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BB 2019, I
Duttiné 

Lieber gut als schnell. Keine populistischen Lösungen für die Besteuerung der digitalen Wirtschaft

Abbildung 1

Die Digitalisierung ist die größte wirtschaftliche und gesellschaftliche Herausforderung unserer Zeit. Ähnlich wie seinerzeit bei Mechanisierung und Elektrifizierung gehen die Wirkungen deutlich über den wirtschaftlichen Sektor hinaus. Weite Bereiche gesellschaftlicher Interaktion – nicht zuletzt die gesamte Kommunikation – sind betroffen.

Dem Steuerrecht, insbesondere dem internationalen Steuerrecht, fällt es schwer, mit dem technologischen Fortschritt schrittzuhalten. Die Mechanisierung schaffte die Möglichkeit zur industriellen Produktion in vielen Bereichen und sie erleichterte den Export. Insbesondere englische und europäische Unternehmen konnten ihre Exportleistung immens steigern und dominierten den internationalen Handel. Nicht ohne Grund datieren die ersten internationalen Abkommen zur Vermeidung von Doppelbesteuerung auf das Ende des 18. und frühen 19. Jahrhunderts. Eine systematische Herangehensweise wurde erstmals unter der Regie des Völkerbundes im Jahr 1927 erreicht. Diesem ersten Musterabkommen gingen sieben lange Jahre der wissenschaftlichen Diskussion und politischen Abstimmungen voraus. Die OECD brauchte ähnlich lange, bis sie im Jahr 1963 ihr erstes Musterdoppelbesteuerungsabkommen vorstellen konnte. Intensivste Abstimmungen im Steuerausschuss und Arbeitsgruppen mündeten in einem Konzept, dessen grundlegende Elemente bis in die heutige Zeit Bestandteil eines jeden DBA sind.

Ergebnisse des BEPS-Projekts fehlen noch

Nunmehr ist es Zeit für eine erneute grundlegende Bearbeitung. Die OECD und die G20 haben dies erkannt und wesentliche Elemente der Doppelbesteuerung, nunmehr vielfach unter dem Schlagwort der doppelten Nichtbesteuerung, zur Diskussion gestellt. Das BEPS-Projekt war und ist die größte grundlegende Überarbeitung des internationalen Steuerrechts seit dessen Begründung als wissenschaftliche und wirtschaftspolitische Disziplin.

Die aktuellen Überlegungen zur Besteuerung der digitalen Wirtschaft machen jedoch nicht immer den Anschein, auf einer grundlegenden wissenschaftlichen und konzeptionellen Strategie zu basieren. Die OECD konnte für den Aktionspunkt 1 zum Abschluss der initialen Phase des BEPS-Projekts noch kein Ergebnis in Form von Empfehlungen präsentieren. Der Vorwurf, einzelne Staaten und Interessengruppen, vornehmlich US-amerikanische, hätten dies gezielt verhindert, mag nicht vollkommen frei erfunden sein. Dies darf aber nicht von der Tatsache ablenken, dass es sich um ein monumentales Projekt handelt, welches kaum in zwei Jahren zu akzeptablen Ergebnissen führen konnte. Man möge bedenken, es gibt nicht die eine digitale Wirtschaft und nicht das eine zu erfassende Geschäftsmodell. Tinder und Amazon erbringen unterschiedliche Leistungen mit grundlegend unterschiedlicher Wertschöpfung.

Die EU ist schon vor einiger Zeit auf die Idee gekommen, zu Ende zu bringen, was die OECD vermeintlich nicht vermochte. Wie bereits die ATAD 1 & 2 oder DAC 6 gezeigt haben, ist man in Brüssel nicht zurückhaltend, wenn es um steuerpolitische Schnellschüsse geht. Früher stellte das Einstimmigkeitsprinzip eine standhafte Barriere dar; alle Mitgliedstaaten müssen Maßnahmen zur Harmonisierung direkter Steuern zustimmen. Doch das politische Klima zu Lasten der vermeintlich Steuerfreiheit genießenden Großunternehmen machte vieles möglich, was lange Zeit kaum realistisch war. Wenige Lichtblicke gibt es noch: Die digitale Wirtschaft und deren Besteuerung trotzt den politischen Bemühungen bislang. Erst im März scheiterte der letzte Versuch einer harmonisierenden Richtlinie. Doch schon drohen angehende EU-Kommissarinnen mit der nächsten Initiative.

Grundlegende Überarbeitung des internationalen Steuerrechts notwendig

Erschwerend kommt hinzu, dass die bisherigen EU-Vorschläge nur eine Übergangslösung sein sollen. Sie überbrücken die unbestimmte Zeit, bis der große Wurf gelungen ist. Es soll unbedingt ein Ergebnis präsentiert werden, denn man kann sich wohl nicht den US-Internet-Riesen geschlagen geben, obwohl diese mit Steuergesetzgebung wenig zu tun haben. Oder man muss zeigen, dass der französische Marsch der amerikanischen orangen Revolution trotzen kann? Systematisch kann es nicht sinnvoll sein, eine Übergangslösung zu schaffen, welche bekanntermaßen nur ein Pflaster sein kann. Wenn man die Politik recht versteht, handelt es sich aber um eine arterielle Steuerblutung.

Die Politik ist nicht für systematische und konzeptionelle Erarbeitung von Lösungen bekannt, schon gar nicht, wenn es um ein technisch komplexes und trotzdem für Populismus geeignetes Thema geht. Die grundlegende Überarbeitung des internationalen Steuerrechts sollte aber nicht dem Eigensinn des politischen Betriebs geopfert werden, denn die Ergebnisse müssen verlässlich, flexibel und nachhaltig sein. Nationale Alleingänge wie die Steuer auf digitale Umsätze von Internetkonzernen in Frankreich führen nicht weiter. Die neue Kommission und das EU-Parlament haben fast fünf Jahre bis zur nächsten Wahl. Hoffentlich nutzen sie die Zeit weise, um die europäischen Interessen bei der OECD mit den Mitgliedsländern zu vertreten. Niemand braucht einen Schnellschuss. Die Richtlinienvorschläge nutzen niemandem. Sollten die Wähler je verstehen, wie wenig man mit den EU-Vorschlägen erreichen wird, nutzen sie nicht einmal den trommelnden Politikern.

Dipl.-Kfm. Tino Duttiné, StB, ist Partner in der Steuerrechtspraxis im Frankfurter Büro von Norton Rose Fulbright. Schwerpunkt seiner Tätigkeit ist die Beratung von Unternehmen in allen Fragen des deutschen und internationalen Steuerrechts. Sein besonderer Fokus liegt dabei auf projektorientierter Steuerplanung, Beratung bei M&A-Transaktionen, der Optimierung von Konzernsteuern sowie bei strukturierten Finanzierungen und Immobilienakquisitionen.

 
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