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BB 2020, I
Langenbucher 

Kapitalmarktunion 2.0 – jetzt oder nie!

Abbildung 1

Das Ziel, eine funktionsfähige Kapitalmarktunion zu etablieren, verfolgt die EU-Kommission seit 2015. Damals wie heute ist der europäische Kapitalmarkt im globalen Vergleich unterentwickelt und fragmentiert. Die Unternehmensfinanzierung stützt sich weitgehend auf Banken. Zur Kultur der Bankfinanzierung tritt die Zurückhaltung von Anlegern: 52 % der erwachsenen Bevölkerung in den USA halten Aktien, in Europa (euroarea) nur 9 % (De Guindos et al., https://www.ecb.europa.eu/press/blog/date/2020/html/ecb.blog200902~c168038cbc.en.html, [Abruf: 6.11.2020]). Ein home bias besteht zugunsten des eigenen Mitgliedstaates. Neuen politischen und regulatorischen Schwung darf man zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur mit Blick auf den Brexit, sondern auch auf den Kapitalbedarf zur Überwindung der Folgen der COVID-19 Pandemie erwarten.

Den Aufbau eines attraktiven Kapitalmarkts gleichsam “top-down” anzuordnen hat sich freilich als schwieriges Unterfangen erwiesen. Schon im Aktionsplan 2015 war deshalb von einem Mosaik an Maßnahmen die Rede. Der Aktionsplan vom 24. September 2020 wartet nun mit 16 Einzelmaßnahmen auf, die auf der Grundlage des Berichts des High Level Forum on the Capital Market Union vom Juni dieses Jahres entwickelt wurden (hierzu J. Schmidt, EuZW 2020, 547). Ordnen lassen sich diese Maßnahmen in vier Pakete, bei denen es um die Erleichterung von Kapitalaufnahme, um Marktinfrastruktur, um Kleinanleger und um grenzüberschreitende Investitionen geht.

Dem erleichterten Zugang zur Unternehmensfinanzierung soll die Einrichtung einer Plattform für Unternehmensinformationen, aber auch die Vereinfachung von Notierungsvorschriften dienen. Die bislang wenig genutzten ELTIF-Fonds sollen gestärkt und regulatorische Hindernisse für Investitionen insbesondere von Versicherungen überprüft werden. Der Überwindung von Finanzierungstraditionen soll die Verpflichtung von Banken entgegenwirken, die Ablehnung der Vergabe eines Kredits an KMU mit dem Hinweis auf alternative Geldgeber zu verbinden. Auch der im Zuge der Finanzkrise in Misskredit geratene Verbriefungsmarkt soll wiederbelebt werden.

Eine reibungslos funktionierende Marktinfrastruktur wird durch uneinheitliche Abrechnungsdienste von Zentralverwahrern ebenso erschwert wie durch das Fehlen eines konsolidierten Nachhandels-Datentickers. Reformiert werden soll außerdem der bestehende Rahmen für den Schutz grenzübergreifender Investitionen.

Um Kleinanleger geht es, wenn die Entwicklung eines Finanzbildungsrahmens empfohlen wird. Auch die Balance zwischen der Gewähr eines angemessenen Schutzes vor der Komplexität des Finanzsystems und der Überinformation erfahrener Anleger soll neu justiert werden. Einblick in die eigenen Rentenansprüche wird künftig ein “Pension Dashboard” ermöglichen.

Den Abbau der Hürden, die eine effiziente grenzüberschreitende Finanzierung behindern, hat man sich mit Blick auf unterschiedliche Quellensteuersysteme ebenso vorgenommen wie auf nationale Insolvenzregelungen.

Erneut überarbeiten will die Kommission auch die komplexe Schnittstelle zwischen weitgehend europäisiertem Finanzmarktrecht und noch immer deutlich national geprägtem Gesellschaftsrecht. Die im Rahmen der Aktionärsrechterichtlinie II nicht gelungene Harmonisierung des Aktionärsbegriffs steht 2023 an, auch mit der Übermittlung von Informationen zwischen Emittent und Anleger will man sich dann wieder beschäftigen. Gerade grenzüberschreitend tätige Kleinanleger, so wird im Aktionsplan beklagt, seien nicht in der Lage, ihr Stimmrecht auszuüben, obwohl “insbesondere junge Menschen” mitreden wollen “wenn es darum geht, wie Unternehmen geführt werden” (Aktionsplan S. 16). Ob man freilich von der Generation Z die Überwindung rationaler Apathie in Richtung einer schwungvollen Auseinandersetzung mit Managemententscheidungen oder eines Engagements auf Hauptversammlungen erwarten kann, wird sich zeigen müssen. Naheliegend ist jedenfalls die Hoffnung, dass die Nutzung neuer digitaler Technologien das Potential für Vereinfachung birgt.

Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die Kommission am selben Tag die Strategie für ein digitales Finanzwesen veröffentlicht hat. Neben der Nutzung digitaler Identitäten stehen insbesondere Kryptowerte und die Tokenisierung von Finanzinstrumenten im Vordergrund. Die in den Mitgliedstaaten ganz unterschiedlich gehandhabte Einordnung von Kryptowerten soll im Rahmen einer Verordnung geklärt werden, dies wird mit einer Pilotregelung für wertpapierähnliche Kryptowerte gekoppelt. Auch Utility-Token sowie Stablecoins werden adressiert. Die zentrale, auch geopolitische Bedeutung einer Cloud-Computing-Infrastruktur hat die Kommission ebenso erkannt wie die mit künstlicher Intelligenz einhergehenden Herausforderungen im Grenzbereich von Recht und Ethik (Langenbucher, European Business Law Review 2020, 527).

Mit besonderer Aufmerksamkeit wird freilich gerade der deutsche Markt die Ankündigung verfolgen, “die Folgen des Wirecard-Falls für die Regulierung und Aufsicht der EU-Kapitalmärkte gründlich (zu) prüfen” (Aktionsplan S. 18). Hatte man sich im High Level Forum noch nicht durchringen können, eine einstimmige Empfehlung zugunsten einer europäischen Kapitalmarktaufsichtbehörde auszusprechen, dürfte der groß angelegte Betrug und der damit einhergehende Reputationsschaden für den gesamten europäischen Markt derartigen Bestrebungen neuen Rückenwind verleihen.

Prof. Dr. Katja Langenbucher ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht und Bankrecht im House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt a. M.; affiliierte Professur Ecole de Droit, SciencesPo, Paris; ständige Gastprofessur Fordham Law School, NYC. Sie ist Vorstandsmitglied der Bankrechtlichen Vereinigung, Vorstands- und Förderausschussmitglied des Arbeitskreises Wirtschaft und Recht im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft sowie Verwaltungsratsmitglied der BaFin.

 
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