtshof einen Paradigmenwechsel, dessen Rechtsfolgen für eine Vielzahl von Fragen erst allmählich die Praxis erreichte. Zeitgleich nahm das Interesse an einer beruflichen Zusammenarbeit zu – zwischen den Berufsangehörigen in kleinen und großen Einheiten, nach einer mehrstöckigen Gesellschaftsstruktur und zwischen verschiedenen Professionen. Die sich hieraus ergebenden Fragen haben wiederholt die Rechtsprechung beschäftigt und sind in den beteiligten Kreisen intensiv diskutiert worden.
Mit dem Referentenentwurf vom 29.10.2020 legt das BMJV einen wichtigen Meilenstein für die Anpassung des Berufsrechts an die Gegenwart.
Der Name des Gesetzes ist Programm. Das “Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe” beschränkt sich nicht auf wichtige Neuregelungen im Recht der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften und auf sonstige, die anwaltliche Berufsausübung und deren Selbstverwaltung umtreibende Fragen. Es schafft vielmehr mit dem Ziel, das Recht der Berufsausübungsgesellschaften für die anwaltlichen und steuerberatenden Berufe kohärent zu regeln, die Grundvoraussetzungen für das Gelingen interprofessioneller Berufsausübungsgemeinschaften in der Praxis.
Hierzu gehört, dass die Berufsausübungsgesellschaften selbst Träger von Rechten und Pflichten werden. Eine Vielzahl von Berufspflichten trifft die Berufsausübungsgesellschaft zukünftig originär. Diese steht für das Handeln ihrer Leitungspersonen ein und wird Subjekt berufsrechtlicher Sanktionen. Der Aspekt der Risikovorsorge findet nicht nur Eingang in die originäre Versicherungspflicht der Berufsausübungsgesellschaft selbst, sondern auch in Bezug auf die Einhaltung berufsrechtlicher Pflichten durch Organisationsanforderungen.
Grundsätzlich sollen alle Berufsausübungsgesellschaften zukünftig zulassungspflichtig sein, jedoch sind Ausnahmen für monoprofessionelle Personengesellschaften ohne rechtsformbedingte Haftungsbeschränkungen vorgesehen. Nicht mit der Zulassung zu verwechseln ist die Registrierung der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaft in dem in § 31 BRAO geregelten elektronischen Verzeichnis. Die durch dieses geschaffene Transparenz schafft die Möglichkeit, besondere elektronische Anwaltspostfächer auf Antrag auch für Berufsausübungsgesellschaften zu schaffen.
Bei der Wahl nach der passenden Gesellschaftsform stehen zukünftig alle Rechtsformen in Deutschland einschließlich der Handelsgesellschaften, der EU und aus anderen Staaten der EU und des EWR offen.
Gesellschafter einer interprofessionellen Zusammenarbeit können nach dem Entwurf über die bereits bestehenden Möglichkeiten hinaus Personen sein, die einen freien Beruf i. S. d. § 1 Abs. 2 PartGG ausüben, es sei denn, dass die Verbindung mit dem Beruf des Rechtsanwalts, insbesondere seiner Stellung als unabhängigem Organ der Rechtspflege, nicht vereinbar ist oder das Vertrauen in seine Unabhängigkeit gefährden kann. Mit der Öffnung des Gesellschafterkreises und damit der Möglichkeit, in einer gesellschaftsrechtlich verfestigten Struktur ein an den Zwecken der Gesellschaft ausgerichtetes Know-how zu vereinen, steht das Verbot, Dritte am Gewinn der Berufsausübungsgesellschaft zu beteiligen, im Einklang.
Eine BRAO-Reform wäre unvollständig, wenn sie sich auf das Recht der Berufsausübungsgesellschaften beschränken würde. So ist es nicht überraschend, wenn Vorschläge zur Ausgestaltung des Verbots der Vertretung widerstreitender Interessen sowohl im anwaltlichen Berufsrecht als auch im Steuerberatungsgesetz unterbreitet werden. Diese gehen einher mit einem Vorschlag zur Ausgestaltung der Tätigkeitsverbote. Inhaltlich sehen die Vorschläge Erweiterungen und Einschränkungen vor, die noch intensivst zu diskutieren sind.
Mit dem Fortbestand der Zulassung als Syndikusrechtsanwältin für die Dauer einer im Voraus zeitlich befristeten Tätigkeit bei Fortbestand des der Zulassung zugrundeliegenden Arbeitsverhältnisses entstehen Chancen der beruflichen Fortentwicklung ohne der Sache nach nicht erforderliche Hürden.
Und schließlich erfährt auch das Verfahrensrecht der Selbstverwaltung eine Reform, die es zukunftssicher macht.
Wenn die Reform umgesetzt wird – wovon gegenwärtig auszugehen ist – profitieren Anwaltschaft und Mandanten.
Edith Kindermann, Rechtsanwältin und Notarin in Bremen, ist Präsidentin des Deutschen Anwaltvereins (DAV).