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BB 2022, I
Keller/Lutz-Bachmann 

Einigung auf eine Reform der Energiecharta – neuer Schwung für notwendige Investitionen?

Abbildung 1

Abbildung 2

Ein Austritt aus dem ECT wäre ein Standortnachteil.

Am 14. Juni 2022 haben die Vertragsparteien des Vertrags über die Energiecharta (Energy Charter Treaty, ECT) die jahrelangen Verhandlungen zur Modernisierung des ECT abgeschlossen und ein “Agreement in Principle” erzielt. Der genaue Text des reformierten Vertrags wurde den Vertragsstaaten am 22. August 2022 zugestellt. Auf der nächsten Konferenz der Energiecharta, die am 22. November 2022 stattfinden wird, stimmen die Vertragsparteien über die Annahme des neuen Vertragstexts ab. Anschließend muss der reformierte Vertragstext durch die Vertragsparteien (inkl. der Europäischen Union) ratifiziert werden.

Zentrale Inhalte des reformierten Vertrages sind bereits bekannt gegeben worden: Mit Blick auf den Investitionsschutz und den Zugang zu neutralen Schiedsgerichten ist dabei insb. eine geplante Einschränkung des Begriffs des Investors von Bedeutung. Die neue Bestimmung soll Personen ausschließen, die zum Zeitpunkt der Investition die Staatsangehörigkeit der Vertragspartei besitzen, in der sie Investitionen tätigen bzw. dort ihren ständigen Wohnsitz haben. Darüber hinaus sollen die Anforderungen an eine Geschäftstätigkeit in einem Vertragsstaat erhöht werden: In Zukunft müssen Investoren gewisse Mindestbedingungen erfüllen, zu denen etwa eine physische Präsenz, die Beschäftigung von Personal, Erzielung von Umsatz oder Zahlung von Steuern im Gebiet einer Vertragspartei gehören.

Daneben soll auch die Definition der “billigen und gerechten” Behandlung ausländischer Investoren (“fair and equitable treatment”, Art. 10 Abs. 1 ECT), die in den ECT-Schiedsverfahren eine wichtige Rolle spielt, neu gefasst werde. Art. 10 Abs. 1 ECT soll durch eine Liste ergänzt werden, die bestimmte Maßnahmen enthält, die eine Verletzung dieses Schutzstandards darstellen. Dazu gehört insb. die wichtige Fallgruppe der Enttäuschung der berechtigten Erwartungen des Investors. Dafür sollen die Umstände, die berechtigte Erwartungen des Investors begründen können, im ECT beschrieben werden.

Ferner soll ein neuer Artikel in den ECT eingeführt werden, in dem ein “right to regulate” der Vertragsstaaten, im Interesse legitimer Ziele der öffentlichen Ordnung hoheitliche Maßnahmen gegenüber Investoren vorzunehmen, explizit bestärkt werden soll. Zu diesen Zielen sollen neben der öffentlichen Sicherheit unter anderem der Schutz der Umwelt, einschließlich des Klimaschutzes, sowie der Schutz der öffentlichen Gesundheit gehören.

Eines der zentralen Anliegen der europäischen Vertragsstaaten im Rahmen der Verhandlungen war es, den ECT in Einklang mit den Anforderungen des Paris Agreement zu bringen. Dieses Anliegen wurde in doppelter Weise erreicht: Zunächst soll der ECT zukunftsfest gemacht werden, indem neue Technologien wie Wasserstoff, Biomasse, Biogas oder synthetische Kraftstoffe in die durch den ECT geschützten Investitionen aufgenommen werden. Ferner soll den Vertragsstaaten das Recht eingeräumt werden, Investitionen in fossile Energien auf ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet vom Investitionsschutz des ECT auszunehmen. Dieser Ausschluss vom Investitionsschutz soll, sofern sich einzelne Vertragsstaaten dafür entscheiden, für neue Investitionen, die nach dem 15. August 2023 getätigt werden, aber auch für bestehende Investitionen nach dem Ablauf von zehn Jahren nach Inkrafttreten der entsprechenden Bestimmungen der Mitgliedstaaten gelten.

Wie bereits während der Verhandlungen gibt es auch nach dem Abschluss des Agreement in Principle weiterhin unterschiedliche Einschätzungen unter den Vertragsparteien über die klimapolitischen Komponenten des ECT. So ist etwa Spanien, das in den vergangenen Jahren aufgrund seiner inkonsistenten Förderung erneuerbarer Energien von zahlreichen Investoren auf der Grundlage des ECT verklagt worden ist, mit der Reform unzufrieden und droht weiterhin mit einem Ausstieg aus dem ECT. Insbesondere von NGOs wird ferner mit dem Argument, beim ECT handele es sich um ein “fossiles Relikt”, für einen Austritt der Mitgliedstaaten geworben.

Dabei wird jedoch vielfach übersehen, der der ECT bereits heute ein zentraler Stützpfeiler für die Absicherung von Investitionen von Projekten im Bereich der erneuerbaren Energien ist. Die überwiegende Mehrzahl der Schiedsverfahren unter dem ECT steht im Zusammenhang mit Investitionen im Bereich der erneuerbaren Energien. Investoren, die für ein Gelingen der Energiewende unerlässlich sind, berücksichtigen im Rahmen ihrer meist globalen Investitionsstrategie insbesondere auch Art und Ausmaß der Absicherung ihrer Investitionen in Energieprojekte. Ein Austritt aus dem ECT, oder auch nur eine Einschränkung des Investitionsschutzes, wäre daher für Vertragsstaaten ein nicht unerheblicher Standortnachteil.

Daher ist es erfreulich, dass die Bundesregierung noch vor der Sommerpause ihre neue Handelspolitik verabschiedet hat, in der sie sich neben einem Bekenntnis zu neuen Freihandelsabkommen auch zur Reform des ECT anstelle eines Austritts bekennt. Gerade die Umwälzungen im Bereich der Energieimporte und der Energieversorgung infolge des völkerrechtswidrigen Angriffs der Russischen Föderation auf die Ukraine zeigen, dass der ECT nicht nur für die Absicherung von Investitionen in erneuerbare Energien, sondern auch für die konventionellen Energieformen weiterhin eine zentrale Rolle spielen sollte. Anders sind die ebenfalls vor der Sommerpause im sog. “Osterpaket” deutlich nach oben gesetzten Ausbauziele für erneuerbare Energien, aber auch z. B. die kurzfristig notwendigen Investitionen in LNG-Terminals nur schwerlich zu erreichen.

Dr. Moritz Keller, LL.M., RA (li.), ist Partner bei Clifford Chance PartG mBB und Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität in Frankfurt und der Universität Passau. Er vertritt regelmäßig sowohl Staaten als auch Investoren vor internationalen Schiedsgerichten, einschließlich nach dem Vertrag über die Energiecharta.

Sebastian Lutz-Bachmann, LL.M. (re.), Maître en droit, ist Associated Partner bei Posser Spieth Wolfers & Partners und Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er berät zum Verwaltungs-, Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht und vertritt nationale und internationale Mandanten in komplexen Prozessen vor sämtlichen nationalen Gerichten, dem Europäischen Gerichtshof sowie in Schiedsverfahren.

 
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