Kurzarbeit in Zeiten der Pandemie
Kurzarbeitergeld ist eine prima Sache. Hätten wir es nicht – es müsste schnell geschaffen werden. Es hat Deutschland schon in der Vergangenheit geholfen, wirtschaftliche Krisen besser zu überstehen. Die Wirtschaft konnte sofort wieder starten, als die Krise vorbei war; die betroffenen Arbeitnehmer hatten sofort wieder Arbeit, und während der Krise waren sie sozial abgesichert. Wenn nun Europa in Zeiten der Pandemie sich am deutschen Modell orientieren will, dann wissen wir, wieso. Und eben weil dem so ist, ist es auch gut, dass als Antwort auf die gegenwärtigen Herausforderungen ein vereinfachtes Verfahren ermöglicht wurde. Das Instrument ist breitflächig angekommen – selbst (private) Universitäten nutzen es. Richtig ist auch, dass die Bezugsdauer des Kurzarbeitergelds durch Verordnung verlängert wurde. Nun aber hat die GroKo auch eine Ausweitung der Leistung beschlossen. Das Kurzarbeitergeld wird ab dem vierten Monat für kinderlose Beschäftige auf 70 % des Nettoeinkommens erhöht, Beschäftigte mit Kindern erhalten dann 77 %. Ab dem siebten Monat gibt es 80 bzw. 87 % für Arbeitnehmer in der Corona-Kurzarbeit, die ihre Arbeitszeit um mindestens 50 % reduzieren. Das Ganze gilt bis maximal 31. Dezember 2020.
Rückenwind erhält dieses Denken vom gewerkschaftsnahen Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI). In einem Vergleich von 15 europäischen Ländern kommt es zum klaren Ergebnis: In vielen anderen europäischen Ländern wird ein teilweise deutlich höheres Kurzarbeitergeld gezahlt – und so fordert das Institut eine Aufstockung auch für deutsche Beschäftigte.
Man mag geneigt sein zu sagen, das macht den Kohl jetzt auch nicht mehr fett. Augen zu und durch, der soziale Friede ist ja schließlich ein hohes Gut. Überzeugend ist das aber nicht. Zuviel spricht dagegen: Ein Mikrovergleich des Kurzarbeitergelds in Europa ist wertlos, wenn nicht Sozialleistungen und ihre Voraussetzungen und Finanzierung insgesamt verglichen werden. Und Forderungen nach einer Erhöhung gerade jetzt bleiben unplausibel, weil das, was an Argumenten angeführt wird für jeden zutrifft, der Kurzarbeitergeld in der Vergangenheit bekommen hat: Mehr ist immer besser für den Arbeitnehmer. Aber die aktuellen Sätze sind ja nicht beliebig gewählt. Die 60 % bzw. bei Eltern mit Kindern. 67 % entsprechen dem Arbeitslosengeld – und es ist ja da, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden. Zudem stocken Unternehmen, die sich das leisten können (nur die!), bislang schon freiwillig das Kurzarbeitergeld auf, auf eigene Kosten, nicht auf die der Beitragszahler – Volkswagen etwa auf bis zu 95 %. Würde jetzt mehr bezahlt, dann müsste man begründen, warum der in Kurzarbeit befindliche Arbeitnehmer es im Hinblick auf seine Sozialleistungen besser haben soll als sein Kollege, dem es noch schlechter geht, weil er pandemiebedingt seinen Arbeitsplatz bereits verloren hat. Das ist ein Gleichbehandungsproblem, das unlösbar wäre, wollte man nicht auch das Arbeitslosengeld anheben. Der jetzige Vorschlag ist grob systemwidrig und wäre schlicht ungerecht. Zudem haben sich die Koalitionspartner bereits jetzt darauf verständig, im Herbst zu prüfen, ob eine Verlängerung ggf. notwendig ist. Besser also den Spielraum erhalten, ggf. diese Frist noch einmal zu verlängern, als jetzt einen Standard einführen, den man langfristig nicht durchhalten kann.
Sinnvoll erscheint aber ein anderer Vorschlag, der zurzeit in Berlin diskutiert wird: Betriebe, die keinen Betriebsrat haben, sollen nicht mehr die Zustimmung ihrer Beschäftigten einholen müssen, um Kurzarbeit einzuführen, sondern sie auch ohne den Häuserkampf der Vereinbarung mit jedem Arbeitnehmer einseitig anordnen können. Sicherlich, juristisch ist das nicht unproblematisch: Es wird dem Arbeitgeber ja ein einseitiges Recht zum Eingriff in den Vertrag gegeben. Aber der Betriebsvereinbarung, für die ja grundsätzlich das (wenn auch kollektive) Günstigkeitsprinzip gilt, wird diese Möglichkeit auch – sicherlich systemwidrig, in der Sache aber gerechtfertigt – durch die Rechtsprechung zugestanden. Gerade kleine Betriebe haben aber keinen Betriebsrat. Und hilfreich wäre der Vorschlag auch für den öffentlichen Dienst gewesen, der keine Betriebsräte, sondern nur Personalräte hat, die eine solche Befugnis bislang nicht haben. Für diesen Bereich hat ver.di jetzt einen Tarifvertrag abgeschlossen, der allerdings eine Aufstockung auf 90 bis 95 % des Lohns vorsieht. Das ist teuer erkauft – auf Kosten des Beitragszahlers entlastet sich die öffentliche Hand; Arbeitslosigkeit wird dadurch nicht vermieden. Kleinere Betriebe werden sich das oftmals nicht leisten können. Schafft man eine solche Regelung einseitiger Anordnungsbefugnis befristet und spezifisch im Hinblick auf die Herausforderungen der Pandemie, dann ist dies sinnvoll, um dem Instrument Kurzarbeitergeld effektiv und schnell Wirkung verleihen zu können. Da muss man die Kröte schlucken, dass es hier wieder einmal keine Besserstellung von Unternehmen mit Betriebsräten gibt. Aber Kurzarbeit ist keine Belohnung für eine gute betriebliche Mitbestimmung. Der Arbeitgeber könnte auch hier nicht beliebig anordnen: Er müsste entsprechend § 106 GewO an billiges Ermessen gebunden sein, und dieses billige Ermessen könnte im Rahmen einer Gesetzesregelung konkretisiert werden (s. den Vorschlag Bauer/Günter, NZA 2020, 422).
Prüfet alles und behaltet das Gute, mahnt der Apostel Paulus die Gemeinde von Thessaloniki. Dazu gehört dann aber auch: Vorschläge, die nicht ganz so gut sind, sollte man mutig zurückweisen.
Prof. Dr. Gregor Thüsing, LL.M. (Harvard), ist Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn.