Entgeltdiskriminierung – aber wieviel?
Der Grundsatz der Entgeltgleichheit dient nicht dazu, unterdurchschnittliche Gehälter auf das Niveau überdurchschnittlicher Gehälter zu heben.
Entgeltdiskriminierung und Equal Pay werden vielfältig diskutiert derzeit, häufig mit viel Herzblut, aber wenig Sachkenntnis. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom Februar 2023, einer von etlichen “Paukenschlägen” aus Erfurt, wurde – völlig zu Unrecht – als das Ende der Vertragsfreiheit charakterisiert. In einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage wurde kürzlich mitgeteilt, 60 % aller erwerbstätigen Frauen bezögen ein Entgelt unterhalb des männlichen Medians. Das ist an der Grenze zur Volksverdummung. Der Median, eine statistische Größe, ist der mittlere Wert in einer Folge von nach aufsteigender Größe sortierten Werten. Ober- und unterhalb des Medians liegt jeweils die Hälfte der Werte. Das heißt, 50 % aller erwerbstätigen Männer haben ebenfalls ein Entgelt unterhalb des männlichen Medians. Damit indiziert der Wert von 60 % bei Frauen immer noch einen Anpassungsbedarf, verliert aber seinen Schrecken deutlich.
Ob überhaupt der Median ein geeignetes Kriterium in diesem Kontext ist, wird in der Fachwelt unterschiedlich bewertet. Das derzeit gültige Entgelttransparenzgesetz gibt einen Auskunftsanspruch auf den Median des Entgelts der Vergleichsgruppe. Dementsprechend hat das Bundesarbeitsgericht in einer Entscheidung aus Januar 2021 entschieden, dass eine weibliche Beschäftigte ihrer Darlegungslast im Equal-Pay-Prozess genügt, wenn sie auf ihren gegenüber dem männlichen Medianentgelt niedrigeres Entgelt verweist. Daraus folge die Vermutung der geschlechtsspezifischen Benachteiligung.
Darauf aufbauend beschäftigte sich das LAG Baden-Württemberg in seiner Entscheidung vom 1.10.2024 mit der Frage, welches konkrete Vergleichsentgelt für die Ermittlung des der benachteiligten Klägerin zustehenden Gehalts heranzuziehen sei.
Die Klägerin war im streitigen Zeitraum in hälftiger Teilzeit auf der dritten Führungsebene des Unternehmens tätig. Ihr Entgelt lag sowohl unterhalb des Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe als auch unterhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe der dritten Führungsebene. Das Medianentgelt der weiblichen Vergleichsgruppe lag unterhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe.
Mit ihrer Klage verlangte sie in erster Linie die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Entgelt eines von ihr namentlich benannten männlichen Vergleichskollegen bzw. des weltweit bestbezahlten Kollegen der dritten Führungsebene, hilfsweise die Differenz ihrer individuellen Vergütung zum Medianentgelt der männlichen Vergleichsgruppe.
Der rechtliche Rahmen für den geltend gemachten Anspruch liegt im Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG). Nach § 3 Abs. 1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Zudem ist dieses Verbot in § 7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts. Hintergrund des EntgTranspG sind Bestimmungen aus dem Recht der Europäischen Union. Art. 157 Abs. 1 AEUV verlangt, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit das gleiche Entgelt erhalten. Die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt, darunter insbesondere deren Art. 2 Abs. 1 Buchst. e und Art. 4, werden von der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 157 AEUV miterfasst.
Das Gericht sprach ihr jedoch lediglich die Differenz zwischen dem männlichen und dem weiblichen Medianentgelt zu. Das Entgelttransparenzgesetz verlange nicht nur irgendein Indiz für eine geschlechtsbedingte Vergütungsdiskriminierung, um einen Anspruch auf den maximal denkbaren Differenzbetrag zu begründen. Vielmehr müsse ein Indiz gerade für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung in einer ganz bestimmten Höhe bestehen. Da im vorliegenden Fall feststand, dass die Vergütung des zum Vergleich herangezogenen Kollegen oberhalb des Medianentgelts der männlichen Vergleichsgruppe und die Vergütung der Klägerin zudem unterhalb des von der Beklagten konkret bezifferten Medianentgelts der weiblichen Vergleichsgruppe lag, bestand nach Auffassung des Gerichts keine hinreichende Kausalitätsvermutung dahingehend, dass die volle Differenz des individuellen Gehalts der Klägerin zum Gehalt des namentlich benannten männlichen Kollegen auf einer geschlechtsbedingten Benachteiligung beruhe.
Einen Anspruch auf Anpassung “nach ganz oben” konnte die Klägerin nach Ansicht des Gerichts auch nicht auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz stützen, weil auch diese bei Differenzierungen innerhalb der begünstigten Gruppe auf den Durchschnittswert gerichtet sei. Mit dieser Auffassung weicht das LAG Baden-Württemberg von einer Entscheidung des LAG Düsseldorf aus dem vergangenen Jahr ab. Dort hatte der Arbeitgeber für Gehaltserhöhungen ein Budget als Prozentsatz der Gesamtsumme aller Beschäftigten zur Verfügung gestellt, ohne dass es Kriterien für die Verteilung gab. Das LAG Düsseldorf hat dem benachteiligten Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine Gehaltserhöhung um den höchsten Prozentsatz zugebilligt, um den die Arbeitgeberin eine Gehaltsanpassung bei einem der Mitarbeiter vorgenommen hat. Diese Entscheidung betraf allerdings “nur” den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, nicht einen Equal-Pay-Anspruch.
Es ist zu erwarten, dass sich das BAG mit dem Sachverhalt beschäftigen wird. Mit Umsetzung der EU-Entgelttransparenzrichtlinie wird sich der Bezugspunkt für die Bemessung der Entgeltdiskriminierung verschieben. Der Auskunftsanspruch richtet sich dann auf das Durchschnittsgehalt. An dem Unterschied zwischen männlichem und weiblichem Durchschnitt wird sich dann auch die Entgeltdiskriminierung festmachen lassen. Losgelöst vom konkreten Vergleichsmaßstab dient der Grundsatz der Entgeltgleichheit nicht dazu, unterdurchschnittlich bewertete weibliche Erwerbstätige auf das Niveau überdurchschnittlich bewerteter männlicher Erwerbstätiger zu heben. Daher ist die Entscheidung des LAG Baden-Württemberg im Ergebnis richtig.
Dr. Hans-Peter Löw, RA, leitet als Senior Counsel gemeinsam mit Nils Grunicke den Fachbereich Financial Services Employment Law innerhalb der Praxisgruppe Arbeitsrecht bei DLA Piper UK LLP. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt auf der arbeitsrechtlichen Beratung von Finanzinstituten, auch an den Schnittstellen zu Aufsichtsrecht und Datenschutz