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BB 2011, 1
Gerke, Wolfgang 

Grenzen der Schuldzuweisungen

Rating-Agenturen

Eigentlich könnten die Rating-Agenturen die Kritik der mit ihnen Hadernden beiseite schieben, denn mit dem Honorar für ihre Unternehmensanalysen kassieren sie fürstliche Schmerzensgelder. Gefährlich wird es für sie aber, wenn die Qualität ihrer Urteile nicht nur von den Bewerteten, sondern auch von den Nutzern der Ratingeinstufungen systematisch in Frage gestellt wird. Dabei wird niemand verlangen, dass Rating-Agenturen immer richtig liegen. Auch wird oft übersehen, dass sie lediglich Ausfallwahrscheinlichkeiten prognostizieren. Ausfälle von Unternehmen trotz positiven Ratings führen folglich erst dann zu Zweifeln an der Existenzberechtigung von Rating-Agenturen, wenn es sich bei diesen Abweichungen nicht um einmalige Ausreißer, sondern um systematische Fehleinstufungen handelt.

So erlebten die Rating-Agenturen ihren Tiefstpunkt in puncto Treffsicherheit, als ihre Ratings die breiteste Zustimmung erfuhren. In der Euphorie des billigen Geldes und der Verbriefungen erlagen auch sie dem Herdentrend und stuften die komplexen Produkte der Investmentbanken systematisch zu gut ein. Rating-Agenturen übersahen nicht nur die Gefahren einer Finanzkrise. Sie gerieten mit ihren Fehlbewertungen auch zu Mitverursachern des Fiaskos und führten Anleger in die Irre. Die Agenturen erlagen dabei Interessenkonflikten zwischen Beratungsgeschäft und Unternehmensrating. Besonders schwer wiegen ihre zahlreichen Fehlbewertungen bei großen Finanzinstitutionen, wie z. B. der Investmentbank Lehman Brothers, deren Missmanagement sie bis zum bitteren Ende großzügig übersahen. Dies erinnert an ähnliche Fehlurteile aus der Zeit der Internetblase, als sie u. a. die Risiken von Enron ignorierten.

Zum weiteren Umgang mit Rating-Agenturen liefert dieser Rückblick auf ihre Urteilskraft wichtige Anhaltspunkte: Auch nach besserer Kontrolle, nach Überarbeitung ihrer Bewertungsmethoden, nach mehr Transparenz und nach zusätzlichem Wettbewerb werden Rating-Agenturen Fehlurteile abgeben. Dennoch stößt ihr Urteil an den Finanzmärkten auf große Nachfrage: Es komprimiert nämlich hoch komplexe Risikoanalysen in leicht verständliche Bonitätsklassen. Im Rating lässt sich eine Art Gütestempel sehen, wobei sich Anleiherisiken weniger leicht zertifizieren lassen als Milchprodukte oder reine Schurwolle. Bei den Festlegungen der Eigenkapitalanforderungen für Banken und Versicherungen nach Basel II und III sowie Solvency II sah sich der Regulator damit überfordert, selbst eine exakte Risikoklassifizierung der Finanzanlagen vorzunehmen. Aus Verlegenheit griff er deshalb auf das Urteil der Rating-Agenturen zurück. Mit diesem Schritt wurde ein wesentlicher Paradigmenwechsel eingeläutet. Durch die neuen Aufsichtsregeln wurde den Rating-Agenturen ohne fachliche Beaufsichtigung die Macht verliehen, durch ihre Güteklassifizierungen über die Refinanzierungskosten von Banken und Unternehmen mit öffentlicher Rückendeckung zu entscheiden.

Besonders krass zeigte sich die Macht der Rating-Agenturen, als sie mit ihrer drohenden Herunterstufung der Anleihen Griechenlands und Irlands den Rettungsbemühungen der Euro-Länder im Wege standen. Die drei großen US-Rating-Agenturen wurden beschuldigt, die Krise Griechenlands ausgelöst zu haben. In diesem Fall der dramatischen Zuspitzung der Finanzkrise wurden sie zu Unrecht gescholten. Griechenland und Irland waren insolvent. Sie konnten ihre Anleihen nicht mehr bedienen, und es stellte sich lediglich die Frage, wer die Last der Insolvenzen tragen sollte. Heilsam haben die Rating-Agenturen dazu beigetragen, die Politik der vorsätzlichen Insolvenzverschleppung aufzudecken. Die Kritik an den Agenturen sollte davon ablenken, dass die Bürger die Lasten Griechenlands, der Finanzwirtschaft und der übrigen notleidenden Euro-Länder tragen. Die EZB wurde zur Bad Bank für europäische Staatsanleihen umgestaltet, Griechenland wird allein durch seinen nicht am Marktzins ausgerichteten Anleihezins von 3,5 % jährlich mit über 20 Mrd. Euro vom europäischen Steuerzahler subventioniert. Erst die europäischen Bürger verschaffen Ländern mit Missmanagement wieder ein besseres Rating.

Leider müssen sich die Rating-Agenturen aber auch im Fall der Herabstufung von Griechenland und Irland ein Glaubwürdigkeitsproblem anlasten lassen: Angesichts ihrer US-Aktionäre messen sie mit zweierlei Maß. Die zügellose Haushaltspolitik der USA und die umfangreiche Finanzierung des Staats durch die FED hätten längst eine Herunterstufung auch der USA erfordert. Hierzu fehlte den Agenturen jedoch viel zu lange der Mut.

Eine europäische Rating-Agentur könnte helfen, den Wettbewerb zu beleben und das Messen mit zweierlei Maß zu erschweren. Die europäische Politik hegt ihr gegenüber aber Erwartungen, die sie nicht erfüllen darf: Mit einer zu großzügigen Einschätzung der Risiken europäischer Länder würde sie sich unglaubwürdig machen. Ihre Spezialität sollte deshalb nicht im Europakriterium, sondern in ihrer Unabhängigkeit liegen. Es wäre nichts gewonnen, wenn die neue Rating-Agentur statt von US-Aktionären von europäischen Regierungen oder von der EZB beeinflusst würde.

Prof. Dr. Wolfgang Gerke ist Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums und Honorarprofessor an der European Business School. Er lehrte an den Universitäten Passau, Mannheim sowie Erlangen-Nürnberg und erhielt Rufe an die Universitäten Linz, Saarbrücken, Frankfurt und Münster.
 
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