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BB 2011, 1
Krause, Rüdiger 

Gründung der Deutschen Feuerwehr-Gewerkschaft - Droht nun ein "Flächenbrand"?

Tarifpluralität

Am 1.5.2011 ist die Deutsche Feuerwehr-Gewerkschaft (DFeuG) gegründet worden (http://www.dfeug.de). Ihr erklärtes Ziel ist es, die rund 100 000 Berufs-, Werks- und Flughafenfeuerwehrleute gewerkschaftlich eigenständig zu organisieren. Laut Satzung will die DFeuG u. a. die tariflichen Interessen ihrer Mitglieder vertreten und bekennt sich in diesem Zusammenhang ausdrücklich zum Streik als Mittel zur Druckausübung. Da viele Unternehmen ihren Betrieb nur dann aufrechterhalten dürfen, wenn sie über eine funktionstüchtige Feuerwehr verfügen, droht somit nunmehr das Szenario, dass eine kleine Gruppe von Werksfeuerwehrleuten durch eine Arbeitsniederlegung ganze Industrieanlagen lahmlegen kann. Nach den Piloten, den Ärzten und den Lokführern rückt der "Funktionselitenstreik" jetzt also auch bei den Feuerwehrleuten in greifbare Nähe.

Die Gründung der DFeuG ist Ausdruck einer grundlegenden Veränderung der Gewerkschaftslandschaft. Während die Bindekraft der traditionellen Branchengewerkschaften nachlässt, bilden sich neue Berufsgruppengewerkschaften bzw. entfalten ältere Vereinigungen wie die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) zunehmend eigene tarifpolitische Aktivitäten. Hauptursache ist die Unzufriedenheit der Angehörigen bestimmter Beschäftigtengruppen mit der Tarifpolitik der Branchengewerkschaften, die im Interesse der Mehrheit ihrer Mitglieder eine "Lohnspreizung" in der Vergangenheit weitgehend vermieden und dadurch den "Marktwert" der Arbeitskraft von Spezialisten vernachlässigt haben. Es spricht sich immer mehr herum, dass kampfstarke Berufsgruppen ein größeres Stück aus dem Lohnkuchen herausschneiden können, wenn sie eigenständig auftreten.

Diese Entwicklung wird von einer wichtigen Änderung des Tarifrechts begleitet. Nachdem das Bundesarbeitsgericht (BAG) über viele Jahre hinweg den sogenannten Grundsatz der Tarifeinheit vertreten hatte, der zum Vorrang des spezielleren Tarifvertrags innerhalb des Betriebs bei gleichzeitiger Verdrängung anderer an sich anwendbarer Tarifverträge führte, hat es diesen Grundsatz im letzten Jahr aufgegeben (Urt. v. 7.7.2010, BB 2010, 2107). Damit wird einer Gewerkschafts- und Tarifpluralität in den Betrieben der Boden bereitet. Zwar war nie ganz sicher, ob der Grundsatz der Tarifeinheit den Berufsgruppengewerkschaften bei Tarifverträgen und Arbeitskämpfen früher überhaupt ernsthaft Steine in den Weg legte. Jedenfalls haben sich etwaige Hindernisse durch den Rechtsprechungswandel erledigt. Seitdem können durchsetzungsstarke Spezialistengewerkschaften ihre tarifpolitischen Vorstellungen verfolgen, ohne dass der von ihnen erzielte Tariferfolg unter Umständen dem Grundsatz der Tarifeinheit zum Opfer fällt.

Die hierdurch heraufbeschworenen Gefahren eines "Gruppenegoismus" und wiederholter Arbeitskämpfe von Berufsgruppengewerkschaften haben die großen Verbände sogleich auf den Plan gerufen. Im letzten Jahr starteten die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) eine spektakuläre Initiative mit dem Ziel, den Grundsatz der Tarifeinheit gesetzlich wieder einzuführen und dabei das Mehrheitsprinzip zum Leitbild zu erheben (zum bislang freilich nicht offiziell veröffentlichten Entwurf Konzen, JZ 2010, 1036 ff.). In der Politik ist dieser Vorstoß auf Zustimmung gestoßen (vgl. BR-Drucks. 417/10) und hat zeitweilig sogar das Ohr der Kanzlerin gefunden. Allerdings ist diese Allianz jüngst zerbrochen. Zu groß waren die Widerstände im Arbeitnehmerlager namentlich bei der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) gegen die mit der Gesetzesinitiative verbundene Einschränkung des Streikrechts von Minderheitsgewerkschaften (http://www.verdi.de/search). Ob die Regierungskoalition gleichwohl die Kraft findet, das Problem der Tarifpluralität in einer die verschiedenen Interessen angemessen berücksichtigenden Weise zu regeln, ist deshalb sehr zweifelhaft. Damit ist auch der vermittelnde Vorschlag einer Gruppe von Arbeitsrechtsprofessoren, der den Belangen der Berufsgruppengewerkschaften stärker Rechnung tragen will (http://www.cfvw.org), in weite Ferne gerückt. Allerdings könnte schon ein in der Schublade schlummernder Gesetzesentwurf, der von der Politik jederzeit aktiviert werden kann, einem allzu forschen Auftritt von Spezialistengewerkschaften entgegenwirken.

Wie geht es nun weiter? Werden gerade die Feuerwehrleute im Arbeitsleben einen "Flächenbrand" auslösen? Kommt es zu den vielbeschworenen "englischen Verhältnissen"? Nun schießen Gewerkschaften nicht wie Pilze aus dem Boden. Vielmehr müssen spezifische Umstände zusammenkommen, die eine Neugründung begünstigen. Auch ist nicht zu erwarten, dass sich das sozialpartnerschaftliche Klima als Erfolgsmodell der deutschen Wirtschaft, das sich gerade in der letzten Krise bewährt hat, über Nacht in Luft auflöst. Dennoch gilt es wachsam zu sein. Solange der Gesetzgeber weiter untätig bleibt, sind Rechtsprechung und Wissenschaft jedenfalls aufgefordert, ihren Beitrag zu leisten, um Antworten zu den durch die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit aufgeworfenen Fragen zu entwickeln, die der hohen Bedeutung der Tarifautonomie im System der Arbeitsbeziehungen in Deutschland gerecht werden.

Professor Dr. Rüdiger Krause ist seit 2006 Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Georg-August-Universität Göttingen sowie Mitdirektor des dortigen Instituts für Arbeitsrecht. Schwerpunkt seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist das deutsche und europäische Arbeitsrecht. Er ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zum Arbeitsrecht und Mitherausgeber der neuen Fachzeitschrift "Soziales Recht".
 
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