Insolvenzverwaltung braucht einheitliche Regeln – aber wo und wie viele?
Das bislang nur minimal kodifizierte Berufsrecht der Insolvenzverwalter ist zum Gegenstand intensiver Diskussionen geworden – weil es bislang nur minimal kodifiziert ist. So könnte man die aktuelle Situation beschreiben, die nach einer im Koalitionsvertrag erklärten Reformabsicht und der EU-Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz zahlreiche Diskussionsbeiträge hervorgebracht hat.
Mehr als 15 Jahre nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist es überfällig, dass sich der Gesetzgeber einem Berufsrecht für InsolvenzverwalterInnen und SachwalterInnen widmet. Mit den Worten “ein Beruf – ein Berufsrecht” könnte man es auf den Punkt bringen. Der Insolvenzverwalterberuf ist ein eigenständiger Beruf. Er ist multidisziplinär ausgelegt und unterscheidet sich grundsätzlich von der Tätigkeit des Rechtsanwalts. Langjährige Verwahrung von Fremdgeldern, die Notwendigkeit doppelnütziger Treuhandverhältnisse, die Vertretung widerstreitender Interessen, nämlich die Interessen aller Gläubiger und nicht nur eines einzigen Gläubigers, sind einige signifikante Beispiele für die besondere Aufgabenstellung der InsolvenzverwalterInnen.
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben die 182 deutschen Insolvenzgerichte und verschiedene Verbände versucht, die Lücke des Berufsrechts zu schließen. Naturgemäß fehlt es bei diesen Versuchen zum einen an der Allgemeinverbindlichkeit und zum anderen an der bundesweit erforderlichen Einheitlichkeit solcher Vorgaben.
Der jüngste Beitrag wurde soeben im Auftrag des DAV von Prof. Martin Henssler, einem renommierten Experten des anwaltlichen Berufsrechts, vorgelegt. Der DAV beschreibt ihn als Darstellung zur minimalinvasiven Umsetzung europarechtlicher Vorgaben. Neue bürokratische Strukturen, selbständige Kammern o. Ä. seien dazu nicht notwendig. Prof. Henssler unternimmt einen verdienstvollen, aber letztendlich erfolglosen Versuch, diesem Anspruch der Einfachheit auf insgesamt 160 Seiten gerecht zu werden.
Er stützt sich auf die Grundannahme, dass ein Berufsrecht für Insolvenzverwalter auf der Basis des Berufsrechts der Anwälte mit einigen wenigen Ergänzungen geschaffen werden könnte. Dazu schlägt er eine differenzierte Betrachtung aller einzelnen anwaltlichen Berufsregeln und ihrer (evtl. modifizierten) Anwendung auf Insolvenzverwalter vor, die durch grundlegende Berufsregeln in der (entsprechend zu ergänzenden) InsO überblendet werden sollen. Er referiert die Konfliktfälle der vergangenen Jahre und kommt zu einem Konstrukt sich gegenseitig ergänzender Regeln, in das er auch das Berufsrecht der Steuerberater und der Wirtschaftsprüfer (mit entsprechendem Reformbedarf dort) mit einbeziehen möchte. Eine zwangsweise Einbeziehung der nichtanwaltlichen Insolvenzverwalter in die Anwaltskammern komme nicht in Frage. Die Lösung der künftigen Aufsicht sieht er in einer verteilten Zuständigkeit von Anwaltskammern, Steuerberaterkammern, Wirtschaftsprüferkammer und evtl. Gerichten – für die bislang nicht verkammerten Berufsträger, die er einer Zulassung nach dem RDG unterwerfen möchte.
Man kann sich nicht des Eindrucks erwehren, dass hier der Versuch unternommen werden soll, passend zu machen, was nicht passt. Der verfassungsrechtlich geschützte Beruf des Insolvenzverwalters verlangt nach eigenständigen Regelungen. Dies in den verschiedenen Berufsordnungen unterschiedlich verkammerter Berufe und über das RDG zu regeln, ist höchst komplex und alles andere als einfach.
Von existentieller Bedeutung ist die Frage des Berufseintritts und des Berufsaustritts. Bundeseinheitliche Kriterien oder gar eine Ausbildung ähnlich wie bei Notaren, Steuerberatern oder Wirtschaftsprüfern gibt es nicht. Die deutschen Insolvenzgerichte pflegen eigene Vorauswahllisten. Die Aufnahme in diese Listen ist unterschiedlich geregelt. Der Entzug des Listenplatzes einschließlich des sog. kalten Delisting ist nicht ausdrücklich geregelt und erst recht nicht justiziabel.
Der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID) fordert bereits seit 2009 (https://www.vid.de/initiativen/berufsordnung-fuer-insolvenzverwalter-vid-eckpunktepapier/, Abruf: 14.2.2020) eine allgemein verbindliche Regelung der Berufsausübung in der Form einer gesetzlichen Berufsordnung für Insolvenzverwalter. Eine allgemein verbindliche Regelung von Berufszugang und Berufsausübung sollte durch eine gesetzliche Regelung der Berufsaufsicht untersetzt werden. In jüngster Zeit hat er diese Forderungen in Zusammenarbeit mit dem BAKInsO und der NIVD ergänzt (https://www.vid.de/initiativen/reformbedarf-im-berufsrecht-der-insolvenzverwalter-gemeinsames-eckpunktepapier-des-bakinso-e-v-der-nivd-e-v-und-des-vid-e-v/, Abruf: 14.2.2020). Dabei standen wieder praktische Aspekte einer Umsetzung im Vordergrund. Ein Berufsrecht für die ca. 2000 InsolvenzverwalterInnen muss einheitliche Bedingungen für Berufszulassung und Berufsausübung herstellen. Eine Stelle mit bundesweiter Entscheidungszuständigkeit sollte deshalb ein bundeseinheitliches Verzeichnis aller zugelassenen InsolvenzverwalterInnen führen. Eine Berufsordnung sollte auch für Eigenverwalter und künftige Restrukturierungsbeauftragte Anwendung finden.
Die Praxis sollte bei der Umsetzung dieses Reformvorhabens Vorrang vor besitzwahrenden Reflexen der Anwaltschaft haben. Gläubiger und Gerichte brauchen klare und einheitliche Berufsregeln für InsolvenzverwalterInnen. Dazu gehört eine Aufsicht, die auf einer einheitlichen rechtlichen Grundlage arbeitet und nicht schon wegen ihrer Unübersichtlichkeit als ineffizient wahrgenommen wird.
Dr. Christoph Niering, RA/FAInsR, ist Partner von NIERING STOCK TÖMP Rechtsanwälte, eine der großen deutschen Insolvenzverwalterkanzleien. Seit mehr als 25 Jahren ist er als Insolvenzverwalter, Sachwalter und Sanierungsberater tätig und hat seitdem über 2000 Insolvenzverfahren betreut. Er ist zudem regelmäßig als Sachverständiger in Anhörungen des Deutschen Bundestags für insolvenzrechtliche Fragestellungen und seit 2011 Vorsitzender des Verbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands e. V.